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Aufbruchsfroh oder orientierungslos?

Trotz der Verluste bei Landtagswahlen sind die Grünen zum heiß umworbenen Koalitionspartner geworben. Eine neu formierte Parteienlandschaft in Deutschland macht dies möglich. Doch ebenso stehen die Grünen vor der Aufgabe, sich neu zu positionieren.

Von Gudula Geuther | 16.03.2008
    Anfang März, die Grünen feiern sich selbst: 25 Jahre Bundestagsfraktion. "Es ist wichtig zu wissen, wo man herkommt, wenn man wissen will, wer man ist", sagt der Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn in dem Festsaal des Bundestages, der leicht ironisch geschmückt ist im Grünen-Stil der 80er, Sonnenblumen überall. Vor allem eines wird klar während des historischen NDR-Filmes, der da gezeigt wird: Die versammelten Granden aus Partei und Fraktion sind weit weg von ihren ungestümen Anfängen. Nicht nur, was das Verhältnis zur CDU betrifft. Immer wieder wird die Vorführung durch lautes Gelächter unterbrochen. Auch bei der Szene, in der die damalige Fraktionssprecherin Marieluise Beck dem frisch gekürten Kanzler Helmut Kohl statt eines Glückwunsches einen struppig-geschädigten Tannenzweig übergibt.

    "Helmut Kohl: "Ich nehme die Wahl an." - Sprecher: "Die Grünen hatten in der Fraktion nicht entschieden, wie sie sich bei der Kanzlerwahl verhalten wollten. Als Fraktionssprecherin Marieluise Beck-Oberdorf Helmut Kohl spontan einen vom sauren Regen geschädigten Tannenzweig übergab, würde sie dafür von den eigenen Leuten noch hart kritisiert werden. Den Tannenzweig nahm die CDU noch hin, aber damit war die Geduld auch erschöpft.""

    Es ist ein liebevoll-amüsierter Blick zurück, der Blick in die Zukunft aber scheint zuweilen ein wenig ratlos. Dieselbe Marieluise Beck heute:

    "Vieles von dem, was wir damals ins Parlament hineingetragen haben, ist heute Mainstream. Das macht es für uns nicht immer leichter. Manchmal sogar schwerer. Wir werden gefragt, ob es der Grünen denn überhaupt noch bedarf. Ich glaube, wir alle, die wir hier sitzen, wissen, dass die großen Fragen nicht erledigt sind."

    Die großen Fragen - in einem ganz normalen Kreisverband finden sich die Themen wieder wie damals. Acht Mitglieder treffen sich am Samstag in Berlin-Pankow zum Plakatekleben, gegen den Flughafen Tempelhof. Ein kleines Grüppchen nur, denn das politische Frauenfrühstück läuft als Konkurrenzveranstaltung und die Aktion "Bäume pflanzen". Trotz aller traditionell-grüner Normalität: Auch hier, fern des Bundestages und fern der Koalitionsüberlegungen in Hamburg und Wiesbaden, stellen sich Grundsatzfragen. Wo steht die Partei, wie könnte Schwarz-Grün sie verändern?

    "Es wird die Grünen sicherlich verändern. Aber Veränderung ist nicht immer negativ zu sehen."

    "Die Grünen sind übern Zenit. Mit Rot-Grün zwischen 98 und 2005 ist sozusagen der realpolitische Zenit erreicht worden. Man hat im Grunde genommen alles erreicht. Und nun stehen wir da und fragen: ’Was machen wir jetzt?’ Das heißt: Die Welt hat sich ja weitergedreht!"

    "Ich denke, auch in der Zusammenarbeit mit politischen Gegnern kann man die eigenen Profile auch ganz gut schärfen und besser formulieren, als wenn man sich dem immer wieder widerstellt."

    "Wobei die Grünen genau zwischen den Blöcken stehen: Wir haben einen Rechtsblock, und wir haben einen Linksblock. Und die Grünen nehmen in der Tat in dieser Gemengelage die Mitte ein."

    "Ich sehe eher die Grünen weiter links von der Mitte."

    Hinter dem Grübeln steckt mehr als nur neue Farbenspiele links und rechts von der bisherigen Linie. Die Partei scheint auf der Suche nach sich selbst zu sein, in einer Situation, in der es wenige Gewissheiten gibt, in der ein Spitzentandem frisch gekürt, aber noch nicht bestätigt ist, in der die Basis hin und her gerissen scheint zwischen Oppositionslust und Regierungswunsch, in der man die eigene Rolle im Parteiensystem noch suchen muss. Und all das nach herben Verlusten in den letzten Landtagswahlen, die im Kontrast stehen zur inzwischen ungewohnten Rolle des umworbenen Koalitionspartners. Es sei vieles in Bewegung, sagt Reinhard Bütikofer, der Noch-Parteivorsitzende, der seinen Rückzug aus der Bundesspitze angekündigt hat. Überrascht sei er nicht:

    "Da verdichtet sich jetzt einiges, was nicht gestern oder vorgestern entstanden ist. Zum Beispiel die Grundsatzüberlegung in Koalitionsfragen, dass wir nicht mehr einfach die Antwort geben können: Rot-Grün, wenn man doch sieht, dass in vielen Fällen Rot-Grün für eine Mehrheit allein nicht reicht - diese Grundsatzüberlegung finden Sie schon in dem Parteitagsbeschluss, den wir Ende 2005 gefasst haben."

    Seit 2005 hat sich viel getan. Die Linkspartei ist in westlichen Landesparlamenten angekommen. Und das heißt: Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Eine Entwicklung, die Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und langjähriger Vordenker der Grünen, nicht beklagen will.

    "Jetzt sind wir mitten in einer solchen Diskussion über Öffnungen. Damit sind natürlich auch immer politische Orientierungen verbunden. Und deshalb bin ich sehr froh darüber, dass in Hamburg zumindest ernsthaft Schwarz-Grün ausgelotet wird und wir nicht ausschließlich eine Öffnung nach links jetzt erleben. Die Grünen dürfen sich nicht als eine Linksblockpartei [verstehen], sondern als eine - ich würde sagen: linksbürgerliche Partei, eine liberal-ökologische Partei, die in verschiedene Richtungen bündnisfähig sein muss."

    Manche Grüne widersprechen - jedem Bündnis mit der CDU. Engagiert warnt eine Rednerin von der Parteibasis vor jeglicher Annäherung bei der richtungsweisenden Aussprache in Hamburg, bei der die Aufnahme von Sondierungsgesprächen beschlossen wurde.

    "Wenn wir etwas gegen abnehmende Wahlbeteiligung und zunehmende Politikverdrossenheit tun wollen, dann müssen wir Wort halten und auf alle Gespräche verzichten, die ein Signal für eine Bereitschaft zur Koalition mit der CDU geben. Sollte die Versammlung heute den Gesprächen zustimmen, gilt, dass es nur noch eine Partei links von der SPD gibt: Die Linke. Und eine zweite, grün angestrichene FDP, ehemals GAL. Schade!"

    Das ist eine Minderheitenposition, wohl nicht nur in Hamburg. Die Entscheidung, sich grundsätzlich zu öffnen, fiel unerwartet lautlos. Das hat wohl weniger mit Sympathien zu tun als mit dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit von der SPD. Ehemalige grüne Regierungsmitglieder verweisen gern auf die Kröten, die man auch zu rot-grünen Regierungszeiten habe schlucken müssen. Auch nach den Grünen Zuordnungen linke Parteipolitiker verwahren sich trotzig gegen eine Vereinnahmung durch die SPD. So die Parteivorsitzende Claudia Roth nach der Entscheidung, den Hamburgern freie Hand für Gespräche mit der CDU zu lassen:

    "Hamburg dient uns nicht als Mittel im Befreiungskampf von der SPD. Da müssen wir uns auch gar nicht befreien. Wir sind weder ein Ableger, noch sind wir der Juniorpartner, noch sind wir immer und immer mit der SPD verbunden. Manche in der SPD haben das auch bis heute nicht begriffen. Wird vielleicht höchste Zeit!"

    Und das Parteiratsmitglied Krista Sager brachte in der Hamburger Koalitionsdiskussion den Unmut einiger Grüner darüber zum Ausdruck, dass die SPD die Treue ihrer Ansicht nach höchst einseitig definiert:

    "Was glaubt ihr denn, wie schnell die Koalition machen würden mit diesem Ole – und zwar ohne jedes moralische Problem?"

    Dass sich die Grünen so an der SPD reiben, liegt nicht nur an alten Wunden und Verbindungen, sondern vor allem an den Wählern. Ein großer Teil des grünen Wählerpotenzials kommt aus der Gruppe der rot-grünen Wechselwähler. Überschneidungen mit der CDU lassen sich begründen, auch soziologisch. Mehr noch als die Union rekrutieren die Grünen ihre Anhänger aus der akademischen Mittelschicht. In ihren gesellschaftspolitischen Anschauungen dagegen unterscheiden sich die Anhänger von Grünen und Union typischerweise deutlich. Trotz seiner Zufriedenheit mit der Hinwendung zur CDU sieht auch Ralf Fücks enge Grenzen des Miteinanders:

    "Kulturell sind die Grünen eine libertäre Partei, die für eine Vielfalt von Lebensstilen, für Minderheitenschutz, für individuelle Selbstbestimmung steht. Es gibt Berührungspunkte mit der Union vielleicht, was eine gewisse Skepsis gegenüber dem Allheilmittel des technischen Fortschritts angeht, etwa wenn es um Gentechnologie geht oder um humangenetische Manipulationen. Aber kulturell sehe ich da nicht so viele Überschneidungen. Vielleicht mit einer liberalen Großstadt-CDU. Da sind wir doch in einem anderen gesellschaftlichen Spektrum zu Hause."

    Die Frage, wie links die Grünen nun sind, stellt sich dabei vor allem für die, die den neuen Kurs beklagen. Marieluise Beck gehört nicht dazu. Sie erinnert in ihrem Rückblick an den frühen Wahlspruch der Baden-Württemberger Landespartei: Weder rechts noch links, sondern vorn. Was die Linken kritisiert hätten - schon damals als Minderheit:

    "Denn: Eine der stärksten Auseinandersetzungen mit dem Protokoll des Deutschen Bundestages war die Frage: Wo werden die Grünen sitzen? Und das Präsidium hatte sich selbstverständlich vorgestellt, dass wir links von der Sozialdemokratie zu platzieren seien. Dem haben wir uns mit aller Kraft widersetzt. Unter Androhung eines nicht Sitz-, sondern Stehstreiks im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Wir hatten die tiefe Überzeugung, das Rechts-Links-Koordinatensystem ist überholt. Und deswegen dürft ihr und dürfen wir jetzt zwischen der Sozialdemokratie und der CDU sitzen."

    Trotzdem: Für die meisten ist klar: Die Grünen gehören eher ins linke Spektrum. Darauf deutet auch hin, dass es nicht allzu große Berührungsängste links außen zu geben scheint. Die rot-grüne Koalition in Hessen, toleriert von der Linkspartei, stand immerhin kurz bevor. Und das, ohne dass es eine größere Diskussion - sei es bei den Grünen im Land oder im Bund - gegeben hätte. Das mag daran liegen, dass die Grünen im sogenannten Magdeburger Modell den Schritt schon einmal gemacht hatten, daran, dass die Linkspartei in Hessen keine SED-Vergangenheit hat und sich damit Widersprüche zur eigenen Bürgerrechtsvergangenheit weniger aufdrängen.

    Somit stellt sich auch die Frage eines unterschiedlichen Grades der Zusammenarbeit mit der Linkspartei in West und Ost für die Grünen ganz anders als für die SPD. Oder es lag einfach an den hessischen Verhältnissen, wo das Ende der Regierung Koch so sehr erklärtes Wahlkampfziel war, dass dies andere Fragen überlagern mag. Trotzdem fällt auf: So wie in Magdeburg die Grünen anfangs als Bote fungierten zwischen der PDS und der SPD, so sprachen sie auch diesmal als Erste mit der Linkspartei.

    Wobei sich für die Grünen wie für andere Parteien die Frage stellt, was links heute eigentlich bedeutet. Dabei gibt es immer noch die Elemente, die Renate Künast im Rückblick aufzählt:

    "Wir haben uns damals zusammengetan, um die Fünfprozenthürde zu nehmen - Menschen aus den unterschiedlichsten Bewegungen: Die Anti-AKW-Bewegung, die Frauenbewegung war da, wir haben damals die Friedensbewegung sozusagen mit bei uns gehabt oder waren Teil der Friedensbewegung und die Eine-Welt-Gruppen, die sich mit der Frage der Gerechtigkeit beschäftigt haben."

    Und dazu kam später noch das Bündnis 90. Elemente, die sich - je nach Person mal mehr, mal weniger - als Inhalte wiederfinden. Was teilweise immer noch zu erbitterten Auseinadersetzungen führen kann. Wenn etwa diejenigen, die als Pazifisten zu den Grünen gekommen sind, sich in der Haltung der Partei zu Auslandseinsätzen nicht wiederfinden. Trotzdem: Dies sind keine originären Bewegungen mehr. Und zu den Flügeln sagt zumindest Ralf Fücks:

    "Na, die Flügel sind ja nicht mehr das, was sie mal waren. Da stehen sich ja nicht unvereinbare politische Konzepte und Strategien gegenüber. Sondern das sind eher fast Nuancen. Sie spielen allerdings durchaus eine Rolle, was die Bündnisoptionen angeht."

    Die alten Grabenkämpfe zwischen Realos und Fundis sind Vergangenheit, schon weil es die Fundis so nicht mehr gibt. Was es gibt, das sind neue Zusammenschlüsse innerhalb der Grünen, die dann innerparteilich teilweise als Linke bezeichnet werden. Wie diejenigen, die sich auf dem Göttinger Afghanistan-Parteitag um den bis dahin weitgehend unbekannten Robert Zion scharten und mit seinem Antrag der Parteispitze eine Niederlage bereiteten. Gruppierungen, von denen manche vor dem Parteitag in Nürnberg zur Sozialpolitik erwarteten, dass sie die alten Gräben wieder aufreißen würden. Reinhard Bütikofer widerspricht: Er verweist darauf, dass sich gerade in der Auseinandersetzung über die Sozialpolitik völlig unvorhergesehene Koalitionen gebildet hätten.

    "Das ist nicht die Wiederauferstehung der alten Flügel. Da hat sich was neu verortet. Und ich habe auch den Eindruck, dass das insgesamt nicht einfach eine Rückkehr in alte Gefäße ist oder in alte Gräben. Es spielt dabei einfach eine Rolle, dass jüngere Leute jetzt mitmischen. Die in diesen alten Gräben gar nicht gesessen sind. Die die gar nicht kennen, nie heimelig fanden und keine Sehnsucht haben."

    Das aus einem Teil der DDR-Bürgerrechtsbewegung hervorgegangene Bündnis 90 gibt es kaum noch als eigenständige Strömung innerhalb der Partei. Ralf Fücks erklärt das damit, dass die Wiedervereinigung insoweit gelungen sei, Ost und West nicht mehr so weit auseinanderlägen. Was bleibt vom Bündnis 90, ist für ihn vor allem ein Auftrag:

    "Die Idee, die hinter Bündnis 90 sehr stark steckte - eine Öffnung der Politik sehr stark für Bürgerbeteiligung, für runde Tische, Politik nicht nur auf Parteien und Parlamentspolitik zu reduzieren -, die finde ich nach wie vor aktuell. Gerade wenn man sinkende Wahlbeteiligung und den zunehmenden Parteienverdruss sieht, muss man, glaube ich, wieder mehr über solche Öffnungen nachdenken Richtung plebiszitäre Demokratie vor allem auf der kommunalen Ebene."

    Das ist einer der möglichen Inhalte der Grünen. Über die Inhalte aber wollen sie sich mehr als alle anderen Parteien definiert wissen. - Wie sonst soll die Begründung für eine Koalition mit der CDU, für Jamaika, die schwarze Ampel und genauso für Rot-Rot-Grün gelten: Hauptsache, grüne Politik wird verwirklicht? Die Schwerpunkte sind klar. Volker Beck:

    "Das ist ein Positivum, dass uns die Ökologie niemand wirklich streitig macht. Jeder weiß: Da sind die Grünen diejenigen, die das am konsequentesten vertreten. Und wir haben dazu Kompetenzen, die wir uns zusätzlich erwerben im Bereich Sozialpolitik, im Bereich Bürgerrechte hatten wir die immer. Und - wir arbeiten gerade daran - auch ein wirtschaftspolitisches Profil. Das herauszustellen um sein Kernthema herum, das ist, glaube ich, die richtige Strategie. Und das ist, glaube ich, etwas, das uns von der Linkspartei und den Liberalen dauerhaft unterscheidet. Wir haben ein eigenständiges Thema."

    Genau das aber ist gleichzeitig eine der Schwierigkeiten der Grünen im Moment: Ökologie hat sich inzwischen jede Partei auf die Fahnen geschrieben, allen voran die CDU unter der selbst ernannten Klimakanzlerin Angela Merkel. Ein echtes Problem für die Partei, glaubt Reinhard Bütikofer.

    "Es gibt zum Beispiel viele - und gerade bei den Grünen-Wählern - die das, was Sigmar Gabriel in ökologischen Reden sagt oder was Frau Merkel in ökologischen Reden sagt, einfach schätzen. Punkt. Und das finde ich richtig, die Haltung. Die auch froh sind, dass wir nicht mehr alleine sind, die das sagen. Man kann ja nicht das Ziel haben, das als Privat- oder Parteieigentum zu behandeln, und sagen: ’Hoffentlich teilt keiner unsere Einsicht.’ Ist ja absurd."

    Nur dass eben die Vorschläge der anderen Parteien nicht ehrlich, nicht ernst zu nehmen oder nicht radikal genug seien. Ganz zu schweigen von den Sonntagsreden etwa von Vertretern der Automobilindustrie. Da gälte es dann für die Grünen dicke Bretter zu bohren. Dafür allerdings wird es nicht genügen, nur einfach Klima und Umweltschutz hochzuhalten. Die Partei braucht neue Impulse, so Ralf Fücks:

    "Im Kern geht es, glaube ich, darum, dass die Grünen wieder ihr Profil schärfen müssen. Wir brauchen schon für die Bundestagswahl einige zentrale Reformprojekte, an denen das grüne Programm deutlich wird. Wir hatten das in der Vergangenheit mit dem Atomausstieg, mit Ökosteuern, mit der Gleichberechtigung von schwulen und lesbischen Lebensgemeinschaften. Das waren die großen grünen Highlights. Und wir brauchen jetzt eine neue Generation solcher Projekte, grüne Politik zum Anfassen, die wieder Reformhoffnungen mobilisieren, die man mit den Grünen verbindet."

    Das sagen viele grüne Berufspolitiker und Mitglieder an der Basis. Wie solche Projekte aussehen können, ist offen. Klar ist nur: Es geht nicht darum, die Partei neu zu erfinden. Die großen alten Themen sollten im Prinzip auch die neuen sein. Bei der Frage aber, wie daraus Konzepte entstehen sollen, scheint eher Ratlosigkeit zu herrschen.

    Das mag auch daran liegen, dass anscheinend die - für die innerparteiliche Diskussion - teils lähmende Regierungszeit immer noch nachwirkt, die erzwungene Ruhe unter Joschka Fischer, dass die Grünen ihre Lust am Aufbruch erst wieder neu finden müssen. Den Willen dazu gibt es. Überdeutlich wurde das auf dem Afghanistan-Parteitag. Wo Lust am Streit und Lust an der Opposition als solche in der Luft lagen. Wo der größte Applaus den Rednern galt, die forderten, die Partei solle endlich in der Opposition ankommen. Die Grünen brauchen wieder offene Auseinandersetzungen, sagt Reinhard Bütikofer, ohne die Angst, dass sich jedes Ergebnis nur an der früheren Regierungsarbeit messen lassen müsste. Und Ralf Fücks fügt hinzu: Ohne die Angst, dass jede Auseinandersetzung als die Rückkehr zu Flügelkämpfen verstanden würde.

    "Wir brauchen den politischen Streit auch in der Partei, allerdings einen konstruktiven und intelligent inszenierten. Der interessiert dann das Publikum, anstatt es abzustoßen. Also mehr Mut zur Debatte, offene Suchprozesse, das tut den Grünen gut. Gerade als eine Partei, die doch stark mit Zukunftskonzepten verbunden wird und mit Kreativität, mit unkonventionellen Lösungen. Dafür braucht man auch einen offenen Debattenraum."

    Dafür - und vielleicht nur dafür - hat die Führungsspitze der Partei die Weichen gestellt: Mit dem Spitzenduo Renate Künast und Jürgen Trittin, das sie vorgeschlagen hat, hat sie vor allem entschieden, dass nichts entschieden ist. Mit einer Vertreterin des Realo-Flügels und einem des linken soll verhindert werden, dass sich das Führungspersonal aneinander aufreibt.

    Gleichzeitig hat sich die Spitze bemüht, der Kritik entgegenzutreten, Jüngere hätten keine Chance, in die bisherige Vierer- oder mit Jürgen Trittin: Fünfer-Führungsriege vorzudringen, nur die eine Generation der Mittfünfziger bestimme die Partei. Denn Reinhard Bütikofer hat seine Entscheidung, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren, ausdrücklich mit der notwendigen Verjüngung des Spitzenpersonals begründet.

    Die Kandidatensuche hat auf allen Ebenen begonnen. Alles Weitere ist offen. Und die Grünen sind damit erst recht offen für fast alle Farbenspiele. Wie die Partei damit umgeht, wird entscheiden, ob das der Weg ist in die Beliebigkeit - oder in einen neuen Aufbruch.