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Auf Wiedervorlage

Thilo Sarrazin machte letztes Jahr seinem Unmut schriftlich Luft. Mit seinen Thesen verärgerte er Bürger und Politiker. Nun will er ein neues Buch schreiben. Die Genossen in der SPD dürfte das nicht freuen. Die Partei will ihn immer noch loswerden.

Von André Bochow |
    Thilo Sarrazin schreibt angeblich wieder. Ein neues Buch. Thema noch unbekannt. Nachdem er mit seinem alten, seiner Meinung nach, alle Rekorde seit Einführung der Verkaufsstatistik gebrochen hat.
    "Ich habe in vorgerückten Jahren – ich bin ja jetzt 65 Jahre alt – nochmals einen mächtigen Wirkhebel in die Öffentlichkeit gefunden und ein bisschen wohlhabender bin ich auch geworden. Also so ganz böse kann ich nicht sein."

    Denn er selbst erlebe zu 99 Prozent positive Reaktionen auf sein Buch aus dem letzten Jahr. Unablässig, so der Buchautor, werde er nicht zuletzt von Migranten angesprochen, die ihm verbal oder tatsächlich auf die Schulter klopfen. Ganz nebenbei hat er mit seinem freiwilligen Abgang als Bundesbanker darauf verzichtet, eine Staatskrise auszulösen. Das hätte seiner Meinung nach geschehen können, wenn er, wie er sagt, "ein bisschen mehr Michael Kohlhaas im Blut" hätte und seinerzeit die von der Kanzlerin mit Unterstützung des Bundespräsidenten eingeleitete Entlassung juristisch infrage gestellt hätte. Seine Partei will ihn trotzdem immer noch loswerden. Per Parteiausschlussverfahren. Das ist noch immer vor der SPD-Schiedskommission Berlin-Charlottenburg anhängig. Der Kreisvorsitzende Christian Gaebler erklärt das Prozedere.

    "Es hat die Anträge gegeben – von verschiedenen SPD-Gliederungen. Also vom Parteivorstand, vom Berliner Landesverband und von der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf. Die Schiedskommission hat diese Anträge auf ihre Vollständigkeit geprüft – auch formal überprüft, hat das allen mitgeteilt und hat dann Sarrazin gebeten, Stellung zu nehmen, um das Verfahren sozusagen ein bisschen handhabbarer zu machen. Das ist jetzt auch eingegangen, die Stellungnahme von Sarrazin, beziehungsweise von seinem Verfahrensbevollmächtigten Dohnanyi und jetzt wird die Schiedskommission alle Unterlagen prüfen und dann einen Erörterungstermin ansetzen."

    Mit diesem Termin kann sich die Schiedskommission theoretisch bis Mai Zeit lassen. Und dann wäre das Ausschlussverfahren noch nicht beendet. Käme es zum Ausschluss, kann Sarrazin das Landesschiedsgericht anrufen. Weicht dessen Urteil vom Kreisschiedsgericht ab, dann ist die Bundes-SPD gefragt. Aus historischen Gründen liegen die Hürden in Deutschland hoch, wenn es darum geht, jemanden aus einer Partei zu werfen. SPD-Chef Gabriel hat bereits eingeräumt, das Verfahren könne sich über ein Jahr hinziehen. Daraufhin war aus der CDU zu hören, die SPD wolle sich nur an diversen Landtagswahlen vorbeimogeln, weil sie die Stimmung der Bevölkerung falsch eingeschätzt hatte. Sarrazin selbst bemängelt, dass es die Kanzlerin war, die den Kritikreigen eröffnet und sein Buch auf den Index gesetzt habe, als sie bemerkte, sie fände es nicht hilfreich und werde es nicht lesen. Aber tatsächlich muss die SPD damit rechnen, dass ein Parteiausschluss Sarrazins nicht sehr populär wäre. Das zeigen die ausverkauften Häuser, vor denen Sarrazin spricht, viele Internetforen und Leserzuschriften bei den Zeitungen. Zwar ist angeblich auch nach dem Sarrazin-Buch kaum jemand gegen Türken, Araber und auch nicht gegen Muslime.

    "Aber solche Leute, die noch nie gearbeitet haben und uns hier abzocken nach allen Regeln der Kunst, da bin ich total dagegen und da hat er die richtige Einstellung dazu."

    Christian Gaebler weiß, dass ein Parteiausschluss auch in der SPD viele Gegner hat. Dem hält er entgegen:

    "Willi Brandts Ostpolitik war auch nicht populär. Sie war aber richtig und das hat sich hinterher auch herausgestellt. Ich denke daran, wie populär eine Maßnahme ist, kann man sie nicht messen. Ich denke man muss sie gut begründen und erklären können. Aber ich würde auch die vielen Leute, die jetzt sagen, der Herr Sarrazin hat doch nur gesagt, was wir auch denken – bitten, erst einmal zu überlegen, was denken sie eigentlich und wie passt das in unsere demokratische, freiheitliche Gesellschaft, wo wir sagen, die Würde jedes Einzelnen ist unantastbar, alle Menschen sind gleich und haben auch den gleichen Anspruch auf Förderung."

    Sarrazin prominenter Rechtsbeistand, Klaus von Dohnanyi, meint, sein Mandant habe sich nicht rassistisch geäußert und sich überhaupt, welch interessantes Argument im Zusammenhang mit Rassismus, nur auf eine bestimmte Gruppe unter den Migranten bezogen. Sarrazin wiederum ist sich sicher, dass es keinen Parteiausschluss geben wird. Bis darüber entschieden ist, wird es im Leben des ehemaligen Bundesbankers wohl nicht langweilig werden.

    Seine Frau, eine Lehrerin, wird gerade angeblich gemobbt und – um auch mal etwas Heiterkeit in das Autorenleben zu bringen – wurde Thilo Sarrazin im Faschingstrubel von der Mainzer Ranzengarde gebeten, die Rede für den diesjährigen Ehrenpreisträger zu halten. Denn Sarrazin hat den Preis beim letzten Mal erhalten, worauf Johann Gerster, Generalfeldmarschall der Ranzengarde, nach wie vor stolz ist.

    "Also, wenn er Unsinn reden würde, wäre er uninteressant. Er sagt ja das Richtige. Er löckt den richtigen Stachel."

    Für die Kritiker in Politik und Medien hat Sarrazin nur noch tief sitzende Verachtung übrig. Dort – also in der Politik und den Medien - sieht er weniger unabhängiges Denken als in der Weimarer Republik. Ganz folgerichtig setzt er an diese Behauptung ein "Weh uns", was fast wie ein neuer Buchtitel von Sarrazin klingt.