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Aufatmen nach der Billigung des griechischen Sparpakets

Mit seinem Votum für das Sparpaket hat das griechische Parlament ein sehr großes Risiko für den Euroraum und möglicherweise für die gesamte Weltwirtschaft abgewendet, so die Einschätzung von Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Jörg Krämer im Gespräch mit Silvia Engels | 30.06.2011
    Silvia Engels: Gestern also hat das griechische Parlament dem neuen Sparpaket der Regierung zugestimmt. Bürger müssen nun mit neuen Belastungen rechnen. Beispielsweise soll Staatseigentum vom Hafen bis zur Insel verkauft werden, um der galoppierenden Staatsverschuldung Einhalt zu gebieten. Dagegen gab es auch gestern Abend und in der Nacht wieder viele Proteste, einige wurden gewalttätig. Doch es gilt: ohne diesen Beschluss hätte Athen wohl keine Chance gehabt, die anstehenden nächsten zwölf Milliarden Euro aus dem bestehenden Rettungsschirm zu bekommen, und das hätte zur Folge gehabt, dass das Land pleite gewesen wäre.

    Wie geht es nun weiter? Wie steht es zudem um die mittelfristige Ausgestaltung eines neuen Rettungsprogramms für Griechenland? Das wollen wir besprechen mit Jörg Krämer, er ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Guten Morgen!

    Jörg Krämer: Ja, guten Morgen.

    Engels: Wie beurteilen Sie die gestrige Entscheidung über das Sparpaket? Ist die Erleichterung an den Finanzmärkten nur ein Zwischenhoch?

    Krämer: Ja, wenn die Griechen gestern gegen das Rettungspaket gestimmt hätten, dann wäre Griechenland pleite gewesen, dann wäre Griechenland ins Chaos gestürzt und dann wäre es vermutlich auch in anderen angeschlagenen Peripherieländern zu einer sehr instabilen Situation geworden. Also gestern ist ein sehr, sehr großes Risiko für den Euroraum, vielleicht sogar für die Weltwirtschaft als Ganzes abgewendet worden.

    Engels: Die Commerzbank selbst ist ja mit 2,9 Milliarden Euro ungefähr in griechischen Staatsanleihen und anderen griechischen Papieren engagiert. Sie sind der Volkswirt, nicht derjenige, der die Vorstandsgeschäfte führt. Aber denken Sie, Ihr Geldhaus hat diese Finanzen schon abgeschrieben?

    Krämer: Sie haben ja gerade schon die Frage selber beantwortet. Ich bin Angestellter, ich bin Chefvolkswirt und kein Vorstandsvorsitzender, das kann ich Ihnen nicht sagen.

    Engels: Dann schauen wir auf die mittelfristige Entwicklung, denn da ist ja in den Planungen der Staaten auch eine große Rolle der Banken vorgesehen. Die Eurostaaten planen, ein weiteres Hilfspaket für Griechenland auf den Weg zu bringen, es soll einen Umfang von 120 Milliarden Euro haben. Aber einen Teil sollen eben Banken und Versicherungen leisten, indem sie Griechenland erlauben, einen Teil der Schulden später zurückzuzahlen, das Ganze freiwillig. Denken Sie, das wird funktionieren?

    Krämer: Ja das hängt davon ab, was die Ratingagenturen sagen. Das ist das Entscheidende. Die Ratingagenturen haben gesagt, sie setzen die Bonitätsnote Griechenlands nur dann nicht auf Zahlungsausfall, wenn ein solches Arrangement auch wirklich freiwillig ist. Das hängt am Ende von dem Verhalten der Ratingagenturen ab.

    Engels: Vom Verhalten der Ratingagenturen? Die sind ja ohnehin groß im Gespräch. Von einigen werden sie als Buhmann betrachtet, von anderen als diejenigen, die einfach die Wahrheit über die Dinge erzählen. Wie erleben Sie die Rolle der Ratingagenturen?

    Krämer: Die Ratingagenturen haben in der Finanzmarktkrise 2007/2008 keine gute Rolle gespielt, weil sie teilweise Finanzprodukten aus Amerika einfach einen Gütestempel aufgedrückt haben und im Gegenzug eben Aufträge von diesen zu zertifizierenden Unternehmen bekommen haben. Was ihre Rolle bei der Staatsfinanzierung anbelangt, die sehe ich ordentlich. Da sind auch kaum geschäftliche Interessen drin, die verdienen damit ja relativ wenig Geld. Ich sehe sie dort eher als Fieberthermometer. Dass sie die beklagte Macht haben, die sie heute haben, das liegt ja im Wesentlichen am Staat selber, der sehr, sehr viele Aktionen, Bewertungen und Regulierungen gebunden hat von sich aus an das Urteil der Ratingagenturen. Die Ratingagenturen sind heute so mächtig, weil der Staat sie mächtig gemacht hat.

    Engels: Dann schauen wir einmal auf das, was die Ratingagenturen mit beeinflussen, was aber auch derzeit die Banken und Versicherungen mitgestalten, denn im Hintergrund wird ja kräftig darüber gesprochen, wie man eine solche freiwillige Beteiligung auf den Weg bekommen könnte. Es gibt zum Beispiel schon eine Idee aus Frankreich, dort gibt es wohl auch schon eine Einigung, langfristige Beteiligung der privaten Gläubiger an der Griechenlandlast, indem eben die Banken die Staatsanleihen, die bald fällig sind, umtauschen in Staatsanleihen mit vielleicht 30 Jahren Laufzeit. Also später kommt das Geld erst wieder an. Commerzbank-Vorstandschef Blessing, Ihr Chef, nennt das Modell eine gute Basis. Wird es auch das für Deutschland?

    Krämer: Ja, das denke ich dann mal. Entscheidend wird eben wie gesagt sein, dass die Ratingagenturen jetzt nicht den Zahlungsausfall feststellen, denn damit wäre keinem gedient.

    Engels: Wie kann das denn überhaupt funktionieren, wenn Sie das einmal erläutern? Das heißt, man nimmt einfach alle Papiere, die man hat, die eigentlich fällig sind, gibt sie kurz zurück und verlangt dann direkt neue, oder wie wird so was abgewickelt?

    Krämer: So genau kann ich Ihnen das auch nicht sagen, das weiß man ja nicht. In Zeitungen sind ja bruchstückhafte Details herausgekommen. Die Grundidee besteht wohl darin, was die Franzosen gesagt haben, dass die Tilgungen, die die Griechen vornehmen, also das Geld, was sie zurückzahlen an Banken, an Versicherungen, dass das Geld, was sie bis 2014 zurückzahlen, dass die Hälfte davon die Anleger wieder investieren sollen in griechische Staatsanleihen mit einer sehr langen Laufzeit. Es ist mal von 30 Jahren die Rede gewesen, und dann liest man auch etwas von einem Absicherungsmechanismus, von einem Absicherungsfonds, der selber wieder gespeist werden soll von Investoren. Aber das sind noch keine vollständigen Informationen, die es einem erlauben, das komplett zu analysieren.

    Engels: Auch in Deutschland soll ja heute in einem Spitzentreffen zwischen Bundesfinanzminister Schäuble, Versicherungen und Banken genau über solche Beteiligungsformen gesprochen werden. Rechnen Sie mit einer Einigung?

    Krämer: Also ich kann nur wiederholen, was ich davor gesagt habe: Sie sprechen mit der falschen Person. Ich bin der Chefvolkswirt, ich bin nicht der Vorstandsvorsitzende. Ich bin an solchen Verhandlungen ja nicht beteiligt als normaler Angestellter.

    Engels: Dann schauen wir auf das, was Sie im Blick haben, nämlich die gesamte Folgewirkung. Da hat sich ja gestern Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wieder mit dem Begriff der "Kernschmelze" in die Öffentlichkeit gewagt, die drohen könnte, wenn jetzt die schnelle Gestaltung einer Griechenlandlösung nicht gelingt. Das sehen Sie auch so?

    Krämer: Na ja, ich meine, Ackermann hat sich damit nicht irgendwie vorgeprescht, vorgewagt. Das ist ja das, was die Europäische Zentralbank, was der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, was der Präsident seit Wochen sagen, das ist das, was der Bundesfinanzminister auch immer wieder sagt, was die Kanzlerin sagt. Also Ackermann hat nur das gesagt, was andere schon längst gesagt haben. Ob es eine Kernschmelze ist, ist ein aggressiver Begriff, aber dass politisch Verantwortliche das Ansteckungsrisiko sehen, was von Griechenland ausgeht, denke ich, ist berechtigt, denn die Situation in den anderen kleinen Peripherieländern ist ja sehr, sehr angeschlagen. Und wenn Griechenland gestern pleitegegangen wäre durch seine Entscheidung, dann wäre auch das griechische Bankensystem pleite gewesen, dann hätten die Leute sofort ihr Geld zurückhaben wollen. Kein Bankensystem der Welt könnte einen solchen Ansturm überstehen. Und dann wäre natürlich ruckzuck die Frage gewesen, ob nicht auch Menschen in Portugal oder Irland oder Spanien auch sehr verunsichert wären und sie dann hätten auch Angst bekommen vor einem Bank Run, vor einem Ansturm auf die Banken, und dann zur Sicherheit auch mal gesagt hätten, lassen wir uns unsere Guthaben auszahlen. Also das Risiko ist real in dieser Situation, und deshalb hat ja die Welt gestern so gebannt auf die Entscheidung in Griechenland geschaut. Griechenland würde nicht mit solchen Milliarden geholfen werden, wenn Griechenland nicht zumindest das Potenzial hätte, den Rest des Euroraums massiv zu schädigen.