Remme: Am Ende sah Günther Oettinger wohl keinen anderen Ausweg. Unterschiedliche Formulierungen des Bedauerns über die Wirkung seiner Trauerrede für Hans Filbinger waren weitgehend wirkungslos geblieben. Nach einer Präsidiumssitzung der CDU gestern trat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg vor die Journalisten und sprach aus, was sich viele früher gewünscht hätten.
O-Ton Oettinger:
" Ich habe in der Bild-Zeitung in der heutigen Ausgabe mich entschuldigt. Dies war mir ernst und ist mir ernst und dies wiederhole ich hier erneut. Ansonsten halte ich meine Formulierung nicht aufrecht, sondern ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles gesagt worden ist."
Remme: Günther Oettinger. - Die CDU-Führung will nach diesen Worten einen Schlussstrich unter den Streit. Am Telefon begrüße ich Hans-Jochen Vogel, den ehemaligen Parteichef der SPD und Mitgründer des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Guten Morgen Herr Vogel!
Vogel: Guten Morgen Herr Remme!
Remme: Herr Vogel, die Dinge unnötig aufzublasen, das ist ein beliebter Vorwurf an die Medien dieser Tage. War auch die Aufregung um Günther Oettinger Ihrer Ansicht nach übertrieben?
Vogel: Nein! Das war nicht übertrieben, sondern das war notwendig, denn es geht ja wirklich um eine fundamentale Frage des Umgangs mit dem NS-Gewaltregime und der Art und Weise, wie wir uns daran erinnern. Deswegen war es gut, dass gerade die Medien sich der Sache angenommen haben. Aber ich muss mit großer Befriedigung feststellen, dass sogar in der Union selber sich dann die Stimmen erhoben haben. Insbesondere die Bundeskanzlerin hat ja frühzeitig ihre Meinung deutlich gemacht.
Remme: Ist sie ihrer Rolle gerecht geworden, denn es gibt ja unter anderem Kritik jetzt auch an ihr, sie habe es an Solidarität und vor allen Dingen in der Wortwahl fehlen lassen mit Blick auf Günther Oettinger?
Vogel: Diese Kritik, die offenbar aus Brandenburg von Herrn Schönbohm kommt, so weit ich das gehört habe, die kann ich nicht teilen. Ich finde auch die Wortwahl durchaus angemessen. Sicher: eine Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende wird sich nicht wegen jeder Streitfrage innerhalb der eigenen Reihen zu Wort melden. Aber hier wie ich schon sagte handelt es sich um eine essenzielle Frage und darum war es richtig, dass sie sich und wie sie sich geäußert hat.
Remme: Herr Vogel was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal von dieser Trauerrede hörten?
Vogel: Ich war außerordentlich überrascht und habe mir das zwei- dreimal angesehen mit der Formulierung, dass Filbinger ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei. Dabei fiel mir vor allen Dingen auch das Verhalten von Herrn Filbinger in der Zeit ein, in der die Auseinandersetzung dann im Jahre 1978 wohl um seine Rolle geführt wurde. Da hat sich mir ein Satz eingeprägt, der lautete "was in der damaligen Zeit", also in der NS-Zeit, "Recht war, kann heute nicht Unrecht sein". Das hat mich eigentlich mindestens so bedrückt wie seine Mitwirkung an der Hinrichtung des Matrosen Gröger, denn das ist eine Einstellung zum NS-Gewaltregime, die unter keinen Umständen gebilligt werden kann.
Remme: Herr Vogel, in Zusammenhang mit diesem Streit fiel in den letzten Tagen immer wieder der Name Philipp Jenninger. Sind diese beiden Fälle für Sie vergleichbar?
Vogel: Nein, die sind nicht vergleichbar. Im Falle Oettinger war es eine klare Aussage. Im Falle Jenninger war es eine erhebliche Ungeschicklichkeit, nämlich er hat Zitate verwendet, ohne erkennbar zu machen, dass er zitiert. Es erschien also - ich habe ja die Rede im Bundestag selber mit angehört -, als ob diese eher lobpreisenden Äußerungen seine eigene Meinung seien. Also das eine war eine Ungeschicklichkeit und das andere war ein Fehler, wobei ich allerdings auch konstatiere, dass Herr Oettinger diesen Fehler, wenn auch etwas mühsam, aber dann letzten Endes doch korrigiert hat und sich distanziert hat.
Remme: Nun hat er ja zuvor unterschiedliche Stufen des Bedauerns oder der Entschuldigung, der Distanzierung getestet. Wie glaubwürdig ist denn dadurch die Rücknahme seiner Äußerungen?
Vogel: Es wäre besser gewesen, wenn diese Rücknahme sogleich und ohne Zwischenstufen gekommen wäre, aber es ist jedenfalls besser, dass sie gekommen ist, als wenn er sich noch weiter in halben Erklärungen und in halben Deutungen erschöpft hätte.
Remme: Ist dieser Fall damit ausgestanden, Herr Vogel, oder glauben Sie der Ministerpräsident ist dauerhaft beschädigt?
Vogel: Dazu zwei Dinge. Ich glaube es ist ein Anlass gewesen, wieder einmal über unseren Umgang mit der Zeit des NS-Gewaltregimes nachzudenken. Gerade die von Ihnen erwähnte Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" tut das ja und will den Jüngeren vor Augen führen, wo es endet, wenn die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, wenn Grundprinzipien des mitmenschlichen Zusammenlebens missachtet werden und wenn einem Führer Allmacht und Allwissenheit zugebilligt wird. Wie notwendig dies ist, ist glaube ich jetzt einmal mehr deutlich geworden.
Was Herrn Oettinger selber angeht, da will ich mich nicht äußern. Zunächst muss er wohl selber mit dieser Situation fertig werden, die ja weiß Gott nicht einfach ist. Ob er seine Arbeit so leisten kann, wie man das von einem Ministerpräsidenten erwarten muss, das muss er selbst beurteilen. Die öffentliche Diskussion jedenfalls über seine Äußerung, die sollte jetzt ein Ende finden.
Remme: Ist er denn Ihrer Meinung nach ein Einzelbeispiel, oder glauben Sie dieser Fall ist ein Indiz für ein generell schwindendes geschichtliches Bewusstsein?
Vogel: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich würde ihn doch eher für einen Einzelfall halten. Wie sich der Fall entwickelt hat, dass sich die Parteivorsitzende geäußert hat, dass es eine breite Diskussion darüber gab und dass er sich schließlich distanziert hat, das spricht eher dagegen, dass es sich hier um eine breite Erscheinung handelt. Aber aufpassen und sensibel bleiben muss man jedenfalls.
Remme: Hans-Jochen Vogel, Mitgründer des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Herr Vogel, vielen Dank und einen schönen Tag!
Vogel: Danke Herr Remme, Ihnen auch!
O-Ton Oettinger:
" Ich habe in der Bild-Zeitung in der heutigen Ausgabe mich entschuldigt. Dies war mir ernst und ist mir ernst und dies wiederhole ich hier erneut. Ansonsten halte ich meine Formulierung nicht aufrecht, sondern ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles gesagt worden ist."
Remme: Günther Oettinger. - Die CDU-Führung will nach diesen Worten einen Schlussstrich unter den Streit. Am Telefon begrüße ich Hans-Jochen Vogel, den ehemaligen Parteichef der SPD und Mitgründer des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Guten Morgen Herr Vogel!
Vogel: Guten Morgen Herr Remme!
Remme: Herr Vogel, die Dinge unnötig aufzublasen, das ist ein beliebter Vorwurf an die Medien dieser Tage. War auch die Aufregung um Günther Oettinger Ihrer Ansicht nach übertrieben?
Vogel: Nein! Das war nicht übertrieben, sondern das war notwendig, denn es geht ja wirklich um eine fundamentale Frage des Umgangs mit dem NS-Gewaltregime und der Art und Weise, wie wir uns daran erinnern. Deswegen war es gut, dass gerade die Medien sich der Sache angenommen haben. Aber ich muss mit großer Befriedigung feststellen, dass sogar in der Union selber sich dann die Stimmen erhoben haben. Insbesondere die Bundeskanzlerin hat ja frühzeitig ihre Meinung deutlich gemacht.
Remme: Ist sie ihrer Rolle gerecht geworden, denn es gibt ja unter anderem Kritik jetzt auch an ihr, sie habe es an Solidarität und vor allen Dingen in der Wortwahl fehlen lassen mit Blick auf Günther Oettinger?
Vogel: Diese Kritik, die offenbar aus Brandenburg von Herrn Schönbohm kommt, so weit ich das gehört habe, die kann ich nicht teilen. Ich finde auch die Wortwahl durchaus angemessen. Sicher: eine Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende wird sich nicht wegen jeder Streitfrage innerhalb der eigenen Reihen zu Wort melden. Aber hier wie ich schon sagte handelt es sich um eine essenzielle Frage und darum war es richtig, dass sie sich und wie sie sich geäußert hat.
Remme: Herr Vogel was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal von dieser Trauerrede hörten?
Vogel: Ich war außerordentlich überrascht und habe mir das zwei- dreimal angesehen mit der Formulierung, dass Filbinger ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei. Dabei fiel mir vor allen Dingen auch das Verhalten von Herrn Filbinger in der Zeit ein, in der die Auseinandersetzung dann im Jahre 1978 wohl um seine Rolle geführt wurde. Da hat sich mir ein Satz eingeprägt, der lautete "was in der damaligen Zeit", also in der NS-Zeit, "Recht war, kann heute nicht Unrecht sein". Das hat mich eigentlich mindestens so bedrückt wie seine Mitwirkung an der Hinrichtung des Matrosen Gröger, denn das ist eine Einstellung zum NS-Gewaltregime, die unter keinen Umständen gebilligt werden kann.
Remme: Herr Vogel, in Zusammenhang mit diesem Streit fiel in den letzten Tagen immer wieder der Name Philipp Jenninger. Sind diese beiden Fälle für Sie vergleichbar?
Vogel: Nein, die sind nicht vergleichbar. Im Falle Oettinger war es eine klare Aussage. Im Falle Jenninger war es eine erhebliche Ungeschicklichkeit, nämlich er hat Zitate verwendet, ohne erkennbar zu machen, dass er zitiert. Es erschien also - ich habe ja die Rede im Bundestag selber mit angehört -, als ob diese eher lobpreisenden Äußerungen seine eigene Meinung seien. Also das eine war eine Ungeschicklichkeit und das andere war ein Fehler, wobei ich allerdings auch konstatiere, dass Herr Oettinger diesen Fehler, wenn auch etwas mühsam, aber dann letzten Endes doch korrigiert hat und sich distanziert hat.
Remme: Nun hat er ja zuvor unterschiedliche Stufen des Bedauerns oder der Entschuldigung, der Distanzierung getestet. Wie glaubwürdig ist denn dadurch die Rücknahme seiner Äußerungen?
Vogel: Es wäre besser gewesen, wenn diese Rücknahme sogleich und ohne Zwischenstufen gekommen wäre, aber es ist jedenfalls besser, dass sie gekommen ist, als wenn er sich noch weiter in halben Erklärungen und in halben Deutungen erschöpft hätte.
Remme: Ist dieser Fall damit ausgestanden, Herr Vogel, oder glauben Sie der Ministerpräsident ist dauerhaft beschädigt?
Vogel: Dazu zwei Dinge. Ich glaube es ist ein Anlass gewesen, wieder einmal über unseren Umgang mit der Zeit des NS-Gewaltregimes nachzudenken. Gerade die von Ihnen erwähnte Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" tut das ja und will den Jüngeren vor Augen führen, wo es endet, wenn die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, wenn Grundprinzipien des mitmenschlichen Zusammenlebens missachtet werden und wenn einem Führer Allmacht und Allwissenheit zugebilligt wird. Wie notwendig dies ist, ist glaube ich jetzt einmal mehr deutlich geworden.
Was Herrn Oettinger selber angeht, da will ich mich nicht äußern. Zunächst muss er wohl selber mit dieser Situation fertig werden, die ja weiß Gott nicht einfach ist. Ob er seine Arbeit so leisten kann, wie man das von einem Ministerpräsidenten erwarten muss, das muss er selbst beurteilen. Die öffentliche Diskussion jedenfalls über seine Äußerung, die sollte jetzt ein Ende finden.
Remme: Ist er denn Ihrer Meinung nach ein Einzelbeispiel, oder glauben Sie dieser Fall ist ein Indiz für ein generell schwindendes geschichtliches Bewusstsein?
Vogel: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich würde ihn doch eher für einen Einzelfall halten. Wie sich der Fall entwickelt hat, dass sich die Parteivorsitzende geäußert hat, dass es eine breite Diskussion darüber gab und dass er sich schließlich distanziert hat, das spricht eher dagegen, dass es sich hier um eine breite Erscheinung handelt. Aber aufpassen und sensibel bleiben muss man jedenfalls.
Remme: Hans-Jochen Vogel, Mitgründer des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Herr Vogel, vielen Dank und einen schönen Tag!
Vogel: Danke Herr Remme, Ihnen auch!