Archiv


Auflösung der Form

Frank Gehry hat das spektakuläre Guggenheim Museum in Bilbao entworfen. In der Ausstellung "Frank O. Gehry since 1997" wird sein Werk nach diesem Bau ausgestellt - anhand aufwendiger Wettbewerbsmodelle.

Von Christian Gampert |
    An Frank Gehry scheiden sich die Geister. Die einen halten ihn für genial, weil seine architektonischen Skulpturen in einem sonst öden städtebaulichen Kontext so etwas wie Identität stiften - das Guggenheim in Bilbao ist zum Wahrzeichen der ganzen Stadt geworden. Die anderen halten ihn für einen Scharlatan, der nur auf Effekte schielt und die Funktionalität der Gebäude vernachlässige. Wer im Internet etwa Gehrys eigenes Wohnhaus in Santa Monica anschaut, der kann schon seine Zweifel bekommen: eine seltsame Blockhütte in skurrilen Formen, der Oberstock eingefasst mit einem Maschendrahtzaun, worüber noch mal ein Drahtdach schwebt.

    Ein bisschen abgehoben ist das schon. Andererseits sind die öffentlichen Bauten des Frank Gehry von einer so einprägsamen Kraft, dass eine Rückschau lohnt. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein, von Gehry entworfen und 1989 fertiggestellt, ist genau der richtige Ort dafür: Dieser relativ kleine Bau öffnete ihm den europäischen Markt. Die hier gezeigten großformatigen Modelle, Zeichnungen, Filme demonstrieren eindrücklich, wie viele Arbeitsschritte bis zum Wettbewerbsentwurf und später noch mal bis zum fertiggestellten Bau notwendig sind, wie hier - dekonstruktivistisch und infantil zugleich - mit Klötzchen gespielt wird, Strukturen zerlegt, Formen in- und gegeneinander geschoben werden, Signale des städtebaulichen Kontextes eingearbeitet, wieder verworfen, amalgamiert werden.

    Die Ausstellung geht vom 1997 eröffneten Guggenheim-Museum in Bilbao aus, das im Modell zunächst nur als Haufen von Kuben und Zylindern erscheint, und tastet sich über verschiedene Großprojekte weiter bis zum kurz vor der Vollendung stehenden Beekman Tower in New York mit seiner gefältelten, in sich gedrehten Fassade. Gehry ist Materialfanatiker: sind es beim Guggenheim heller Kalkstein und dunkles Titan, die die Gebäudeteile definieren, so sind es beim Bürokomplex für die "Interactive Corporation" in New York Keramikbeschichtungen, die das Gebäude tagsüber als opake Skulptur, nachts aber, illuminiert, fast durchlässig erscheinen lassen. Das beeindruckende Spiel mit dem Tageslicht macht nicht nur das Guggenheim, sondern auch die DZ Bank am Brandenburger Tor zur Bühne. Dieses nach außen eher unauffällige und mit offenen Gängen sehr kommunikative Gebäude ist aber nur Gehäuse für jene riesige, aus einem Pferdekopf-Modell entwickelte, protzige Metallbeule, die in einem Innenhof den zentralen Konferenzsaal birgt. Die Hirnschale des Unternehmens - hoffentlich.

    Gehrys Originalitätssucht wird auch an anderer Stelle deutlich: etwa an dem größenwahnsinnigen Entwurf für eine Ferienanlage in Singapur auf der Insel Sentosa. Organisch wuchernde, durchsichtige Formen, die mit der Funktion des Ganzen nichts zu tun haben, simulieren einen künstlichen Urwald aus Plastik - als müsse ein Hotel im Wald wie ein Wald aussehen.

    Dem stehen städtebaulich großartige Projekte gegenüber wie der Pritzker Pavillon in Chicago, eine Konzertbühne (mit hochgestülptem Zeltdach!) für das offene Gemeinwesen, oder der signalhafte neue Zollhof in Düsseldorf, der den Hafen immens aufwertet. Um Geld hat er sich nie gekümmert: Gehry baut teuer. Er hat auch selten aus einer sozialen Vorgabe eine konstruktive Idee entwickelt: Es ist immer ein skulpturaler Einfall, der ihn umtreibt. Manchmal ist man ja ganz froh, inmitten der städtebaulichen Normierung eines dieser tanzenden Gebäude zu entdecken, wo abstrakte oder organische Formen ausschwingen, den Bau ummanteln oder fragmentarisch gestapelt werden. Und manchmal sieht man auch, dass Gehry sich von so unterschiedlichen Figuren wie Frank Lloyd Wright und Giorgio Morandi inspirieren lässt. Insgesamt ist es aber so, dass diese Ausstellung, unbewusst, auch Gehrys Schwächen offenlegt, obwohl sie ihn doch feiern will. Also: die Art Gallery of Ontario ist nur gläserne Fassadenverkleidung, das Guggenheim ist eine Welle, die weiterwirken wird.

    Wie kompliziert und arbeitsintensiv es ist, Gehrys bisweilen spinnerte Spiralformen statisch zu berechnen und zu bauen, ist noch mal eine ganz andere Frage. Aber sei's drum: Der Mann ist 81, sein Spätwerk ist beeindruckend - wie die Walt Disney Concert Hall: innen absolut funktional, außen ein Segel in eine humanere Zukunft - ein Bau wie Streichquartett, eine musikalische Skulptur.