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Aufruhr und Unsicherheit

Die dänische Regisseurin Susanne Bier hat schon viele Genres mit Erfolg ausprobiert. Für ihren neuen Film "In einer besseren" Welt" hat sie bereits den Oscar für den besten ausländischen Film bekommen.

Von Josef Schnelle |
    Die großen Ereignisse der Welt wirken auch ins Familienmelodram hinein. Die dänische Oscarpreisträgerin Susanne Bier hat das zu ihrem Markenzeichen gemacht. Das Große spiegelt sich oft im Kleinen. So kann eine Auseinandersetzung auf dem Schulhof plötzlich zum Modell für die großen Auseinandersetzungen der Weltpolitik werden.

    Vater: "Schlägst du ihn, schlägt er dich. Und es hört nie auf. Kapierst du nicht? So fängt Krieg an." Sohn: "Nicht wenn man beim ersten Mal hart genug zurückschlägt. Du weißt eben nicht wie´s läuft. So ist´s an allen Schulen. Jetzt wird sich keiner mehr trauen, mich anzurühren."

    Anton ist Arzt und hat mitbekommen, dass sein Sohn Elias einen notorischen Mobber der Schulklasse von seinem Freund Christian brutal hat zusammen schlagen lassen . Die Rache - so müsste man den dänischen Originaltitel übersetzten, statt mit dem deutschen Filmtitel "In einer besseren Welt" gründlich in die Irre zu führen. Anton will sich jedoch durchaus für eine bessere Welt einsetzen und behandelt in einem provisorischen Camp irgendwo in Afrika als ehrenamtlicher Helfer aufopfernd Verletzte und Erkrankte im dortigen Bürgerkrieg.

    Anton: "Das wird wieder. Das reicht für vier Wochen. Das muss sie jetzt vier Wochen lang nehmen. Auch wenn die Schmerzen aufhören. Sie soll es unbedingt weiter nehmen. Vier Wochen." Stimme: "Ihr habt noch zehn Minuten Leute. Zehn Minuten, danke."

    Nach wochenlangem Einsatz im Krisengebiet muss er sich wieder den häuslichen Problemen in der dänischen Provinz stellen. Seine Ehe ist nach einem Seitensprung seinerseits in eine tiefe Krise geraten und sein Sohn Elias ein zurückgezogener grübelnder Einzelgänger geworden, der seinen neuen - gewalttätigen Aktionen gegenüber nicht abgeneigten - Freund Christian bewundert und seinen Vater immer häufiger und heftiger kritisiert.

    Anton: "Hör auf so einen Quatsch zu reden." Sohn: "Das ist kein Quatsch."
    Anton:"Das ist absoluter Blödsinn. Bist du deswegen sauer auf mich?" - Anton: "Bist du deswegen sauer auf mich?." - Sohn: "Ich bin nicht sauer auf dich. Du bist nur ein großer Lügner. Mama hats gewusst. Jeder weiß, dass du lügst


    Susanne Bier versteht das Kino als moralische Anstalt. In ihren Filmen verhandelt sie ganz konsequent Fragen der Ethik. Kann man sich des Bösen nur mit Gewalt erwehren oder wird man dann selber schuldig? Muss man die andere Wange hinhalten oder stärkt das nur diejenigen, die die Welt wieder in einen gewaltbeherrschten Urzustand versetzen wollen? Kann aus Rachegedanken auch Gutes erwachsen? Diese Fragen stellen sich für Hauptfigur Anton in Dänemark, wo er um die Seele seines Sohnes kämpft ebenso wie in Afrika, wo ihm eines Tages der Warlord "Big Man" als Patient präsentiert wird. Dessen grausige Spezialität ist es gewesen, schwangeren Frauen den Bauch aufzuschneiden, um "nachzuschauen" ob sie einen Jungen oder ein Mädchen in sich tragen. Anton hat Opfer dieses brutalen Rituals immer wieder behandeln müssen. Nun ist der Täter in seinen Händen. Und ein moralisches Urteil ist gefordert. Rache oder Nächstenliebe? Anton wird von seiner Entscheidung, die seine scheinbar so sehr gefestigten ethischen Maßstäbe auf die Probe stellt, sonderbar überrascht sein. Derweil kämpft Sohn Elias einen ähnlichen Gewissenskonflikt aus. Beide Geschichten stehen sich in einer Art Spiegelung gegenüber. Die große Kunst der Filmregisseurin Susanne Bier besteht darin, auf überzeugende Weise zu zeigen, dass keiner der Konflikte wichtiger ist als der andere. Immer wieder stehen die Menschen - im Großen wie im Kleinen - vor den gleichen Grundsatzfragen, auf die keine politischen Ideologien, sondern nur das ganz individuelle Gewissen eine Antwort geben kann. Zerbrechlich sind die moralischen Vorsätze. Kalt umweht der Abendhauch des vorhersehbaren Versagens die Figuren dieses Films.

    Falsch wäre es jedoch, Susanne Biers Film nur an seiner Aussage zu messen. Ihr Film ist nämlich ebenso wahr und echt wie voller Zwischentöne bis hin zur Poesie des Märchens von Hans Christian Andersen vom Kaiser und der Nachtigall, dass einer der Jungs in der Schule vorträgt. Das plötzlich einen tieferen Doppelsinn bekommt.

    Junge: "Du hast mich belohnt, sagte die Nachtigall. Ich habe deinen Augen Tränen entlockt als ich das erste Mal sang. Das vergesse ich nie. Das sind die Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen. Aber schlafe nun und werde stark. Ich werde dir vorsingen. Sie sang und der Kaiser fiel in süßen Schlummer."