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Aufgehellte Dunstglocke

Meteorologie. - Südchina mit seinen Ballungsräumen Hongkong und Perlflussdelta produziert rekordverdächtige Mengen von Luftschadstoffen. Dennoch reinigt sich hier die Atmosphäre im Schnellverfahren. Jülicher Atmosphärenchemiker berichten jetzt in "Science" über einen bis zu zehnmal schnelleren Schadstoffabbau als normal.

Von Volker Mrasek |
    "Wir gehen jetzt einmal hier hoch. Wir sind jetzt etwa in einer Höhe von - na ja, was haben wir? – zehn Meter."

    Schon von außen imponiert sie mit ihrem markanten Tonnengewölbe, die Versuchskammer für Atmosphärenchemie im Forschungszentrum Jülich bei Köln

    "Wir nennen ja liebevoll die Bögen der Kammer Bischofsbögen. Weil sie an Kathedralen-ähnliche Gebilde erinnert."

    Andreas Wahner, Leiter des Instituts für Troposphärenchemie, schwärmt aber nicht nur von der Ästhetik der Versuchsanlage. Sondern auch von den experimentellen Möglichkeiten im Inneren des Jülicher Reaktors. Sobald man ihn betritt, ertönt ein Warnsignal, ein ziemlich monotones Tackern.

    "Wir haben in Feldkampagnen Messungen. Da wissen wir, welche Spurengase in welchen Konzentrationen da vorhanden sind. Und hier setzen wir die zusammen, nach Wunsch. Es gibt einen ganzen Container voll von Gas-Dosiereinrichtungen, [so] nennen wir das."

    Zur Zeit laufen Wartungsarbeiten an der Kammer. Doch die Jülicher Troposphärenforscher können es kaum erwarten, sie wieder zu nutzen und sich ein Luftgebräu zusammenzumischen, wie sie es in China angetroffen haben, bei einer Messkampagne im Perlflussdelta. Dort gibt es viel Grün, aber auch dicke Luft aus den Mega-Städten Hongkong und Kanton ...

    "Das ist eine wirklich dicke Dunstglocke."

    Andreas Hofzumahaus war mit vor Ort im Süden Chinas ...

    "Für uns war das sozusagen ein Riesenlabor, in dem wir unter neuen Randbedingungen die Chemie studieren konnten."

    Für den Jülicher Chemiker und seine Kollegen wurde aber auch eine Riesenüberraschung daraus. Denn sie machten eine erstaunliche Entdeckung. Sie hat mit einem sehr reaktionsfreudigen Luftmolekül zu tun, dem so genannten OH-Radikal. Der Winzling besteht lediglich aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoff-Atom. Er gilt aber als wichtigstes Waschmittel der Atmosphäre, das Schadstoffe entfernt. Hofzumahaus:

    "Wir sind mit der Erwartung nach China gegangen, dass dort die Luft sehr hoch belastet ist. Und dass das OH-Radikal intensiv verbraucht wird und dadurch in sehr geringen Konzentrationen vorhanden ist. Es war genau das Gegenteil der Fall: Das OH-Radikal hatte sehr hohe Konzentrationen in der Luft - höher als was wir sonst irgendwo gefunden haben."

    In der Schadstoffglocke des Perlflussdeltas läuft die atmosphärische Selbstreinigung demnach im Turbo-Waschgang, mit viel höher dosierten OH-Radikalen. Das Waschmittel wächst an seinen Aufgaben, könnte man fast sagen, und säubert die Luft effizienter. Doch dabei wird es selbst abgebaut. Die OH-Radikale müssen also immer wieder regeneriert werden. Normalerweise geschieht das unter Beteiligung von Stickstoffmonoxid. Doch davon war nicht viel vorhanden im südchinesischen Dunst. Dort muss also noch ein anderer Recycling-Prozess ablaufen. Franz Rohrer, auch er Chemiker und Spurengas-Spezialist in Jülich:

    "In China war es so, dass dieser zusätzliche Prozess der dominierende Prozess war. Etwa 75 Prozent des gesamten Schadstoffabbaus wurden durch diesen neuen Prozess gesteuert."

    Die Forscher rätseln nun: Welche Reaktionen produzieren die Überdosis Waschmittel? Auffällig ist, dass die Luft über dem Perlflussdelta viele flüchtige Kohlenwasserstoffe aus natürlichen Quellen enthält. Sie werden vor allem von Bäumen abgegeben. Rohrer:

    "Welcher Stoff das macht, ist uns nicht klar. Ob das ein Stoff ist, der auch von Pflanzen emittiert wird, oder ob es in dem Abbaumechanismus dieses Stoffes selbst eine Substanz ist, die gebildet wird, das ist die Frage."

    In ihrer Versuchskammer in Jülich wollen die Atmosphärenforscher der Sache demnächst weiter auf den Grund gehen, indem sie die fernöstliche Luft praktisch nachbauen und die Prozesse dann im Detail studieren. Spannend ist auch, dass beim Waschmittel-Recycling nach südchinesischer Facon kaum Ozon entsteht – anders als bei der bisher bekannten Reaktion über Stickstoffmonoxid, die den Sommersmog verstärkt. Für Franz Rohrer eröffnen sich deshalb nun interessante Perspektiven:

    "Wenn das ein Prozess ist, den man später steuern könnte, könnte das ja dazu führen, dass man die Luftqualität gezielt verbessern kann."