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Auf Wasser gebaut

Der Klimawandel lässt die Meeresspiegel steigen, und besonders die Niederländer beobachten das mit großer Sorge: Liegen doch einige Landesteile bis zu sechs Meter unter Normal-Null. Architekten und Ingenieure haben schon umgedacht und planen, ganze Städte aufs Wasser zu verlegen. Aqua-Wohnen liegt im Trend. Kerstin Schweighöfer berichtet.

    Stolz präsentiert Architekt Art Zaaijer sechs Amphibienhäuser, die er für ein Neubauprojekt entworfen hat. Sie bilden eine Insel und dümpeln im Osten von Amsterdam im Ij - jenem Binnengewässer, das die Stadt mit dem Ijsselmeer verbindet. Mit ihren Kubusformen und hellblauen Aluminiumfassaden sehen sie aus wie ein Eisberg:

    "Damit sie nicht wegtreiben, sind sie mit Bügeln an wuchtigen Stahlpfeilern am Ufer befestigt, erklärt Zaaijer. Je nach Wasserstand können sie sich an diesen Pfeilern nach oben oder nach unten mitbewegen.""

    Die Versorgung mit Wasser und Strom - und auch die Entsorgung - erfolgt über Kabel und Schläuche. Man müsse lediglich für genügend Spielraum sorgen, damit diese bei steigendem oder sinkendem Wasserspiegel nicht reißen.
    Von Immobilien kann eigentlich nicht mehr gesprochen werden. Auch Vergleiche mit Hausbooten oder Schiffen sind unangebracht. Dazu ist das Fundament dieser Häuser - ein mit Kunststoffschaum gefüllter Betonhohlkörper - zu stabil. Selbst bei Sturm, so der Architekt, kämen sie kaum ins Schwanken. Zu behaupten, man gehe an Bord, sei deshalb unangebracht.

    Die sechs Amphibienhäuser sind Prototypen für zwei neue, schwimmende Stadtviertel auf künstlichen Inseln in den Städten Almere und Amsterdam. Bis vor kurzem dienten sie als Modellwohnungen zur Besichtigung für interessierte Käufer. In Kürze sollen sie weggeschleppt und zu Studentenwohnungen umfunktioniert werden.

    Unbewohnt geblieben sind sie in der Zwischenzeit nicht. Dafür hat die Amsterdamer Hausbesetzerszene gesorgt: Studenten und Künstler haben hier eine vorläufige Bleibe gefunden, darunter Karine aus Frankreich: Die Aussicht hier sei herrlich. Freunde aus Frankreich kämen bei Besuchen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein schwimmendes Haus hätten sie noch nie gesehen. Und dann gleich drei Stockwerke hoch, mit Dachterrassen und Laufbrücken.

    Die Amphibienhäuser sind die Antwort der Niederländer auf den Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel. Mit immer höheren Deichen allein, so die Erkenntnis, ist es nicht mehr getan: Stattdessen wird dem Wasser mehr Raum gegeben durch Überflutungsgebiete, künstliche Flussnebenarme oder Notauffangbecken. Eine große Aufklärungskampagne der Regierung mit Postern und Rundfunkspots soll den Bürgern helfen, sich darauf einzustellen: Nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, lautet die neue Devise, sondern mit dem Wasser leben.

    Städteplaner, Architekten und Bauunternehmer haben sich längst auf diese Entwicklungen eingestellt: In zahlreichen niederländischen Gemeinden laufen ähnliche Projekte wie in Amsterdam oder Almere. "Das ist erst der Anfang", prophezeit Koen Olthuis von waterstudio.NL , dem ersten Architekturbüro der Niederlande, das sich ganz auf Amphibienbauten spezialisiert hat. Olthuis hat bereits schwimmende Restaurants entworfen, Apartmentkomplexe, Parkhäuser und Kirchen. Vor Aufträgen kann sich das erst drei Jahre alte Büro kaum retten. Und überraschenderweise kommen die meisten Auftraggeber inzwischen aus dem Ausland:

    ""Die 400 größten Städte der Welt liegen am Wasser oder in einem Deltagebiet. Bislang haben viele dem Wasser den Rücken zugewandt und in die Höhe oder landeinwärts gebaut. Wir Niederländer können ihnen zeigen, dass auch Wasser Baugrund sein kann."

    Für Antwerpen und Budapest hat waterstudio.nl schwimmende Boulevards auf Donau und Schelde entworfen, für London treibende Sportgebiete auf der Themse für die nächste Olympiade und für Dubai Häuser auf einer schwimmenden Insel in der Form einer Palme mit einem Durchmesser von sieben Kilometern:

    "Wir können antizipieren, das ist die Stärke von uns Niederländern. Wir versuchen, dem Klimawandel immer einen Schritt voraus zu sein. Bis die nächste Flut kommt, haben wir uns auf dem Wasser längst in Sicherheit gebracht."