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Auf Umwegen zurück zum Menschen

Medizin. - Zoonosen sind jene Krankheiten, die laut Definition der Weltgesundheitsorganisation von 1958 natürlicherweise zwischen Tieren und Menschen - und damit auch von Mensch zu Mensch - übertragen werden. Dazu gehört auch die Übertragung etwa durch Nahrungsmittel oder Zecken. Insgesamt sind weltweit rund 200 solcher Krankheiten bekannt. Die Vogelgrippe und BSE sind nur zwei prominente Beispiele, aber mit der Nahrung landen auch viele andere Viren und Bakterien auf dem Teller und können heftige Erkrankungen hervorrufen. Über die Wege der Zoonoserreger in der menschlichen Nahrungskette erörterten Wissenschaftler auf einem Seminar der Weltgesundheitsbehörde WHO vergangene Woche in Hannover.

Von Jo Schilling | 16.02.2004
    Dr. Juliane Bräunig vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin wartet mit erschreckenden Zahlen auf. Im letzten Jahr gemeldet: 63.000 Kranke durch Salmonellen, 47.500 Kranke durch Camphylobakterien, 46.000 Kranke durch Rotaviren:

    Wie wahrscheinlich ist es denn eigentlich, dass man durch Zoonoseerreger oder durch Lebensmittel infiziert wird und erkrankt? Wir benutzen gerne das Bild des Eisbergs. Die Spitze ist über dem Wasser und das sind die gemeldeten Fälle, darüber haben wir Informationen, das liefern uns die Meldesysteme, die obligatorisch sind, aber alles was sich unter der Wasserunterfläche befindet, das ist zwar da, das wird uns aber nicht berichtet. Also man geht davon aus, dass ungefähr zehn bis 20 Prozent aller vorkommenden Fälle überhaupt nur gemeldet werden.

    Ob über Lebensmittel übertragen oder nicht: es sind gewaltige Zahlen, die eine immer bessere Diagnostik widerspiegeln, denn darin sind sich die Zoonosefachleute einig: Die Fälle nehmen vermutlich nicht zu, sondern werden einfach besser erkannt, sagt Dr. Andrea Ammon vom Robert Koch Institut Berlin.

    Das sind Erreger, die auch über Lebensmittel übertragen werden, aber wir können nicht für jeden Einzelfall sagen, ob es auch ein Lebensmittel war. Deswegen ist sozusagen, die Abschätzung, was kommt letztlich beim Menschen an Infektionen durch das Lebensmittel Tier an, wirklich sehr schwierig.

    Viele Wege führen vom Esstisch auf das Krankenlager, aber in den seltensten Fällen sind es tatsächliche Zoonosen. Also Krankheiten, die direkt vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Auch wenn Fleisch oder Milch die Auslöser sind, stammen die Erreger letztlich doch vom Menschen, betont Professor Günter Klein vom Zentrum für Lebensmittelkunde, Fleischhygiene und -technologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

    Zum Beispiel sind das viele der viralen Erkrankungen, die Noroviren, früher als Norfolk-like-Viren bekannten Erreger, werden vor allem in der Verarbeitung, in der küchentechnischen Bearbeitung von Ausscheidern ins Lebensmittel hinein gebracht und können dann sekundär andere Menschen infizieren und sich dann von Mensch zu Mensch sehr effektiv weiterverbreiten, so dass das Lebensmittel praktisch nur die Initialzündung dazu gegeben hat.

    Teilweise gehen die Erreger dabei skurrile Umwege. Die gemeine Miesmuschel oder die vornehme Auster sind häufig schon im Meer Träger von Noroviren. Die Muscheln erkranken nicht daran, aber wer seine Austern gerne roh schlürft, läuft Gefahr sich eine heftige Magen-Darm-Erkrankung zuzuziehen. Aber die Noroviren aus der Tierwelt sind eigentlich ganz andere Typen, als die, die uns krank machen,

    Es ist wahrscheinlich, dass es vom Menschen stammende Erreger sind, die über Abwässer auf Umwegen wieder zum Menschen gekommen sind, das kann auch über pflanzliche Lebensmittel der Fall sein.

    Echte Zoonosen durch Viren sind dagegen eine Seltenheit.

    Das sind nur solche spektakulären Dinge wie Lassa oder HIV, die sich in der Tierwelt herausgebildet haben und durch irgendein zufälliges unglückliches Ereignis den Weg - zum Beispiel das Lebensmittel - zum Mensch gefunden haben und dann dort ihr Eigenleben führen. Das sind aber exeptionelle Ereignisse, das ist nicht der typische Weg.

    Die Zahl der Fälle ist gering. Das waren Anfang des letzten Jahrhunderts die Spanische Grippe, die den Weg über das Schwein genommen hat. HIV und Ebola - eventuell über den Verzehr von Affenfleisch, das Lassa-Fiber über Ratten und natürlich BSE. Und außer bei BSE ist von keiner der Krankheiten sicher, ob sie wirklich durch den Genuss von Fleisch den Sprung auf den Menschen geschafft haben oder durch das enge Zusammenleben von Mensch und Tier - wie bei SARS und der Geflügelpest. Bakterien haben es einfacher. Sie müssen sich nicht einmal die Mühe der Anpassung machen. Beispiel EHEC - eine gefährliche Form der eigentlich ganz normalen Darmbakterien Escherichia coli. Professor Michael Bülte vom Institut für Tierärztliche Nahrungsmittelkunde der Tierärztlichen Hochschule Giessen unterscheidet zwischen einer gefährlichen und einer weniger gefährlichen Variante

    Von dieser als EHEC-Gruppe, also Enterohämorrhagische E.Coli charakterisierten Gruppe, sind die wie ich sie nenne verbraucherfreundlichen, abzugrenzen. Wir haben davon auszugehen, dass unsere Rinderbestände, aber das gleich gilt für Schafe und Ziegen auch, voll sind mit Tieren, die Verotoxin bildende E.coli ausscheiden.

    Verotoxin ist eines der stärksten Gifte, das die Natur produziert und für Kinder und ältere Menschen regelmäßig tödlich. Beim Schlachten bleibt es nicht aus, dass das Fleisch mit diesen Bakterien in Berührung kommt und die Mitarbeiter in Schlachtbetrieben tragen sie weiter. Der Grund, weshalb in Deutschland noch relativ gefahrlos rohes Fleisch gegessen werden kann, ist, dass sich in mitteleuropäischen Rinderställen eine moderate Variante der EHEC-Bakterien eingenistet hat.

    Sie können zwar Verotoxin bilden, aber wenn sie an den Darmzellen nicht haften können, dann marschieren sie - salopp formuliert - einfach durch und können nichts ausrichten, also auch keine Krankheit hervorrufen.