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Auf Tauchstation

Sarrazin, Merkel und Wulff, der Papst - alle reden über Integration. Nur Aygül Özkan nicht. Die hätte als erste türkisch-stämmige Ministerin in Deutschland und als Chef des niedersächsischen Ressorts für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration eigentlich allen Grund dazu.

Von Matthias Eichler |
    Nein, sie wurde nicht einfach hineingestoßen in das politische Haifischbecken, Aygül Özkan WOLLTE Karriere machen in der Politik. Ihre Versuche, sich seit dem Amtsantritt im April freizuschwimmen, gelingen der 39-Jährigen aber nur mühsam.

    Zwar beschreiben Kabinettskollegen die neue Chefin im niedersächsischen Mammut-Ressort Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration als menschlich sehr angenehm. Sie sei eine Ministerin mit Potenzial. Aber nur nett sein reicht nicht, meint die Opposition. Christian Meyer von den Grünen:
    "Und deshalb muss sie jetzt zeigen, dass sie nicht nur eine Vorzeigeministerin ist, sondern dass sie wirklich auch bei den Fakten etwas für Integration und Migration tun kann."
    Integration und Migration, bei diesen Themen steht Özkan häufig und wie selbstverständlich im Fokus. Darum holte Christian Wulff, vor gut einem halben Jahr noch Ministerpräsident in Niedersachsen, sie ja auch in sein Kabinett: als bundesweit erste Ministerin mit türkischen Eltern. Ein kluger Schachzug, meint Klaus Peter Bachmann von der SPD.
    "Ich finde es ein gutes Zeichen, dass erstmals ein Ministerpräsident den Mut hatte, eine Ministerin mit Migrationshintergrund, zumal türkischem Migrationshintergrund, zu berufen. Das will ich neidlos anerkennen. Aber das Symbol allein zählt nicht."
    Darum beschäftigt eine Frage noch immer nicht nur den konservativen Flügel der ländlich geprägten CDU in Niedersachsen: Kann sie das überhaupt? Özkan kommt aus der Hamburger Wirtschaft, arbeitete als Rechtsanwältin und Managerin. Erst seit sechs Jahren mischt sie bei den Christdemokraten mit, ihr Einstieg in die Politik ging fast daneben. In einem Interview hatte sie sich gegen religiöse Symbole in Schulen ausgesprochen, gegen Kopftücher genauso wie gegen das Kruzifix. Das vernichtende Urteil der parteiinternen Kritiker noch vor ihrem Amtsantritt: Sie passt nicht zur CDU. Selbst danach kam die Ministerin um weitere Fettnäpfchen nicht schadlos herum.

    Ein Beispiel: die sogenannte Mediencharta. Die Idee: Verlage, TV- und Radiosender sollen sich schriftlich auf eine gemeinsame Sprache beim Thema Integration festlegen. Ein unverblümter Versuch, die Medien gleichzuschalten, schimpften viele Journalisten und Oppositionspolitiker. Ministerpräsident David McAllister musste die Wogen glätten und kassierte ihren Vorschlag höchstpersönlich. Seitdem lässt Özkan klare Positionen vermissen, auch bei der aktuellen Integrationsdebatte, findet Christian Meyer von den Grünen.
    "Jetzt eher verhält sie sich zurückhaltend. Also, sie macht kaum Vorstöße, sie wagt es nicht zu widersprechen, wenn der Innenminister weiterhin eine knallharte Abschiebepolitik macht, der Ministerpräsident von Integrationsverweigerern spricht, da erwartet man dann doch schon eine klarere Stimme von der neuen Ministerin."
    Doch Özkan meidet lieber weitere Fettnäpfchen. Um nicht nur auf das Megathema Integration reduziert zu werden, besuchte sie vergangene Woche gleich mehrere soziale Einrichtungen, einen großen Pressetross im Schlepptau. Ihr Ziel: Sie will andere Facetten ihres politischen Profils schärfen.

    Ein Händedruck mit Senioren beim Gedächtnistraining, gemeinsames Spielen mit Mädchen und Jungen im integrativen Kindergarten und ein Plausch in einer Werkstatt für behinderte Menschen: Die Ministerin war froh, einmal nicht über Integration diskutieren zu müssen.
    "Natürlich ist Integration im Moment sehr im Fokus, sehr aktuell diskutiert und wird natürlich mit mir ganz eng verbunden. Das ist richtig und auch normal und okay. Aber das Ministerium hat ganz viele Abteilungen und Bereiche, die genauso wichtig für unsere Zukunft sind, die genauso zukunftsweisend auch bearbeitet und entschieden werden müssen. Und das macht mir Spaß, auch mal andere Themen zu bearbeiten in der Tat."
    Die Sozialkompetenz der Ministerin stehe außer Frage, sagt Cornelia Rundt, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen. Bei den Verbänden ist Özkan sehr beliebt. Dass sie Fehler eingesteht und trotzdem neue Vorschläge macht, halten ihr viele zugute. Neben der Integration sei allerdings beim Thema Pflege auch das politische Schwergewicht der Ministerin gefragt, Özkan müsse mit Blick auf eine immer älter werdende Gesellschaft hier wichtige Weichen für die Zukunft stellen, sagt Rundt.
    "Formale Zuständigkeiten sind das eine. Das Andere ist aber, dass man hier wirklich auch eine Öffentlichkeit gewinnen muss für das Thema und auf die Probleme hinweisen muss, die da auf uns zukommen. Und eben das Ganze auch positiv diskutieren muss, damit die Gesellschaft bereit ist, auch die entsprechenden Mittel zum Beispiel zur Verfügung zu stellen für pflegebedürftige Menschen. Und da sehe ich eine ganz große Aufgabe für die Ministerin."
    Große Aufgaben, die von ihren Kritikern scharf beäugt werden – auch von ihren konservativen Parteifreunden. Fast unmöglich für Özkan, dabei das von allen Seiten eingeforderte Profil tatsächlich zu entwickeln. Denn Fehler darf sie sich nicht mehr erlauben, glaubt SPD-Politiker Bachmann.
    "Es sind ihre Defizite, ihr Nichtwissen in vielen Politikfeldern, für die sie zuständig ist. Sie ist da glaube ich ein bisschen blauäugig reingeschliddert. Sie muss noch sehr, sehr an sich arbeiten, sie muss sehr viel Fachwissen noch erarbeiten und sie muss wirklich Rückgrat zeigen in dieser Landesregierung."
    Und auch Ministerpräsident McAllister wird seine Sozialministerin genau im Auge behalten, damit sie ihn nicht belastet. Bei der Landtagswahl 2013 muss sich er das erste Mal seinen Wählern stellen. Denn das Amt des Ministerpräsidenten hat McAllister vor wenigen Monaten vom heutigen Bundespräsidenten Wulff geerbt – und dazu Sozialministerin Özkan.