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Aufgeheizt und angespannt

Verpflichtende Englisch-Kenntnisse für Imame, Landeskunde in Moscheen - in Großbritannien sind Regierung und muslimische Gemeinden beiderseits aktiv. Trotzdem rumort es, vor allem in London: Britische Muslime fühlen sich unter Generalverdacht, die Stimmung ist auf beiden Seiten gereizt. Ruth Rach berichtet.

    Vor kurzem blieb britischen BBC-Hörern das Frühstück im Hals stecken, als ein radikaler britischer Muslim während eines Interviews in der höchst angesehenen Sendung Today eine zehnminütige Hasstirade gegen den Westen abzog und auch gleich noch erklärte, warum er den demokratischen Prozess ablehnte.

    "Ich glaube, Allah hat die Welt geschaffen, das bedeutet, Großbritannien gehört nicht den Briten sondern Allah, und Allah hat uns die Aufgabe übertragen, auf der ganzen Welt die Scharia, das Rechtssystem des Islam, einzuführen."

    So Abu Izzadeen. Muslime und Nichtmuslime waren gleichermaßen bestürzt.

    "Dieser Typ ist total verrückt, der spricht nicht für die muslimische Mehrheit; warum stürzen sich die Medien so häufig auf Extremisten, und lassen so wenig gemäßigte Stimmen zu Wort kommen","

    fragte eine muslimische Hörerin.

    Auch Zeitungskommentatoren schreiben, vielleicht sollte man radikalen Islamisten den Sauerstoff der Puiblicity entziehen. Dicke Schlagzeilen zum Thema Terror verängstigten die Bevölkerung und spielten den Islamisten in die Hände, so ihr Argument. Solange eine Gruppe - wie derzeit die Muslime - unter Generalverdacht gestellt werde, mache sie aus Selbstschutz die Schotten dicht, anstatt damit anzufangen, sich selbst kritisch unter die Lupe zu nehmen.

    Dabei sei gerade diese Selbstreflexion dringend nötig, unterstreicht der Religionswissenschaftler Clifford Langley. In einer BBC-Diskussion bezeichnete Langley die zweite Generation britischer Muslime als kulturelle Waisen.

    ""Sie wissen nicht wer sie sind und die Identität, die ihnen von gewissen Elementen angeboten wird, ist die Umma, die Identität der internationalen Muslime."

    Es fehlt uns an religiösen Vorbildern, meint auch die muslimische Studentin Nilum Tamassi. Religiöse Führer sollten sich ihrer Verantwortung gegenüber jungen britischen Muslimen viel bewusster werden, damit sie gar nicht erst in radikale Ecken abdriften. Die britische Regierung glaubt, Imame seien wichtige Vermittler.

    Seit zwei Jahren müssen Imame, die nach Großbritannien berufen werden, Grundkenntnisse in Englisch nachweisen. Damit solle der Dialog mit der eigenen Gemeinde, und mit dem Gastland erleichtert werden. Ein Imam schlage eine Brücke zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, unterstreicht auch Shanynul Khan von der Moschee in Ostlondon.

    "Aber ein Imam kann seiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn er die Kultur und Rechtsgrundlagen seines Gastlandes verstehe."

    Die Moschee in Ostlondon hat Modellcharakter. Sie bietet Kurse an, wo Imame Staatsbürgerkunde, Rechtswesen und Sprachen lernen. Und weil die Besucher der Moschee aus verschiedenen Ländern und Kontinenten kommen, werden die Predigten in mehreren Sprachen gehalten: Bengali, Somali, Arabisch und stets auch auf Englisch.

    Tatsächlich setzen sich die rund 2 einhalb Millionen britischer Muslime aus unterschiedlichen Gruppen und Kulturkreisen zusammen - vor allem im Schmelztiegel London . Deshalb gebe es auch keinen Dachverband, der mit einer Stimme für sie sprechen könnte, sagt Arzu Merali von der Muslimischen Menschenrechtskommission..

    "Wir Muslime besitzen keinen übergreifenden Gemeinschaftssinn. Das einzige, das uns zunehmend eint, ist die negative Erfahrung, als Muslime im Westen über einen Kamm geschoren zu werden."

    Über die Hälfte der britischen Muslime ist unter 25. Überdurchschnittlich viele sind arbeitslos. Die Jungs würden nicht etwa in Moscheen radikalisiert - weil sie dort gar nicht erst hingingen - sondern in Sportclubs und Kebab-Buden und durchs Internet, unterstreicht Fareena Alam, Herausgeberin der muslimischen Zeitschrift Q News. Es bedürfe nur einer charismatischen Person, um sie innerhalb kürzester Zeit auf Abwege zu locken.

    ""Aber genau deswegen kann man sie auch leicht wieder auf den richtigen Weg bringen","

    glaubt Fareena Alam. Leider scheine sich niemand um diese jungen Männer zu kümmern - außer radikalen Muslimen. Keiner versuche in ihrem Herzen Zweifel zu säen, damit sie erkennen könnten, dass ihnen diese Leute das falsche Sachen beibringen.