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Aufgeschoben ist doch aufgehoben

Ausgerechnet in den Krisenländern im Süden Europas frohlocken Kommentatoren über den Wahltriumph Angela Merkels: Die harsche Krisenpolitik der Kanzlerin sei Wahlkampftaktik gewesen, so die Hoffnung. In Brüssel macht sich dagegen niemand Illusionen über die künftige deutsche EU-Politik.

Von Alois Berger | 24.09.2013
    Der Wahlausgang in Deutschland war am Sonntagabend in fast allen Ländern der Europäischen Union die Topnachricht im Fernsehen, im Radio und im Internet. Am Montag waren dann die Zeitungen von Tallinn bis Lissabon voll davon. Die deutschen Wahlen, meint der britische Guardian, seien in Wirklichkeit eine europäische Wahl gewesen.

    "Die Deutschen haben Frau Merkel ein starkes Mandat gegeben, um Deutschland zu regieren. Aber die Art, wie sie ihre Macht nutzt, wird nicht nur Deutschland beeinflussen, sondern ganz Europa - auch uns in Großbritannien. Das ist das Merkel-Zeitalter."

    Dass CDU und CSU haushoch gewonnen haben und Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter regieren kann, das hat zwar kaum jemand in Europa überrascht. Manche Kommentatoren glauben trotzdem, dass jetzt eine neue Zeit anbricht, dass plötzlich geht, was in den vergangenen Monaten nicht möglich war. Von einem neuen Schuldenschnitt für Griechenland ist die Rede, von einer raschen Einigung auf die Bankenunion. Von einer Lockerung der Sparpolitik in den Krisenländern, um der Konjunktur endlich auf die Sprünge zu helfen. Dahinter steht die Vorstellung, dass die harte Linie der deutschen Bundeskanzlerin vor allem Wahlkampftaktik war. Dass die wiedergewählte Bundeskanzlerin nun, nachdem sie keine Rücksichten mehr auf die Empfindlichkeit der Wähler nehmen muss, anderen Ländern in Europa entgegenkommen wird.

    Solche Hoffnungen sind vor allem im Süden der Europäischen Union verbreitet, in Griechenland, in Spanien und Portugal. In Brüssel dagegen macht sich kaum jemand Illusionen, dass die deutsche Politik nach diesem 22. September wesentlich anders aussehen könnte als bisher. Der Politikwissenschaftler Janis Emmanouilidis vom European Policy Center:

    "Es geht keiner davon aus, dass es revolutionäre Änderungen gibt. Es gibt gewisse Positionen, die Deutschland vertritt, die auch die Oppositionsparteien geteilt haben. Von daher geht niemand davon aus, dass es zum Beispiel eine gemeinsame Verschuldung in der EU geben wird. Von derartigen revolutionären Änderungen geht niemand aus. Aber dass es mehr Verhandlungsspielraum geben wird und dass man bei gewissen Punkten einen Kompromiss finden kann, die im letzten Jahr nicht möglich war aufgrund der Wahl."

    Eurobonds zum Beispiel, also gemeinsame Anleihen aller Eurostaaten, wird es ganz sicher auch in Zukunft mit Angela Merkel nicht geben. Solche Eurobonds hätten den Vorteil, dass die Regierungen in Griechenland oder Portugal ebenso niedrige Zinsen für Staatsanleihen zahlen würden wie die deutsche Regierung. Die Einsparungen wären enorm und die Chancen für diese Länder deutlich größer, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen.

    Doch Eurobonds bedeuten auch eine gemeinsame Haftung, wenn die Dinge schief gehen. Das ist mit den Deutschen nicht zu machen, und das weiß man inzwischen auch in Brüssel und in den übrigen europäischen Hauptstädten. Für die französische Europaabgeordnete Sylvie Goulard ist es deshalb unerheblich, welche Koalition jetzt in Berlin zustande kommen wird. Wenn es um die Politik in Europa geht, meint die Liberale, dann haben alle deutschen Politiker das gleiche Programm:

    "Geldwertstabilität, Bedarf an Strukturreformen bei den anderen Ländern, auch ein kleines bisschen das Gefühl: am deutschen Wesen muss die Welt genesen. Das ist überall der Fall, links, rechts, liberal, grün."

    Dass Parteien, die sich in der Innenpolitik heftig streiten, bei außenpolitischen Fragen ähnliche Meinungen haben, ist allerdings keine deutsche Eigenart. Fast alle EU-Länder haben in der Europapolitik eine nationale Linie, in der die parteipolitischen Unterschiede verschwimmen. Französische Parteien, ob links oder rechts, wollen mehr staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft, niederländische mehr Marktwirtschaft, belgische Parteien fordern mehr Macht für die europäischen Institutionen, britische wollen weniger. Geschichte und nationale Traditionen wiegen meist schwerer als tagesaktuelle Ereignisse.

    Brüssel hofft auf ein Ende der "Stop-and-Go-Politik"
    Die Ungeduld, mit der viele in Brüssel auf die deutschen Wahlen gewartet haben, hat einen anderen Grund. Seit gut einem Jahr geht in Brüssel so gut wie nichts mehr, weil die Bundesregierung alle Entscheidungen verzögert und aufgeschoben hat, die den deutschen Wähler irgendwie hätten verschrecken können. Das Schuldenmanagement für Griechenland, die Bankenunion, die künftige Struktur der Eurozone, selbst die Frage, wie groß die Warnhinweise auf Zigarettenschachten künftig sein sollen oder welche Abgaswerte neue Autos haben müssen – alles wurde auf den großen Papierstapel gelegt. Wiedervorlage nach dem 22. September, nach den deutschen Wahlen.

    In Brüssel ist deshalb ein Aufatmen zu spüren. Darüber, dass die Wahl nun endlich vorbei ist. Jetzt sei die deutsche Regierung vielleicht endlich wieder bereit, meint der österreichische Europaabgeordnete Hannes Swoboda, die in Europa anstehenden Probleme anzupacken:

    "Ich hoffe, zumindest bereiter, relativ zu dem, was in den letzten Monaten passiert ist. Ich glaube, dass manches, wo deutsche Politiker auf der Bremse gestanden sind, wieder in Gang gebracht werden kann. Zumindest in einem Ausmaß, das es ermöglicht, Fortschritte zu erzielen."

    Swoboda ist nicht nur Europaabgeordneter, er ist Chef der Sozialdemokraten und Sozialisten im Europäischen Parlament. Ihm wäre es natürlich lieber gewesen, wenn die SPD die Wahlen gewonnen hätte, wenn in Berlin ein Sozialdemokrat ins Kanzleramt einziehen würde. Swoboda erinnert daran, dass SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Wahlkampf von einem Marshallplan für die Krisenländer gesprochen hatte.

    Sollte es in Berlin zu einer großen Koalition kommen, dann werden sich in Brüssel einige an diesen Marshallplan erinnern. Solche Schlagworte entwickeln in der Europäischen Union gerne ein Eigenleben. Vermutlich wird es deshalb irgendwann in den nächsten Monaten einen EU-Gipfel geben, der unter dem Thema "Marshallplan für die Krisenländer" steht, so wie es in diesem Sommer einen Gipfel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gab.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie von solchen Konjunkturprogrammen wenig hält. Aber sie stellt sich auch nicht dagegen. Es gehört zu ihrem Politikstil, Initiativen wie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa anzunehmen und dann in langen Diskussionen auszuhöhlen. Während des Wahlkampfes war diese Neigung der deutschen Kanzlerin in Brüssel noch stärker zu spüren als zu normalen Zeiten. Die Bundeskanzlerin habe selbst ihre eigene Politik weichgespült, kritisiert der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda:

    "Absolut. Frau Merkel hat ja viel erklärt, viele Dinge gefordert, wenn ich nur an die Bankenunion denke, und dann bei jeder Sitzung des Rates immer neu gefordert. Aber wenn es dann darum ging, die Dinge umzusetzen, dann ist sie oder Herr Schäuble auf der Bremse gestanden. Das war eine Stop-and-go-Politik der letzten eineinhalb Jahre, schon im Hinblick auf die Wahlen, die jetzt aufhören muss."

    Hannes Swoboda, stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Mitglied der österreichischen SPÖ
    Kritisiert Merkels "Stop-and-go-Politik": Hannes Swoboda, Chef der sozialistischen Fraktion im EU-Parlament: (AP)
    Was vor eineinhalb Jahren beschlossen wurde, steht nun auf der Kippe
    Vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik drängt nun die Zeit. Die Bankenunion beispielsweise müsste vollendet sein, bevor sie gebraucht wird. Denn derzeit ist es zwar etwas ruhiger geworden rund um Europas Banken. Aber in Griechenland, in Spanien, in Portugal, in Irland stehen noch einige Geldhäuser, von denen man nicht weiß, ob sie die nächsten Erschütterungen am Geldmarkt überstehen. Und dann wäre es an der Zeit, dass nicht die Steuerzahler, sondern ein europäischer Bankenfonds die Verluste übernimmt, so wie eigentlich verabredet.

    Doch von solchen Plänen ist die Bundesregierung im Laufe des Wahlkampfes abgerückt. Große deutsche Banken, allen voran die Deutsche Bank, wollen keinen europäischen Bankenfonds, in den sie einzahlen müssen, um dann im Ernstfall griechische oder portugiesische Banken abzuwickeln. Jedes Land solle sich selbst um seine Banken kümmern, so die vorherrschende Meinung in deutschen Bankenkreisen.

    Aus Sicht der Banken sei das verständlich, räumt Sven Giegold ein, Finanzmarktexperte der Grünen im Europaparlament. Das Problem sei, dass die Bundesregierung sich die Position der deutschen Banken zu eigen gemacht habe. Eine kurzsichtige Politik, meint Sven Giegold, denn nur ein europäischer Bankenabwicklungsfonds sei groß genug, um Erschütterungen zu überstehen.

    "Diesen Fonds will Deutschland nicht, will das weiterhin national halten, obwohl klar ist, dass die nationalen Fonds zu klein sind und damit am Schluss wieder der Steuerzahler bezahlen wird."

    Vieles, was noch vor einem Jahr als unbedingt notwendig eingestuft wurde, steht inzwischen auf der Kippe. So waren sich die EU-Regierungen unter dem Eindruck der akuten Finanzkrise noch vor zwölf Monaten einig, dass beispielsweise die für die Wirtschaft wichtigen Geschäftsbanken nicht gleichzeitig mit riskanten Investments jonglieren dürften. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte damals eine strikte Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken. Doch die dafür nötigen europäischen Gesetze blieben wegen des deutschen Wahlkampfs hängen - und nun gibt es kaum noch Chancen, dass sie in naher Zukunft beschlossen werden.

    Mit sinkendem Krisendruck nimmt der Reformwille ab?
    Das gilt auch für ein weiteres Thema, das der Kanzlerin noch im letzten Dezember von großer Dringlichkeit schien - da forderte sie eine engere Zusammenarbeit der Euroländer und zwar rasch. Die Vorschläge des Präsidenten des Europäischen Rates Hermann van Rompuy sahen eine Wirtschaftsregierung für die Eurozone vor, außerdem eine engere Abstimmung der Wirtschaftspolitik in den Mitgliedsstaaten, um die Währungsunion krisenfest zu machen. Alles still und leise ad acta gelegt, klagt der Finanzexperte der Grünen, Sven Giegold:

    "Diese Vorschläge, die alle von den Staatschefs gebilligt worden sind, sind bisher nicht mit Leben gefüllt worden, auch mit Blick auf die Bundestagswahl. Mit anderen Worten: Der europäische Gesetzgebungszug, sowohl bei der Regulierung der Finanzmärkte als auch bei der Zukunft der Eurozone ist zum Opfer des deutschen Wahlkampfs geworden, und das hat die Bundesregierung zugelassen."

    Ob die Vorschläge jemals wieder auf den Tisch kommen, ist ungewiss. Keine Regierung gibt gerne Macht und Kompetenzen ab. Nur wenn es schwierig wird, wenn die Nationalstaaten nicht mehr weiter wissen, sind sie in der Regel dazu bereit. Fast alle Zuständigkeiten der Europäischen Union sind ihr in Krisenzeiten zugewachsen.

    So ist die europäische Agrarpolitik entstanden, als in Deutschland die Lebensmittel knapp waren. Die EU-Umweltpolitik war über weite Strecken eine Reaktion auf Tschernobyl, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Versuch einer Antwort auf europäische Hilflosigkeit in den Jugoslawienkriegen. Als Russland im Januar 2009 im Streit mit der Ukraine auch den europäischen Gashahn etwas zudrehte, wurde plötzlich an einer Europäischen Energiepolitik gebastelt. Und erst seit die Pleite der Lehman-Bank das Weltfinanzsystem ins Wanken brachte, wird in Brüssel ernsthaft über die Regulierung von Banken verhandelt.

    Doch viele Krisen flauen ab, bevor die neuen Strukturen fertig sind. Dann lässt auch der Eifer der Regierungen sofort wieder nach. Deshalb ist die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union nur zur Hälfte fertig geworden, die gemeinsame Energiepolitik ist gleich nach dem Start festgefahren und auch die Regulierung der Finanzmärkte wird vermutlich erst einmal stecken bleiben, fürchtet der grüne Bankenkritiker Sven Giegold.

    "So zynisch das ist: Erst wenn sich die Eurokrise wieder zuspitzt, werden diese Vorschläge wieder ausgepackt."

    Weil der Druck weg ist, kommt auch die Strukturreform der Eurozone praktisch nicht mehr voran. Allerdings ist der fehlende Krisendruck nur ein Grund dafür, dass die verschleppte Reform nun nicht mehr auf Touren kommt. Der andere Grund ist der Stimmungsumschwung der Bundeskanzlerin. Seit Großbritanniens Premierminister David Cameron immer vehementer fordert, dass Brüssel Kompetenzen in die Hauptstädte zurückgeben soll, seitdem denkt auch Merkel immer häufiger und immer öfter laut darüber nach, ob man die Europäische Union nicht zugunsten der Nationalstaaten etwas zurückstutzen sollte.

    "Wir können auch mal überlegen, geben wir vielleicht auch mal was zurück, die Niederländer diskutieren im Augenblick darüber und diese Diskussion werden wir nach der Bundestagswahl auch führen."

    Der Europäischen Union etwas Macht wegnehmen, solche Überlegungen kommen immer gut an in der deutschen Bevölkerung. Doch anders als der britische Premier will die Bundeskanzlerin die Europäische Zusammenarbeit nicht wirklich zurückdrehen. Sie möchte sie nur anders gestalten. Weniger Europäische Kommission, weniger Europäisches Parlament, dafür mehr Macht für die nationalen Regierungen - und damit mehr Einfluss für die deutsche Regierungschefin.

    Dahinter steht auch die Erfahrung der letzten Zeit, dass die deutsche Kanzlerin im Kreis der Regierungschefs viel mehr durchsetzen kann als innerhalb der Europäischen Institutionen. Denn dort hat jedes Land eine Stimme - und außerdem redet das europäische Parlament noch mit. Bei den Treffen der Regierungschefs dagegen zählt vor allem das politische Gewicht jedes einzelnen Landes. Deshalb kann die Bundeskanzlerin derzeit dort viel mehr erreichen als in den Entscheidungsgremien der Europäischen Union.

    Je länger die Banken- und Finanzkrise in der EU dauert, desto wichtiger wird Angela Merkels Rolle als Chefin der Krisenfeuerwehr. Und je mehr Länder in den Strudel gerissen werden, analysiert der Politikforscher Janis Emmanouilidis vom European Policy Center in Brüssel, desto mächtiger wird die Bundeskanzlerin:

    "Frankreich hat Probleme, Spanien und Italien haben noch größere Probleme, Großbritannien steht nicht sehr stark da, einzig und allein die Polen haben diese Krise vielleicht noch besser gemeistert als die Bundesrepublik. Aber Polen spielt nicht die gleiche Rolle wie die zwei anderen großen Akteure Großbritannien und Frankreich. Also von daher: Deutschland hat diese Krise wesentlich besser gemeistert und ist daher auch der wesentlich stärkere Akteur in der aktuellen Situation."

    Der Attac-Mitbegründer Sven Giegold spricht beim Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen in der Westfalenhalle in Dortmund.
    "Alles still und leise ad acta gelegt": Grünen-Finanzexperte Giegold (picture alliance / dpa)
    Merkel als europäische Führungsfigur – unbestritten aber nicht unumstritten
    Fünf Jahre nach der Lehman-Pleite und dem Beginn der Finanzkrise steht die deutsche Bundeskanzlerin als unbestrittene Führungsfigur praktisch allein an der Spitze der Europäischen Union. Unbestritten – aber nicht unumstritten. Vor allem in den südlichen Ländern der EU machen viele Menschen die deutsche Kanzlerin verantwortlich für den Sparkurs in ihren Ländern und kritisieren sie hart dafür. Ihrer Autorität hat das bislang nicht geschadet. Ob Sparprogramme mit oder ohne Konjunkturspritzen schneller aus der Verschuldung führen – so genau weiß das kein Regierungschef in Europa, und deshalb sind auch die meisten von ihnen ganz froh, wenn jemand die Führung und damit die Verantwortung übernimmt.

    Doch im Europäischen Parlament beginnen einige Abgeordnete hellhörig zu werden. Sollte die Bundeskanzlerin ihre Krisenpolitik weiterhin allein im Kreis der Regierungschefs entscheiden wollen, so die französische Liberale Sylvie Goulard, dann werde sie über kurz oder lang auf großes Misstrauen in den Nachbarländern stoßen. Es sei schließlich ein Unterschied, ob eine Politik im Europaparlament öffentlich diskutiert oder von den Regierungschefs hinter verschlossenen Türen entschieden werde. Selbst dann, wenn am Ende dieselben Ergebnisse dabei heraus kämen.

    "Wenn es keine Diskussionen gibt, wenn man das Gefühl hat, dass Deutschland befiehlt und die anderen müssen gehorchen - auch wenn Deutschland große Verdienste hat - dann wird es zu großen Problemen führen, auch mit Frankreich übrigens."

    Die Stärkung multinationaler Institutionen wie Ministerrat oder Europaparlament war bis vor einigen Jahren der Grundpfeiler deutscher Politik in Brüssel. Doch das scheint sich unter dem Eindruck der neuen wirtschaftlichen Überlegenheit Deutschlands nun zu ändern. Die Bundeskanzlerin findet den Zwang zu gemeinsamen Lösungen zunehmend lästig und unnötig. Sie möchte mehr Freiheiten.

    Dabei nimmt sich die Bundesregierung diese Freiheiten längst auch innerhalb der europäischen Institutionen. Als vor einigen Monaten die Festlegung der Autoabgaswerte für 2020 anstand, nutzte Berlin sein politisches Gewicht, um die Entscheidung auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben. Hätten kleinere EU-Länder dies versucht, wären sie von den anderen überstimmt worden. Aber Deutschland überstimmt man nicht einfach so.

    Zu ehrgeizig sind der Bundesregierung auch die vorgeschlagenen Abgaswerte der EU-Kommission. Sie wären zwar gut für die Luft und fürs Klima, aber die deutsche Autoindustrie ist nicht einverstanden. Sie verdient vor allem mit schweren Wagen, die viel CO2 ausstoßen. Daher verlangt sie nun sogenannte Supercredits: Das sind komplizierte Rechnungen mit fiktiven Zahlen, die darauf hinauslaufen, dass Mercedes, BMW und Audi deutlich mehr Abgase produzieren dürfen, wenn die Konzerne im Gegenzug ein paar Elektroautos bauen. Weil sich das aber nur schwer in eine logische Argumentation für die Öffentlichkeit gießen lässt, wurde die Abstimmung auf Druck der Bundesregierung ausgesetzt. Jetzt, nach der Wahl, kommen die Abgaswerte und die maßgeschneiderte Supercredit-Lösung wieder auf die Tagesordnung, ist sich der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz sicher:

    "Man will eben nur versuchen, diese 2020 Ziele für die ganz großen Autos ein bisschen aufzuweichen mit dem Instrument der Supercredits, da ist auch ein gewisser Spielraum, so wie ich das sehe. Und wenn die deutsche Regierung das nochmal anpackt, dann wird die Automobilindustrie, dazu gehört ja auch Frankreich, Italien und Deutschland, damit leben können."