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Auffällig defensiv

Der Streit um die Blutaffäre am Olympiastützpunkt Erfurt sei am Dienstag beendet worden, erklärten WADA und NADA einmütig. Doch es bleiben Fragen offen - auch zur Rolle von Thomas Bach. Der heutige DOSB-Präsident hatte vor zehn Jahren das Verbot der Blutbestrahlung begrüßt. Jetzt aber hält er sich auffällig zurück.

Von Robert Kempe und Hajo Seppelt | 07.07.2012
    Als Sheriff Mike Spanof aus Wasach County die Beweismittel zur Blutmanipulation 2002 dem Olympia-Organisationskomitee in Salt Lake City übergab, konnte er nicht ahnen, dass die Konsequenzen seines Fundes zehn Jahre später in Deutschland wieder diskutiert werden würden. Spanof hatte kurz nach den Spielen unter anderem Instrumente zur Bestrahlung von Blut im Quartier der Österreicher gefunden. Das IOC setzte in dem Fall, in dem vor allem der österreichische Langlauftrainer Walter Mayer und zwei seiner Athleten im Mittelpunkt standen, schnell eine Untersuchungskommission ein. Diese kam nach nur wenigen Monaten laut Abschlussbericht zu folgendem Ergebnis in punkto Blutbestrahlung:
    Zitat:

    "Die von Walter Mayer durchgeführten Behandlungen erfüllen den Tatbestand des Blutdopings."

    Und weiter:

    "In der Konsequenz sollten gegen Walter Mayer, Mark Mayer und Achim Walcher Sanktionen verhängt werden."

    Das Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald, damals Mitglied der Kommission, erinnert sich.

    "Wir sind zum Schluss gekommen, dass diese Blutbestrahlung eigentlich gesetzeswidrig war oder kodexwidrig war. Und es wurden eben der Trainer und die Athleten bestraft."
    Der Bericht ging zur Entscheidung über das Strafmaß an das Exekutiv-Komitee des IOC, in dem damals auch der deutsche Thomas Bach Mitglied war – zugleich Vizepräsident des IOC. Damals erklärte Bach öffentlich, die Entscheidung gegen die Österreicher sei eine:

    "konsequente Fortsetzung der Antidoping-Politik."

    Blutbestrahlung war demnach in diesem Fall - in dem es laut IOC-Bericht um 45ml Blut ging - für Bach eine verbotene Methode. An das Auftreten von Thomas Bach bei der Tagung des Exekutiv-Komitees im Mai 2002 in Kuala Lumpur meint sich der Hauptbeschuldigte Walter Mayer noch gut zu erinnern.

    "Sprechen konnte ich eigentlich nur an der Rezeption, wo wir - mein Rechtsanwalt und ich - von Dr. Bach empfangen wurden. Ich spreche ja selbst kein Englisch und der deutschsprachige Mann vor Ort war Thomas Bach. Dort wurde mir eigentlich nur gesagt, wie ich mich bei der Anhörung zu verhalten habe. Er gab dort die Anweisungen und die Rechtfertigungen und warum und weshalb dieses Urteil, das mir mein Rechtsanwalt dann weiter gegeben hat, erfuhr er nur von Thomas Bach. Das weiß ich definitiv."

    Jetzt - zehn Jahre später aber - entsteht der Eindruck, als wolle Bach seine Beteiligung am damaligen Geschehen herunterspielen. Das damalige Exekutiv-Mitglied ließ vor einigen Tagen mitteilen, es habe an der entsprechenden Entscheidung gar nicht mitgewirkt. Da auch ein Heilpraktiker aus Deutschland mitbeschuldigt war, habe er den Tagungsraum verlassen. Spielt dies aber letztlich wirklich eine Rolle, bei der Frage, ob Bach für das IOC-Verdikt mit die Verantwortung trug?

    Der Kanadier Richard Pound, langjähriges IOC-Mitglied und einst WADA-Präsident, sieht derlei Spitzfindigkeiten von IOC-Kollegen kritisch.

    "Ich bin jetzt schon seit mehr als zehn Jahren nicht im Exekutive-Komitee. Aber eines kann ich sagen, meine Sicht der Dinge war immer, dass ich verantwortlich war, für die Entscheidungen, die dort getroffen wurden."

    Bach erklärt zwar, er stehe immer zu seiner damaligen öffentlichen Aussage einer konsequenten Anti-Doping-Politik des IOC - und dennoch ist offensichtlich, wie auffällig defensiv er heute seine damalige Beteiligung darstellt. Dies dürfte daran liegen, dass die Parallelen zur aktuellen Causa-Erfurt klar auf der Hand liegen. Denn die im IOC-Bericht festgehaltenen Regelverstöße in Sachen Blutbestrahlung sind hier ebenso zu erkennen.

    Auch hier geht es um UV-Bestrahlungen, laut Aktenlage von bis zu 50ml Blut. Bis zu dreißig deutsche Athleten sind involviert. Sportpolitisch höchst brisant also für einen DOSB-Präsidenten vor allem kurz vor den Olympischen Spielen in London. So will Bach trotz mehrmaliger Nachfrage des Deutschlandfunks beim DOSB nicht einmal seine persönliche Auffassung mitteilen, seit wann generell - unabhängig vom Erfurter Fall - der Gebrauch von Blut im Sport für ihn eine verbotene Methode darstelle.

    Hier ginge es nicht um persönliche Auffassungen über abstrakte Rechtsfragen, heißt es vom DOSB-Sprecher ausweichend. 2002 hingegen, im Fall der Österreicher, als es sportpolitisch opportun und für ihn ungefährlich war, präsentierte sich Bach deutlich offensiver.
    Offensiv präsentieren sich der jetzige DOSB-Chef und sein Generaldirektor Michael Vesper auch immer, wenn es um nationale Interessen geht. In der Auseinandersetzung zwischen WADA und NADA, wer die Hauptverantwortung an manchen Pannen in der Aufarbeitung der Causa Erfurt trage, stellten sich der DOSB sowie das Bundesinnenministerium geschlossen hinter die nationalen Dopingbekämpfer aus Bonn.

    In der Tat gab es, wie inzwischen klar ist, erhebliche Kommunikationsdefizite innerhalb der WADA, die zu einer fehlerhaften Regelinterpretation führten - peinlich für die internationale Dachorganisation im Kampf gegen Doping. Doch dass der Fortgang der Untersuchungen der NADA seit weit mehr als einem Jahr andauert, daran haben DOSB und BMI offenbar nichts auszusetzen. Das gemeinsame WADA-Bashing schweißt die deutschen Sportlobbyisten derzeit hingegen noch mehr zusammen. Richard Pound beobachtet dies aus der Ferne.

    "Nun wenn bei dir etwas passiert, was gegen die Regeln ist, ist eine Sache erst einmal zu versuchen, die anderen zu beschuldigen. Es ist die Methode um die es hier geht, und die wurde schon vor zehn Jahren als unzulässig erklärt. Das sollte doch genug sein."

    Am Dienstag sollen NADA und WADA bei ihrem klärenden Treffen in Frankfurt angeblich die Friedenspfeife geraucht haben. DOSB-intern hieß es in der letzten Zeit hingegen wiederholt, WADA-Generaldirektor Howman müsse sofort zurücktreten. Ein scharfer Ton wie selten zuvor.
    Nochmal Richard Pound:

    "Wenn diese Methode in Deutschland fortlaufend durchgeführt wird und ich weiß nicht, ob immer noch, dann sollte nicht einer aus der WADA zurücktreten, sondern die Sportfunktionäre."

    Das werden sie mit Sicherheit nicht tun. Sie werden vielmehr den Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Sportarzt Franke in Erfurt abwarten, der in Kürze erfolgen soll. Wie auch immer das ausgehen mag - für die Frage, ob sportrechtliche Verfahren gegen Athleten aufgenommen werden, spielt dies eine eher untergeordnete Rolle. Generell gilt im Sport: Der Athlet muss belegen, dass er ohne sein Verschulden Anti-Doping-Bestimmungen verletzt hat. Am Ende entscheidet darüber ein Schiedsgericht. Bis dahin wird national wie inzwischen auch international über die Causa Erfurt wohl weiter heftig debattiert werden.