Die Küstenlandschaft zwischen Dänemark und den Niederlanden ist die Heimat der Friesen. An der schleswig-holsteinischen Nordsee- sind die Nordfriesen zu Hause; im Gebiet zwischen Dollart und Jadebusen die Ostfriesen und zwischen Ijsselmeer und Nordsee die Westfriesen, in der niederländischen Provinz Friesland, die offiziell den friesischen Namen "Fryslan" trägt. Friesland war lange Zeit die entlegendste der insgesamt 12 Provinzen der Niederlanden. Zwar gerade mal 30 Kilometer von Holland entfernt, aber durch einen Meerbusen, die Zuidersee getrennt. Deshalb mussten Reisende, um zum Beispiel nach Amsterdam zu gelangen, entweder die Fähre benutzen oder einen weiten Umweg in Kauf nehmen.
Vor gut 70 Jahren hat sich das grundlegend geändert. Seit dieser Zeit verbindet nämlich der Abschlussdeich, das wohl imponierendste Bauwerk der Niederlande, die Provinzen Nord-Holland und Friesland. Es ist eine 30 Kilometer lange Straße, schnurgerade, auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen das Ijsselmeer. 1976 wurde sie zu einer Schnellstraße ausgebaut, seitdem rollt der Verkehr. An den Wochenenden kommen die erholungssuchenden Holländer in ihre friesischen Wochenendhäuser, werktags fließt der Verkehr vor allem in die andere Richtung. Denn im strukturschwachen Friesland gibt es nicht so viel Arbeit wie in dem Ballungsgebiet um Amsterdam und der geschäftigen holländischen randstad. Deshalb sind viele Friesen zu Pendlern geworden.
Ja, dat ist vroeg in de morgen, woensdag
Die Zeiger der Wanduhr stehen auf fünf vor fünf. In der Küche des kleinen Reihenhauses in Makkum macht sich Jetze Nagel am Kühlschrank zu schaffen. Tee hat sich der Fünfzigjährige bereits aufgegossen, nun packt er sich noch ein paar Brote ein.
Een bakje thee, een stukje brood
Jetze ist Anstreicher von Beruf und gewohnt, früh aufzustehen. Er ist Pendler, wie so viele seiner friesischen Landsleute. Täglich fährt er mit einigen Arbeitskollegen zu früher Stunde mit dem Auto 120 Kilometer nach Amsterdam und abends wieder zurück. Denn Arbeit ist rar in Friesland.
Man ist doch zwölf Stunden unterwegs an so einem Tag. Aber es lohnt sich schon, so früh auf zu stehen, weil in Amsterdam und Umgebung genug ist Arbeit für eine Menge Friesen. Es fahren morgens viele über den Deich.
Noch etwas verschlafen sieht Jetze heute aus, denn gestern gab es Eisschnelllaufen im Fernsehen und da ist es etwas spät geworden. Er nimmt Jacke und Schal von der Garderobe, macht das Licht aus und geht in der Dunkelheit zu seinem Auto.
Alles meenemen, niets vergeten licht uit
Auf dem Parkplatz an der Autobahn steigen drei finstere Gestalten mit schwarzen Mützen ein und machen es sich auf der Rückbank bequem. Derek ist aus Sneek. Das ist fünfzehn Kilometer entfernt.
Ich bin um viertel nach vier aufgestanden. Dann kommen meine Kollegen und holen mich ab und dann fahren wir nach Makkum zum Parkplatz oder wir holen Jetze ab und dann geht es nach Amsterdam und das jeden Tag.
Dass gesprochen wird unterwegs, ist eher die Ausnahme.
Die Jungs steigen ein und schlafen, bis wir in Amsterdam bei der Arbeit sind. Wir wechseln uns ab mit dem Fahren. Drei Wochen hast du Ruhe, und dann musst du fahren. Diese Woche bin ich dran. Sonst könnte ich jetzt auch noch ein Stündchen schlafen.
Vor uns tauchen die hohen Betonpfeiler einer Schleuse auf.
Die Straße führt schnurgerade aus. In der Gegenrichtung sind um diese Zeit nur wenige Autos unterwegs. Frühmorgens ist der Abschlussdeich eine Einbahnstraße.
Hier ist es noch ruhig. Friesland ist ruhig, aber in Holland, weil da so viele Leute arbeiten, da wird es voll. Vielleicht stehen wir dann im Stau um sechs Uhr.
Links dehnt sich die riesige Wasserfläche des IJsselmeeres aus.
Die grüne Positionslampe eines einsamen Fischerbootes tanzt in der Ferne.
Es gibt noch vier Fischereibetriebe in Makkum, kleine aber. Barsch wird gefangen im Winter und Aale, mehr so im Sommer . Aber ist nicht mehr so wie vor zwanzig Jahren. Da wurden mehr Fische gefangen.
Jetzt kommen immer mehr Urlauber nach Makkum zum Surfen vor allem, weil das Wasser flach ist. Die kommen auch mit dem Boot. Immer mehr entdecken den Norden.
Nach zwanzig Minuten Fahrt macht die Straße eine sanfte Kurve. Wir sind wir in Holland.
So, das war der Abschlussdeich. Vierzig Kilometer haben wir schon geschafft. Wir sind nun bei Den Oever. Jetzt wird es voller. Da muss man aufpassen. Die fahren links und rechts an dir vorbei. Das gibt’s in Friesland nicht.
Auf der Rückbank regt sich etwas. Ein Kopf reckt sich nach vorne. Derek vergewissert sich, wie lange er noch schlafen kann.
In Holland wohnen, das könnte ich mir nicht vorstellen und meine Frau auch nicht. Ne.
Ein Friese bleibe eben Friese, meint Derek, obwohl er selbst nicht Friesisch spricht.
Mein Vater kann Friesisch . Meine Mutter nicht. Und da haben wir zu Hause eben kein Friesisch gesprochen. – Das ist anders als auf dem Dorf. -
Der Verkehr wird merklich dichter. Jetze macht das Radio lauter.
Sechs Kilometer Stau. Einmal haben wir vier Stunden gebraucht. Da war wegen eines Unfalls fünfundzwanzig Kilometer Stau. Da wäre man eigentlich besser gleich umgekehrt.
Gott sei Dank löst sich der Stau heute morgen schnell auf. Und nach anderthalb Stunden Fahrt erreichen die Vier noch in der Dämmerung ihren Arbeitsplatz in Amsterdam.
Im Umkleideraum warten bereits die holländischen Kollegen darauf, ihre Witze anzubringen, denn heute Abend gibt es ein brisantes Fußballspiel. Ajax Amsterdam spielt gegen den SC Heerenveen, und das ist fast wie ein Länderspiel.
Während Jetze und Kollegen sich die weißen Overalls anziehen, drehen andere noch schnell eine Zigarette und nehmen ein kräftigen Schluck Kaffee. Dann geht es an die Arbeit.
Friesen sind begeistere Sportfans. Fußball ist natürlich auch hier die Nummer eins. Aber es haben sich auch archaische Sportarten erhalten, wie zum Beispiel Kaatsen, ähnlich dem baskischen Pelota. Oder Fierljeppen, eine Art Stabhoch-Weitspringen über Gräben, das vor allem im Sommer mit sportlichem Ergeiz betreiben wird. Wenn es aber Winter wird und es draußen friert, beginnt die magische Jahreszeit in Friesland - die Zeit des Schlittschuhlaufens.
Vor allem früher war das wie eine Befreiung aus der Isolation: Plötzlich konnte man zum Nachbarhof, der im Sommer noch nur über Umwege, krumme Deiche und kleine Brücken zu erreichen war, in wenigen Minuten gelangen. Der Winter, wenn die Bauern nur wenig zu tun hatten, war die Zeit des Reisens. Die Friesen erkundeten ihr Land auf Schlittschuhen. Die größte Herausforderung für einen Schlittschuhläufer war es, an einem Tag alle elf friesischen Städte zu besuchen. Diese Tradition wurde zu einem sportlichen Wettkampf, der Elfstedentocht, einem Schlittschuhmarathon über 230 Kilometer, der freilich nur dann stattfinden kann, wenn die Gewässer überall gefroren sind. Dies war seit 1890 bislang nur 16 Mal der Fall.
In milden Wintern wie diesem müssen sich die Friesen mit dem Eisstadion in Heerenveen, dem Thialf, begnügen. Die einzige Eislaufbahn in den Niederlanden, auf der auch Weltcuprennen stattfinden, gilt wegen der begeisterten Fans als Mekka des Eisschnelllaufs.
Jeen van den Berg beugt sich über seine Sporttasche. Der Bommel seiner blauen Mütze fällt nach vorne. "Finnland Marathon" steht darauf. Mit dem Daumen prüft er, ob die Kufen seiner Schlittschuhe noch scharf sind.
Das ist schon das sechste Jahr, das ich die benutze, und die sind immer noch gut, und da habe ich viele Strecken auch gelaufen. Damit war ich auch in Finnland vor vier Jahren, da bin ich mitgelaufen für die Weltmeisterstrecke für siebzig Jahre und älter, und da war ich noch - so wie man das nennt - Weltmeister. War schön, ganz schön.
Jeen van den Berg ist fünfundsiebzig Jahre alt und ein Idol. Jeder Sportfan in den Niederlanden kennt ihn, den er hat Eislaufgeschichte geschrieben, - damals 1954, als er die Elfstedentocht gewann, den legendären Schlittschuhmarathon. Auch heute noch ist er seinem Sport verbunden.
Er schlüpft in die braunen Schuhe und zieht die Schnürsenkel fest. Die Socken lässt er an. Das hat er immer so gemacht.
Die schnellen Läufer, die haben keine Socken mehr, aber ich war es gewöhnt. Ich bin auch etwas altmodisch.
Eine Schulklasse kommt auf die Eisfläche, auf der schon einige Läufer trotz der frühen Stunde in der typischen vorgebeugten Körperhaltung ihre Runden drehen. Jeen van den Berg schaut kurz auf.
He, Jongens, dat mag niet, niet oversteken. Dat moet je door de tunnel
Ein Junge hat versucht, die Bahn zu überqueren, um ins Innere des Ovals zu gelangen. Dorthin, wo seine Kameraden bereits auf einem kleinen Eishockeyfeld herumtollen. Das missfällt Jeen van den Berg, denn auf niederländischen Eisbahnen herrsche schließlich Disziplin. Alle laufen in die gleiche Richtung, innen die schnellen, außen die langsamen Läufer.
Und jetzt werde ich sehen, wie viele von meinen Damen hier sind.
Seine Damen - das ist eine Gruppe von Hausfrauen, die er jeden Donnerstagmorgen im Schlittschuhlaufen unterrichtet. Jeen van den Berg reiht sich in die vorbeifahrende Läufergruppe ein. An der gegenüberliegenden Bande wird er bereits erwartet
Wir sind jetzt zu fünft. Es kommen noch zwei dazu. --- Fünf meisjes van Jeen van der Berg. – Moi, eben in deze houding dus
Schlittschuhlaufen ist in Friesland ein Muss. Es gehört zum gesellschaftlichen Leben dieser Region. Wer es als Kind nicht gelernt hat, der holt es später nach so wie diese Frauen, die von Jeen van den Berg unterrichtet werden.
Ich habe welche, die sind schnell, und auch welche, die sind langsam. Es gibt Leute von zwanzig Jahren. Aber es war auch eine dabei, die war achtzig. Aber die ist heute nicht hier
Meine Damen, my ladies, kom maar bij, dames
Eine Dame gleitet auf wackeligen Beinen unsicher über das Eis. Jeen van der Berg nimmt sie an der Hand und erklärt ihr, wie sie in der Kurve ein Bein über das andere setzen muss. So wie er es schon als Kind getan hat, als er, wenn es Winter war, vom elterlichen Bauerhof auf Schlittschuhen zur Schule gefahren ist.
Meine Gruppe ist die schlechteste Gruppe, und ich habe eine neue Dame gehabt, und ich habe gesehen nach zwei, drei Runden , sie ist besser wie meine Gruppe, und da habe ich gesagt: "In die nächste Gruppe" .... di foet ontspannen
Achterop ja in de haken, goed zo, ja, keurig, nog een keer
Jeen van den Berg genießt seine Popularität mit friesischen understatement, und er freut sich über die Fortschritte, die seine Damen machen. Einige, die bei ihm einst das Schlittschuhlaufen gelernt haben, drehen an diesem Donnerstagmorgen auf der Innenbahn ihre Runden - vorgebeugt im Renndress, was ihn etwas mit Stolz erfüllt.
Ja, die gehen ganz gut. Das ist unsere schnellste Gruppe. Aber sind alle Hausdamen, Hausfrauen. Nur zum Spaß
Besonders stolz sind die Friesen darauf, dass sie ihre eigene Sprache erhalten haben. Friesisch ist eine germanische Sprache und mehr mit Englisch verwandt als mit Niederländisch oder Deutsch. Käse, zum Beispiel, heißt auf Niederländisch kaas, auf Englisch cheese und auf Friesisch tsiis.
Bis Mitte des 16. Jahrhunderts war Friesisch eine durchaus gebräuchliche Sprache. Dann nahm der Einfluss des Niederländischen immer mehr zu. Niederländisch wurde zur Sprache der Kirche, der Verwaltung und der Schule, Friesisch blieb die Sprache der Bauern. Im Laufe des 20. Jahrhunderts bekam das Friesische langsam wieder Zugang zu mehr Lebensbereichen.
Seit dem 1. Januar 1997 heißt die niederländische Provinz Friesland offiziell in Fryslan. Von den rund 600.000 Bewohnern der Provinz verstehen über 90 Prozent Friesisch, beinahe dreiviertel sprechen es, 65 Prozent können es lesen und ungefähr 17 Prozent auch schreiben. Die Holländer hingegen haben mit dem Friesischen ihre liebe Not, sie verstehen Friesisch so gut wie überhaupt nicht. Wer aber dauerhaft in Friesland wohnen will, muss Friesisch lernen. Zum Beispiel an der AfuK, der Algemiene Fryske Underrjocht Kommisje in Leeuwarden.
Die Augen blitzen hinter der Brille. Aber Maartsje Miedema lacht nicht, wenn einer ihrer Schüler micht mehr weiter weiß und aus Verlegenheit ein stattliche Anzahl ähs aneinander reiht.
Frau Miedema ist Friesischlehrerin, eine lustige ältere Dame mit kurzen blonden Locken. Sie blättert im Lehrbuch.
"Mit Tempo" heißt es, weil die Leute innerhalb nur eines Jahres Friesisch sprechen lernen. Vorraussetzung ist, dass sie es schon ein bisschen verstehen können und ihre Hausaufgaben machen. Sie bekommen auch eine CD, die sie zu Hause anhören können.
Op bletsje twahondertfirtjin ....
Ein kahler Seminarraum. Nur drei Schüler sind heute gekommen. "Um so intensiver könne wir arbeiten," freut sich Frau Miedema. Ferlytsingsformen hat sie auf die Tafel geschrieben, Verkleinerungsformen. Sie hat selber Spaß an den kleinen Fallstricken des Friesischen, wo aus kop ein kopke wird, aus Möwe ein Möwchen. "Moi breking" lobt sie, oder "gute Aussprache".
An bestimmten Sachen kann man Holländer schon erkennen, Bei den Umlauten beispielsweise, und oft lassen sie die N’s am Wortende weg. Aber es gibt auch Leute, die haben so ein gutes Sprachgefühl, da hört man es nicht.
Leichter ist es für Bob, den Schüler mit den vielen Ähs, wenn er einen Text aus dem Lehrbuch vorlesen darf. Ein Interview mit dem niederländischsprachigen Bürgermeister von Sneek, der Friesisch gelernt hat und in Friesland sehr beliebt ist.
Frystaligen bruken oar it general frysk tsjin mei
"Friesen sprechen mit mir normalerweise friesisch."
Wat betjuttet Frysk foar jou
"Was bedeutet ihnen Friesisch", fragt Bjarke, der den Part des Interviewers übernommen hat
Foar my hat it Frysk te kreien mei emotie ----
Jouke verschränkt die Arme und beugt sich über das Lehrbuch. "Für mich hat Friesisch mit Poesie zu tun und auch mit Gefühl." Da ist er wieder der friesische Hang zum Umlaut. Nicht Emotion, emotion oder emotie. Es muss emoasje heißen.
emoasje -- emoasje
.
Jouke van der Glos stammt aus Utrecht und wohnt seit einem Jahr in Friesland, der Liebe wegen, sagt sie, ihr Freund sei nämlich hierher gezogen.
Ich war vorher Internetredakteurin beim Radio, aber mein Vertrag ist ausgelaufen. Hier in Friesland ist es schwer im Journalismus zu arbeiten. Da müsste man Friesisch können. Als ich in Holland gewohnt habe, ist mir Friesisch nie begegnet. Na ja, vielleicht mal ein paar Worte. Aber richtig Friesisch hatte ich noch nicht gehört.
Ich habe meinen Freunden in Utrecht eine Neujahrskarte geschickt auf Friesisch und für die war das, als ob sie was auf chinesisch zugeschickt bekomme hätten. Von Jouke und Framke aus Leeuwarden. Oh es ist Friesisch. Die haben sich echt gewundert. Na ja, also im Westen hört man nie Friesisch
Probleme mit dem Friesischen hat auch Bob Lauwer, der in Groningen wohnt und jeden Tag zur Arbeit nach Leeuwarden kommt. Er ist bei der Friesischen Akademie beschäftigt und zuständig für Programme am Computer. In seinem Umfeld wird nur Friesisch gesprochen.
Ich streue ab und zu mal ein Wort ein, aber an eine längere Konversation würde ich mich noch nicht rantrauen. Es ist mühselig, wenn du erst so lange nachdenken musst bist du es formuliert hast und das Gespräch verläuft dann auch nicht gerade super. Aber ich habe festgestellt, dass der Kurs mir immerhin schon so weit geholfen hat, dass ich viel verstehen kann.
Erfahrungen mit dem Freieischen hat auch Bjarke Andersen. Er stammt aus Dänemark und ist vor anderthalb Jahren hierher gekommen. Auch er der Liebe wegen.
Wir wohnen zusammen in Groningen. Mit ihrer Familie spreche ich Niederländisch, und sie antworten auch auf Niederländisch. Manchmal versuchen sie es auch auf Friesisch. Ich meine, dass ist schwierig mit den Friesen, es dauert fünf Minuten und dann wechseln sie ins Niederländische und dann lernst du nichts.
Ein altes Lied von der Insel Föhr, gesungen von Knut Kiesewetter.
Auch in Schleswig-Holstein wird friesisch gesprochen, am Festland, auf den Inseln Sylt, Amrum, Föhr und auf den Halligen. Die früheste Geschichte liegt im Dunkeln. Wahrscheinlich sind die Nordfriesen vor über tausend Jahren eingewandert, als Kolonisten.
Im niedersächsischen Ostfriesland begann das Niederdeutsche schon früh das Friesische zu verdrängen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf der Insel Wangerooge nicht mehr friesisch gesprochen. Nur im Saterland südöstlich von Leer hat sich eine friesische Mundart erhalten, die noch von rund 1000 Menschen gesprochen wird.
In der niederländischen Provinz Fryslân aber hat das Friesische seine Stellung als Volkssprache behaupten können. Ein Vollprogramm im Rundfunk und Fernsehen auf friesisch, das gibt es nur in den Niederlanden bei Omrop Fryslan.
Ein modernes Großtraumbüro. Zimmerpflanzen, rosa und gelb gestrichene Betonpfeiler, blauer Teppichboden. Das Funkhaus von Omrop Fryslân liegt im Gewerbegebiet von Leeuwarden.
Onno Falkena sitzt am Computer und überprüft den Stichwortzettel, den er gleich mit ins Studio nehmen wird.
Ich bin Internetredakteur und zweimal in der Woche bin ich auf Sendung und erzähle was mir so im Internet begegnet ist. Meist geht es um Sprache und die Leute können die Links dann auf unserer Webseite finden.
Das Thema heute ist die Sprachverwirrung in Norwegen. Riksmål und Bokmål.
Onno packt seine Zettel zusammen und mit langen Schritten eilt er ins Studio zu Moderator Gurbe Douwstra.
Atensi en minyt foar elfe … goeie middei Onno … goeie middei Gurbert
Bereits seit zehn Jahren ist Onno bei Omrop Fryslân. Ursprünglich wollte er eigentlich Lehrer. Immerhin Omrop Fryslân, könnte man sagen, hat irgendwie auch eine pädagogische Mission. Alle Interviewpartner werden auf Friesisch angesprochen. Ob sie dann lieber auf niederländisch antworten, bleibt ihnen überlassen.
Letzte Woche habe ich einen Landtagsabgeordneten aus Schleswig Holstein interviewt: Lars Harms. Ich habe unser Friesisch gesprochen. Das kann er verstehen, weil er einen Kurs gemacht hat, und ich kann sein Friesisch verstehen. Frasch nennen sie das. Für die Hörer musste ich seine Antworten natürlich übersetzen. Aber die Leute fanden das gut.
Onno kennt sich auch gut mit dem Deutschen aus. Vor Jahren hatte er ein Stipendium und lebte längere Zeit in Deutschland. Unter anderem war er in Sachsen bei der sorbischen Minderheit und in Nordfriesland.
Die Kontakte zwischen West- und Nordfriesland sind wieder intensiver geworden. Hier ist jetzt auch ein Nordfriesisch- Lehrbuch erschienen. Aber die Mühe muss man sich schon machen, weil ein normaler Friese hier auf der Straße, der würde einen Friesen aus Niebüll oder von Sylt nicht verstehen. Es liegen ja Hunderte von Jahren dazwischen und Nordfriesisch ist auch sehr vom Dänischen beeinflusst. Es ist nicht so einfach, es zu verstehen.
Durch das Internet und durch das zusammenwachsende Europa sind die Nordfriesen wieder ins Blickfeld geraten, aus dem sie eine Zeitlang verschwunden waren.
Im Krieg, habe ich mir jedenfalls erzählen lassen, kamen auch Nordfriesen zu uns in der Uniform der Nazis: "Liebe Freunde, da sind wir wieder," haben sie gesagt. In der Satzung der größten friesische Organisation in Nordfriesland damals, dem "Nordfriesischen Verein für Heimatkunde und Heimatliebe", - den gibt es heute nicht mehr -, hieß es: "Alle Friesen sind Deutsche".
Das kann ich natürlich nicht nachvollziehen. Ich fühle mich als Friese. Es gibt auch viele Friesen, die sich als Niederländer fühlen. Ein Friese würde nie sagen: "Ich fühle mich als Holländer." Holland, das ist etwas anderes. Aber die Niederlande sind ja auch von Friesen aufgebaut worden, als Republik, nicht als Königreich. Aber das war eine andere Zeit.
Tige dank Onno en oan’t nije wike ……
Das Leben in Friesland hat sich dramatisch verändert. Um 1900 war noch jeder Zweite in der Landwirtschaft beschäftigt, nach dem Krieg noch jeder Vierte. Heute sind es gerade mal zwei Prozent.
Der Journalist und Essayist Geert Mak erzählt in seinem Buch Wie Gott verschwand aus Jorwerd von den Entwicklungen in einem friesischen Dorf, die mit der Mechanisierung der Landwirtschaft einhergingen. Wie es immer stiller wird, wie nach und nach der Bäcker zumacht, der Schlosser, der Maler, schließlich die Kneipe und eines Tages ist sogar der Kirchturm in Jorwerd zusammengesackt.
Gais Meinsma trat mit ihrem Hund aus der Tür. "Hoej!" Folkert kam auf dem Fahrrad vorbei. "’n Guten!” Eef stieg in ihr Auto "Hoej!” Dort lief Siesling, der alte Schiffer. "Hoej!" Jeder im Dorf grüßte.: "Hoej!” "’n Guten" verwendete man zwar auch, aber meist fungierte das als Abschluss einer etwas längeren Begegnung. "Hoej!" war der Standardgruß, ein Luftseufzer von unten aus den Stimmbändern. Bei den Älteren war der Ton oft etwas niedriger, beinahe wie ein leichtes Muhen.
Manchmal entspann sich ein Gespräch, das fast ohne Worte auskam, in dem man eher die Gegenwart des jeweils anderen genoss, als dass man Informationen ausgetauscht hätte: "Na!" (Schweigen) "Soso! (schweigen) "Na dann, 'n Guten!" Oft fiel auch kein einziger Laut: Fremde wurden meist erst nach leichtem Zögern gegrüßt, zumindest, wenn sie selbst die Initiative ergriffen. Bei ihnen fungierte der Gruß als eine Art Besucherausweis. Die zugezogenen Frauen hatten ihren eigenen Stil des Grüßens entwickelt. In ihrem "Hoej!" war eine Melodie versteckt, die von oben nach unten ging: "Hoeoi!" Wie es auch immer klang, es war stets ein kleines Ritual der Zusammengehörigkeit, das besagt: Das ist einer von uns.
Gais Meinsma, über deren Leben Geert Mak in seinem Buch erzählt, lebt noch heute in dem kleinen Dorf Jorwerd, rund acht Kilometer von Leeuwarden. Durch das Buch ist sie vielen Niederländern bekannt geworden.
Ids Meinsma stapft durch den Schneematsch, der die Dorfstraße in Jorwerd um diese Jahreszeit bedeckt. Vorbei am Friedhof, der Kirche und an der Kneipe. Ids Meinsma ist auf dem Weg nach Hause, zu seiner Baustelle, wie er vorab entschuldigend sagt.
Seitdem er im vergangenen Jahr mit seiner Frau und den drei Kinder nach Jorwerd zurückgekehrt ist, ist er dabei sein Elternhaus umzubauen. Spielzeug liegt herum und jede Menge Werkzeug.
Hier war die Küche. Und hier saß meine Mutter immer. Und hier war der Tisch. Das war die alte Nebenküche. Und nun kann man hier auch sitzen.
Wände hat er durchbrechen und Fußbodenheizung verlegen lassen.
Die alten gusseisernen Öfen sind drinnen geblieben.
Das ist eine Smits-Kachel. Das ist doch ein angenehme Wärme ....Ids zieht die Lederjacke aus und setzt sich aufs Sofa. Er sieht erschöpft aus. Seine Mutter und seine Frau sind gerade bei der Bank.
Wir müssen unsere Schulden abbezahlen, erst dann können wir eine zweite Hypothek aufnehmen. Wir sitzen dick in den roten Zahlen. Das ist doch immer teurer, als man denkt.
Gais Meinsma, Ids Mutter, ist fröhlicher als sonst. Offenbar hat sie Erfolg gehabt bei der Bank.
Sie trägt einen Mantel und hat den dünnen geflochtenen Zopf hochgesteckt. Gais Meinsma ist fünfundsiebzig Jahre alt und hat ihr gesamtes Leben in Jorwerd verbracht.
Hier haben wir gewohnt. Da hatten wir einen Malerbetrieb . Mein Mann war Maler ... und geboren bin ich da auf dem Bauernhof ..
In einem der kleinen Reihenhäuschen am Dorfrand wohnt sie übergangsweise, bis sie in das renovierte Haus wieder einziehen kann.
Vom Fenster ihrer kleinen Stube blickt sie auf das Reich ihrer Kindheit
Dort die Scheune, das Lagerhaus und das Wohnhaus. Da bin ich aufgewachsen. Es war ein Paradies. Nur durch das Gatter konnte man auf den Hof gelangen. Sonst war alles von Wasser umgeben. Wenn jemand kam, hast du das schon vom Küchenfenster aus gesehen.
Jetzt wohnen andere Leute auf dem Hof. Landwirtschaft wird nicht mehr betrieben. Es gibt ohnehin nur noch ein paar Bauern in Jorwerd. Vom ihrem Fenster aus kann sie im Sommer beobachten, wie schnell heute in der Landwirtschaft gearbeitet wird.
Da kommt der Trecker, dann wird gemäht, zwei Tage später kommt der große Heuwagen und dann kommt es unter eine Plastikplane. Die Kühe bekommen ganz anderes Futter als früher. Das Heu war trocken. Man konnte prima darin spielen. Aber heute geht das nicht. Das Zeug stinkt furchtbar.
Die Umzugskisten sind schon gepackt. "Guck mal, der schöne Schrank," sagt sie. "Da wurde früher Hühnerfutter drin aufbewahrt." Gais Meinsma hat Sinn für schöne alte Dinge und auch für die Geschichten aus dem Dorf, als Jorwerd noch einen Laden, Handwerksbetriebe und mehrere Kneipen hatte.
Es sind große Veränderungen, die man da mitmacht. Und wenn ich hier so sitze, dann sehe ich, was passiert. Und dann denke ich. "He, was für ein Unterschied." Das ist doch schon so Einiges, was man in einem Menschenleben mitmacht und doch ist es schön, es erzählen zu können. Ich glaube, was das angeht, habe ich viel mehr mitgemacht als meine Mutter
Alle diese Geschichten würden sicherlich verloren gehen, wenn sie der Schriftsteller Geert Mak nicht aufgeschrieben hätte. Sein Buch hat nicht nur Jorwerd über Frieslands Grenzen hinaus bekannt gemacht, sondern auch Gais Meinsma.
Einmal war ich auf dem Friedhof und unterhielt mich gerade mit jemandem. Plötzlich kam eine Frau auf mich zu und fragte: "Können Sie mir sagen, wo das Grab von Gais Meinsma ist?" "Nein, das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen," sagte ich, "weil ich Gais Meinsma bin." Sie wäre fast im Boden versunken, so peinlich war ihr das. Ich sagte: "So schlimm ist das nicht. Ich habe das tatsächlich alles mitgemacht, aber ich bin noch da."
Für die Leute ist es wie eine Geschichte aus einer Zeit, die lange vergangen ist, und dann kommen sie her und wollen das Dorf ansehen. Die Frau sagte: "Bücher sind doch immer anders als die Wirklichkeit." Und ich sagte zu ihr. "Na, hier ist das nicht so. Hier ist die Wirklichkeit das Buch:"
In den letzten Jahrhunderten haben viele Friesen ihre Heimat verlassen. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft bestiegen sie die Auswandererschiffe im Hafen von Rotterdam mit dem Ziel Amerika, Australien oder Südafrika. Vor Weihnachten wirbt sogar der Paketservice im friesischen Radio mit Sonderangeboten für Post nach Übersee.
Auf der Suche nach Emigranten und ihren Geschichten ist der friesische Schriftsteller Hylke Speerstra( Hilke) in allen Erdteilen unterwegs gewesen und hatte Begegnungen, die manchmal sehr ergreifend waren.
Vor fünf Jahren ist sein Buch erschienen: "It wrede paradys" "Das grausame Pradies".
Bei seinen Streifzügen hat Hylke Speerstra in Neuseeland sogar einen Namensvetter gefunden. An einer Tankstelle blieb der Blick der Verkäuferin auf dem Namen auf der Kreditkarte ihres Kunden hängen. "Speerstra? Kennst du Old Hantsje? Der wohnt hier im Alterheim. Der heißt auch Speerstra."
Das Altersheim Lexumgarden finde ich halbverschollen in einem Park.
Ich soll nach Hantsje Speerstra in der Cafeteria suchen, sagen sie, wo nachmittags ungefähr dreißig Senioren beschäftigt werden. Ich schaue einen Mann mit ovalem friesischen Kopf an, aber das scheint ein Schotte zu sein, der nicht mehr sprechen kann. Hantsje hat sich abgesondert und starrt nach draußen. Braune alte Augen unter strengen, dunkelgrauen Brauen. Ein neugieriger, aber auch misstrauischer Augenaufschlag.
Ich setzte alles auf eine Karte und zitiere den alten Familienspruch: Hantsje fuhr auf Schlittschuhen wie der Wind, rast vorbei und verschwind...."
"Where the hell do you come from?" erklingt sein Neuseeland-Englisch.
"Aus der Gegend von Ysbrechtum."
Er wendet den Rollstuhl um. Und nun stehe ich ihm gegenüber. Der alte Mann senkt den Kopf, als würde er über den Rand eine Brille gucken, die er aber gar nicht aufhat. Seine braunen Augen füllen sich mit Tränen, sein mageren Hände ruhen im Schoß.
"The hell, who are you?” Er will sein Schutzschild nicht abwerfen, und bleibt bei seiner Zweitsprache. Ich erzähle, warum ich hier, sage den Namen meines Vaters, Großvaters Urgroßvaters und fühle dann seine zerbrechliche Hand. Eine Hand, die sich zehn Grad kälter anfühlt als meine.
"Drive me into my room!" In dem kleinen Zimmer quält er sich in seinen Stuhl gegenüber der selbstbewussten Frau in Schwarz-Weiß auf der Anrichte. Und dann fällt er plötzlich zurück in seine Muttersprache, sein Friesisch klingt schön und alt. Er hat seinen Schutzpanzer abgeworfen und muss ein bisschen weinen.
Eine Provinz in den Niederlanden ist nicht zu vergleichen mit einem deutschen Bundesland. Denn die Niederlande werden immer noch zentralistisch regiert. Es gibt zwar eine Provinzregierung aber an der Spitze steht ein Kommisar der Königin, der von Den Haag aus entsandt wird. Das gleiche Prinzip gilt auch für alle größeren Städte.
Die bestimmenden politischen Kräfte in Friesland sind die sozialistische Partei der Arbeit und die Christdemokraten. Dritte Kraft ist die FNP, die Friesische Nationale Partei, die weniger nationalistisch ist, als der Name vermuten lässt. Bei den letzten Wahlen konnte die FNP 7 Sitze gewinnen, nicht zuletzt, weil sie sich vehement gegen die Pläne einsetzte, Groningen, Friesland und Amsterdam mit einer Schwebebahn zu verbinden. Es gebe wichtigere Dinge für Friesland. Zum Beispiel eine bessere Zugverbindung und vor allem die Errichtung einer Universität. Denn wer studieren will muss ins sechzig Kilometer entfernte Groningen. Wie wichtig aber gerade Studenten für Friesland sind, hat sich vor einigen Monaten gezeigt, als eine studentische Initiative gegen die Kürzungen im Kultursektor protestierte, - Te mal, hieß sie, zu deutsch "zu viel" oder "jetzt reicht’s" -,.
Der Zug aus Groningen ist gerade in den Bahnhof von Leeuwarden eingefahren.
Freundlich begrüßt uns eine junge Frau. Aaltsje Malda ist Studentin, hat blondes Haar, trägt Anorak, Jeans und einen Rucksack auf dem Rücken. Sie studiert Psychologie und hat zur Zeit viel um die Ohren.
Nächste Woche habe ich Examen. Ich bin die ganze Zeit in der Bibliothek...
Im Bahnhofsrestaurant bestellt Aaltsje einen Kaffee. Es ist noch gar nicht lange her, da war sie in Leeuwarden unterwegs um Unterschriften zu sammeln gegen die geplanten Kürzungen bei den friesischen Kulturvereinen.
Wir haben die Unterschriften dann einem Politiker übergeben und gesagt, so ginge das nicht. Und wir hatten Erfolg. Die Kürzungen sind tatsächlich zurückgenommen worden.
Aaltsje ist Mitglied von FYK, Frysk Internasjonaal Kontakten, einer Organisation für Austauschprogramme mit Jungendlichen anderer Minderheiten in Europa.
Die meisten unsere Mitglieder sind Studenten und leben in Groningen und nicht mehr in Friesland. Und wir sind oft gefragt worden: "Ihr lebt doch gar nicht mehr in Friesland, warum seid ihr denn so sauer wegen der Kürzungen?" Aber auch wenn wir hier nicht wohnen, wir sind Friesen und wollen unsere Sprache bewahren.
So selbstverständlich wie es klingt, ist Aaltsjes Engagement auch für friesische Jugendliche nicht.
Wenn man ausgeht, zu einer Party oder in die Disko, dann sprechen viele niederländisch. Ich nicht, ich spreche friesisch. Aber wenn ich dann noch sage, dass ich in einer Friesischen Jugendorganisation bin, dann sagen sie: "Oh nee, was soll das? Hier spricht doch jeder niederländisch".
Friesisch ist nicht gerade hip . Viele Jugendliche finden es eher doof. Das sei etwas für Bauern. Wir wollen das ändern. Gerade junge Leute sollten friesisch sprechen, weil die Sprache sonst untergeht.
Wenn ich zum Beispiel träume, dann sprechen in meinem Traum alles friesisch. Vielleicht können nur Leute, die mehrsprachig aufgewachsen sind, richtig verstehen, dass du die Sprache sprechen willst, die dir deine Eltern beigebracht haben.
Aaltsje stammt aus einem kleinen Dorf, aus Wommels. Aber es ist schon einen Monat her, dass sie das letzte Mal zu Haus war. Zugfahren ist gratis für Studenten außer am Wochenende. In Groningen lebt sie in einer Wohngemeinschaft.
Da spricht niemand friesisch. Und wenn ich nach Hause komme, ist meine Mutter entsetzt darüber, wie ich spreche. "Du machst Fehler!", sagt sie. Und dann muss ich mich echt anstrengen.
Auf der Grundschule gibt es eine Stunde Friesisch. Die fällt aber oft aus, wenn die Lehrer anderes für wichtiger halten. Vor einigen Jahren hat man mit Friesisch auf dem Gymnasium angefangen. Das ist auch wichtig, damit man es richtig lernt.
Sprache hat mit Identität zu tun, sagt Aaltsje, und als angehende Psychologin geht sie oft in sich.
Ein Tutor an der Universität hat mich nach dem Seminar auf friesisch angesprochen. Und ich musste erst meine Augen schließen, erst dann konnte ich friesisch sprechen. Wenn du erst mal auf niederländisch angefangen hast, ist es schwer wieder zum Friesischen zurückzukommen.
Mein Pläne für die Zukunft? Ich will mal im Ausland studieren. Amerika würde mich interessieren. Ich war da schon und würde gerne ausprobieren, ob ich da zurecht komme.
Eventuell komme ich dann aber auch wieder zurück. Hier ist mir alles vertraut. Ich fühle mich gut hier.
"Frisia non cantat" ist ein geflügeltes Wort, das auf Tacitus zurückgeht. "Friesland singt nicht."
Das Stereotyp von den unmusikalischen Friesen hat sich so festgesetzt, dass jede musikalische Äußerung eines Friesen in der Öffentlichkeit gerne als etwas Außergewöhnliches hingestellt wird.
Tatsächlich gibt es in Friesland ein ziemlich reges Musikleben in allen Stilrichtungen. Lieder auf friesisch haben es jedoch schwer außerhalb Frieslands auf Gehör zu stoßen. Überraschenderweise aber hat vor kurzem die Gruppe Twarres sogar einen Nr1-Hit in den Niederlanden gelandet. Twarres war ein Entdeckung des friesischen Songfestival Liet, bei dem seit zehn Jahren bekannte und unbekannte friesische Popmusiker neue Titel vorstellen. Bereits zweimal am Festival teilgenommen hat Fokke Miedema.
Ein kleines Haus in der Dorfstraße in Peins. Fokke Miedema macht sauber. Auf dem Fußboden steht ein Aquarium. Vom Fenster aus sieht man den Kaninchenstall im Garten.
Fokke Miedema, Holzfällerhemd, Jeans, rötlich schimmernde Stoppelfrisur, ist im tiefsten Inneren ein Bauer. An der Wand hängt das Foto eines großen Friesenhofes.
Ja, das ist der Bauernhof, wo ich geboren wurde. Da habe ich siebenundzwanzig Jahre meines Leben verbracht. Anschließend habe ich dann in der Stadt gewohnt, in einer Mietwohnung. Aber als ich dann weniger unterwegs war und öfter zu Hause, da hat es mir einfach nicht mehr gefallen. Wenn du in den Garten willst, musst du erst die Treppen runter. Und dann habe ich ein Haus in einem Dorf gesucht. Hier in Peins habe ich es gefunden. Ich fühle mich sehr wohl hier.
Ein steile Treppe führt hinauf ins Obergeschoss. Dort hat sich Fokke ein gut ausgestattetes Musikstudio eingerichtet mit Mischpult, Schlagzeug und Gitarren. Vom Fenster aus sieht man das platte Land, Weiden und Gräben.
Wenn ich Zeit habe, dann sitz ich meistens hier. Es ist ein schöner Raum um zu arbeiten. Die Inspirationen kommen sozusagen zum Fenster herein.
Fokke verdient seinen Lebensunterhalt als Musiktherapeut für geistig behinderte Jugendliche. Vier Tage in der Woche ist er unterwegs in Holland und in Friesland. Von seiner Musik kann er noch nicht leben.
Ich habe natürlich damit angefangen Lieder von anderen zu singen, das war dann eher die Country-Ecke. Und Ende der achtziger Jahre habe ich dann professionell angefangen, Musik zumachen
Nach meinem Diplom war ich in Amerika. Und ich habe auch überlegt, ob das was für mich sein könnte. Die Landschaft ist toll. Aber wie sie so zusammen leben, das hat mich doch ein bisschen abgeschreckt. Sie sind sehr nach außen hin orientiert, aber wenn du näher kommen willst, dann musst du schon suchen.
Das Cover seiner bisher einzigen CD zeigt ihn mit Cowboyhut, Gitarre unter dem Arm, den Westernstiefel auf ein Bahngleis gestützt. Die Pose des lonesome traveller. Aus Amerika hat er auch sein Pseudonym mitgebracht: Gary Field.
Du kannst dich da mit dem Namen Fokke ja kaum auf die Straße trauen. Mein zweiter Name ist Gerrit, auf Englisch Gary und Miedema, das kommt von Feldern, und so wurde eben Gary Field geboren. Aber als ich dann anfing friesisch zu singen, passte Gary Field nicht mehr, dann doch lieber wieder Fokke.
Es gäbe auch einen Fond, aus dem friesische Musiker unterstützt würden, sagt Fokke. Aber er habe davon noch keinen Gebrauch gemacht, und nur deswegen würde wohl auch niemand friesisch singen.
Es ist komisch: ich kann einen Text schneller auf Englisch schreiben als auf Friesisch, obwohl Friesisch meine Muttersprache ist. Ein einfaches Liebesliedchen, das kannst du auch vom Verstand her machen, aber wenn du wirklich was mitteilen willst, dann kommst du doch wieder zu deiner Sprache zurück.
Von seiner CD Ik bin ik ausschließlich mit friesischen Titel sind immerhin 750 Exemplare verkauft worden. Damit könne man durchaus zufrieden sein.
Ein Titel von mir ist auch mal auf dem niederländischen Radio gespielt worden, das war irgendwann morgens zischen fünf und sieben. Und daraufhin bin ich eingeladen worden nach Rotterdam, das war ein Festival für Sprache und Dialekt. Die hatten das gehört und haben gedacht: "Der Junge soll ruhig mal kommen!" Und dann stand ich urplötzlich in Rotterdam auf der Bühne. Leute kamen anschließend und meinten, sie könnten zwar kein Friesisch, aber sie hätten verstanden, worum es in den Liedern ginge. Das fine ich gut, man muss schließlich nicht jedes Wort verstehen.
Musik, von der man sagen würde, die kann nur aus Friesland sein, die gibt es nicht. Es ist ja auch so, dass wir immer damit beschäftigt waren, unsere Füße trocken zu halten, und aus dem Matsch zu ziehen und sichere Deiche zu bauen. So denke ich mir das.
Vor gut 70 Jahren hat sich das grundlegend geändert. Seit dieser Zeit verbindet nämlich der Abschlussdeich, das wohl imponierendste Bauwerk der Niederlande, die Provinzen Nord-Holland und Friesland. Es ist eine 30 Kilometer lange Straße, schnurgerade, auf der einen Seite die Nordsee, auf der anderen das Ijsselmeer. 1976 wurde sie zu einer Schnellstraße ausgebaut, seitdem rollt der Verkehr. An den Wochenenden kommen die erholungssuchenden Holländer in ihre friesischen Wochenendhäuser, werktags fließt der Verkehr vor allem in die andere Richtung. Denn im strukturschwachen Friesland gibt es nicht so viel Arbeit wie in dem Ballungsgebiet um Amsterdam und der geschäftigen holländischen randstad. Deshalb sind viele Friesen zu Pendlern geworden.
Ja, dat ist vroeg in de morgen, woensdag
Die Zeiger der Wanduhr stehen auf fünf vor fünf. In der Küche des kleinen Reihenhauses in Makkum macht sich Jetze Nagel am Kühlschrank zu schaffen. Tee hat sich der Fünfzigjährige bereits aufgegossen, nun packt er sich noch ein paar Brote ein.
Een bakje thee, een stukje brood
Jetze ist Anstreicher von Beruf und gewohnt, früh aufzustehen. Er ist Pendler, wie so viele seiner friesischen Landsleute. Täglich fährt er mit einigen Arbeitskollegen zu früher Stunde mit dem Auto 120 Kilometer nach Amsterdam und abends wieder zurück. Denn Arbeit ist rar in Friesland.
Man ist doch zwölf Stunden unterwegs an so einem Tag. Aber es lohnt sich schon, so früh auf zu stehen, weil in Amsterdam und Umgebung genug ist Arbeit für eine Menge Friesen. Es fahren morgens viele über den Deich.
Noch etwas verschlafen sieht Jetze heute aus, denn gestern gab es Eisschnelllaufen im Fernsehen und da ist es etwas spät geworden. Er nimmt Jacke und Schal von der Garderobe, macht das Licht aus und geht in der Dunkelheit zu seinem Auto.
Alles meenemen, niets vergeten licht uit
Auf dem Parkplatz an der Autobahn steigen drei finstere Gestalten mit schwarzen Mützen ein und machen es sich auf der Rückbank bequem. Derek ist aus Sneek. Das ist fünfzehn Kilometer entfernt.
Ich bin um viertel nach vier aufgestanden. Dann kommen meine Kollegen und holen mich ab und dann fahren wir nach Makkum zum Parkplatz oder wir holen Jetze ab und dann geht es nach Amsterdam und das jeden Tag.
Dass gesprochen wird unterwegs, ist eher die Ausnahme.
Die Jungs steigen ein und schlafen, bis wir in Amsterdam bei der Arbeit sind. Wir wechseln uns ab mit dem Fahren. Drei Wochen hast du Ruhe, und dann musst du fahren. Diese Woche bin ich dran. Sonst könnte ich jetzt auch noch ein Stündchen schlafen.
Vor uns tauchen die hohen Betonpfeiler einer Schleuse auf.
Die Straße führt schnurgerade aus. In der Gegenrichtung sind um diese Zeit nur wenige Autos unterwegs. Frühmorgens ist der Abschlussdeich eine Einbahnstraße.
Hier ist es noch ruhig. Friesland ist ruhig, aber in Holland, weil da so viele Leute arbeiten, da wird es voll. Vielleicht stehen wir dann im Stau um sechs Uhr.
Links dehnt sich die riesige Wasserfläche des IJsselmeeres aus.
Die grüne Positionslampe eines einsamen Fischerbootes tanzt in der Ferne.
Es gibt noch vier Fischereibetriebe in Makkum, kleine aber. Barsch wird gefangen im Winter und Aale, mehr so im Sommer . Aber ist nicht mehr so wie vor zwanzig Jahren. Da wurden mehr Fische gefangen.
Jetzt kommen immer mehr Urlauber nach Makkum zum Surfen vor allem, weil das Wasser flach ist. Die kommen auch mit dem Boot. Immer mehr entdecken den Norden.
Nach zwanzig Minuten Fahrt macht die Straße eine sanfte Kurve. Wir sind wir in Holland.
So, das war der Abschlussdeich. Vierzig Kilometer haben wir schon geschafft. Wir sind nun bei Den Oever. Jetzt wird es voller. Da muss man aufpassen. Die fahren links und rechts an dir vorbei. Das gibt’s in Friesland nicht.
Auf der Rückbank regt sich etwas. Ein Kopf reckt sich nach vorne. Derek vergewissert sich, wie lange er noch schlafen kann.
In Holland wohnen, das könnte ich mir nicht vorstellen und meine Frau auch nicht. Ne.
Ein Friese bleibe eben Friese, meint Derek, obwohl er selbst nicht Friesisch spricht.
Mein Vater kann Friesisch . Meine Mutter nicht. Und da haben wir zu Hause eben kein Friesisch gesprochen. – Das ist anders als auf dem Dorf. -
Der Verkehr wird merklich dichter. Jetze macht das Radio lauter.
Sechs Kilometer Stau. Einmal haben wir vier Stunden gebraucht. Da war wegen eines Unfalls fünfundzwanzig Kilometer Stau. Da wäre man eigentlich besser gleich umgekehrt.
Gott sei Dank löst sich der Stau heute morgen schnell auf. Und nach anderthalb Stunden Fahrt erreichen die Vier noch in der Dämmerung ihren Arbeitsplatz in Amsterdam.
Im Umkleideraum warten bereits die holländischen Kollegen darauf, ihre Witze anzubringen, denn heute Abend gibt es ein brisantes Fußballspiel. Ajax Amsterdam spielt gegen den SC Heerenveen, und das ist fast wie ein Länderspiel.
Während Jetze und Kollegen sich die weißen Overalls anziehen, drehen andere noch schnell eine Zigarette und nehmen ein kräftigen Schluck Kaffee. Dann geht es an die Arbeit.
Friesen sind begeistere Sportfans. Fußball ist natürlich auch hier die Nummer eins. Aber es haben sich auch archaische Sportarten erhalten, wie zum Beispiel Kaatsen, ähnlich dem baskischen Pelota. Oder Fierljeppen, eine Art Stabhoch-Weitspringen über Gräben, das vor allem im Sommer mit sportlichem Ergeiz betreiben wird. Wenn es aber Winter wird und es draußen friert, beginnt die magische Jahreszeit in Friesland - die Zeit des Schlittschuhlaufens.
Vor allem früher war das wie eine Befreiung aus der Isolation: Plötzlich konnte man zum Nachbarhof, der im Sommer noch nur über Umwege, krumme Deiche und kleine Brücken zu erreichen war, in wenigen Minuten gelangen. Der Winter, wenn die Bauern nur wenig zu tun hatten, war die Zeit des Reisens. Die Friesen erkundeten ihr Land auf Schlittschuhen. Die größte Herausforderung für einen Schlittschuhläufer war es, an einem Tag alle elf friesischen Städte zu besuchen. Diese Tradition wurde zu einem sportlichen Wettkampf, der Elfstedentocht, einem Schlittschuhmarathon über 230 Kilometer, der freilich nur dann stattfinden kann, wenn die Gewässer überall gefroren sind. Dies war seit 1890 bislang nur 16 Mal der Fall.
In milden Wintern wie diesem müssen sich die Friesen mit dem Eisstadion in Heerenveen, dem Thialf, begnügen. Die einzige Eislaufbahn in den Niederlanden, auf der auch Weltcuprennen stattfinden, gilt wegen der begeisterten Fans als Mekka des Eisschnelllaufs.
Jeen van den Berg beugt sich über seine Sporttasche. Der Bommel seiner blauen Mütze fällt nach vorne. "Finnland Marathon" steht darauf. Mit dem Daumen prüft er, ob die Kufen seiner Schlittschuhe noch scharf sind.
Das ist schon das sechste Jahr, das ich die benutze, und die sind immer noch gut, und da habe ich viele Strecken auch gelaufen. Damit war ich auch in Finnland vor vier Jahren, da bin ich mitgelaufen für die Weltmeisterstrecke für siebzig Jahre und älter, und da war ich noch - so wie man das nennt - Weltmeister. War schön, ganz schön.
Jeen van den Berg ist fünfundsiebzig Jahre alt und ein Idol. Jeder Sportfan in den Niederlanden kennt ihn, den er hat Eislaufgeschichte geschrieben, - damals 1954, als er die Elfstedentocht gewann, den legendären Schlittschuhmarathon. Auch heute noch ist er seinem Sport verbunden.
Er schlüpft in die braunen Schuhe und zieht die Schnürsenkel fest. Die Socken lässt er an. Das hat er immer so gemacht.
Die schnellen Läufer, die haben keine Socken mehr, aber ich war es gewöhnt. Ich bin auch etwas altmodisch.
Eine Schulklasse kommt auf die Eisfläche, auf der schon einige Läufer trotz der frühen Stunde in der typischen vorgebeugten Körperhaltung ihre Runden drehen. Jeen van den Berg schaut kurz auf.
He, Jongens, dat mag niet, niet oversteken. Dat moet je door de tunnel
Ein Junge hat versucht, die Bahn zu überqueren, um ins Innere des Ovals zu gelangen. Dorthin, wo seine Kameraden bereits auf einem kleinen Eishockeyfeld herumtollen. Das missfällt Jeen van den Berg, denn auf niederländischen Eisbahnen herrsche schließlich Disziplin. Alle laufen in die gleiche Richtung, innen die schnellen, außen die langsamen Läufer.
Und jetzt werde ich sehen, wie viele von meinen Damen hier sind.
Seine Damen - das ist eine Gruppe von Hausfrauen, die er jeden Donnerstagmorgen im Schlittschuhlaufen unterrichtet. Jeen van den Berg reiht sich in die vorbeifahrende Läufergruppe ein. An der gegenüberliegenden Bande wird er bereits erwartet
Wir sind jetzt zu fünft. Es kommen noch zwei dazu. --- Fünf meisjes van Jeen van der Berg. – Moi, eben in deze houding dus
Schlittschuhlaufen ist in Friesland ein Muss. Es gehört zum gesellschaftlichen Leben dieser Region. Wer es als Kind nicht gelernt hat, der holt es später nach so wie diese Frauen, die von Jeen van den Berg unterrichtet werden.
Ich habe welche, die sind schnell, und auch welche, die sind langsam. Es gibt Leute von zwanzig Jahren. Aber es war auch eine dabei, die war achtzig. Aber die ist heute nicht hier
Meine Damen, my ladies, kom maar bij, dames
Eine Dame gleitet auf wackeligen Beinen unsicher über das Eis. Jeen van der Berg nimmt sie an der Hand und erklärt ihr, wie sie in der Kurve ein Bein über das andere setzen muss. So wie er es schon als Kind getan hat, als er, wenn es Winter war, vom elterlichen Bauerhof auf Schlittschuhen zur Schule gefahren ist.
Meine Gruppe ist die schlechteste Gruppe, und ich habe eine neue Dame gehabt, und ich habe gesehen nach zwei, drei Runden , sie ist besser wie meine Gruppe, und da habe ich gesagt: "In die nächste Gruppe" .... di foet ontspannen
Achterop ja in de haken, goed zo, ja, keurig, nog een keer
Jeen van den Berg genießt seine Popularität mit friesischen understatement, und er freut sich über die Fortschritte, die seine Damen machen. Einige, die bei ihm einst das Schlittschuhlaufen gelernt haben, drehen an diesem Donnerstagmorgen auf der Innenbahn ihre Runden - vorgebeugt im Renndress, was ihn etwas mit Stolz erfüllt.
Ja, die gehen ganz gut. Das ist unsere schnellste Gruppe. Aber sind alle Hausdamen, Hausfrauen. Nur zum Spaß
Besonders stolz sind die Friesen darauf, dass sie ihre eigene Sprache erhalten haben. Friesisch ist eine germanische Sprache und mehr mit Englisch verwandt als mit Niederländisch oder Deutsch. Käse, zum Beispiel, heißt auf Niederländisch kaas, auf Englisch cheese und auf Friesisch tsiis.
Bis Mitte des 16. Jahrhunderts war Friesisch eine durchaus gebräuchliche Sprache. Dann nahm der Einfluss des Niederländischen immer mehr zu. Niederländisch wurde zur Sprache der Kirche, der Verwaltung und der Schule, Friesisch blieb die Sprache der Bauern. Im Laufe des 20. Jahrhunderts bekam das Friesische langsam wieder Zugang zu mehr Lebensbereichen.
Seit dem 1. Januar 1997 heißt die niederländische Provinz Friesland offiziell in Fryslan. Von den rund 600.000 Bewohnern der Provinz verstehen über 90 Prozent Friesisch, beinahe dreiviertel sprechen es, 65 Prozent können es lesen und ungefähr 17 Prozent auch schreiben. Die Holländer hingegen haben mit dem Friesischen ihre liebe Not, sie verstehen Friesisch so gut wie überhaupt nicht. Wer aber dauerhaft in Friesland wohnen will, muss Friesisch lernen. Zum Beispiel an der AfuK, der Algemiene Fryske Underrjocht Kommisje in Leeuwarden.
Die Augen blitzen hinter der Brille. Aber Maartsje Miedema lacht nicht, wenn einer ihrer Schüler micht mehr weiter weiß und aus Verlegenheit ein stattliche Anzahl ähs aneinander reiht.
Frau Miedema ist Friesischlehrerin, eine lustige ältere Dame mit kurzen blonden Locken. Sie blättert im Lehrbuch.
"Mit Tempo" heißt es, weil die Leute innerhalb nur eines Jahres Friesisch sprechen lernen. Vorraussetzung ist, dass sie es schon ein bisschen verstehen können und ihre Hausaufgaben machen. Sie bekommen auch eine CD, die sie zu Hause anhören können.
Op bletsje twahondertfirtjin ....
Ein kahler Seminarraum. Nur drei Schüler sind heute gekommen. "Um so intensiver könne wir arbeiten," freut sich Frau Miedema. Ferlytsingsformen hat sie auf die Tafel geschrieben, Verkleinerungsformen. Sie hat selber Spaß an den kleinen Fallstricken des Friesischen, wo aus kop ein kopke wird, aus Möwe ein Möwchen. "Moi breking" lobt sie, oder "gute Aussprache".
An bestimmten Sachen kann man Holländer schon erkennen, Bei den Umlauten beispielsweise, und oft lassen sie die N’s am Wortende weg. Aber es gibt auch Leute, die haben so ein gutes Sprachgefühl, da hört man es nicht.
Leichter ist es für Bob, den Schüler mit den vielen Ähs, wenn er einen Text aus dem Lehrbuch vorlesen darf. Ein Interview mit dem niederländischsprachigen Bürgermeister von Sneek, der Friesisch gelernt hat und in Friesland sehr beliebt ist.
Frystaligen bruken oar it general frysk tsjin mei
"Friesen sprechen mit mir normalerweise friesisch."
Wat betjuttet Frysk foar jou
"Was bedeutet ihnen Friesisch", fragt Bjarke, der den Part des Interviewers übernommen hat
Foar my hat it Frysk te kreien mei emotie ----
Jouke verschränkt die Arme und beugt sich über das Lehrbuch. "Für mich hat Friesisch mit Poesie zu tun und auch mit Gefühl." Da ist er wieder der friesische Hang zum Umlaut. Nicht Emotion, emotion oder emotie. Es muss emoasje heißen.
emoasje -- emoasje
.
Jouke van der Glos stammt aus Utrecht und wohnt seit einem Jahr in Friesland, der Liebe wegen, sagt sie, ihr Freund sei nämlich hierher gezogen.
Ich war vorher Internetredakteurin beim Radio, aber mein Vertrag ist ausgelaufen. Hier in Friesland ist es schwer im Journalismus zu arbeiten. Da müsste man Friesisch können. Als ich in Holland gewohnt habe, ist mir Friesisch nie begegnet. Na ja, vielleicht mal ein paar Worte. Aber richtig Friesisch hatte ich noch nicht gehört.
Ich habe meinen Freunden in Utrecht eine Neujahrskarte geschickt auf Friesisch und für die war das, als ob sie was auf chinesisch zugeschickt bekomme hätten. Von Jouke und Framke aus Leeuwarden. Oh es ist Friesisch. Die haben sich echt gewundert. Na ja, also im Westen hört man nie Friesisch
Probleme mit dem Friesischen hat auch Bob Lauwer, der in Groningen wohnt und jeden Tag zur Arbeit nach Leeuwarden kommt. Er ist bei der Friesischen Akademie beschäftigt und zuständig für Programme am Computer. In seinem Umfeld wird nur Friesisch gesprochen.
Ich streue ab und zu mal ein Wort ein, aber an eine längere Konversation würde ich mich noch nicht rantrauen. Es ist mühselig, wenn du erst so lange nachdenken musst bist du es formuliert hast und das Gespräch verläuft dann auch nicht gerade super. Aber ich habe festgestellt, dass der Kurs mir immerhin schon so weit geholfen hat, dass ich viel verstehen kann.
Erfahrungen mit dem Freieischen hat auch Bjarke Andersen. Er stammt aus Dänemark und ist vor anderthalb Jahren hierher gekommen. Auch er der Liebe wegen.
Wir wohnen zusammen in Groningen. Mit ihrer Familie spreche ich Niederländisch, und sie antworten auch auf Niederländisch. Manchmal versuchen sie es auch auf Friesisch. Ich meine, dass ist schwierig mit den Friesen, es dauert fünf Minuten und dann wechseln sie ins Niederländische und dann lernst du nichts.
Ein altes Lied von der Insel Föhr, gesungen von Knut Kiesewetter.
Auch in Schleswig-Holstein wird friesisch gesprochen, am Festland, auf den Inseln Sylt, Amrum, Föhr und auf den Halligen. Die früheste Geschichte liegt im Dunkeln. Wahrscheinlich sind die Nordfriesen vor über tausend Jahren eingewandert, als Kolonisten.
Im niedersächsischen Ostfriesland begann das Niederdeutsche schon früh das Friesische zu verdrängen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf der Insel Wangerooge nicht mehr friesisch gesprochen. Nur im Saterland südöstlich von Leer hat sich eine friesische Mundart erhalten, die noch von rund 1000 Menschen gesprochen wird.
In der niederländischen Provinz Fryslân aber hat das Friesische seine Stellung als Volkssprache behaupten können. Ein Vollprogramm im Rundfunk und Fernsehen auf friesisch, das gibt es nur in den Niederlanden bei Omrop Fryslan.
Ein modernes Großtraumbüro. Zimmerpflanzen, rosa und gelb gestrichene Betonpfeiler, blauer Teppichboden. Das Funkhaus von Omrop Fryslân liegt im Gewerbegebiet von Leeuwarden.
Onno Falkena sitzt am Computer und überprüft den Stichwortzettel, den er gleich mit ins Studio nehmen wird.
Ich bin Internetredakteur und zweimal in der Woche bin ich auf Sendung und erzähle was mir so im Internet begegnet ist. Meist geht es um Sprache und die Leute können die Links dann auf unserer Webseite finden.
Das Thema heute ist die Sprachverwirrung in Norwegen. Riksmål und Bokmål.
Onno packt seine Zettel zusammen und mit langen Schritten eilt er ins Studio zu Moderator Gurbe Douwstra.
Atensi en minyt foar elfe … goeie middei Onno … goeie middei Gurbert
Bereits seit zehn Jahren ist Onno bei Omrop Fryslân. Ursprünglich wollte er eigentlich Lehrer. Immerhin Omrop Fryslân, könnte man sagen, hat irgendwie auch eine pädagogische Mission. Alle Interviewpartner werden auf Friesisch angesprochen. Ob sie dann lieber auf niederländisch antworten, bleibt ihnen überlassen.
Letzte Woche habe ich einen Landtagsabgeordneten aus Schleswig Holstein interviewt: Lars Harms. Ich habe unser Friesisch gesprochen. Das kann er verstehen, weil er einen Kurs gemacht hat, und ich kann sein Friesisch verstehen. Frasch nennen sie das. Für die Hörer musste ich seine Antworten natürlich übersetzen. Aber die Leute fanden das gut.
Onno kennt sich auch gut mit dem Deutschen aus. Vor Jahren hatte er ein Stipendium und lebte längere Zeit in Deutschland. Unter anderem war er in Sachsen bei der sorbischen Minderheit und in Nordfriesland.
Die Kontakte zwischen West- und Nordfriesland sind wieder intensiver geworden. Hier ist jetzt auch ein Nordfriesisch- Lehrbuch erschienen. Aber die Mühe muss man sich schon machen, weil ein normaler Friese hier auf der Straße, der würde einen Friesen aus Niebüll oder von Sylt nicht verstehen. Es liegen ja Hunderte von Jahren dazwischen und Nordfriesisch ist auch sehr vom Dänischen beeinflusst. Es ist nicht so einfach, es zu verstehen.
Durch das Internet und durch das zusammenwachsende Europa sind die Nordfriesen wieder ins Blickfeld geraten, aus dem sie eine Zeitlang verschwunden waren.
Im Krieg, habe ich mir jedenfalls erzählen lassen, kamen auch Nordfriesen zu uns in der Uniform der Nazis: "Liebe Freunde, da sind wir wieder," haben sie gesagt. In der Satzung der größten friesische Organisation in Nordfriesland damals, dem "Nordfriesischen Verein für Heimatkunde und Heimatliebe", - den gibt es heute nicht mehr -, hieß es: "Alle Friesen sind Deutsche".
Das kann ich natürlich nicht nachvollziehen. Ich fühle mich als Friese. Es gibt auch viele Friesen, die sich als Niederländer fühlen. Ein Friese würde nie sagen: "Ich fühle mich als Holländer." Holland, das ist etwas anderes. Aber die Niederlande sind ja auch von Friesen aufgebaut worden, als Republik, nicht als Königreich. Aber das war eine andere Zeit.
Tige dank Onno en oan’t nije wike ……
Das Leben in Friesland hat sich dramatisch verändert. Um 1900 war noch jeder Zweite in der Landwirtschaft beschäftigt, nach dem Krieg noch jeder Vierte. Heute sind es gerade mal zwei Prozent.
Der Journalist und Essayist Geert Mak erzählt in seinem Buch Wie Gott verschwand aus Jorwerd von den Entwicklungen in einem friesischen Dorf, die mit der Mechanisierung der Landwirtschaft einhergingen. Wie es immer stiller wird, wie nach und nach der Bäcker zumacht, der Schlosser, der Maler, schließlich die Kneipe und eines Tages ist sogar der Kirchturm in Jorwerd zusammengesackt.
Gais Meinsma trat mit ihrem Hund aus der Tür. "Hoej!" Folkert kam auf dem Fahrrad vorbei. "’n Guten!” Eef stieg in ihr Auto "Hoej!” Dort lief Siesling, der alte Schiffer. "Hoej!" Jeder im Dorf grüßte.: "Hoej!” "’n Guten" verwendete man zwar auch, aber meist fungierte das als Abschluss einer etwas längeren Begegnung. "Hoej!" war der Standardgruß, ein Luftseufzer von unten aus den Stimmbändern. Bei den Älteren war der Ton oft etwas niedriger, beinahe wie ein leichtes Muhen.
Manchmal entspann sich ein Gespräch, das fast ohne Worte auskam, in dem man eher die Gegenwart des jeweils anderen genoss, als dass man Informationen ausgetauscht hätte: "Na!" (Schweigen) "Soso! (schweigen) "Na dann, 'n Guten!" Oft fiel auch kein einziger Laut: Fremde wurden meist erst nach leichtem Zögern gegrüßt, zumindest, wenn sie selbst die Initiative ergriffen. Bei ihnen fungierte der Gruß als eine Art Besucherausweis. Die zugezogenen Frauen hatten ihren eigenen Stil des Grüßens entwickelt. In ihrem "Hoej!" war eine Melodie versteckt, die von oben nach unten ging: "Hoeoi!" Wie es auch immer klang, es war stets ein kleines Ritual der Zusammengehörigkeit, das besagt: Das ist einer von uns.
Gais Meinsma, über deren Leben Geert Mak in seinem Buch erzählt, lebt noch heute in dem kleinen Dorf Jorwerd, rund acht Kilometer von Leeuwarden. Durch das Buch ist sie vielen Niederländern bekannt geworden.
Ids Meinsma stapft durch den Schneematsch, der die Dorfstraße in Jorwerd um diese Jahreszeit bedeckt. Vorbei am Friedhof, der Kirche und an der Kneipe. Ids Meinsma ist auf dem Weg nach Hause, zu seiner Baustelle, wie er vorab entschuldigend sagt.
Seitdem er im vergangenen Jahr mit seiner Frau und den drei Kinder nach Jorwerd zurückgekehrt ist, ist er dabei sein Elternhaus umzubauen. Spielzeug liegt herum und jede Menge Werkzeug.
Hier war die Küche. Und hier saß meine Mutter immer. Und hier war der Tisch. Das war die alte Nebenküche. Und nun kann man hier auch sitzen.
Wände hat er durchbrechen und Fußbodenheizung verlegen lassen.
Die alten gusseisernen Öfen sind drinnen geblieben.
Das ist eine Smits-Kachel. Das ist doch ein angenehme Wärme ....Ids zieht die Lederjacke aus und setzt sich aufs Sofa. Er sieht erschöpft aus. Seine Mutter und seine Frau sind gerade bei der Bank.
Wir müssen unsere Schulden abbezahlen, erst dann können wir eine zweite Hypothek aufnehmen. Wir sitzen dick in den roten Zahlen. Das ist doch immer teurer, als man denkt.
Gais Meinsma, Ids Mutter, ist fröhlicher als sonst. Offenbar hat sie Erfolg gehabt bei der Bank.
Sie trägt einen Mantel und hat den dünnen geflochtenen Zopf hochgesteckt. Gais Meinsma ist fünfundsiebzig Jahre alt und hat ihr gesamtes Leben in Jorwerd verbracht.
Hier haben wir gewohnt. Da hatten wir einen Malerbetrieb . Mein Mann war Maler ... und geboren bin ich da auf dem Bauernhof ..
In einem der kleinen Reihenhäuschen am Dorfrand wohnt sie übergangsweise, bis sie in das renovierte Haus wieder einziehen kann.
Vom Fenster ihrer kleinen Stube blickt sie auf das Reich ihrer Kindheit
Dort die Scheune, das Lagerhaus und das Wohnhaus. Da bin ich aufgewachsen. Es war ein Paradies. Nur durch das Gatter konnte man auf den Hof gelangen. Sonst war alles von Wasser umgeben. Wenn jemand kam, hast du das schon vom Küchenfenster aus gesehen.
Jetzt wohnen andere Leute auf dem Hof. Landwirtschaft wird nicht mehr betrieben. Es gibt ohnehin nur noch ein paar Bauern in Jorwerd. Vom ihrem Fenster aus kann sie im Sommer beobachten, wie schnell heute in der Landwirtschaft gearbeitet wird.
Da kommt der Trecker, dann wird gemäht, zwei Tage später kommt der große Heuwagen und dann kommt es unter eine Plastikplane. Die Kühe bekommen ganz anderes Futter als früher. Das Heu war trocken. Man konnte prima darin spielen. Aber heute geht das nicht. Das Zeug stinkt furchtbar.
Die Umzugskisten sind schon gepackt. "Guck mal, der schöne Schrank," sagt sie. "Da wurde früher Hühnerfutter drin aufbewahrt." Gais Meinsma hat Sinn für schöne alte Dinge und auch für die Geschichten aus dem Dorf, als Jorwerd noch einen Laden, Handwerksbetriebe und mehrere Kneipen hatte.
Es sind große Veränderungen, die man da mitmacht. Und wenn ich hier so sitze, dann sehe ich, was passiert. Und dann denke ich. "He, was für ein Unterschied." Das ist doch schon so Einiges, was man in einem Menschenleben mitmacht und doch ist es schön, es erzählen zu können. Ich glaube, was das angeht, habe ich viel mehr mitgemacht als meine Mutter
Alle diese Geschichten würden sicherlich verloren gehen, wenn sie der Schriftsteller Geert Mak nicht aufgeschrieben hätte. Sein Buch hat nicht nur Jorwerd über Frieslands Grenzen hinaus bekannt gemacht, sondern auch Gais Meinsma.
Einmal war ich auf dem Friedhof und unterhielt mich gerade mit jemandem. Plötzlich kam eine Frau auf mich zu und fragte: "Können Sie mir sagen, wo das Grab von Gais Meinsma ist?" "Nein, das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen," sagte ich, "weil ich Gais Meinsma bin." Sie wäre fast im Boden versunken, so peinlich war ihr das. Ich sagte: "So schlimm ist das nicht. Ich habe das tatsächlich alles mitgemacht, aber ich bin noch da."
Für die Leute ist es wie eine Geschichte aus einer Zeit, die lange vergangen ist, und dann kommen sie her und wollen das Dorf ansehen. Die Frau sagte: "Bücher sind doch immer anders als die Wirklichkeit." Und ich sagte zu ihr. "Na, hier ist das nicht so. Hier ist die Wirklichkeit das Buch:"
In den letzten Jahrhunderten haben viele Friesen ihre Heimat verlassen. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft bestiegen sie die Auswandererschiffe im Hafen von Rotterdam mit dem Ziel Amerika, Australien oder Südafrika. Vor Weihnachten wirbt sogar der Paketservice im friesischen Radio mit Sonderangeboten für Post nach Übersee.
Auf der Suche nach Emigranten und ihren Geschichten ist der friesische Schriftsteller Hylke Speerstra( Hilke) in allen Erdteilen unterwegs gewesen und hatte Begegnungen, die manchmal sehr ergreifend waren.
Vor fünf Jahren ist sein Buch erschienen: "It wrede paradys" "Das grausame Pradies".
Bei seinen Streifzügen hat Hylke Speerstra in Neuseeland sogar einen Namensvetter gefunden. An einer Tankstelle blieb der Blick der Verkäuferin auf dem Namen auf der Kreditkarte ihres Kunden hängen. "Speerstra? Kennst du Old Hantsje? Der wohnt hier im Alterheim. Der heißt auch Speerstra."
Das Altersheim Lexumgarden finde ich halbverschollen in einem Park.
Ich soll nach Hantsje Speerstra in der Cafeteria suchen, sagen sie, wo nachmittags ungefähr dreißig Senioren beschäftigt werden. Ich schaue einen Mann mit ovalem friesischen Kopf an, aber das scheint ein Schotte zu sein, der nicht mehr sprechen kann. Hantsje hat sich abgesondert und starrt nach draußen. Braune alte Augen unter strengen, dunkelgrauen Brauen. Ein neugieriger, aber auch misstrauischer Augenaufschlag.
Ich setzte alles auf eine Karte und zitiere den alten Familienspruch: Hantsje fuhr auf Schlittschuhen wie der Wind, rast vorbei und verschwind...."
"Where the hell do you come from?" erklingt sein Neuseeland-Englisch.
"Aus der Gegend von Ysbrechtum."
Er wendet den Rollstuhl um. Und nun stehe ich ihm gegenüber. Der alte Mann senkt den Kopf, als würde er über den Rand eine Brille gucken, die er aber gar nicht aufhat. Seine braunen Augen füllen sich mit Tränen, sein mageren Hände ruhen im Schoß.
"The hell, who are you?” Er will sein Schutzschild nicht abwerfen, und bleibt bei seiner Zweitsprache. Ich erzähle, warum ich hier, sage den Namen meines Vaters, Großvaters Urgroßvaters und fühle dann seine zerbrechliche Hand. Eine Hand, die sich zehn Grad kälter anfühlt als meine.
"Drive me into my room!" In dem kleinen Zimmer quält er sich in seinen Stuhl gegenüber der selbstbewussten Frau in Schwarz-Weiß auf der Anrichte. Und dann fällt er plötzlich zurück in seine Muttersprache, sein Friesisch klingt schön und alt. Er hat seinen Schutzpanzer abgeworfen und muss ein bisschen weinen.
Eine Provinz in den Niederlanden ist nicht zu vergleichen mit einem deutschen Bundesland. Denn die Niederlande werden immer noch zentralistisch regiert. Es gibt zwar eine Provinzregierung aber an der Spitze steht ein Kommisar der Königin, der von Den Haag aus entsandt wird. Das gleiche Prinzip gilt auch für alle größeren Städte.
Die bestimmenden politischen Kräfte in Friesland sind die sozialistische Partei der Arbeit und die Christdemokraten. Dritte Kraft ist die FNP, die Friesische Nationale Partei, die weniger nationalistisch ist, als der Name vermuten lässt. Bei den letzten Wahlen konnte die FNP 7 Sitze gewinnen, nicht zuletzt, weil sie sich vehement gegen die Pläne einsetzte, Groningen, Friesland und Amsterdam mit einer Schwebebahn zu verbinden. Es gebe wichtigere Dinge für Friesland. Zum Beispiel eine bessere Zugverbindung und vor allem die Errichtung einer Universität. Denn wer studieren will muss ins sechzig Kilometer entfernte Groningen. Wie wichtig aber gerade Studenten für Friesland sind, hat sich vor einigen Monaten gezeigt, als eine studentische Initiative gegen die Kürzungen im Kultursektor protestierte, - Te mal, hieß sie, zu deutsch "zu viel" oder "jetzt reicht’s" -,.
Der Zug aus Groningen ist gerade in den Bahnhof von Leeuwarden eingefahren.
Freundlich begrüßt uns eine junge Frau. Aaltsje Malda ist Studentin, hat blondes Haar, trägt Anorak, Jeans und einen Rucksack auf dem Rücken. Sie studiert Psychologie und hat zur Zeit viel um die Ohren.
Nächste Woche habe ich Examen. Ich bin die ganze Zeit in der Bibliothek...
Im Bahnhofsrestaurant bestellt Aaltsje einen Kaffee. Es ist noch gar nicht lange her, da war sie in Leeuwarden unterwegs um Unterschriften zu sammeln gegen die geplanten Kürzungen bei den friesischen Kulturvereinen.
Wir haben die Unterschriften dann einem Politiker übergeben und gesagt, so ginge das nicht. Und wir hatten Erfolg. Die Kürzungen sind tatsächlich zurückgenommen worden.
Aaltsje ist Mitglied von FYK, Frysk Internasjonaal Kontakten, einer Organisation für Austauschprogramme mit Jungendlichen anderer Minderheiten in Europa.
Die meisten unsere Mitglieder sind Studenten und leben in Groningen und nicht mehr in Friesland. Und wir sind oft gefragt worden: "Ihr lebt doch gar nicht mehr in Friesland, warum seid ihr denn so sauer wegen der Kürzungen?" Aber auch wenn wir hier nicht wohnen, wir sind Friesen und wollen unsere Sprache bewahren.
So selbstverständlich wie es klingt, ist Aaltsjes Engagement auch für friesische Jugendliche nicht.
Wenn man ausgeht, zu einer Party oder in die Disko, dann sprechen viele niederländisch. Ich nicht, ich spreche friesisch. Aber wenn ich dann noch sage, dass ich in einer Friesischen Jugendorganisation bin, dann sagen sie: "Oh nee, was soll das? Hier spricht doch jeder niederländisch".
Friesisch ist nicht gerade hip . Viele Jugendliche finden es eher doof. Das sei etwas für Bauern. Wir wollen das ändern. Gerade junge Leute sollten friesisch sprechen, weil die Sprache sonst untergeht.
Wenn ich zum Beispiel träume, dann sprechen in meinem Traum alles friesisch. Vielleicht können nur Leute, die mehrsprachig aufgewachsen sind, richtig verstehen, dass du die Sprache sprechen willst, die dir deine Eltern beigebracht haben.
Aaltsje stammt aus einem kleinen Dorf, aus Wommels. Aber es ist schon einen Monat her, dass sie das letzte Mal zu Haus war. Zugfahren ist gratis für Studenten außer am Wochenende. In Groningen lebt sie in einer Wohngemeinschaft.
Da spricht niemand friesisch. Und wenn ich nach Hause komme, ist meine Mutter entsetzt darüber, wie ich spreche. "Du machst Fehler!", sagt sie. Und dann muss ich mich echt anstrengen.
Auf der Grundschule gibt es eine Stunde Friesisch. Die fällt aber oft aus, wenn die Lehrer anderes für wichtiger halten. Vor einigen Jahren hat man mit Friesisch auf dem Gymnasium angefangen. Das ist auch wichtig, damit man es richtig lernt.
Sprache hat mit Identität zu tun, sagt Aaltsje, und als angehende Psychologin geht sie oft in sich.
Ein Tutor an der Universität hat mich nach dem Seminar auf friesisch angesprochen. Und ich musste erst meine Augen schließen, erst dann konnte ich friesisch sprechen. Wenn du erst mal auf niederländisch angefangen hast, ist es schwer wieder zum Friesischen zurückzukommen.
Mein Pläne für die Zukunft? Ich will mal im Ausland studieren. Amerika würde mich interessieren. Ich war da schon und würde gerne ausprobieren, ob ich da zurecht komme.
Eventuell komme ich dann aber auch wieder zurück. Hier ist mir alles vertraut. Ich fühle mich gut hier.
"Frisia non cantat" ist ein geflügeltes Wort, das auf Tacitus zurückgeht. "Friesland singt nicht."
Das Stereotyp von den unmusikalischen Friesen hat sich so festgesetzt, dass jede musikalische Äußerung eines Friesen in der Öffentlichkeit gerne als etwas Außergewöhnliches hingestellt wird.
Tatsächlich gibt es in Friesland ein ziemlich reges Musikleben in allen Stilrichtungen. Lieder auf friesisch haben es jedoch schwer außerhalb Frieslands auf Gehör zu stoßen. Überraschenderweise aber hat vor kurzem die Gruppe Twarres sogar einen Nr1-Hit in den Niederlanden gelandet. Twarres war ein Entdeckung des friesischen Songfestival Liet, bei dem seit zehn Jahren bekannte und unbekannte friesische Popmusiker neue Titel vorstellen. Bereits zweimal am Festival teilgenommen hat Fokke Miedema.
Ein kleines Haus in der Dorfstraße in Peins. Fokke Miedema macht sauber. Auf dem Fußboden steht ein Aquarium. Vom Fenster aus sieht man den Kaninchenstall im Garten.
Fokke Miedema, Holzfällerhemd, Jeans, rötlich schimmernde Stoppelfrisur, ist im tiefsten Inneren ein Bauer. An der Wand hängt das Foto eines großen Friesenhofes.
Ja, das ist der Bauernhof, wo ich geboren wurde. Da habe ich siebenundzwanzig Jahre meines Leben verbracht. Anschließend habe ich dann in der Stadt gewohnt, in einer Mietwohnung. Aber als ich dann weniger unterwegs war und öfter zu Hause, da hat es mir einfach nicht mehr gefallen. Wenn du in den Garten willst, musst du erst die Treppen runter. Und dann habe ich ein Haus in einem Dorf gesucht. Hier in Peins habe ich es gefunden. Ich fühle mich sehr wohl hier.
Ein steile Treppe führt hinauf ins Obergeschoss. Dort hat sich Fokke ein gut ausgestattetes Musikstudio eingerichtet mit Mischpult, Schlagzeug und Gitarren. Vom Fenster aus sieht man das platte Land, Weiden und Gräben.
Wenn ich Zeit habe, dann sitz ich meistens hier. Es ist ein schöner Raum um zu arbeiten. Die Inspirationen kommen sozusagen zum Fenster herein.
Fokke verdient seinen Lebensunterhalt als Musiktherapeut für geistig behinderte Jugendliche. Vier Tage in der Woche ist er unterwegs in Holland und in Friesland. Von seiner Musik kann er noch nicht leben.
Ich habe natürlich damit angefangen Lieder von anderen zu singen, das war dann eher die Country-Ecke. Und Ende der achtziger Jahre habe ich dann professionell angefangen, Musik zumachen
Nach meinem Diplom war ich in Amerika. Und ich habe auch überlegt, ob das was für mich sein könnte. Die Landschaft ist toll. Aber wie sie so zusammen leben, das hat mich doch ein bisschen abgeschreckt. Sie sind sehr nach außen hin orientiert, aber wenn du näher kommen willst, dann musst du schon suchen.
Das Cover seiner bisher einzigen CD zeigt ihn mit Cowboyhut, Gitarre unter dem Arm, den Westernstiefel auf ein Bahngleis gestützt. Die Pose des lonesome traveller. Aus Amerika hat er auch sein Pseudonym mitgebracht: Gary Field.
Du kannst dich da mit dem Namen Fokke ja kaum auf die Straße trauen. Mein zweiter Name ist Gerrit, auf Englisch Gary und Miedema, das kommt von Feldern, und so wurde eben Gary Field geboren. Aber als ich dann anfing friesisch zu singen, passte Gary Field nicht mehr, dann doch lieber wieder Fokke.
Es gäbe auch einen Fond, aus dem friesische Musiker unterstützt würden, sagt Fokke. Aber er habe davon noch keinen Gebrauch gemacht, und nur deswegen würde wohl auch niemand friesisch singen.
Es ist komisch: ich kann einen Text schneller auf Englisch schreiben als auf Friesisch, obwohl Friesisch meine Muttersprache ist. Ein einfaches Liebesliedchen, das kannst du auch vom Verstand her machen, aber wenn du wirklich was mitteilen willst, dann kommst du doch wieder zu deiner Sprache zurück.
Von seiner CD Ik bin ik ausschließlich mit friesischen Titel sind immerhin 750 Exemplare verkauft worden. Damit könne man durchaus zufrieden sein.
Ein Titel von mir ist auch mal auf dem niederländischen Radio gespielt worden, das war irgendwann morgens zischen fünf und sieben. Und daraufhin bin ich eingeladen worden nach Rotterdam, das war ein Festival für Sprache und Dialekt. Die hatten das gehört und haben gedacht: "Der Junge soll ruhig mal kommen!" Und dann stand ich urplötzlich in Rotterdam auf der Bühne. Leute kamen anschließend und meinten, sie könnten zwar kein Friesisch, aber sie hätten verstanden, worum es in den Liedern ginge. Das fine ich gut, man muss schließlich nicht jedes Wort verstehen.
Musik, von der man sagen würde, die kann nur aus Friesland sein, die gibt es nicht. Es ist ja auch so, dass wir immer damit beschäftigt waren, unsere Füße trocken zu halten, und aus dem Matsch zu ziehen und sichere Deiche zu bauen. So denke ich mir das.