Ich begrüße Euch und wünsche Euch einen sonnigen Tag. Erläuter doch mal, worin der Generationenvertrag besteht: Ja der besteht darin, dass die arbeitende Bevölkerung einmal ihre Kinder und die Rentner und dass ihre Kinder dann später sie versorgen und ihre eigenen.
Schreiende Babys - manche sind genervt, manche glücklich, wenn sie diese Laute hören. Die Rentenpolitiker in Deutschland gehören zu den Glücklichen. Aber viel zu wenig Kinder schreien in Deutschlands Wohnungen. 1.000 Frauen müssten 2.100 Kinder gebären, um eine gegebene Bevölkerung stabil zu halten. Das hat Deutschland zuletzt im Babyboom der sechziger Jahre übertroffen. Aber seit mehr als 20 Jahren bringen 1.000 deutsche Frauen nur knapp 1.400 Kinder zur Welt. Die nachwachsende Generation schrumpft also, die aktive wird dagegen immer älter. Die Lebenserwartung der Männer wird sich von 67 Jahren im Jahre 1960 im Jahre 2035 auf 77 Jahre um zehn Jahre, die der Frauen von 72 auf 83 Jahre um gut elf Jahre verlängert haben.
Wenn also jetzt am Bruttosozialprodukt gearbeitet wird, bedeutet das, dass immer weniger Aktive immer mehr Rentner versorgen müssen. Denn bisher werden die Renten im sogenannten Umlageverfahren finanziert: Die Berufstätigen bezahlen mit ihren Beiträgen die Renten der Ruheständler. Derzeit zahlen noch zwei Aktive für eine Rente, künftig würde ein Beschäftigter für eine Rente aufkommen müssen - eine unhaltbare Belastung. Die Folgen sind immer neue Hiobsbotschaften. Erst vorige Woche rechnete der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesarbeitsministerium vor, dass - trotz Subvention durch die Ökosteuer - die Beiträge zur Rentenversicherung im nächsten Jahr nicht sinken können, sondern steigen müssen - und das, obwohl die ausgezahlten Leistungen alles andere als auskömmlich sind. Professor Winfried Schmähl vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen:
Es besteht bei Senkung des Leistungsniveaus zunehmend die Gefahr, dass selbst nach langjähriger Zugehörigkeit zur Pflichtrentenversicherung viele Versicherte nur noch eine Rente erwarten können, die sich kaum vom Sozialhilfeniveau unterscheidet oder gar darunter liegt. Schon heute braucht ein Durchschnittsverdiener 26 Versicherungsjahre, um eine Rente in Höhe des vollen Sozialhilfeanspruchs zu erhalten. Erreicht jemand, was für Frauen nicht untypisch ist, im Durchschnitt des Versicherungslebens nur 70 Prozent des Durchschnittsverdienstes, so sind bereits heute 40 Versicherungsjahre notwendig, um mit der eigenen Rente die Sozialhilfeschwelle gerade zu erreichen.
Die mehr als hundert Jahre alte staatliche Rentenversicherung - 1889 eine fast revolutionäre Erfindung der deutschen Sozialpolitik - muss den neuen demographischen Verhältnissen angepasst werden.
Auf die aktive Generation kommt also eine Doppelbelastung zu: Sie muss die Rentner weiter finanzieren und zugleich für das eigene Alter sparen, Kapitalanlagen ansammeln, von deren Erträgen und Verkauf sie später lebt. Das hat die Bundesregierung mit der Rentenreform 2001 umgesetzt. Das Umlageverfahren wird ergänzt durch das Kapitaldeckungsverfahren, auch wenn die alte Finanzierungsform noch dominieren wird. Jürgen Husmann, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger:
Staatliche absolut dominant, die private und betriebliche, zu der Riester hinzugesellt, in Deutschland in einer Minderheitenposition. In der Riester-Rente sehen wir den Weg, die Balance zwischen kapitalgedeckter und umlagefinanzierter Rente etwas zu verschieben zugunsten der kapitalgedeckten. Infofern ist Riester-Rente in ergänzender und in substitutiver Funktion. Gewichte sollen sich verschieben zu kapitalgedeckter Rente. Vernünftiger Ansatz, auch vernünftig, dass es Anschub für Geringverdiener gibt, damit die kapitalgedeckte erreichen können. Denn natürlich müssen private Haushalte auch flüssige Mittel haben, um kapitalgedeckte Rente aufzubauen. Deshalb vernünftiger Ansatz. Eine andere Frage ist, ob es ausreicht. Da gehen Meinungen der Arbeitgeber und -nehmer auseinander. Aber die Struktur ist richtig angelegt.
Die Struktur - das ist vor allem die Menge Kapital, die es anzusammeln gilt, um für die Zusatzrente vorzusorgen. Es geht um gigantische Summen. Schätzungen etwa der DZ- Bank besagen, dass im Rahmen der Riester-Rente in den nächsten 60 Jahren ein Kapitalstock von 2,5 Billionen Euro aufgebaut wird. Das sind 2.500 Milliarden Euro oder knapp 5.000 Milliarden Mark. Das entspricht zehn Bundeshaushalten. Der Geldindustrie stehen also große Aufgaben ins Haus. Und sie weiß das, nimmt dafür auch ein paar schmale Aufbaujahre locker hin. Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken und Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer:
Das Geschäft wird vier Jahre unprofitabel sein. Und bleiben. Das weiß auch jeder Eingeweihte. Da soll man nicht viel drumrumreden. Das ist auch nicht schlimm. Denn das Potential, das sich daraus ergibt, für die dann folgenden, 5, 10, 15 Jahre, das ist das, über was wir reden. ... Wir reden in der Tat über ein riesiges Potenzial, für das alle Anstrengungen zu unternehmen sich ganz gewiss lohnt. Aber keiner sollte mir erzählen, er würde in den nächsten vier Jahren Geld auf Grund der Riester-Reform machen, jedenfalls nicht bei Banken und Versicherungen, das ist eine Illusion.
Es steht also zunächst eine Investitionsphase an. Und die reicht so weit, dass sich die Allianz mit der Dresdner Bank eine ganze Bank einverleibt hat, nur um für alle Vertriebswege gerüstet zu sein, um sie alle unter Kontrolle zu haben. Das war einer der wichtigsten Gründe für die Übernahme der drittgrößten deutschen Geschäftsbank durch den größten Versicherer. Der Allianz-Vorstandsvorsitzende Henning Schulte-Noelle legte das Anfang April auf der Fusionspressekonferenz dar. Die private und betriebliche Altersvorsorge werde in ihrer Bedeutung wachsen. Daran wolle die Allianz teilhaben, doch dafür habe ihr bisher der Vertriebsweg gefehlt, sagte er:
Bei LV gut, bei Fonds und Aktien nicht, da über Bank. Mit einem Partner, der Ihnen Kraft gibt, überwinden Sie jedes Hindernis.
So läuft die Werbewelle der Geldbranche also an, um den Kunden zu dienen und um an ihnen zu verdienen. Beratung tut Not, denn die Wege zur Riester-Rente sind vielfältig.
Ketzerisch könnte man nun meinen, die Bürger werden so oder so stärker belastet - ob nun die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen oder man zusätzliches Geld in die private Alterssicherung investiert. Die Finanzbranche zumindest will beweisen, dass sie es besser kann als der Staat mit seiner gesetzlichen Rente. Doch wie üblich bei staatlich verordneten Neuerungen gibt es auch bei der Riester-Rente viele komplexe Sachverhalte zu beachten. Das ist eine Herausforderung an die Finanzdienstleister, meint Dresdner-Bank-Chef Bernd Fahrholz:
Komplexität schwer zu durchschauen, Geldinstitute müssen maßgeschneiderte Produkte bieten.
Für wen aber sollen diese Produkte geschneidert werden? Wie findet sich der Anleger im Dschungel zurecht? Zunächst einmal brauchen die Produkte eine Zertifizierung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. Den Wert dieses Zertifikats sollte man aber nicht überschätzen, warnt Klaus Michaelis, Geschäftsführer der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte:
Zertifizierung ist kein Gütesiegel.
Der Anleger kann wählen unter verschiedenen Anlageformen des Geldes, das er für seine Riester-Rente sparen will. Möglich sind Versicherungen als klassische Altersvorsorge, Investmentfonds und Banksparpläne. Und bei allen verlangt der Gesetzgeber eine Garantie, dass die Sparer mindestens ihr eingezahltes Geld erhalten. Dass der Gesetzgeber das verlangt, kann Dresdner-Bank-Chef Bernd Fahrholz verstehen:
Garantie aus sozialpolitischer Verantwortung.
Bisher schien es so, dass die Versicherungen bei den risikoscheuen Deutschen das Rennen machen. Für Beiträge und Förderung garantiert die Versicherungsgesellschaft eine lebenslange Rente. Doch schwanken die Garantiezusagen in ihrer Höhe von Gesellschaft zu Gesellschaft, deshalb lohnt sich ein Vergleich, meint Beate Kirchner, Finanzberaterin der Verbraucherzentrale Hessen. Denn die Kosten darf man bei der Auswahl nicht vernachlässigen:
Kosten unterschiedlich, am besten zu erkennen an Garantiezusagen der Versicherungen
Immerhin aber können mit Versicherungen durchschnittlich sieben, vielleicht auch acht Prozent Rendite pro Jahr erwirtschaftet werden. Doch sollte man auf die nach Meinung von Verbraucherschützern hohen Abschlussgebühren achten. Mit diesem Pfund will die Investmentbranche jetzt wuchern: Aktienfonds als Möglichkeit, mit dem Staat für das Alter zu sparen, könnten einen höheren Stellenwert bekommen als bisher gedacht. Denn hier fallen weniger Gebühren an, und auch die Rendite stimmt - langfristig gesehen hofft die Investmentbranche dem Sparer eine Rendite zwischen acht und zehn Prozent bieten zu können, Gebühren und weitere Kosten sind dabei schon berücksichtigt. Sicher, aber wohl wenig renditeverdächtig, sind hingegen Banksparpläne: Auch sie können gefördert werden, ihr Vorteil: Es gibt meist keine Vertriebskosten, Kontoführungsgebühren sind möglich, aber reich werden kann man mit dieser Variante wohl kaum. Eine allgemein gültige Empfehlung kann man ohnehin nicht geben, meint
Verbraucherschützerin Kirchner, das komme auf die Risikofreude an, aber auch auf das Alter der Anleger:
Individuell unterschiedlich, 50-jährige sollten nicht mehr zu 100 Prozent in Aktien investieren.
Ohnehin muss der Anleger aber damit rechnen, dass er beim Abschluss eines Vertrags nicht unbedingt die bestmögliche Rendite erhält. Denn in der Praxis arbeiten Banken und Versicherungen zusammen, werden oft aus einer Hand eine fondsgebundene Lebensversicherung angeboten oder Riester-Fonds, die mit einer Versicherung abgerundet sind. Das aber kann dann auf Kosten der Rendite gehen.
Vor wenigen Wochen sind die ersten Musterverträge zertifiziert worden, dabei gab es dann auch schon erste Überraschungen. Denn anders als die Versicherungsanbieter hat die Investmentbranche für den Anleger die Möglichkeit vorgesehen, in der Auszahlungsphase auch 20 Prozent des angesparten Kapitals auf einmal dem Anleger zur Verfügung zu stellen. Damit ist sie jetzt der Versicherungswirtschaft voraus, meint Manfred Laux, Geschäftsführer des BVI:
Die Versicherungswirtschaft hätte die Möglichkeit gehabt.. ich könnte mir vorstellen, dass diese Mustervereinbarung des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft hier noch eine Änderung erfährt, denn auch die Versicherungswirtschaft ist wie Banken und Investmentgesellschaften auch in der Lage, entsprechende Produkte anzubieten. Wenn sie es mit ihren klassischen Produkten nicht hinbekommen, dann steht es ihnen ja frei, investmentfondsbasierte Altersvorsorgeprodukte durch ihre Vertriebsorganisationen anbieten zu lassen.
Wenn auch mit der staatlichen Förderung geworben wird, sollten sich die Sparer doch darüber klar sein, dass diese erst frühestens Ende 2002 fließt. Entsprechende Anträge stellt ihm die Gesellschaft zu, bei der er seinen Vertrag abgeschlossen hat. Und diese leitet ihn auch an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen weiter, die extra eingerichtet wurde. Verantwortlich für deren Aufbau ist bei der BfA Dieter Göbel. Er erläutert, wie der Anleger darüber hinaus noch die steuerliche Förderung von maximal 525 Euro im ersten Jahr erhalten kann:
Steuerliche Förderung über Finanzamt
Die Riester-Rente eignet sich aber nicht für alle, die dafür in Frage kommen. Für Alleinstehende etwa lohnt sich diese Variante unter Umständen nicht. Manfred Laux, Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Investmentgesellschaften, hat für junge Menschen deshalb einen generellen Rat:
Alleinstehende sollten nur in Aktienprodukte investieren für ihre Altersvorsorge, erst mit Kindern zusätzlich Riester-Förderung in Anspruch nehmen.
Lohnend für alle berechtigten Arbeitnehmer aber kann es sein, die Riester-Förderung nicht individuell in Anspruch zu nehmen, sondern im Rahmen der zweiten oder betrieblichen Säule der Altervorsorge. Denn die Tarifparteien basteln schon an entsprechenden Konstruktionen. Und sie haben die Macht, durch die gebündelte Masse des Kapitals vieler Arbeitnehmer dann auch bessere Konditionen zu erhalten. Für die Finanzdienstleister ist auch dies eine interessante Option, wie Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer unumwunden zugibt:
Vermutlich für Arbeitnehmer einfacher, wenn Arbeitgeber das für sie vornimmt, auch wir konzentrieren uns nicht nur auf das Geschäft mit dem Einzelnen, sondern auch auf unsere Fähigkeit, Firmen Lösungen anzubieten.
Diesen Trend sieht auch Klaus Michaelis, Mitglied der Geschäftsführung der BfA:
80 Prozent betriebliche Altersvorsorge, Vorteil auch Insolvenzschutz.
Kein Wunder, dass sich die Gewerkschaften eingeklinkt haben in das System der Riester-Rente. Der Arbeitsminister selbst freut sich darüber, dass die Tarifpolitik sich des Themas angenommen hat, um für möglichst viele Beschäftigte ein möglichst standardisiertes Angebot zu schaffen:
Tarifverträge haben es für 9,8 Millionen Menschen aufgegriffen, Renaissance in Klein- und Mittelbetrieben. Darüber freue ich mich besonders.
Die IG Metall hat gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall ein Versorgungswerk gegründet. Das befindet sich noch im Aufbau. Wenn es steht, können die Arbeitgeber dort für ihre Arbeitnehmer ihre Riester-Verträge abschließen. Ob über Fonds, Versicherungen oder Banksparpläne, alle Wege stehen offen. Bisher allerdings nur für die Beiträge der Arbeitnehmer selbst - aber der Gewerkschaftsvorsitzende Klaus Zwickel will es dabei nicht belassen:
Viele Betriebe zahlen nichts, ausgenommen die, die schon betriebliche Altervorsorgemodelle hatten. Aber das ist ein Einstieg. In Zukunft müssen auch die Arbeitgeber in dieses System Beiträge einzahlen.
Gelegentlich packt manchen allerdings die Sorge, ob die Kapitalmärkte überhaupt aufnahmefähig für die Milliarden sind, die mit der Riester-Rente auf sie zurollen. 25 Milliarden Euro dürften in den ersten acht Jahren jährlich eingesammelt und sie müssen angelegt werden. Stefan Schaible, Strategieberater bei Roland Berger, sieht da keine Schwierigkeiten:
Es gibt in Deutschland noch einen massiven Nachholbedarf. Der ganze Verkehrssektor ist in Deutschland noch stark reguliert. Da geht man im Moment dran, an die private Vorfinanzierung von öffentlicher Infrastruktur. Der ÖPNV-Bereich soll liberalisiert werden. Die Postbereiche sind auch immer noch weitgehend monopolisiert. Das kann noch viel weitergehen: Finanzierung von klassischen öffentlichen Immobilien, dort ist in Deutschland noch ein Potential, was gerade im Vergleich zu Großbritannien und den USA, die da schon erheblich weiter sind, Wachstumspotentiale freisetzen kann, die Deutschland doch noch Perspektiven geben über einen Zeitraum von zehn, 20, 30 Jahren.
Auch noch unterkapitalisierte Märkte, etwa in Osteuropa, müssen sich öffnen, damit das hier ersparte Geld dort angelegt und produktiv arbeiten kann, damit also dort die Renditen für die hiesigen Renten erwirtschaftet werden. Freie Kapitalmärkte sind also eine Voraussetzung, die die Riester-Rente stillschweigend zur Bedingung macht.
Die Rentenversicherung wird also aus der nationalen Sozialpolitik herausgelöst, wird Teil der globalisierten Wirtschaft. Und Professor Winfried Schmähl vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen glaubt, dass es noch einen Wandel geben wird: Dass die Freiwilligkeit der Riester-Rente sich verlieren wird:
Wird das Leistungsniveau des gesetzlichen Systems zunehmend reduziert, dann dürften ihm zunehmend Umverteilungsaufgaben zugewiesen werden, was zunehmend Steuerfinanzierung erfordert und schließlich in eine steuerfinanzierte Basissicherung münden dürfte. .. Im gesetzlichen System ist also eine Abkehr vom Konzept der Vorsorge hin zur Vorsorgung angelegt. Differenzierung dürfte dann dem betrieblichen System überantwortet werden, das schließlich obligatorisch werden dürfte.
Daran mögen die Gymnasiasten in Oberursel noch nicht denken. Kurz nach eins denken sie mehr ans Wochenende, aber Lehrer Haase bleibt an dem Thema dran.
Pausenklingel. - Die Frage nehmen wir mit in die nächste Stunde. Dazu geb ich Euch ein Arbeitsblatt mit. - Nein, nein. - Doch, Ihr sollt ein bisschen was lesen.
Schreiende Babys - manche sind genervt, manche glücklich, wenn sie diese Laute hören. Die Rentenpolitiker in Deutschland gehören zu den Glücklichen. Aber viel zu wenig Kinder schreien in Deutschlands Wohnungen. 1.000 Frauen müssten 2.100 Kinder gebären, um eine gegebene Bevölkerung stabil zu halten. Das hat Deutschland zuletzt im Babyboom der sechziger Jahre übertroffen. Aber seit mehr als 20 Jahren bringen 1.000 deutsche Frauen nur knapp 1.400 Kinder zur Welt. Die nachwachsende Generation schrumpft also, die aktive wird dagegen immer älter. Die Lebenserwartung der Männer wird sich von 67 Jahren im Jahre 1960 im Jahre 2035 auf 77 Jahre um zehn Jahre, die der Frauen von 72 auf 83 Jahre um gut elf Jahre verlängert haben.
Wenn also jetzt am Bruttosozialprodukt gearbeitet wird, bedeutet das, dass immer weniger Aktive immer mehr Rentner versorgen müssen. Denn bisher werden die Renten im sogenannten Umlageverfahren finanziert: Die Berufstätigen bezahlen mit ihren Beiträgen die Renten der Ruheständler. Derzeit zahlen noch zwei Aktive für eine Rente, künftig würde ein Beschäftigter für eine Rente aufkommen müssen - eine unhaltbare Belastung. Die Folgen sind immer neue Hiobsbotschaften. Erst vorige Woche rechnete der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesarbeitsministerium vor, dass - trotz Subvention durch die Ökosteuer - die Beiträge zur Rentenversicherung im nächsten Jahr nicht sinken können, sondern steigen müssen - und das, obwohl die ausgezahlten Leistungen alles andere als auskömmlich sind. Professor Winfried Schmähl vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen:
Es besteht bei Senkung des Leistungsniveaus zunehmend die Gefahr, dass selbst nach langjähriger Zugehörigkeit zur Pflichtrentenversicherung viele Versicherte nur noch eine Rente erwarten können, die sich kaum vom Sozialhilfeniveau unterscheidet oder gar darunter liegt. Schon heute braucht ein Durchschnittsverdiener 26 Versicherungsjahre, um eine Rente in Höhe des vollen Sozialhilfeanspruchs zu erhalten. Erreicht jemand, was für Frauen nicht untypisch ist, im Durchschnitt des Versicherungslebens nur 70 Prozent des Durchschnittsverdienstes, so sind bereits heute 40 Versicherungsjahre notwendig, um mit der eigenen Rente die Sozialhilfeschwelle gerade zu erreichen.
Die mehr als hundert Jahre alte staatliche Rentenversicherung - 1889 eine fast revolutionäre Erfindung der deutschen Sozialpolitik - muss den neuen demographischen Verhältnissen angepasst werden.
Auf die aktive Generation kommt also eine Doppelbelastung zu: Sie muss die Rentner weiter finanzieren und zugleich für das eigene Alter sparen, Kapitalanlagen ansammeln, von deren Erträgen und Verkauf sie später lebt. Das hat die Bundesregierung mit der Rentenreform 2001 umgesetzt. Das Umlageverfahren wird ergänzt durch das Kapitaldeckungsverfahren, auch wenn die alte Finanzierungsform noch dominieren wird. Jürgen Husmann, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger:
Staatliche absolut dominant, die private und betriebliche, zu der Riester hinzugesellt, in Deutschland in einer Minderheitenposition. In der Riester-Rente sehen wir den Weg, die Balance zwischen kapitalgedeckter und umlagefinanzierter Rente etwas zu verschieben zugunsten der kapitalgedeckten. Infofern ist Riester-Rente in ergänzender und in substitutiver Funktion. Gewichte sollen sich verschieben zu kapitalgedeckter Rente. Vernünftiger Ansatz, auch vernünftig, dass es Anschub für Geringverdiener gibt, damit die kapitalgedeckte erreichen können. Denn natürlich müssen private Haushalte auch flüssige Mittel haben, um kapitalgedeckte Rente aufzubauen. Deshalb vernünftiger Ansatz. Eine andere Frage ist, ob es ausreicht. Da gehen Meinungen der Arbeitgeber und -nehmer auseinander. Aber die Struktur ist richtig angelegt.
Die Struktur - das ist vor allem die Menge Kapital, die es anzusammeln gilt, um für die Zusatzrente vorzusorgen. Es geht um gigantische Summen. Schätzungen etwa der DZ- Bank besagen, dass im Rahmen der Riester-Rente in den nächsten 60 Jahren ein Kapitalstock von 2,5 Billionen Euro aufgebaut wird. Das sind 2.500 Milliarden Euro oder knapp 5.000 Milliarden Mark. Das entspricht zehn Bundeshaushalten. Der Geldindustrie stehen also große Aufgaben ins Haus. Und sie weiß das, nimmt dafür auch ein paar schmale Aufbaujahre locker hin. Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken und Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer:
Das Geschäft wird vier Jahre unprofitabel sein. Und bleiben. Das weiß auch jeder Eingeweihte. Da soll man nicht viel drumrumreden. Das ist auch nicht schlimm. Denn das Potential, das sich daraus ergibt, für die dann folgenden, 5, 10, 15 Jahre, das ist das, über was wir reden. ... Wir reden in der Tat über ein riesiges Potenzial, für das alle Anstrengungen zu unternehmen sich ganz gewiss lohnt. Aber keiner sollte mir erzählen, er würde in den nächsten vier Jahren Geld auf Grund der Riester-Reform machen, jedenfalls nicht bei Banken und Versicherungen, das ist eine Illusion.
Es steht also zunächst eine Investitionsphase an. Und die reicht so weit, dass sich die Allianz mit der Dresdner Bank eine ganze Bank einverleibt hat, nur um für alle Vertriebswege gerüstet zu sein, um sie alle unter Kontrolle zu haben. Das war einer der wichtigsten Gründe für die Übernahme der drittgrößten deutschen Geschäftsbank durch den größten Versicherer. Der Allianz-Vorstandsvorsitzende Henning Schulte-Noelle legte das Anfang April auf der Fusionspressekonferenz dar. Die private und betriebliche Altersvorsorge werde in ihrer Bedeutung wachsen. Daran wolle die Allianz teilhaben, doch dafür habe ihr bisher der Vertriebsweg gefehlt, sagte er:
Bei LV gut, bei Fonds und Aktien nicht, da über Bank. Mit einem Partner, der Ihnen Kraft gibt, überwinden Sie jedes Hindernis.
So läuft die Werbewelle der Geldbranche also an, um den Kunden zu dienen und um an ihnen zu verdienen. Beratung tut Not, denn die Wege zur Riester-Rente sind vielfältig.
Ketzerisch könnte man nun meinen, die Bürger werden so oder so stärker belastet - ob nun die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen oder man zusätzliches Geld in die private Alterssicherung investiert. Die Finanzbranche zumindest will beweisen, dass sie es besser kann als der Staat mit seiner gesetzlichen Rente. Doch wie üblich bei staatlich verordneten Neuerungen gibt es auch bei der Riester-Rente viele komplexe Sachverhalte zu beachten. Das ist eine Herausforderung an die Finanzdienstleister, meint Dresdner-Bank-Chef Bernd Fahrholz:
Komplexität schwer zu durchschauen, Geldinstitute müssen maßgeschneiderte Produkte bieten.
Für wen aber sollen diese Produkte geschneidert werden? Wie findet sich der Anleger im Dschungel zurecht? Zunächst einmal brauchen die Produkte eine Zertifizierung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. Den Wert dieses Zertifikats sollte man aber nicht überschätzen, warnt Klaus Michaelis, Geschäftsführer der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte:
Zertifizierung ist kein Gütesiegel.
Der Anleger kann wählen unter verschiedenen Anlageformen des Geldes, das er für seine Riester-Rente sparen will. Möglich sind Versicherungen als klassische Altersvorsorge, Investmentfonds und Banksparpläne. Und bei allen verlangt der Gesetzgeber eine Garantie, dass die Sparer mindestens ihr eingezahltes Geld erhalten. Dass der Gesetzgeber das verlangt, kann Dresdner-Bank-Chef Bernd Fahrholz verstehen:
Garantie aus sozialpolitischer Verantwortung.
Bisher schien es so, dass die Versicherungen bei den risikoscheuen Deutschen das Rennen machen. Für Beiträge und Förderung garantiert die Versicherungsgesellschaft eine lebenslange Rente. Doch schwanken die Garantiezusagen in ihrer Höhe von Gesellschaft zu Gesellschaft, deshalb lohnt sich ein Vergleich, meint Beate Kirchner, Finanzberaterin der Verbraucherzentrale Hessen. Denn die Kosten darf man bei der Auswahl nicht vernachlässigen:
Kosten unterschiedlich, am besten zu erkennen an Garantiezusagen der Versicherungen
Immerhin aber können mit Versicherungen durchschnittlich sieben, vielleicht auch acht Prozent Rendite pro Jahr erwirtschaftet werden. Doch sollte man auf die nach Meinung von Verbraucherschützern hohen Abschlussgebühren achten. Mit diesem Pfund will die Investmentbranche jetzt wuchern: Aktienfonds als Möglichkeit, mit dem Staat für das Alter zu sparen, könnten einen höheren Stellenwert bekommen als bisher gedacht. Denn hier fallen weniger Gebühren an, und auch die Rendite stimmt - langfristig gesehen hofft die Investmentbranche dem Sparer eine Rendite zwischen acht und zehn Prozent bieten zu können, Gebühren und weitere Kosten sind dabei schon berücksichtigt. Sicher, aber wohl wenig renditeverdächtig, sind hingegen Banksparpläne: Auch sie können gefördert werden, ihr Vorteil: Es gibt meist keine Vertriebskosten, Kontoführungsgebühren sind möglich, aber reich werden kann man mit dieser Variante wohl kaum. Eine allgemein gültige Empfehlung kann man ohnehin nicht geben, meint
Verbraucherschützerin Kirchner, das komme auf die Risikofreude an, aber auch auf das Alter der Anleger:
Individuell unterschiedlich, 50-jährige sollten nicht mehr zu 100 Prozent in Aktien investieren.
Ohnehin muss der Anleger aber damit rechnen, dass er beim Abschluss eines Vertrags nicht unbedingt die bestmögliche Rendite erhält. Denn in der Praxis arbeiten Banken und Versicherungen zusammen, werden oft aus einer Hand eine fondsgebundene Lebensversicherung angeboten oder Riester-Fonds, die mit einer Versicherung abgerundet sind. Das aber kann dann auf Kosten der Rendite gehen.
Vor wenigen Wochen sind die ersten Musterverträge zertifiziert worden, dabei gab es dann auch schon erste Überraschungen. Denn anders als die Versicherungsanbieter hat die Investmentbranche für den Anleger die Möglichkeit vorgesehen, in der Auszahlungsphase auch 20 Prozent des angesparten Kapitals auf einmal dem Anleger zur Verfügung zu stellen. Damit ist sie jetzt der Versicherungswirtschaft voraus, meint Manfred Laux, Geschäftsführer des BVI:
Die Versicherungswirtschaft hätte die Möglichkeit gehabt.. ich könnte mir vorstellen, dass diese Mustervereinbarung des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft hier noch eine Änderung erfährt, denn auch die Versicherungswirtschaft ist wie Banken und Investmentgesellschaften auch in der Lage, entsprechende Produkte anzubieten. Wenn sie es mit ihren klassischen Produkten nicht hinbekommen, dann steht es ihnen ja frei, investmentfondsbasierte Altersvorsorgeprodukte durch ihre Vertriebsorganisationen anbieten zu lassen.
Wenn auch mit der staatlichen Förderung geworben wird, sollten sich die Sparer doch darüber klar sein, dass diese erst frühestens Ende 2002 fließt. Entsprechende Anträge stellt ihm die Gesellschaft zu, bei der er seinen Vertrag abgeschlossen hat. Und diese leitet ihn auch an die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen weiter, die extra eingerichtet wurde. Verantwortlich für deren Aufbau ist bei der BfA Dieter Göbel. Er erläutert, wie der Anleger darüber hinaus noch die steuerliche Förderung von maximal 525 Euro im ersten Jahr erhalten kann:
Steuerliche Förderung über Finanzamt
Die Riester-Rente eignet sich aber nicht für alle, die dafür in Frage kommen. Für Alleinstehende etwa lohnt sich diese Variante unter Umständen nicht. Manfred Laux, Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Investmentgesellschaften, hat für junge Menschen deshalb einen generellen Rat:
Alleinstehende sollten nur in Aktienprodukte investieren für ihre Altersvorsorge, erst mit Kindern zusätzlich Riester-Förderung in Anspruch nehmen.
Lohnend für alle berechtigten Arbeitnehmer aber kann es sein, die Riester-Förderung nicht individuell in Anspruch zu nehmen, sondern im Rahmen der zweiten oder betrieblichen Säule der Altervorsorge. Denn die Tarifparteien basteln schon an entsprechenden Konstruktionen. Und sie haben die Macht, durch die gebündelte Masse des Kapitals vieler Arbeitnehmer dann auch bessere Konditionen zu erhalten. Für die Finanzdienstleister ist auch dies eine interessante Option, wie Deutsche-Bank-Chef Rolf-Ernst Breuer unumwunden zugibt:
Vermutlich für Arbeitnehmer einfacher, wenn Arbeitgeber das für sie vornimmt, auch wir konzentrieren uns nicht nur auf das Geschäft mit dem Einzelnen, sondern auch auf unsere Fähigkeit, Firmen Lösungen anzubieten.
Diesen Trend sieht auch Klaus Michaelis, Mitglied der Geschäftsführung der BfA:
80 Prozent betriebliche Altersvorsorge, Vorteil auch Insolvenzschutz.
Kein Wunder, dass sich die Gewerkschaften eingeklinkt haben in das System der Riester-Rente. Der Arbeitsminister selbst freut sich darüber, dass die Tarifpolitik sich des Themas angenommen hat, um für möglichst viele Beschäftigte ein möglichst standardisiertes Angebot zu schaffen:
Tarifverträge haben es für 9,8 Millionen Menschen aufgegriffen, Renaissance in Klein- und Mittelbetrieben. Darüber freue ich mich besonders.
Die IG Metall hat gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall ein Versorgungswerk gegründet. Das befindet sich noch im Aufbau. Wenn es steht, können die Arbeitgeber dort für ihre Arbeitnehmer ihre Riester-Verträge abschließen. Ob über Fonds, Versicherungen oder Banksparpläne, alle Wege stehen offen. Bisher allerdings nur für die Beiträge der Arbeitnehmer selbst - aber der Gewerkschaftsvorsitzende Klaus Zwickel will es dabei nicht belassen:
Viele Betriebe zahlen nichts, ausgenommen die, die schon betriebliche Altervorsorgemodelle hatten. Aber das ist ein Einstieg. In Zukunft müssen auch die Arbeitgeber in dieses System Beiträge einzahlen.
Gelegentlich packt manchen allerdings die Sorge, ob die Kapitalmärkte überhaupt aufnahmefähig für die Milliarden sind, die mit der Riester-Rente auf sie zurollen. 25 Milliarden Euro dürften in den ersten acht Jahren jährlich eingesammelt und sie müssen angelegt werden. Stefan Schaible, Strategieberater bei Roland Berger, sieht da keine Schwierigkeiten:
Es gibt in Deutschland noch einen massiven Nachholbedarf. Der ganze Verkehrssektor ist in Deutschland noch stark reguliert. Da geht man im Moment dran, an die private Vorfinanzierung von öffentlicher Infrastruktur. Der ÖPNV-Bereich soll liberalisiert werden. Die Postbereiche sind auch immer noch weitgehend monopolisiert. Das kann noch viel weitergehen: Finanzierung von klassischen öffentlichen Immobilien, dort ist in Deutschland noch ein Potential, was gerade im Vergleich zu Großbritannien und den USA, die da schon erheblich weiter sind, Wachstumspotentiale freisetzen kann, die Deutschland doch noch Perspektiven geben über einen Zeitraum von zehn, 20, 30 Jahren.
Auch noch unterkapitalisierte Märkte, etwa in Osteuropa, müssen sich öffnen, damit das hier ersparte Geld dort angelegt und produktiv arbeiten kann, damit also dort die Renditen für die hiesigen Renten erwirtschaftet werden. Freie Kapitalmärkte sind also eine Voraussetzung, die die Riester-Rente stillschweigend zur Bedingung macht.
Die Rentenversicherung wird also aus der nationalen Sozialpolitik herausgelöst, wird Teil der globalisierten Wirtschaft. Und Professor Winfried Schmähl vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen glaubt, dass es noch einen Wandel geben wird: Dass die Freiwilligkeit der Riester-Rente sich verlieren wird:
Wird das Leistungsniveau des gesetzlichen Systems zunehmend reduziert, dann dürften ihm zunehmend Umverteilungsaufgaben zugewiesen werden, was zunehmend Steuerfinanzierung erfordert und schließlich in eine steuerfinanzierte Basissicherung münden dürfte. .. Im gesetzlichen System ist also eine Abkehr vom Konzept der Vorsorge hin zur Vorsorgung angelegt. Differenzierung dürfte dann dem betrieblichen System überantwortet werden, das schließlich obligatorisch werden dürfte.
Daran mögen die Gymnasiasten in Oberursel noch nicht denken. Kurz nach eins denken sie mehr ans Wochenende, aber Lehrer Haase bleibt an dem Thema dran.
Pausenklingel. - Die Frage nehmen wir mit in die nächste Stunde. Dazu geb ich Euch ein Arbeitsblatt mit. - Nein, nein. - Doch, Ihr sollt ein bisschen was lesen.