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Aufstiegsmöglichkeit aus der Provinz

Statt nur auf in der Bundesliga ausgebildete Deutsch-Türken zu setzen, investieren vor allem die großen türkischen Vereine mehr und mehr in die eigene Jugend. Vorbild ist Nachwuchsarbeit deutscher Profivereine. Doch es geht langsam voran.

Von Steffen Wurzel |
    Mittwochabend, kurz nach halb sechs auf einem Trainingsplatz des Istanbuler Fußballvereins Besiktas. Mehrere Jugendmannschaften des Traditionsclubs üben Torschüsse, machen kurze Sprints an der Seitenauslinie oder spielen sich Bälle zu. In einer Ecke des Platzes beendet gerade eine U16-Mannschaft ihr Training mit einer Dehnübung. Der Coach hält eine kurze Absprache. Einer der Zuhörenden ist der 16-jährige Spieler Fırat:

    "Die Schule ist wichtig, sagt der Trainer. Das wird uns hier immer wieder eingetrichtert. Weil: Es ist ja nicht sicher, dass wir irgendwann mal Profi-Fußballer werden. Das sollen wir immer im Kopf behalten."

    Am Rand des Trainingsfelds steht Fahrettin Eldek. Er ist bei Besiktas zuständig für die Nachwuchsarbeit. Es gebe viele große Fußball-Talente in der Türkei, betont er. Und gerade deswegen sei es besonders wichtig, den Kids zu sagen: Seit bescheiden, bleibt auf dem Boden!

    "Viele Familien in der türkischen Provinz sehen im Fußball-Talent ihrer Kinder eine Möglichkeit, sich aus finanzieller Not zu befreien. Das kann für die Kids auch schlecht sein. Und zwar dann, wenn die Kids und ihre Familien den Fußball nur als finanziellen Rettungsanker begreifen. Dann besteht die Gefahr, dass die jungen Talente die Schule vernachlässigen oder sie sogar ganz aufgeben."
    Eine Jugendarbeit, bei der das Wohlbefinden der Spieler und der langfristige Erfolg im Vordergrund stehen, das ist im türkischen Fußball relativ neu. Noch bis vor wenigen Jahren beschränkte sich die Nachwuchsförderung oft darauf, möglichst schnell einzelne Stars aufzubauen. Oder türkischstämmige Spieler - zum Beispiel aus Deutschland - in die Türkei "zurückzuholen". In den vergangenen Jahren hat sich allerdings einiges getan. Statt nur auf in der Bundesliga ausgebildete Deutsch-Türken zu setzen, investieren vor allem die großen türkischen Vereine mehr und mehr in die eigene Jugend. Vorbild ist Nachwuchsarbeit deutscher Profivereine. Doch es geht langsam voran. Selbst bei Besiktas Istanbul, einem der reichsten Vereine der Türkei, teilen sich mehrere Jugendmannschaften einen Trainingsplatz - und selbst der ist weit von deutschen Standards entfernt. Das sagt zumindest der 15-jährige Emircan. Vergangenes Jahr hat er bei zwei Jugend-Turnieren in Düsseldorf und Nürnberg gespielt:

    "In Deutschland spielen die Newcomer auf richtigen Rasenplätzen. Wir haben hier nur Kunstrasen. Das erhöht die Verletzungsgefahr. Insgesamt haben die Kids in Deutschland eine bessere Trainingsumgebung."

    In den nächsten Monaten will Besiktas den Trainingsplatz komplett sanieren und aufmöbeln. Die improvisierten Container-Umkleidekabinen sollen verschwinden, stattdessen ist ein neues Clubhaus geplant, mit moderner Trainingsausstattung wie etwa Schulungsräumen. Für Fahrettin Eldek von Beşiktaş Istanbul ist das allerdings nur ein erster Schritt. Überall in der Türkei müssten Vereine Geld in die Jugendarbeit investieren, nicht nur in der Metropole Istanbul.

    "Wenn man von Nachwuchsarbeit spricht, wird oft nur an die drei großen Vereine in Istanbul gedacht: an Besiktas, Galatasaray oder Fenerbahce. Und tatsächlich: Dort läuft es gut. Aber leider haben vor allem die Clubs in der türkischen Provinz nicht die gleichen Möglichkeiten wie wir. Wenn es uns gelingt, das Niveau der kleinen Vereine auf das der großen anzuheben, dann wird es mit dem türkischen Fußball weiter voran gehen."