Er verkörpert exakt jene politische Vision," hieß es da, "für die Großbritannien seit Jahrzehnten in Europa kämpft". Mehr Freihandel und mehr Offenheit gegenüber der Globalisierung, weniger Arbeitsvorschriften, weniger Steuern und weniger Sozialpolitik.
Der Artikel erschien einen Tag nach den Ausfällen des italienischen Regierungschefs im Europaparlament. Geschrieben wurde er sicherlich schon davor. Denn nach dem Nazi-Vergleich will vorerst niemand mehr an der Seite Berlusconis gesehen werden - auch wenn sich der Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, um Schadensbegrenzung bemüht:
Er hat uns alle vom Weg abgebracht. Wir hatten genaue Vorstellungen von der italienischen Ratspräsidentschaft, aber leider, und das trifft uns alle, lesen wir darüber zur Zeit kein Wort in den Zeitungen. Ich meine, wir sollten nicht zulassen, daß aus den Problemen der letzten Woche eine Krise wird. Wir müssen zusammen die Weisheit und die Klarheit finden, die Gelegenheit zu ergreifen und das Problem zu beseitigen. Dadurch werden wir auch das Risiko einer Krise beseitigen.
Doch so einfach wird das nicht sein. Dabei ist die europapolitische Grundhaltung Silvio Berlusconis dieselbe wie vor dem Skandal. Der italienische Regierungschef möchte in der Tat ein anderes Europa, eines, das den britischen Vorstellungen näher ist als den bisher dominierenden deutsch-französischen. Deshalb glauben manche in Brüssel sogar, dass der italienische Regierungschef sehr genau wusste, was er da sagte, als er den deutschen Sozialdemokraten mit einem KZ-Aufseher verglich. Dass es gar kein Ausrutscher war, sondern ein gezielter Stich gegen Deutschland, vor allem gegen das deutsch-französisch geprägte Europa. Bis heute hat sich Berlusconi hartnäckig geweigert, das Wort Entschuldigung auch nur in den Mund zu nehmen. Das Gift des Nazi-Vergleiches soll ruhig noch etwas wirken.
Doch Berlusconi ist nicht Chef irgendeines Landes, jemand, den man weiterhin ignorieren könnte. Er ist für ein halbes Jahr Präsident der Europäischen Union. Seit Tagen müht sich eine ganze Reihe von Politikern und Diplomaten, ihm eine Entschuldigung zu entlocken, um endlich zur Tagesordnung übergehen zu können. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einer Telefonunterhaltung mit dem Italienischen Premierminister verbreiten ließ, die Sache sei nun vom Tisch, wurde er umgehend von Berlusconi bloßgestellt. Er habe sich nicht entschuldigt, ließ der aus Rom bestellen.
Der Präsident des Europaparlaments musste in seiner Not schließlich eine schriftlich vorgefertigte Erklärung verlesen. Diese Erklärung, die Cox gemeinsam mit Berlusconi aufsetzte, ist ein erschütterndes Dokument der Arroganz auf der einen und der Unterwürfigkeit auf der anderen Seite:
In einem Telefongespräch zwischen mir und Herrn Silvio Berlusconi in seiner Funktion als amtierender EU-Ratspräsident hat er sein Bedauern darüber ausgedrückt, daß er im Verlauf einer lebhaften Debatte über die italienische Präsidentschaft am 2. Juli in Straßburg bestimmte Ausdrücke und Vergleiche benutzt hat, die das Empfinden der Parlamentarier verletzt haben. Herr Berlusconi fügte hinzu, es könne sein, daß seine Absichten mißverstanden wurden, er habe aber in keiner Weise beabsichtigt, jemanden zu verletzten. Ohne Rücksicht auf seine persönlichen Gefühle drückte Herr Berlusconi in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident die Hoffnung aus, nun fortzuschreiten und gemeinsam mit dem Europäischen Parlament im Rahmen des Programmes der italienischen Ratspräsidentschaft zu arbeiten. Herr Berlusconi drückte mir gegenüber seinen Respekt aus für das europäische Parlament als den Ort der demokratischen Legitimierung der Europäischen Union und seinen Wunsch, das Parlament mit seinen entsandten Vertretern als vollwertigen Partner bei der Regierungskonferenz zu sehen. Ich wiederum wiederholte meinen Glückwunsch, Italien möge eine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft erleben.
Die Hilflosigkeit, mit der die Europäische Union den Launen des italienischen Ministerpräsidenten ausgeliefert ist, diese Hilflosigkeit hat viel mit Berlusconis Medienmacht zu tun. Denn offensichtlich muss der italienische Ministerpräsident nicht fürchten, daß die Kritik aus der EU seine Wähler zuhause verschreckt. Außer ein paar politisch Interessierten habe sich in Italien niemand aufgeregt, meint der Philosoph und Europaabgeordnete Gianni Vattimo:
Ich glaube, dass in Italien diese Aussagen Berlusconis, also der Skandal im Europäischen Parlament, nur wenig bekannt sind. Nur wenige Italiener lesen regelmäßig die Zeitung, die Mehrheit schaut Fernsehen. Das Fernsehen ist komplett in Berlusconis Hand, bei den Zeitungen gibt es zumindest noch einige, die unabhängig berichten. Aber wenn die Leute kaum Zeitung lesen, und dann auch noch ein Teil der Zeitungen zu Berlusconis Konzern gehört, dann kommt eben so etwas dabei heraus. In Italien haben zum Einen nur wenige den Eindruck gehabt, dass das ein riesiger Skandal war, der sich da im Europäischen Parlament abgespielt hat, und zum anderen: Berlusconi mit seiner Art, sich wie ein Conferencier, ein Erzähler zu gerieren, hat schließlich damit in Italien Erfolg. Er redet doch so, wie man das in den Bars der Vorstädte tut!
Der Europaabgeordnete Gianni Vattimo ist überzeugt, dass Berlusconis Ausrutscher nichts mit Deutschland zu tun hatte. Dass der stellvertretende Tourismusminister Stefano Stefani von der Lega Nord diese Woche weiter nachlegte, sei lediglich ein Beleg für dessen Dummheit. 10 Millionen "supernationalistische blonde Deutsche" würden jedes Jahr über Italien herfallen, hatte Stefani gewettert, "besoffen von aufgeblasener Selbstgerechtigkeit." Als Rechtfertigung fiel Staatssekretär Stefani später nur ein, er habe schließlich nicht alle Deutschen beleidigt. Deshalb gäbe es auch nichts zu entschuldigen.
Vermutlich überschätzt man das taktische Geschick der Berlusconi-Regierung, wenn man hinter den antideutschen Ausfällen einen Plan sucht. Hat Berlusconi nicht vor einigen Monaten aus heiterem Himmel Finnland attackiert, nur weil sich Helsinki um das neu zu schaffende europäische Lebensmittelinstitut bemühte? Die Finnen hätten doch keine Ahnung von gutem Essen, giftete Berlusconi: Das Institut müsse nach Parma, wo der beste Schinken der Welt hergestellt werde, und sonst nirgendwo hin. Mit der französischen Regierung lag Berlusconi auch schon im Streit wegen irgendwelcher Kleinigkeiten, an die sich niemand mehr erinnert. Den holländischen und den luxemburgischen Premierminister brüllte er zusammen, weil sie es wagten, ihn auf die europäischen Spielregeln aufmerksam zu machen. Gegen alle Verträge wollte Berlusconi höhere Milchquoten für seine Bauern erpressen.
Der gelernte Conferencier Berlusconi macht im Grunde auf der europäischen Bühne nichts anderes als zuhause in Italien: Er sagt, was er denkt, auch dann, wenn seine Gedanken nicht stubenrein sind.
Als Regierungschef muss ich mich um das Wohl aller Italiener kümmern, also auch um mein eigenes.
Originalzitat Berlusconi. Deshalb kann auch niemand behaupten, er wisse nicht, was Berlusconi will. Politik ist für ihn Selbstbedienung, Richter, die ihn daran hindern wollen, diffamiert er als Kommunisten. Parlamentarier, die ihm widersprechen, versucht er lächerlich zu machen. Der Europaabgeordnete Martin Schulz ist der vorerst letzte in dieser Reihe, nicht der erste. Wir bekommen jetzt in Europa einen kleinen Eindruck davon, was Italien schon die ganze Zeit in viel größerer Dimension erlebt, meint der österreichische Grüne Johannes Voggenhuber:
Er hat uns einmal einen Geschmack davon gegeben, wie man denn als italienischer Richter zum Staatsgegner wird, nämlich durch einfache Deklaration des Angeklagten, so wie ein Kritiker im Parlament einfach zum Konzentrationslageraufseher wird. Das sind schon Vorgänge… Also, ich würde einmal sagen: Wenn wir in Europa nach 1945 einen Konsens haben, dann ist es der, den Anfängen zu wehren. Und wenn Berlusconis Attacken auf die Justiz, seine unsäglichen Attacken auf den Parlamentarismus, seine irrationalen Ausfälle, sein Medienmonopol, wenn das nicht Anfänge autoritären Gebahrens sind und Anfänge einer Gegnerschaft zu europäischen Werten, dann weiß ich nicht, was Anfänge sind.
Doch die Europäische Union hat längst kapituliert vor Berlusconi. Die belgische Sozialistin Veronique de Keyser hat vor einigen Wochen einen Resolutionsentwurf unterschrieben, der die Gefährdung der Meinungsfreiheit in Berlusconis Italien anprangert. Es blieb beim Entwurf, wie sie einräumt.
Es stimmt, dass das Europäische Parlament bis heute nichts wirklich unternommen hat. Keine Maßnahmen, keine Resolutionen im Hinblick auf Berlusconis Vermischung von Politik und Wirtschaft. Wir reden darüber, sogar sehr viel. Leider ist er nun EU-Ratspräsident und seine italienischen Affären vermischen sich mit dem EU-Vorsitz. Und das bremst vielleicht ein bisschen das Europäische Parlament.
Ganze 36 Abgeordnete haben die Warnung unterzeichnet. 36 von über 600. Wir tun so, als ob das Auftreten der römischen Regierung ganz normal sei, schimpft der italienische Abgeordnete Gianni Vattimo:
Die Anhörungen der italienischen Minister vor den Ausschüssen des europäischen Parlamentes verlaufen ja auch ruhig, so als ob es zwischen dem Parlament und Berlusconi nicht einen gewaltigen Riß geben würde, der noch lange nicht gekittet ist. Ich finde das einfach skandalös, und habe heute noch im Kulturausschuß gesagt, daß wir alle Anhörungen unterbrechen sollten, bis sich Berlusconi vor dem Europäischen Parlament entschuldigt hat. Die Kollegen haben gesagt, nein, nein, wir müssen doch jetzt arbeiten. Ich habe ihnen gesagt, Leute, natürlich will auch ich ernsthaft arbeiten, aber wir können uns doch nicht als Demokratietouristen und als Nazi-Kapos beschimpfen lassen!
Die Mehrheit im Europaparlament denkt anders. Vor allem die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei EVP, will die Angelegenheit möglichst herunter spielen. Mitglieder der EVP sind unter anderem die deutschen CDU-Abgeordneten, aber eben auch Berlusconis Forza Italia. Fraktionschef Hans-Gert Pöttering verstieg sich sogar zu der Forderung, auch der von Berlusconi angegriffene SPD-Abgeordnete Martin Schulz müsse sich entschuldigen. Das ging dann selbst in der Volkspartei vielen zu weit. Doch an der grundsätzlichen Linie hält auch der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Elmar Brok, fest. Auf die Frage, wie das Europäische Parlament mit Berlusconi umgehen sollte, meinte er:
Schnauze halten. Nein, ich meine, es ist in dieser Frage wirklich sinnvoll, daß wir es im Rahmen der Beteiligten belassen, hier eine Klärung erfolgt und hier nicht ein öffentlicher Schlagabtausch stattfindet, der ein deutsch-italienischer Schlagabtausch ist. Hier gibt es aber einen Streit zwischen Personen, vielleicht auch noch zwischen Institutionen, aber der darf doch nicht zu einem deutsch-italienischen Streit werden. Wegen solcher Dinge haben sich in früheren Jahrhunderten Kriege hochgeschaukelt , weil man sich gegenseitig beleidigt hat. Und das sollte doch im Rahmen einer Europäischen Union nicht mehr möglich sein!
Doch wie soll Europäische Politik in den Zeiten von Berlusconi aussehen? Was seine Minister in dieser Woche in Brüssel vorgetragen haben, war nicht besonders aufschlußreich. Von allem etwas, vorgetragen ohne Nachdruck. Nur die großen Infrastrukturprojekte ragten leicht heraus aus der ebenso langweiligen wie nichtssagenden Europa-Lyrik.
Berlusconis Regierung möchte die Idee von den grenzüberschreitenden europäischen Verkehrprojekten wieder beleben. 50 Milliarden Euro soll die Europäische Investitionsbank nach diesen Vorstellungen jedes Jahr für Straßen und Bahnprojekte zur Verfügung stellen, vor allem natürlich auch in Italien. An vorderster Stelle schwebt Berlusconi eine Brücke von Italiens Stiefelspitze nach Sizilien vor. Auch andere europäische Politiker wollen diese seit langem geplanten Transeuropäischen Netze endlich anpacken. Es wäre ein gewaltiges Konjunktur-Programm für die schwächelnde Wirtschaft.
Doch die Finanzierung der Transeuropäischen Netze ist umstritten, weil private Investoren nur einsteigen, wenn sich auch die Regierungen beteiligen. Die müßten dafür Schulden machen, und kämen mit dem Euro-Stabilitätspakt in Konflikt. Doch Berlusconi will seinen Wählern etwas bieten, am besten mit europäischem Geld, damit sie den Nutzen der Europäischen Ratspräsidentschaft auch richtig würdigen können. Notfalls müsse eben der Stabilitätspakt geändert werden, fordert er. Silvio Berlusconi habe ein paar Einfälle für die europäische Ratspräsidentschaft, meint auch die Grünenchefin im Europaparlament, Monica Frassoni. Was fehle, sei ein Konzept:
Er hat keine spezifischen Ideen, welches Europa er will. Ich habe den Eindruck, dass er ein Europa will, das ihm erlaubt, zu machen, was er will. Das ist ungefähr die Idee auch seiner Regierung, aber das steht nicht auf einem Grund, einer Idee, auf einer Vision.
Silvio Berlusconi ist sein eigenes europäisches Programm. So wie er in Italien sein eigenes italienisches Programm ist. Berlusconi hat dort die Unternehmenssteuern gesenkt, er hat Bilanzfälschung als Straftatbestand aus dem Strafrecht herausgenommen, und er hat die Möglichkeiten der Justiz eingeschränkt, wegen Wirtschaftsdelikten zu ermitteln. Am meisten profitiert davon der schillernde Medienunternehmer Berlusconi selbst. Doch weil auch viele einfache Italiener Probleme mit Finanzämtern und Angst vor Gerichten haben, bewundern sie den Regierungschef für seine Dreistigkeit. Dass er 14 mal angeklagt wurde, wegen Bestechung, wegen Bilanzfälschung, wegen Steuersachen - na und. Dass er ein halbes Dutzend Gesetze durchs italienische Parlament gepaukt hat, um die Anklagen wieder loszuwerden - alle Achtung. Ein "Furbo" zu sein, ein besonders Schlauer, ruft in Italien offensichtlich noch immer Anerkennung hervoran.
So wie es aussieht, kommt Berlusconi auch auf europäischer Ebene mit seiner Dreistigkeit durch. Hier will der italienische Premier vor allem eines: Die EU soll Berlusconis Kreise nicht stören.
Was die Gefahr in Europa ist, die Berlusconi repräsentiert, ist einfach eine Art Langsamkeit. Er wird alles verlangsamen, weil er keine bestimmte Position hat gegenüber den großen Problemen. Und einige Probleme, zum Beispiel der Justiz, der internationale Haftbefehl – da ist er dagegen. Seine Mehrheit und er selbst sind dagegen.
Die italienische Regierung will keine engere Zusammenarbeit der Justizbehörden. sie wünscht keine weitergehende europäische Sozialpolitik, sie ist gegen eine gemeinsame Steuerpolitik, gegen den Euro-Stabiltätspakt, gegen eine strenge Wettbewerbskontrolle und gegen einen starke europäische Außenpolitik, die den USA möglicherweise nicht gefallen könnte.
Berlusconi will vor allem weniger Europa. Und das ist es auch, was die Londoner Times so begeisterte. Unter der Herrschaft von Silvio Berlusconi ist das traditionell EU-freundliche Italien längst ins Lager der Skeptiker gewechselt. Die deutsch-französische Achse könnte von einer britisch-italienischen Führung abgelöst werden, schwärmt die Times. Denn auch wenn sich die Mehrheit der Italiener noch immer zum Kern der Europäischen Union zählt, die Regierung hat sich bereits verabschiedet. Und in Brüssel entscheiden die Regierungen.
Doch anders als die britische Regierung hat Berlusconi keine ideologischen Vorbehalte gegen die Europäische Union. Die europäische Verfassung, die unter seiner Präsidentschaft beschlossen werden soll, kommt ihm da ganz recht. Sie kollidiert nicht mit seinen eigenen Interessen und vermittelt den Wählern zuhause den Eindruck, dass Italien unter Berlusconi eine wichtige Rolle in Europa spielt. Außerdem weiß Berlusconi, daß ihn bei diesem Thema selbst seine Gegner unterstützen werden.
Giovanni Grevi arbeitet als Politikwissenschaftler am European Policy Centre in Brüssel.
Hier gehts nicht um Herrn Berlusconi. Es geht um den Abschluss der Regierungskonferenz, es geht um die Glaubwürdigkeit der gesamten Europäischen Union. Daran haben alle Regierungen ein starkes Interesse. Nach ein einhalb Jahren Vorbereitung und Beratung im Konvent, dann noch ein paar Monaten Regierungskonferenz müssen die Verhandlungen zum Jahresende unbedingt in vernünftiger Form zu einem Abschluß gebracht worden sein. Da ist es nur bedingt von Bedeutung, wer den Vorsitz hat. Ich glaube nicht, dass die italienische Präsidentschaft schlechter da steht als andere. Was die Person Berlusconi angeht, dann könnte es stimmen, aber politisch, bei den allgemein interessierenden Themen, da wird niemand versuchen, den glatten Ablauf der Regierungskonferenz zu stören, auch wenn Berlusconi der Sache vorsitzt.
Die Verfassung ist Berlusconis Faustpfand. Für die meisten EU-Regierungen ist sie das wichtigste Projekt der kommenden sechs Monate. Damit die Regierungskonferenz im Herbst nicht schief geht, wollen sie jeden Konflikt vermeiden. "Jeder hat sich schon mal vergalloppiert," beschwichtigt Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Bei so viel Verständnis sieht Berlusconi vermutlich wenig Grund, sich in den nächsten sechs Monaten besonders zurückzuhalten. Die Italienerin Monica Frassoni, Chefin der Grünen im Europaparlament, empfiehlt eine andere Strategie. Die Europäische Union müsse endlich auch in Rom auf die Einhaltung der europäischen Gesetze drängen. Denn nicht nur die Regierungen, auch die EU-Kommission in Brüssel zeige erstaunlich viel Scheu, der italienischen Regierung auf die Finger zu klopfen. Eigentlich muss die EU-Kommission auf die Einhaltung aller europäischen Verträge pochen. Doch die Berlusconi-Regierung verstößt seit Jahren gegen Richtlinien, mit denen allzu große Medienkonzentration verhindert werden soll. Und sie schert sich immer weniger um die europäischen Umweltvorschriften.
Die Europäische Union wird nicht auseinanderfallen wegen Berlusconi, aber sie verliert an Zusammenhalt und Verbindlichkeit. Gesetze, die nicht eingehalten werden, büßen erst ihre Autorität ein, dann ihren Sinn. Das geht langsam, und deshalb hält sich in der EU die Hoffnung, dass der italienische Medienfürst nicht lange genug an der Regierung sein wird, um ernsthaften Schaden anzurichten. In den kommenden knapp sechs Monaten als EU-Ratspräsident wird er nicht viel erreichen. Wenn er die Regierungskonferenz unfallfrei über die Bühne bringt, darf das schon als Erfolg gelten. Die Erwartungen sind längst nach unten korrigiert. Um als EU-Vorsitzender eigene Zeichen zu setzen, dafür ist er im Kreis der Regierungschefs viel zu isoliert, ist umgeben von einer Mauer des Misstrauens.
Als die EU-Regierungen vor drei Jahren mit viel Sirenengeheul eine Kontaktsperre für österreichische Koalitionspolitiker verhängten, war die Maßnahme als Strafaktion für die Beteiligung der rechtsextremen Haiderpartei gedacht. Die politische Zusammenarbeit lief uneingeschränkt weiter, aber außerhalb der Sitzungsräume wurden die Österreichischen Politiker geschnitten.
Dieselben Sanktionen gegen Berlusconi zu verhängen, davor schreckten EU-Regierungen zurück. Es hätte auch keine Auswirkungen: Mit Berlusconis Leuten will ohnehin niemand plaudern oder ein Bier trinken. Schon deshalb kann die Europäische Union nicht viel machen gegen Berlusconi, lästert der österreichische Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber:
Also jetzt kann sie ihn wirklich nur mal überstehen. Am besten, man hängt ein Schild vors Präsidentenoffice: Nicht reizen! Und nicht füttern !
Der Artikel erschien einen Tag nach den Ausfällen des italienischen Regierungschefs im Europaparlament. Geschrieben wurde er sicherlich schon davor. Denn nach dem Nazi-Vergleich will vorerst niemand mehr an der Seite Berlusconis gesehen werden - auch wenn sich der Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, um Schadensbegrenzung bemüht:
Er hat uns alle vom Weg abgebracht. Wir hatten genaue Vorstellungen von der italienischen Ratspräsidentschaft, aber leider, und das trifft uns alle, lesen wir darüber zur Zeit kein Wort in den Zeitungen. Ich meine, wir sollten nicht zulassen, daß aus den Problemen der letzten Woche eine Krise wird. Wir müssen zusammen die Weisheit und die Klarheit finden, die Gelegenheit zu ergreifen und das Problem zu beseitigen. Dadurch werden wir auch das Risiko einer Krise beseitigen.
Doch so einfach wird das nicht sein. Dabei ist die europapolitische Grundhaltung Silvio Berlusconis dieselbe wie vor dem Skandal. Der italienische Regierungschef möchte in der Tat ein anderes Europa, eines, das den britischen Vorstellungen näher ist als den bisher dominierenden deutsch-französischen. Deshalb glauben manche in Brüssel sogar, dass der italienische Regierungschef sehr genau wusste, was er da sagte, als er den deutschen Sozialdemokraten mit einem KZ-Aufseher verglich. Dass es gar kein Ausrutscher war, sondern ein gezielter Stich gegen Deutschland, vor allem gegen das deutsch-französisch geprägte Europa. Bis heute hat sich Berlusconi hartnäckig geweigert, das Wort Entschuldigung auch nur in den Mund zu nehmen. Das Gift des Nazi-Vergleiches soll ruhig noch etwas wirken.
Doch Berlusconi ist nicht Chef irgendeines Landes, jemand, den man weiterhin ignorieren könnte. Er ist für ein halbes Jahr Präsident der Europäischen Union. Seit Tagen müht sich eine ganze Reihe von Politikern und Diplomaten, ihm eine Entschuldigung zu entlocken, um endlich zur Tagesordnung übergehen zu können. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einer Telefonunterhaltung mit dem Italienischen Premierminister verbreiten ließ, die Sache sei nun vom Tisch, wurde er umgehend von Berlusconi bloßgestellt. Er habe sich nicht entschuldigt, ließ der aus Rom bestellen.
Der Präsident des Europaparlaments musste in seiner Not schließlich eine schriftlich vorgefertigte Erklärung verlesen. Diese Erklärung, die Cox gemeinsam mit Berlusconi aufsetzte, ist ein erschütterndes Dokument der Arroganz auf der einen und der Unterwürfigkeit auf der anderen Seite:
In einem Telefongespräch zwischen mir und Herrn Silvio Berlusconi in seiner Funktion als amtierender EU-Ratspräsident hat er sein Bedauern darüber ausgedrückt, daß er im Verlauf einer lebhaften Debatte über die italienische Präsidentschaft am 2. Juli in Straßburg bestimmte Ausdrücke und Vergleiche benutzt hat, die das Empfinden der Parlamentarier verletzt haben. Herr Berlusconi fügte hinzu, es könne sein, daß seine Absichten mißverstanden wurden, er habe aber in keiner Weise beabsichtigt, jemanden zu verletzten. Ohne Rücksicht auf seine persönlichen Gefühle drückte Herr Berlusconi in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident die Hoffnung aus, nun fortzuschreiten und gemeinsam mit dem Europäischen Parlament im Rahmen des Programmes der italienischen Ratspräsidentschaft zu arbeiten. Herr Berlusconi drückte mir gegenüber seinen Respekt aus für das europäische Parlament als den Ort der demokratischen Legitimierung der Europäischen Union und seinen Wunsch, das Parlament mit seinen entsandten Vertretern als vollwertigen Partner bei der Regierungskonferenz zu sehen. Ich wiederum wiederholte meinen Glückwunsch, Italien möge eine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft erleben.
Die Hilflosigkeit, mit der die Europäische Union den Launen des italienischen Ministerpräsidenten ausgeliefert ist, diese Hilflosigkeit hat viel mit Berlusconis Medienmacht zu tun. Denn offensichtlich muss der italienische Ministerpräsident nicht fürchten, daß die Kritik aus der EU seine Wähler zuhause verschreckt. Außer ein paar politisch Interessierten habe sich in Italien niemand aufgeregt, meint der Philosoph und Europaabgeordnete Gianni Vattimo:
Ich glaube, dass in Italien diese Aussagen Berlusconis, also der Skandal im Europäischen Parlament, nur wenig bekannt sind. Nur wenige Italiener lesen regelmäßig die Zeitung, die Mehrheit schaut Fernsehen. Das Fernsehen ist komplett in Berlusconis Hand, bei den Zeitungen gibt es zumindest noch einige, die unabhängig berichten. Aber wenn die Leute kaum Zeitung lesen, und dann auch noch ein Teil der Zeitungen zu Berlusconis Konzern gehört, dann kommt eben so etwas dabei heraus. In Italien haben zum Einen nur wenige den Eindruck gehabt, dass das ein riesiger Skandal war, der sich da im Europäischen Parlament abgespielt hat, und zum anderen: Berlusconi mit seiner Art, sich wie ein Conferencier, ein Erzähler zu gerieren, hat schließlich damit in Italien Erfolg. Er redet doch so, wie man das in den Bars der Vorstädte tut!
Der Europaabgeordnete Gianni Vattimo ist überzeugt, dass Berlusconis Ausrutscher nichts mit Deutschland zu tun hatte. Dass der stellvertretende Tourismusminister Stefano Stefani von der Lega Nord diese Woche weiter nachlegte, sei lediglich ein Beleg für dessen Dummheit. 10 Millionen "supernationalistische blonde Deutsche" würden jedes Jahr über Italien herfallen, hatte Stefani gewettert, "besoffen von aufgeblasener Selbstgerechtigkeit." Als Rechtfertigung fiel Staatssekretär Stefani später nur ein, er habe schließlich nicht alle Deutschen beleidigt. Deshalb gäbe es auch nichts zu entschuldigen.
Vermutlich überschätzt man das taktische Geschick der Berlusconi-Regierung, wenn man hinter den antideutschen Ausfällen einen Plan sucht. Hat Berlusconi nicht vor einigen Monaten aus heiterem Himmel Finnland attackiert, nur weil sich Helsinki um das neu zu schaffende europäische Lebensmittelinstitut bemühte? Die Finnen hätten doch keine Ahnung von gutem Essen, giftete Berlusconi: Das Institut müsse nach Parma, wo der beste Schinken der Welt hergestellt werde, und sonst nirgendwo hin. Mit der französischen Regierung lag Berlusconi auch schon im Streit wegen irgendwelcher Kleinigkeiten, an die sich niemand mehr erinnert. Den holländischen und den luxemburgischen Premierminister brüllte er zusammen, weil sie es wagten, ihn auf die europäischen Spielregeln aufmerksam zu machen. Gegen alle Verträge wollte Berlusconi höhere Milchquoten für seine Bauern erpressen.
Der gelernte Conferencier Berlusconi macht im Grunde auf der europäischen Bühne nichts anderes als zuhause in Italien: Er sagt, was er denkt, auch dann, wenn seine Gedanken nicht stubenrein sind.
Als Regierungschef muss ich mich um das Wohl aller Italiener kümmern, also auch um mein eigenes.
Originalzitat Berlusconi. Deshalb kann auch niemand behaupten, er wisse nicht, was Berlusconi will. Politik ist für ihn Selbstbedienung, Richter, die ihn daran hindern wollen, diffamiert er als Kommunisten. Parlamentarier, die ihm widersprechen, versucht er lächerlich zu machen. Der Europaabgeordnete Martin Schulz ist der vorerst letzte in dieser Reihe, nicht der erste. Wir bekommen jetzt in Europa einen kleinen Eindruck davon, was Italien schon die ganze Zeit in viel größerer Dimension erlebt, meint der österreichische Grüne Johannes Voggenhuber:
Er hat uns einmal einen Geschmack davon gegeben, wie man denn als italienischer Richter zum Staatsgegner wird, nämlich durch einfache Deklaration des Angeklagten, so wie ein Kritiker im Parlament einfach zum Konzentrationslageraufseher wird. Das sind schon Vorgänge… Also, ich würde einmal sagen: Wenn wir in Europa nach 1945 einen Konsens haben, dann ist es der, den Anfängen zu wehren. Und wenn Berlusconis Attacken auf die Justiz, seine unsäglichen Attacken auf den Parlamentarismus, seine irrationalen Ausfälle, sein Medienmonopol, wenn das nicht Anfänge autoritären Gebahrens sind und Anfänge einer Gegnerschaft zu europäischen Werten, dann weiß ich nicht, was Anfänge sind.
Doch die Europäische Union hat längst kapituliert vor Berlusconi. Die belgische Sozialistin Veronique de Keyser hat vor einigen Wochen einen Resolutionsentwurf unterschrieben, der die Gefährdung der Meinungsfreiheit in Berlusconis Italien anprangert. Es blieb beim Entwurf, wie sie einräumt.
Es stimmt, dass das Europäische Parlament bis heute nichts wirklich unternommen hat. Keine Maßnahmen, keine Resolutionen im Hinblick auf Berlusconis Vermischung von Politik und Wirtschaft. Wir reden darüber, sogar sehr viel. Leider ist er nun EU-Ratspräsident und seine italienischen Affären vermischen sich mit dem EU-Vorsitz. Und das bremst vielleicht ein bisschen das Europäische Parlament.
Ganze 36 Abgeordnete haben die Warnung unterzeichnet. 36 von über 600. Wir tun so, als ob das Auftreten der römischen Regierung ganz normal sei, schimpft der italienische Abgeordnete Gianni Vattimo:
Die Anhörungen der italienischen Minister vor den Ausschüssen des europäischen Parlamentes verlaufen ja auch ruhig, so als ob es zwischen dem Parlament und Berlusconi nicht einen gewaltigen Riß geben würde, der noch lange nicht gekittet ist. Ich finde das einfach skandalös, und habe heute noch im Kulturausschuß gesagt, daß wir alle Anhörungen unterbrechen sollten, bis sich Berlusconi vor dem Europäischen Parlament entschuldigt hat. Die Kollegen haben gesagt, nein, nein, wir müssen doch jetzt arbeiten. Ich habe ihnen gesagt, Leute, natürlich will auch ich ernsthaft arbeiten, aber wir können uns doch nicht als Demokratietouristen und als Nazi-Kapos beschimpfen lassen!
Die Mehrheit im Europaparlament denkt anders. Vor allem die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei EVP, will die Angelegenheit möglichst herunter spielen. Mitglieder der EVP sind unter anderem die deutschen CDU-Abgeordneten, aber eben auch Berlusconis Forza Italia. Fraktionschef Hans-Gert Pöttering verstieg sich sogar zu der Forderung, auch der von Berlusconi angegriffene SPD-Abgeordnete Martin Schulz müsse sich entschuldigen. Das ging dann selbst in der Volkspartei vielen zu weit. Doch an der grundsätzlichen Linie hält auch der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Elmar Brok, fest. Auf die Frage, wie das Europäische Parlament mit Berlusconi umgehen sollte, meinte er:
Schnauze halten. Nein, ich meine, es ist in dieser Frage wirklich sinnvoll, daß wir es im Rahmen der Beteiligten belassen, hier eine Klärung erfolgt und hier nicht ein öffentlicher Schlagabtausch stattfindet, der ein deutsch-italienischer Schlagabtausch ist. Hier gibt es aber einen Streit zwischen Personen, vielleicht auch noch zwischen Institutionen, aber der darf doch nicht zu einem deutsch-italienischen Streit werden. Wegen solcher Dinge haben sich in früheren Jahrhunderten Kriege hochgeschaukelt , weil man sich gegenseitig beleidigt hat. Und das sollte doch im Rahmen einer Europäischen Union nicht mehr möglich sein!
Doch wie soll Europäische Politik in den Zeiten von Berlusconi aussehen? Was seine Minister in dieser Woche in Brüssel vorgetragen haben, war nicht besonders aufschlußreich. Von allem etwas, vorgetragen ohne Nachdruck. Nur die großen Infrastrukturprojekte ragten leicht heraus aus der ebenso langweiligen wie nichtssagenden Europa-Lyrik.
Berlusconis Regierung möchte die Idee von den grenzüberschreitenden europäischen Verkehrprojekten wieder beleben. 50 Milliarden Euro soll die Europäische Investitionsbank nach diesen Vorstellungen jedes Jahr für Straßen und Bahnprojekte zur Verfügung stellen, vor allem natürlich auch in Italien. An vorderster Stelle schwebt Berlusconi eine Brücke von Italiens Stiefelspitze nach Sizilien vor. Auch andere europäische Politiker wollen diese seit langem geplanten Transeuropäischen Netze endlich anpacken. Es wäre ein gewaltiges Konjunktur-Programm für die schwächelnde Wirtschaft.
Doch die Finanzierung der Transeuropäischen Netze ist umstritten, weil private Investoren nur einsteigen, wenn sich auch die Regierungen beteiligen. Die müßten dafür Schulden machen, und kämen mit dem Euro-Stabilitätspakt in Konflikt. Doch Berlusconi will seinen Wählern etwas bieten, am besten mit europäischem Geld, damit sie den Nutzen der Europäischen Ratspräsidentschaft auch richtig würdigen können. Notfalls müsse eben der Stabilitätspakt geändert werden, fordert er. Silvio Berlusconi habe ein paar Einfälle für die europäische Ratspräsidentschaft, meint auch die Grünenchefin im Europaparlament, Monica Frassoni. Was fehle, sei ein Konzept:
Er hat keine spezifischen Ideen, welches Europa er will. Ich habe den Eindruck, dass er ein Europa will, das ihm erlaubt, zu machen, was er will. Das ist ungefähr die Idee auch seiner Regierung, aber das steht nicht auf einem Grund, einer Idee, auf einer Vision.
Silvio Berlusconi ist sein eigenes europäisches Programm. So wie er in Italien sein eigenes italienisches Programm ist. Berlusconi hat dort die Unternehmenssteuern gesenkt, er hat Bilanzfälschung als Straftatbestand aus dem Strafrecht herausgenommen, und er hat die Möglichkeiten der Justiz eingeschränkt, wegen Wirtschaftsdelikten zu ermitteln. Am meisten profitiert davon der schillernde Medienunternehmer Berlusconi selbst. Doch weil auch viele einfache Italiener Probleme mit Finanzämtern und Angst vor Gerichten haben, bewundern sie den Regierungschef für seine Dreistigkeit. Dass er 14 mal angeklagt wurde, wegen Bestechung, wegen Bilanzfälschung, wegen Steuersachen - na und. Dass er ein halbes Dutzend Gesetze durchs italienische Parlament gepaukt hat, um die Anklagen wieder loszuwerden - alle Achtung. Ein "Furbo" zu sein, ein besonders Schlauer, ruft in Italien offensichtlich noch immer Anerkennung hervoran.
So wie es aussieht, kommt Berlusconi auch auf europäischer Ebene mit seiner Dreistigkeit durch. Hier will der italienische Premier vor allem eines: Die EU soll Berlusconis Kreise nicht stören.
Was die Gefahr in Europa ist, die Berlusconi repräsentiert, ist einfach eine Art Langsamkeit. Er wird alles verlangsamen, weil er keine bestimmte Position hat gegenüber den großen Problemen. Und einige Probleme, zum Beispiel der Justiz, der internationale Haftbefehl – da ist er dagegen. Seine Mehrheit und er selbst sind dagegen.
Die italienische Regierung will keine engere Zusammenarbeit der Justizbehörden. sie wünscht keine weitergehende europäische Sozialpolitik, sie ist gegen eine gemeinsame Steuerpolitik, gegen den Euro-Stabiltätspakt, gegen eine strenge Wettbewerbskontrolle und gegen einen starke europäische Außenpolitik, die den USA möglicherweise nicht gefallen könnte.
Berlusconi will vor allem weniger Europa. Und das ist es auch, was die Londoner Times so begeisterte. Unter der Herrschaft von Silvio Berlusconi ist das traditionell EU-freundliche Italien längst ins Lager der Skeptiker gewechselt. Die deutsch-französische Achse könnte von einer britisch-italienischen Führung abgelöst werden, schwärmt die Times. Denn auch wenn sich die Mehrheit der Italiener noch immer zum Kern der Europäischen Union zählt, die Regierung hat sich bereits verabschiedet. Und in Brüssel entscheiden die Regierungen.
Doch anders als die britische Regierung hat Berlusconi keine ideologischen Vorbehalte gegen die Europäische Union. Die europäische Verfassung, die unter seiner Präsidentschaft beschlossen werden soll, kommt ihm da ganz recht. Sie kollidiert nicht mit seinen eigenen Interessen und vermittelt den Wählern zuhause den Eindruck, dass Italien unter Berlusconi eine wichtige Rolle in Europa spielt. Außerdem weiß Berlusconi, daß ihn bei diesem Thema selbst seine Gegner unterstützen werden.
Giovanni Grevi arbeitet als Politikwissenschaftler am European Policy Centre in Brüssel.
Hier gehts nicht um Herrn Berlusconi. Es geht um den Abschluss der Regierungskonferenz, es geht um die Glaubwürdigkeit der gesamten Europäischen Union. Daran haben alle Regierungen ein starkes Interesse. Nach ein einhalb Jahren Vorbereitung und Beratung im Konvent, dann noch ein paar Monaten Regierungskonferenz müssen die Verhandlungen zum Jahresende unbedingt in vernünftiger Form zu einem Abschluß gebracht worden sein. Da ist es nur bedingt von Bedeutung, wer den Vorsitz hat. Ich glaube nicht, dass die italienische Präsidentschaft schlechter da steht als andere. Was die Person Berlusconi angeht, dann könnte es stimmen, aber politisch, bei den allgemein interessierenden Themen, da wird niemand versuchen, den glatten Ablauf der Regierungskonferenz zu stören, auch wenn Berlusconi der Sache vorsitzt.
Die Verfassung ist Berlusconis Faustpfand. Für die meisten EU-Regierungen ist sie das wichtigste Projekt der kommenden sechs Monate. Damit die Regierungskonferenz im Herbst nicht schief geht, wollen sie jeden Konflikt vermeiden. "Jeder hat sich schon mal vergalloppiert," beschwichtigt Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Bei so viel Verständnis sieht Berlusconi vermutlich wenig Grund, sich in den nächsten sechs Monaten besonders zurückzuhalten. Die Italienerin Monica Frassoni, Chefin der Grünen im Europaparlament, empfiehlt eine andere Strategie. Die Europäische Union müsse endlich auch in Rom auf die Einhaltung der europäischen Gesetze drängen. Denn nicht nur die Regierungen, auch die EU-Kommission in Brüssel zeige erstaunlich viel Scheu, der italienischen Regierung auf die Finger zu klopfen. Eigentlich muss die EU-Kommission auf die Einhaltung aller europäischen Verträge pochen. Doch die Berlusconi-Regierung verstößt seit Jahren gegen Richtlinien, mit denen allzu große Medienkonzentration verhindert werden soll. Und sie schert sich immer weniger um die europäischen Umweltvorschriften.
Die Europäische Union wird nicht auseinanderfallen wegen Berlusconi, aber sie verliert an Zusammenhalt und Verbindlichkeit. Gesetze, die nicht eingehalten werden, büßen erst ihre Autorität ein, dann ihren Sinn. Das geht langsam, und deshalb hält sich in der EU die Hoffnung, dass der italienische Medienfürst nicht lange genug an der Regierung sein wird, um ernsthaften Schaden anzurichten. In den kommenden knapp sechs Monaten als EU-Ratspräsident wird er nicht viel erreichen. Wenn er die Regierungskonferenz unfallfrei über die Bühne bringt, darf das schon als Erfolg gelten. Die Erwartungen sind längst nach unten korrigiert. Um als EU-Vorsitzender eigene Zeichen zu setzen, dafür ist er im Kreis der Regierungschefs viel zu isoliert, ist umgeben von einer Mauer des Misstrauens.
Als die EU-Regierungen vor drei Jahren mit viel Sirenengeheul eine Kontaktsperre für österreichische Koalitionspolitiker verhängten, war die Maßnahme als Strafaktion für die Beteiligung der rechtsextremen Haiderpartei gedacht. Die politische Zusammenarbeit lief uneingeschränkt weiter, aber außerhalb der Sitzungsräume wurden die Österreichischen Politiker geschnitten.
Dieselben Sanktionen gegen Berlusconi zu verhängen, davor schreckten EU-Regierungen zurück. Es hätte auch keine Auswirkungen: Mit Berlusconis Leuten will ohnehin niemand plaudern oder ein Bier trinken. Schon deshalb kann die Europäische Union nicht viel machen gegen Berlusconi, lästert der österreichische Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber:
Also jetzt kann sie ihn wirklich nur mal überstehen. Am besten, man hängt ein Schild vors Präsidentenoffice: Nicht reizen! Und nicht füttern !