Montag, 06. Mai 2024

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Aufklärung durch Amnestie

Angesichts der Dopingvorwürfe im Radsport hat der SPD-Politiker Peter Danckert eine Amnestie für geständige Sportler und Betreuer vorgeschlagen. Wenn Dopingsünder ein glaubwürdiges Geständnis ablegten und sich an der Aufklärung beteiligten, könne ihnen womöglich die Chance zum Neuanfang eingeräumt werden, sagte der Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. In einem Interview hat der frühere Radrennfahrer Bert Dietz systematisches Doping während seiner Zeit beim Team Telekom eingeräumt.

Moderation: Friedbert Meurer | 22.05.2007
    Friedbert Meurer: Jahrelang haben viele mitgefiebert, wenn das Team Telekom bei der Tour de France sich auf den Weg machte. Aber offensichtlich oder mutmaßlich war Doping im Spiel. Gestern Abend hat ein ehemaliger Fahrer des Team Telekoms ausgepackt. In der ARD-Sendung Beckmann hat Bert Dietz, der frühere Radprofi, gesagt, er selbst habe gedopt, und er hat die beiden Teamärzte von Team Telekom schwer belastet.

    Mitgehört hat Peter Danckert, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Sportausschusses des Bundestages. Guten Morgen, Herr Danckert!

    Peter Danckert: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Sie haben gestern das Interview auch gesehen. Halten Sie Dietz, den Profi, für glaubwürdig in dem, was er sagt?

    Danckert: Für absolut glaubwürdig. Wer sich in einer solchen Situation outet, damit sein Leben nicht bequemer macht, denn er wird ja jetzt erst mal Gegenstand von heftiger Kritik der ehemaligen Kollegen sein, den halte ich persönlich für glaubwürdig, zumal sich das abzeichnete. Es ist ja nicht ganz überraschend gekommen. Wir haben in den letzten Wochen zunehmend Hinweise gekriegt, dass sich die ersten Radprofis dort outen werden. Insofern ein durchaus glaubwürdiger Bericht, der sich mit vielen anderen Details, die wir ja schon kennen, deckt.

    Meurer: Welche Dimension nimmt das Ihrer Meinung mittlerweile an, was sich da im Team Telekom abgespielt haben soll?

    Danckert: Ich möchte ganz ausdrücklich sagen, ich beschränke den Verdacht nicht auf das Team Telekom, sondern der Radsport ist flächendeckend weltweit mit Dopingmitteln umgegangen und geht es auch meines Erachtens heute noch. Insofern wollen wir das nicht auf Telekom, aber Telekom ist natürlich uns hier in Deutschland ein wichtiger Partner im Sport gewesen und ist es auch heute noch.

    Ich finde, das muss lückenlos aufgeklärt werden. Da sind aber viele beteiligt, nicht nur die Funktionäre von Telekom, die ärztlichen Betreuer. Das geht ja sozusagen in die ganze Breite. Insofern ist das jetzt der Zeitpunkt, wo ich nur dringend raten kann, dass ausgepackt wird und ein Neuanfang gewagt wird. Vielleicht sollte man überlegen, obwohl das sicherlich sehr kompliziert ist, ob das mit einer Art von Amnestie ausgehen kann, einhergehen kann. Das muss man besprechen. Aber diejenigen, die das immer wieder bagatellisiert haben, auch im Bereich der Funktionäre, auch im Bereich des organisierten Sports, die das nicht wahr haben wollen, die sind jetzt eines besseren belehrt. Wir reden seit Jahren, verstärkt seit dem letzten Jahr, um diese Misere, und jetzt zeigt sich, dass alle Vermutungen weitgehend richtig sind, und ich kann nur hoffen, dass der Radsport, aber auch viele andere Sportarten das zum Anlass nehmen, um hier endlich einen Schlussstrich zu ziehen, um diese blamable Situation aufzudecken und dann mit einem sauberen Sport von vorne zu beginnen.

    Meurer: Wer, Herr Danckert, sollte von einer Amnestie profitieren? Auch die Ärzte?

    Danckert: Die Ärzte, die gegen Grundregeln ihres Berufes verstoßen haben, sind sicherlich ein Sonderfall. Ich habe aber schon vor einigen Tagen auch heftig kritisiert, dass die Klinik in Freiburg sich ganz offensichtlich so viel Zeit nehmen will. Sie sprechen da von zwei Jahren, die die drei Sachverständigen Zeit haben sollen. Das muss sofort aufgeklärt werden. Alle diejenigen, die den Mantel des Schweigens über dieses Team gelegt haben, sollten jetzt auch eines besseren belehrt werden.

    Und ob die Ärzte da auch amnestiert werden können? Sie sind ein Teil des Systems gewesen, aber sie haben natürlich eine besondere Verantwortung. Sie haben die Pflicht, Kranke zu heilen und nicht Gesunde mit Dopingmitteln vollzupumpen.

    Meurer: Wieso haben sich dann die Ärzte so verhalten wie behauptet? Um mehr Geld zu bekommen von Telekom?

    Danckert: Das müssen sie dann letztlich selber beantworten, was ihre Motivation war. Jedenfalls haben sie sich in dieses Geflecht aus Eitelkeit, weil sie Drittmittel gekriegt haben. Man spricht ja davon, dass Telekom an das Freiburger Institut rund eine Million zur Aufklärung gezahlt hat. Hier sind es aber offensichtlich Mittel zur Verbesserung der Dopingmethoden gewesen. Das müssen die beteiligten Ärzte uns dann hoffentlich bald öffentlich sagen. Jedenfalls ist das, was sie versucht haben, das zu vertuschen, das ist jetzt gescheitert. Wir haben den belgischen Pfleger mit seinen Veröffentlichungen gehört, wir haben jetzt Bert Dietz gehört. Und ich weiß, dass andere auch kommen.

    Meurer: Wer wird kommen?

    Danckert: Ich kann nur hoffen, dass auch Jan Ulrich die letzte Chance jetzt hier nutzt, sich öffentlich zu erklären. Aber das sollte, und darum wird es in den nächsten Tagen und Wochen gehen, aber einhergehen mit einem Regelwerk für diejenigen, die sich outen. Man darf ja nicht übersehen, dass sie damit ihre Existenz aufs Spiel setzen, dass ihnen Siege aberkannt werden. Da müsste der organisierte Sport eine Lösung anbieten. Wir sind gerne bereit, als Politik daran mitzuarbeiten.

    Meurer: Wie könnte das Regelwerk etwa aussehen?

    Danckert: Na ja, wie man eben eine Amnestie gestaltet, dass man sagt, für eine lückenlose Aufklärung, für ein umfassendes, glaubwürdiges, nachvollziehbares Geständnis, für eine Zusammenarbeit bei der Aufklärung werden wir sozusagen die Vergangenheit ruhen lassen, ihnen nicht die Siege aberkennen, sie nicht bestrafen und dann gemeinsam einen Neuanfang wagen. Ich glaube, die Zeit ist reif dazu. Es ist aber auch der DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund, Anm. d. Red.) gefragt, hier endlich mal ein Zeichen zu setzen, und auch mein Parteifreund Rudolf Scharping (Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, Anm. d. Red.) tut gut daran, jetzt nicht auf das zu verweisen, was er in Zukunft alles machen will, sondern deutlich mitzuwirken an der Aufklärung und hier auch Lösungen mit anzubieten.

    Meurer: Das war Peter Danckert, der Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, zu den Enthüllungen, die gestern Abend in der ARD gesendet worden sind, zum Geständnis des ehemaligen Radprofis Bert Dietz, dass beim Team Telekom systematisch gedopt worden sei. Herr Danckert, besten Dank und auf Wiederhören.

    Danckert: Auf Wiederhören, Herr Meurer.