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Aufschwung in Ruanda inmitten zahlreicher Krisen

Ruanda erholt sich nach Ansicht von Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation "Grünhelme", langsam vom Trauma des Völkermords. Obwohl die Europäische Gemeinschaft und die internationale Staatengemeinschaft das Land in der Krise 1994 fast vollständig im Stich gelassen habe, sei ein neues Vertrauensverhältnis entstanden, so Neudeck.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Von der Entwicklung der Finanzkrise betroffen sind auch arme Regionen in Afrika, und zwar nicht nur wegen möglicherweise ausbleibender Entwicklungshilfe, sondern auch wegen der Absatzmärkte für ihre Produkte oder wegen ausbleibender Investitionen. Besser dran sind da Länder, die versuchen, aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen - zum Beispiel Ruanda. Hilfe zur Selbsthilfe leisten in diesem Sinne die Grünhelme, indem sie mit Einheimischen Ausbildungszentren und Schulen aufbauen. Gestern erst wurde wieder ein solches Zentrum eröffnet. Das Land scheint wieder nach vorne zu blicken. Am Satellitentelefon ist der Chef der Grünhelme, Rupert Neudeck. Guten Morgen, Herr Neudeck.

    Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Neudeck, erholt sich Ruanda langsam von dem Trauma des Völkermords? Geht es wieder aufwärts?

    Neudeck: Ja. Man muss sagen, eigentlich sehr erstaunlich, wie es hier weitergeht, denn wir haben hier eine Regierung, die an jedem Tag wieder erkennbar werden lässt für die Bevölkerung, dass es ihr um die Erhöhung des wirtschaftlichen Outputs geht, dass es hier darum geht, die Ausbildung so flächendeckend zu machen, dass 90 bis 100 Prozent der Ruander auf die Schule gehen, auch auf weiterbildende Schulen. Jetzt kommt noch ein ganz großer Push dazu, weil das Land unbedingt die Berufsausbildung haben will - Elektroingenieure, Bauingenieure, Solaringenieure. Wir haben hier eine Entwicklung, die eigentlich im afrikanischen Maßstab exzeptionell und außerordentlich ist, wenn man die Nachbarländer hier hineinbezieht.

    Liminski: Wie kann denn ein Aufschwung gelingen, apropos Nachbarländer, in einem Umfeld, das von Bürgerkrieg wie im Kongo oder AIDS und Diktaturen bestimmt ist?

    Neudeck: Es kann nur noch gelingen, indem dieses Land zum Beispiel mit Tansania, das den Hafen Daressalam hat, ganz gute und feste stabile Beziehungen hat. Alles darum herum - das müssten die Hörer in Deutschland wissen - ist ja durch wirkliche latente Bürgerkriege, durch chronische Krisen gekennzeichnet. Das fängt hier an an der Grenze des Landes zum Kongo, wo wieder große Unruhen sind, weil die Rebellenarmeen, die aus Ruanda gekommen sind, dort wieder für Unruhe sorgen. Wir haben in Kenia einen Zusammenbruch des Staates gehabt, der mühselig geflickt werden konnte, was auf Ruanda ganz große Auswirkungen hat, weil diese Länder, diese sogenannten landlocked Länder, diese eingeschlossenen Länder, die keine Häfen haben, waren natürlich [darauf] angewiesen. Mombasa war ein ganz großer wirtschaftlicher Trumpf für die gesamte Region. Das fällt flach. Also es ist sehr, sehr schwierig für dieses Land, und es ist deshalb mehr und mehr angewiesen auf eine uninteressierte Freundschaft und Partnerschaft zu Ländern in Europa, und ich glaube, dieses Land Ruanda will ganz besondere Beziehungen haben zu Deutschland und zu der Europäischen Union.

    Liminski: Gibt es die denn, diese besonderen Beziehungen?

    Neudeck: Ich glaube, dass sich hier etwas entwickelt hat, was vielleicht mit der schönsten und besten Ressource zusammenhängt, die nicht im Boden liegt, sondern was man Vertrauen nennen kann, was umso erstaunlicher ist, als die Europäische Gemeinschaft und die internationale Staatengemeinschaft 1994 dieses Land fast vollständig im Stich gelassen haben und den Völkermord haben passieren lassen. Aber es entwickelt sich über Regierung und Bevölkerung hier ein neues Gefühl, dass man den Europäern vertrauen kann und dass man sie auch bitten kann, hier ein bisschen Unterstützung zu leisten. Wir haben diese Eröffnung des Berufsschulzentrums deshalb mit großer Freude wahrgenommen, weil der Präsident extra gekommen war, Paul Kagame. Und wir hatten auch ein Grußwort der deutschen Bundeskanzlerin hier zu der Eröffnung des Nelson-Mandela-Berufsschulzentrums, des ersten, was mit einem Curriculum ausgestattet ist, was dem deutschen Curriculum, also dem deutschen Standard ein wenig gleich kommt.

    Liminski: Ruanda hat Soldaten im Sudan, in Darfur stationiert. Gibt es eine Außenpolitik Kigalis? Wie steht man zu den Diktaturen in der Nachbarschaft, in Simbabwe oder im Sudan?

    Neudeck: Auch darin ist die Regierung in der Weise vorbildlich, als sie sich internationalen Standards versucht anzuschließen. Hier ist vor zwei Jahren das Gesetz durchgekommen, nach dem die Todesstrafe abgeschafft worden ist. Man hat hier eine ganz eindeutige Position zu der furchtbaren, das Land zerstörenden, das Land Simbabwe total zerstörenden Politik von Robert Mugabe in Simbabwe. Man hat eine eindeutig positive Stellungnahme zu der Verurteilung, also zu dem Haftbefehl gegen den Präsidenten des Sudan Omar al-Bashir, der ja nach Den Haag kommen soll und dort hingebracht werden soll. Man hat eigentlich einen sehr klaren und unmissverständlichen Anschluss an das, was die Europäer und die westliche Staatengemeinschaft schon in ihren Beschlüssen vorgesehen hat. Also von daher kann die internationale Gemeinschaft mit diesem Land rechnen. Es ist auch das erste Land, das disziplinierte, gut versorgte und militärisch gut ausgebildete Truppen nach Darfur gesandt hat, in der ersten Blauhelm-Mission, die die Afrikanische Union ausgeschrieben hat. Also dieses Land versucht, sich international einzubinden und die Standards der internationalen Gemeinschaft zu erreichen.

    Liminski: Immer wieder hört und liest man, Herr Neudeck, vom Engagement Chinas in Afrika. Sehen Sie das auch in Ruanda?

    Neudeck: Das Engagement Chinas sieht man in jedem Land Afrikas, das ich in letzter Zeit besucht habe. Das ist ein erstaunliches Phänomen, das wir Europäer nicht nur nicht mit großer Kritik abwehren sollten, sondern wir sollten daraus lernen. Dieses Land, dieses große Land China ist dabei, die Wirtschaft dieser Länder total umzustülpen und auch hier wirtschaftliche Kriterien, wirtschaftliche Investitionen von Seiten der privaten chinesischen Industrie geltend zu machen. Also wir haben hier einen Konkurrenten. Europa hat immer gemeint, Afrika gehört Europa. Wir wissen jetzt, dass China hier ein Konkurrent ist, nicht ein Partner, sondern ein Konkurrent, der uns Beine machen soll. Das Ganze hängt damit zusammen, dass wir in Ruanda zum Beispiel nur noch Produkte aus der chinesischen Industrie bekommen, die aber ein Manko haben - und das wissen die Afrikaner bisher noch nicht, weil sie keine Vergleichsmöglichkeiten haben: Die Produkte Chinas auf dem afrikanischen Markt sind miserabel gegenüber allem, was aus Europa kommt. Die haben hier Schrott im Grunde, und deshalb muss man das wirklich auch mit großer Skepsis sehen.