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Auftakt mit "Rheingold"

Nach dem Aufstand von 1848 fand Richard Wagner als steckbrieflich gesuchter Revolutionär Unterschlupf bei Franz Liszt in Weimar, und eine zeitlang verhandelte er dort sogar über den Bau seines Festspielhauses, das schließlich in Bayreuth entstand. Soviel Kulturgeschichte lastet auf der Aufführung des "Rings des Nibelungen" im Deutschen Nationaltheater Weimar, einer Aufführung, die am Samstagabend mit dem "Rheingold" begann und dann bis in zwei Jahren mit den übrigen Teilen des Zyklus komplettiert werden soll.

Von Dieter David Scholz |
    Am Ende des Weimarer "Rheingolds" führt Wotan – dem der Bariton Mario Hoff seine Stimme leiht – die Göttersippe in ein golden eingerahmtes, klassizistisches Zimmer. Man erstarrt zum Familienbild, das langsam nach hinten fährt. Der Anfang vom Ende einer vierteiligen Familiensaga, die als gesellschaftskritische Parabel, Märchen, Spiel mit Mythen und Sagen ihresgleichen sucht in der Musik- und Operngeschichte. Für jedes Theater noch immer eine der größten Herausforderungen.

    Am Deutschen Nationaltheater Weimar, das sich einer möglicherweise drohenden Fusion mit dem Theater in Erfurt energisch widersetzt und den Anspruch erhebt, einziges Thüringisches Staatstheater zu werden, stemmt man den Ring geradezu bewundernswürdig ohne Ausnahme mit hauseigenem Ensemble, jedenfalls den Vorabend der Tetralogie. Keine Selbstverständlichkeit! Auch die finanzielle und ideelle Unterstützung des Projekts durch das Unternehmen Jenoptik ist alles andere als selbstverständlich. Wie Alexander von Witzleben, Vorstandsvorsitzender des führenden thüringischen Unternehmens betont:

    "Ich glaube, dass das Deutsche Nationaltheater in Thüringen die herausragende kulturhistorische Institution ist, überhaupt. Ich sehe das ein bisschen als unsere Verpflichtung, als das wichtigste Unternehmen im Land, dass wir uns dieser Verpflichtung kümmern, nicht nur mit Geld, sondern auch persönlichem Einsatz. Mein Ziel ist es, zu erreichen, dass der Freistaat Thüringen ein Staatstheater hat, mit Sitz in Weimar. "

    Vielleicht hört ja Thüringens Kulturminister auf einen erfolgreichen Wirtschaftsmann eher als auf Kulturmanager und Künstler. Aber auch ohne das außergewöhnliche und begrüßenswerte Engagement des potenten Sponsors hat das Deutsche Nationaltheater Weimar allen Anlass, stolz zu sein, denn dieser "Ring" stellt unter Leitung des neuen, amerikanischen Generalmusikdirektors Carl St. Clair eine außergewöhnliche musikalische Leistung unter Beweis, die einmal mehr demonstriert, dass nicht nur in Bayreuth ein "Ring" hörenswert sein kann, vielleicht sogar an anderen Orten eher noch als in Bayreuth.

    Die Staatskapelle spielt präzise, mitreißend, intelligent disponiert und mit viel Klangkultur. Und die geschickte Inszenierung des jungen Operndirektors Michael Schulz, Schüler von Götz Friedrich, setzt ganz auf Ironie, Spielwitz, Tempo und größtmögliche Vermeidung aller Opernklischees.

    "Mein Grundanliegen ist, vor allem etwas über Menschen zu erzählen. Und eine Sache, die uns sehr interessiert ist die, wie Kinder in die Welt gesetzt werden, dann ideologisch missbraucht werden, und wie diese Kinder alleingelassen, ohne jegliche Wertesysteme auf sich alleingestellt anfangen müssen, eine Gesellschaft zu entwickeln, die dann nachher in der Götterdämmerung in Anarchie endet. "

    Schlichte Wände, Container, Stühle, wenige Requisiten genügen, die Geschichte des "Rheingolds", von dessen Raub und vom Betrug der Götter, Zwerge und Riesen, von Machtgier, Totschlag und Liebesentsagung, von Zukunftshoffnung der Geknechteten und drohendem Untergang der Mächtigen zu erzählen. Michael Schulz dreht allen Ausstattungsgrößenwahnsinnigen eine Nase.

    In Weimar geht das auch anders. Michael Schulz zeigt ausschließlich Menschen von heute. Er erzählt das Wagnersche Märchen in heute verständlichen Bildern. Und Raum für Poesie bleibt auch noch. Logisch ist das nicht immer, aber einleuchtend, Theater eben! Und der Abend ist unterhaltsam. Noch nie konnte man so viel lachen im "Rheingold". Eine subtile, klug durchdachte und verspielte Inszenierung, die keine Fragen offen lässt und das Premierenpublikum zurecht zu Begeisterungsstürmen hinriss. Dem Jubel über die künstlerische Potenz des Hauses ist sicher auch Solidarität des Weimarer Publikums mit seinem bedrohten Theater zuzurechnen. Wie Stephan Märki, der Intendant des DNTs, augenzwinkernd betont, ist der Zeitpunkt dieser Premiere des Wagnerschen Spiels vom Anfang des Endes der Götter kurz vor der Bayreuth-Eröffnung reiner Zufall:

    "Es könnte jetzt so Absicht sein, dass es was mit der Kulturpolitik zu tun hat, das ist aber eben ein glücklicher Zufall und wir hoffen, dass wir mit dieser Produktion eben in erster Linie in der Öffentlichkeit im Gespräch bleiben und nicht über kulturpolitische Debatten. "

    Die werden nicht zu vermeiden sein, aber ganz sicher wird über dieses "Rheingold" noch lange gesprochen werden. Und man ist schon jetzt gespannt auf die weiteren drei Abende der Wagnerschen Tetralogie in Weimar, die bis 2008 abgeschlossen sein wird. Es muss ja nicht immer Bayreuth sein!