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Auflauern, belästigen, töten

Psychologie. - Stalking ist ein relativ neues Phänomen in der Psychiatrie. Bislang haben sich Ärzte und Therapeuten aber eher darauf konzentriert, den Opfern zu helfen. Wie man die Täter vom Stalken abbringt, lag nicht im Fokus. Mannheimer Forscher arbeiten zur Zeit an einem Therapiekonzept für Stalker. Wie das genau aussieht, haben sie auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde vorgestellt, der gerade in Berlin stattfindet.

Von Marieke Degen | 22.11.2012
    Es kann viele Gründe geben, einen Menschen zu verfolgen. Stalker ist nicht gleich Stalker.

    "Das ist einmal der zurückgewiesene Stalker, also jemand der nicht wahrhaben will, dass eine Beziehung zu Ende ist oder durch dieses Stalkingverhalten die Beziehung wiederherstellen [will]."

    Jan Kersting ist psychologischer Psychotherapeut am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim.

    "Dann kennen wir den rachelüsternen Stalker, der sich für eine ungerechte Behandlung, Zurückweisung versucht Gehör zu verschaffen. Also, wir haben solche Stalker typischerweise in Behandlungszusammenhängen, wenn jemand mit seinem Arzt sehr unzufrieden gewesen ist, oder so. Wir unterscheiden Stalker, die auf sehr inkompetente Weise versuchen eine Romantik oder eine Freundschaft herzustellen und aus diesem Grund anderen Menschen nachstellen, und wir kennen die, die aus einer meist sexuellen Motivierung anderen nachstellen, meist um eine Straftat, einen sexuellen Übergriff vorzubereiten."

    Die Stalker kommen nicht freiwillig zu Jan Kersting. Sie werden vom Gericht geschickt, sie müssen eine Therapie machen, als Bewährungsauflage. Doch wie lassen sich Stalker vom Stalking abhalten? Das wird zur Zeit am Zentralinstitut in Mannheim untersucht. Kersting:

    "Das sind Pilotbehandlungen, die wir durchführen, und wir sind jetzt bei einer Handvoll von Behandlungen."

    Stalking ist keine Krankheit, sagt Harald Dreßing. Er leitet den Bereich forensische Psychiatrie.

    "Es kann mit psychischer Krankheit verbunden sein, aber Stalking ist keine eigenständige Krankheit."

    Der erste Schritt: Herausfinden, ob der Stalker tatsächlich an einer schweren psychischen Krankheit leidet und mit Medikamenten behandelt werden muss. Dreßing:

    "Dass jemand zum Beispiel eine Psychose hat oder einen Wahn, dass er zum Beispiel wahnhaft davon überzeugt ist, dass er den Menschen, den er verfolgt, dass er ihn auch liebt und dass er ihn nur deshalb hartnäckig verfolgen muss und dass es irgendwann eine Beziehung geben wird. Das sind sehr wenige. Das sind vielleicht fünf bis maximal zehn Prozent."

    Die meisten anderen Stalker zeigen zwar charakterliche Auffälligkeiten, sie haben zum Beispiel Probleme mit dem Selbstwertgefühl oder nicht gelernt, Bindungen einzugehen. Sie sind aber nicht psychisch krank. Diese Gruppe bekommt eine Psychotherapie. Stalker können oft nicht mit ihren Gefühlen umgehen, und sich nicht in ihre Opfer hineinversetzen. Sie sind auch davon überzeugt, dass es ihr gutes Recht sei, ihr Opfer zu belästigen – sei es aus Liebe oder Rache. Das sind die Punkte, an denen die Therapeuten am Zentralinstitut ansetzen. Dreßing:

    "Es ist wichtig, dass wir zum Beispiel es hinbekommen, dass der Täter auch einmal die Opferperspektive einnehmen kann. Zum Beispiel, wenn er sich auf einen Stuhl setzt und er mal das Opfer ist und der Therapeut der Täter. Also wenn dieser Perspektivwechsel gelingt auf der gedanklichen und auch auf der Gefühlsebene ist das schon mal ein erster, wichtiger Schritt. Ein zweiter ist: Viele Stalker nehmen ja unheimlich viel Zeit und auch Energie für sich in Anspruch, um diese Opfer zu stalken. Manche geben sogar ihren Job auf, um genügend Zeit zu habe. Das ist ein Therapieansatz, dass man eine Kosten-Nutzen-Analyse macht. Also was setzt du ein, was erhältst du dafür. Also das sind solche Therapieansätze, mit denen wir arbeiten."

    Das Pilotprojekt am Zentralinstitut läuft seit zwei Jahren. Wie erfolgreich die Therapie ist, kann das Team noch nicht genau sagen. Dafür müssten sie die Stalker auch nach der Therapie jahrelang begleiten. Eine entsprechende Studie ist geplant. Harald Dreßing:

    "In der Therapiespanne passiert in der Regel nichts. Aber damit können wir noch nicht sagen, dass das erfolgreich gewesen ist. Natürlich ist es ein kleiner Erfolg, das Opfer hat ja Ruhe, aber es muss darum gehen, dass das Verhalten dauerhaft sistiert. Und im Sinne des Täters natürlich auch, selbst wenn das eine Opfer jetzt nicht mehr gestalkt wird, dass er sich nicht eine neue Frau als Opfer sozusagen ausguckt."

    Stalking ist ein hartnäckiges Verhalten, haben andere Studien bereits gezeigt. Die Rückfallquote ist hoch. Harald Dreßing geht davon aus, dass sie 100 Stalker behandeln müssen, um 20 bis 30 vom Stalking abzubringen. Für die Opfer würde sich das schon lohnen.