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Aufregung um Notgrabung

Nicht selten werden auf Baustellen Überreste von Gräbern, Brunnen oder ganze Siedlungen entdeckt. Dann werden Archäologen gerufen. Sogenannte Rettungsgrabungen sind ein besonders gutes Betätigungsfeld für Studierende und in den Beruf einsteigende Archäologen.

    Ein Beitrag von Axel Köhn

    Die Dresdner Frauenkirche ist noch nicht fertig wiederaufgebaut. Aber ihre Glocken läuten schon. Direkt daneben arbeiten die Archäologen – auf einer Grabungsstelle so groß wie ein halbes Fußballfeld. Mit verschiedenen Werkzeugen kratzen sie Erde von alten Mauern. Bei größeren Flächen nehmen sie einen Bagger. Dresdens mittelalterliche Stadtbefestigung kommt nach und nach ans Tageslicht. Die Archäologen hatten schon vor der Grabung ungefähre Vorstellungen. Aber sie ahnten nicht, dass die alte Zwingermauer, ein Befestigungsturm und die Frauentorbrücke noch so gut erhalten sind. Grabungsleiter Jens Beutmann: 36

    Was wir hier jetzt vor uns haben, ist zum Beispiel der Turm der sogenannten Zwingermauer. Das ist praktisch die vordere, jüngere Stadtmauer. Dresden hatte im 15. Jahrhundert zwei Stadtmauerringe voreinander. Der vordere, den haben wir jetzt freigelegt. Und den Turm, ungefähr 4 Meter hoch erhalten, den sieht man jetzt in der Fläche, wenn man von außen reinguckt sehr schön.

    Die wertvollen Funde ließen den Dresdner Stadtrat allerdings kalt. Der entschied vor einem Monat: die Kulturdenkmäler aus dem Mittelalter sollen einer Tiefgarage weichen. Dabei habe kaum ein Stadtrat vor dem Beschluss die Grabungsstätte besucht, berichten lokale Medien. Eine rein politische Entscheidung: Denn müsste der Investor die Steinmassen in seine Tiefgarage einbeziehen, könnte er von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen – das gesamte Projekt mit einer Investitionssumme von 380 Millionen Mark – mit einem Hotel und Geschäften – könnte scheitern. Das Landesamt für Archäologie ist mit dem Stadtratsbeschluss nicht einverstanden. Deshalb muss nun das Regierungspräsidium endgültig entscheiden. 29

    Da geht es um die Frage, welche Teile der mittelalterlichen Stadtbefestigung erhalten werden können oder erhalten werden müssen. Möglicherweise im Rahmen der Tiefgarage, die hier entstehen soll oder auch anderweitig. Darüber ist noch zu entscheiden. Ein Kompromiss sieht vor, einige Mauern und die wenigen Reste des ehemaligen Frauentores zu erhalten. Die Frauentorbrücke und die Befestigungsanlage davor würden zum Abriss freigegeben.

    Die Archäologen graben vorerst weiter. Zöge sich der Investor zurück, würde auch das Geld für die Fortsetzung der Grabungen fehlen. Und dabei bieten Rettungsgrabungen, wie die vor der Frauenkirche, beinahe traumhafte Bedingungen – auch für Studierende. Das Sächsische Landesamt für Archäologie stellt dafür studentische Hilfskräfte ein, die für Ihren Job sogar bezahlt werden. Auch Magister- und Doktorarbeiten werden betreut. Gabriela Manschus schreibt gerade ihre Magisterarbeit. Studiert hat sie Prähistorische Archäologie zunächst an der Humboldt- und dann an der Freien Universität Berlin. 34

    Der Vorteil beim Landesamt diese Magisterarbeit zu schreiben ist, dass man finanziell unterstützt wird. Dass man gute Rahmengedingungen geboten kriegt. Ich kann die Bibliothek nutzen, habe eine Zeichnerin zugeteilt bekommen, die Befunde für mich zeichnet und schon vorhandene Zeichnungen korrigiert. 0.55 7) Es passiert einem als Student selten, dass man solche Rahmenbedingungen geboten kriegt, für gewöhnlich zeichnet man seine Funde selbst.

    Die Magisterarbeit wird im Anschluss in einem Buch des Landesamtes für Archäologie veröffentlicht. Damit hat Gabriela Manschus direkt nach dem Studium ihre erste Publikation in der Hand. An rund 100 verschiedenen Orten werden allein in Sachsen Rettungsgrabungen durchgeführt. Dabei kommen immer mehr spektakuläre Zeitzeugnisse zum Vorschein – wie jetzt in Dresden. Wer da mit dabei sein möchte, ist willkommen. Allerdings werden die Studierenden in ein Umfeld gestoßen, in dem Termine wichtig sind und Ergebnisse zählen - sagt Louis Nebelsick vom Landesamt für Archäologie. 31

    Im Landesamt legen wir sehr viel Wert auf junge Absolventen, die hier her kommen und was werden wollen. Die müssen sich Bedingungen stellen, die müssen wirklich einen Zeitrahmen finden, wo sie etwas tun wollen. Das muss abgestimmt werden und in dieser Zeit kriegen sie maximale Unterstützung. 0.40 15) 1.27 Und man kann Ausgraben. Das hat damit zu tun, dass wir keine Grabungsfirmen haben. Wir stellen ein in Werkverträge für die Zeit einer Ausgrabung. Und in dieser Zeit kann ein junger Absolvent eine erste Grabung machen, das publikationsfertig aufarbeiten und publizieren, wenn es gut ist.

    Wer noch keine Grabungserfahrung hat, für den sind Rettungsgrabungen ein guter Einstieg. Flächen putzen, schaufeln, kratzen und ein Gefühl für Erdschichten bekommen – das sind die ersten Schritte. Später darf man dann auch zeichnen, beschreiben und unter Umständen auch einen sogenannten Teilschnitt leiten. Rettungsgrabungen bieten gute Chancen, in den Beruf hineinzuwachsen, so Grabungsleiter Jens Beutmann: 22

    Man darf nicht vergessen, Archäologie zerstört immer die Befunde und die Strukturen. Wir dokumentieren es zwar, aber wir zerstören es. Und da ist natürlich eine Tendenz da zu sagen, wir sollten das ausgraben, was ohnehin gefährdet ist, und nicht unbedingt Forschungsgrabung machen. Die meisten Studenten werden ihre Grabungsjobs sicher auf Rettungsgrabungen haben.