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Auftrag: "Konflikte verschärfen"

In Südtirol, auf italienischem Staatsgebiet, war auch die DDR-Staatsicherheit aktiv. Bestandteil ihrer Strategie: die Bundesrepublik Deutschland mit vermeintlich rechtsradikalen Gewalttaten im deutschsprachigen Ausland in Zusammenhang zu bringen, sie als einen Hort finstersten Neonazismus zu diffamieren.

Von Michaela Koller | 04.08.2007
    Waidbruck, eine 200-Seelen-Gemeinde an der Einfahrt zum Grödner Tal in Südtirol. Seit dem Friedensvertrag von Saint Germain nach dem ersten Weltkrieg gehört das Land nicht mehr zu Österreich, sondern zu Italien. In dem kleinen Ort südlich des Brenners stehen vereinzelte Gehöfte, saftige grüne Wiesen und Laubbäume wachsen am steilen Hang. Auf dem halben Weg zum Berggipfel grüßt die Trostburg als Wahrzeichen im unteren Eisacktal.

    Eine gewaltige Explosion zerriss in der Nacht zum 30. Januar 1961 die Dorfidylle Waidbrucks. Eine paar Tiroler sprengten dort ein Aluminium-Denkmal des faschistischen Diktators Benito Mussolini, dem sogenannten Duce. Die Beseitigung dieser Hinterlassenschaft aus der Zeit des römischen Faschismus erschien auch vielen Italienern als längst überfällig - für die Südtiroler war die Aluminium-Figur schiere Provokation.

    Die faschistische Regierung wollte nämlich ganz Südtirol ab 1935 durch Zuwanderung italienisieren. So ließ sie in ihrer Migrationspolitik Industrieanlagen und Sozialwohnungen gezielt in die deutschen Siedlungsräume bauen. Süditalienische Arbeiter wurden dann dorthin umgesiedelt. Rund 7.000 von ihnen zogen bis 1943 mit ihren Familien zum Beispiel nach Bozen und blieben.

    Aber brachte das Ende des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus nach 1945 den bedrängten Südtirolern Erleichterung? Nicht wirklich: Zwar waren sie die Diktatur los, aber der Gebrauch des Selbstbestimmungsrechts wurden ihnen ebensowenig zugestanden wie wirkliche Autonomie gewährt. Nicht einmal der Gebrauch der deutschen Muttersprache im öffentlichen Leben war gesichert: Ab 1952 durfte nur noch Italienisch gesprochen werden. Und auch die inzwischen demokratische Regierung in Rom förderte weiterhin den italienischen Zuzug nach Südtirol, genauso wie vorher in den Zeiten des Duce. Zuwanderungs-Bilanz in den Jahren 1939 bis 1961: Es kamen insgesamt 48.000 Italiener, und sie wurden bevorzugt: etwa bei der Jobvergabe in der Verwaltung oder bei der Zuteilung von staatlichen Wohnungen. Das erregte den Unmut der meisten Südtiroler, der sich in Petitionen, Kundgebungen, und Parolen an Häuserwänden äußerte. Auch kam es schon 1946 zu ersten Sprengstoff-Attentaten - verübt von Einzeltätern.

    Später dann, in den Jahren 1956 und 1957 verübte die sogenannte Stieler-Gruppe eine Reihe von Anschlägen auf Bahnlinien. Am 1. Februar 1961 beschädigte ein Sprengstoffattentat die Hausfassade eines Anwesens im Südtiroler Montan, ein Ort, der im Etschtal südlich von Bozen liegt. In dem Haus hatte einst der 1952 verstorbene italienische Nationalist Ettore Tolomei gelebt, der ein glühender Verfechter der Entnationalisierungspolitik gegen die Südtiroler war. Josef Fontana, heute Historiker, bekennt sich zu dem Anschlag und sagt:

    " Ich habe zwei Sprengstoffanschläge gemacht. Einen auf das Haus Tolomei in Glen und einen auf einen Rohbau für ein soziales Wohnhaus in Bozen."

    Der damalige österreichische Außenminister und spätere Bundeskanzler der Republik Österreich, Bruno Kreisky, erreichte immerhin, dass sich die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit der Südtirol-Problematik befasste. Sie forderte am 31. Oktober 1960 Österreich als Schutzmacht der Südtiroler und Italien auf, Verhandlungen zur Lösung aller Konfliktpunkte neu aufzunehmen.

    Die ethnischen Spannungen im Herzen der westlichen Hemisphäre hatten aber auch das Interesse kommunistischer Führungskader und deren Geheimdienste geweckt.

    Kundschafterlied: Euer Dienst ist die Aufklärung, Namen bleiben geheim, unauffällig die Leistungen, stets im Blickfeld der Feind...

    Die Geheimdienste, beziehungsweise die sie leitenden kommunistischen Parteien, wollten interne Konflikte im sogenannten imperialistischen Lager anheizen, um es zu destabilisieren und somit ihre Gegner zu diskreditieren. In Südtirol, auf italienischem Staatsgebiet, verfolgte neben anderen Geheimdiensten auch die DDR-Staatsicherheit diese Ziele. Bestandteil ihrer Strategie: die Bundesrepublik Deutschland mit vermeintlich rechtsradikalen Gewalttaten im deutschsprachigen Ausland in Zusammenhang zu bringen, sie als einen Hort finstersten Neonazismus zu diffamieren.

    Um ihre Ziele beim Südtirol-Konflikt zu konkretisieren, hieß nun die Aufgabe für Stasi-Agenten: Infiltration der Südtiroler Attentäter-Szene, lauter Terroristen aus Sicht der Stasi, die sich selbst jedoch als Freiheitskämpfer verstanden. Diese wiederum sammelten sich im sogenannten Befreiungsausschuss für Südtirol, kurz BAS.

    Eine zentrale Persönlichkeit dieser Widerstandsgruppe war Sepp Kerschbaumer. Zu dessen Freundeskreis zählten neben Josef Fontana auch Sepp Innerhofer. In Schenna, oberhalb der Kurstadt Meran, erinnert sich Innerhofer an seinen legendären Freund Kerschbaumer.

    " Er war schon einstellungsmäßig ein Super-Christ. Es gab Versammlungen, wo er gesagt hat am Schluss: 'So jetzt beten wir noch zusammen ein Vaterunser, damit alles gut läuft.' Deshalb habe ich immer gesagt, wenn sie uns als Nazi abgestempelt haben, die italienische Presse usw., nach den Anschlägen hatte es geheißen, es sind neonazistische Gruppen, dann habe ich gesagt, da haben sie total daneben getippt. Wir haben da überhaupt nichts zu tun gehabt. Wir haben damit überhaupt nichts zu tun gehabt. Wir waren wirklich auf der Seite der ehrlichen, heimatliebenden Christen."

    Der SED-Staat konnte mit seiner Propaganda - sozusagen - auf einen fahrenden Zug aufspringen: denn Italiens Polizei und die italienischen Medien bezeichneten die Befürworter der Selbstbestimmung für Südtirol rundweg als Nazis und bezichtigten sie eines verwerflichen großdeutschen Pan-Germanismus. Aber waren die Aktionisten des BAS wirklich Rechtsextremisten oder gar Nazis?

    Die zeitgeschichtliche Forschung verneint diese Frage, denn: die Südtiroler Männer vom BAS waren vorwiegend bäuerlich, traditionell katholisch geprägt, ihr Weltbild war weit entfernt von der NS-Ideologie.

    Dazu Eva Klotz, die Tochter eines engagierten Südtirol-Kämpfers:

    " Die waren zum großen Teil bereits im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewesen und hatten daher große Erfahrung im Widerstand und auch im sogenannten Partisanenkampf."

    Der Südtiroler BAS holte nach intensiven Vorbereitungen in der sogenannten Feuernacht vom 11. auf den 12. Juni 1961 zum großen Schlag aus, als seine Mitglieder über 40 Strommasten in ganz Südtirol sprengten.

    In den darauffolgenden Wochen und Monaten verhaftete die italienische Polizei viele Südtiroler, bis Ende September beinahe 140 Verdächtige. Unter - teilweise - brutaler Folter packten manche aus und verrieten was sie wussten. Infolge dessen zerfiel das Südtiroler Netz des BAS weitgehend während die nordtiroler Strukturen erhalten blieben.

    Der Südtiroler Georg Klotz, der einen eigenen Weg des Widerstandes gegen die Italienisierungpolitik von Rom verfolgte, entkam nach Österreich. Seine Spezialität: Mit Scheinüberfällen schockierte er italienischen Soldaten. Doch eine weitergehende Guerillastrategie konnte er aber nicht verwirklichen, denn dafür hätte er mehr Mitkämpfer und auch mehr Waffen benötigt. An Angeboten mangelte es nicht, wie sich seine Tochter Eva erinnert:

    " Es hat Angebote gegeben, und zwar sogar von den Russen. Meine Mutter hat dann später erzählt, mein Vater sei 1960 in Wien gewesen und schon auf dem Wege zur russischen Botschaft. Er habe dann gesagt, 'Nein mit den Kommunisten mich verbünden, das kann ich nicht als Tiroler, als wertkonservativer Mensch nicht tun'. Und so ist er dann nicht hineingegangen. Später dann, 1967, `68 haben sich die Tschechen an ihn herangemacht. Ich kann mich ganz genau an den Typen erinnern. Wir waren mit unserem Vater in Absam im Exil in Nordtirol. Da ist dieser Robert aus Tschechien gekommen, der meinen Vater überzeugen wollte, man müsse zuerst eine Bank ausrauben, in Südtirol, um zu Geld zu kommen, dann müsse man einige italienische Kasernen stürmen."

    Es gilt als gesichert, dass Spitzel italienischer Geheimdienste die Aktivisten-Szene des BAS bald nach der Feuernacht unterwanderten. Der italienische Senator Marco Boato untersuchte den Geheimdienst-Mord an dem Südtiroler Aktivisten Luis Amplatz und andere Bluttaten in einer Kommission des römischen Parlaments und sagt heute:

    " Italienische Geheimdienste hatten die Terrorszene in Südtirol durchdrungen. Eine Reihe von Gewaltakten provozierten sie selbst. Dieselben Methoden wandten sie später wieder an. Dieselben Offiziere, die in den sechziger Jahren bei den Geheimdiensten und im Polizeikorps für Südtirol zuständig waren, arbeiteten nach 1968 und 1969 auf nationaler Ebene."

    Eine Kofferbombe in der Gepäckaufbewahrung riss am 20. Oktober 1962 den Bahnarbeiter Gaspare Erzen in Verona in den Tod. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt. In derselben Nacht explodierte eine weitere Kofferbombe - diesmal am Bahnhof von Trient. Der BAS distanzierte sich in einem Schreiben an den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Adolf Schärf sofort von diesen beiden Attentaten. In dem Buch "Es blieb kein anderer Weg" vermutet Mit-Autor Erhard Hartung, die mysteriösen Attentate gingen auf das Konto eines östlichen Geheimdienstes.

    Die Stasi-Akte MfS-HA römisch 22, Nr. 5529/5 zeigt jedenfalls, wie sehr sich Geheimdienstler aus Ost-Berlin für Details der Südtirol-Attentate interessierten. Sie hängten diese und weitere blutige Anschläge dem BAS an, darunter namentlich dem damals 20-jährigen Gelegenheitsarbeiter Herbert Kühn aus Essen, der des öfteren in die DDR einreiste.

    Das Oberste Gericht der DDR verurteilte im Februar 1964 Herbert Kühn nach einem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu lebenslanger Haft. Er soll drei Sprengstoffanschläge verübt haben, darunter auf das Rote Rathaus in Berlin. Kühn hatte Anschluss an deutsche und österreichische Südtirol-Aktivisten gefunden und soll aber zugleich Kontakte zu Alt- und Neonazis unterhalten haben.

    Anhand dieses Beziehungsgeflechts wollte die Stasi aufzeigen, wie die Südtiroler Selbstbestimmungsbefürworter angeblich mit Rechtsextremisten vernetzt waren. Zum Prozessbeginn veranstaltete DDR-Chef-Propagandist Karl Eduard von Schnitzler dazu eine eigene Pressekonferenz, bei der er der Bundesrepublik Deutschland Pangermanismus und Revanchismus vorwarf.

    Und auch der italienische Staat focht in dem Nationalitätenkonflikt in Südtirol mit Propaganda-Mitteln. Und dabei zeigte sich zwischen den Behörden von DDR und Italiens bisweilen ein gewisser PR-Gleichklang: Rom und Ostberlin erhoben beide den Vorwurf des Pangermanismus gegen die Aktivisten vom BAS und andere Selbstbestimmungsbefürworter. Die Kunsthistorikerin Herlinde Molling aus Innsbruck verübte Sprengstoffanschläge in Südtirol und betrieb zugleich von Nordtirol aus mit anderen den illegalen Sender "Radio Freies Tirol".

    " Die Frage des Pangermanismus, das hat uns allen sehr weh getan und zwar hat sich die konstruiert aus der Teilnahme von rechtsgerichteten Kräften, die zum Beispiel aus schlagenden Studentenverbindungen kamen, Norbert Burger war ein Mann der rechten Seite, und das hat der Südtirolsache sehr, sehr geschadet. Etwas absurd, weil gerade die Südtiroler ja unter den faschistischen Methoden der Italiener so gelitten haben."

    Im September 1961 kam es zu einem gewissen politischen Durchbruch: Die römische Regierung ließ sich erstmals auf Verhandlungen mit den Südtirolern ein, indem sie eine Kommission aus elf Italienern und acht Südtirolern einsetzte. Deren Arbeit diente als Grundlage für eine Liste von Zugeständnissen, die 1969 den Südtirolern zur Abstimmung vorgelegt wurden.

    Am 20. Januar 1972 trat dann das zweite Autonomiestatut zugunsten der Südtiroler in Kraft und vier Jahre später konnte im öffentlichen Dienst wieder Italienisch und Deutsch gesprochen sowie Posten im öffentlichen Dienst entsprechend dem jeweiligen Bevölkerungsanteil an Italiener und Südtiroler vergeben werden.

    In den achtziger Jahren, erschütterten Südtirol erneut Sprengstoffmorde, die nur vorgeblich etwas mit dem Kampf für Freiheitsrechte und für das Selbstbestimmungsrecht zu tun hatten. Dahinter steckte vielmehr eine kriminelle Bande, die in den siebziger Jahren für Brandanschläge, Überfälle, Einbrüche und Erpressungen verantwortlich war. Sie hatte sich Mitte der achtziger Jahre dann zu einer angeblich politisch motivierten Terrorgruppe namens "Ein Tirol" gewandelt.

    Die Attentate der Gruppe um den Nordtiroler Karl Außerer führten zum Gegenteil dessen, was angeblich erstrebt wurde: Selbstbestimmung für die Südtiroler. Der Einsatz für dieses Recht geriet vielmehr in Verruf. Das Klima zwischen den Bevölkerungsgruppen in Südtirol wurde frostig. Dies kam wiederum Italiens Rechtsradikalen zu gute, die sich für die italienische Bevölkerung in Südtirol stark machte.

    Die post-faschistische Partei MSI in Südtirol wurde so von Mitte der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre mehr als dreimal stärker, die Zustimmung stieg von 6,28 Prozent im Jahr 1974 auf 22,6 Prozent im Jahr 1985. Trotz seiner Selbstverpflichtung zum Anti-Faschismus nahm das SED-Regime dies offenbar in Kauf.

    Bei den Machenschaften von "Ein Tirol" ist die DDR-Staatssicherheit nachweislich Mitwisserin, wie aus der Stasi-Akte mit der Signatur MfS AIM 868/91 hervorgeht. In einem Bericht der Hauptabteilung XXII vom 16. Mai 1989 über die Aktivitäten ihres IM "Förster" alias Herbert Hegewald, Journalist aus Mannheim, heißt es:

    " Zwischen Außerer und Förster besteht nach seiner Einschätzung ein gutes Vertrauensverhältnis. Dieses kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass A. ihn im September oder Oktober bat,...mit ihm zu einem gewissen Soundso in die Nähe von Innsbruck zu fahren, um von diesem Sprengstoff abzuholen. Dieser Bitte kam Förster nach."

    Ein zweiter DDR-Agent, der in Südtirol spitzelte, war Peter Weinmann. Der gelernte Polizist und Bademeister arbeitete zudem noch für das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz, für die politische Polizei Italiens, kurz Digos genannt, und den italienischen Militärgeheimdienst SISMI. Er unterhielt in den Achtzigern vielfältige Kontakte in die rechte und neonazistische Szene der Bundesrepublik, darunter zur berüchtigten Wehrsportgruppe Hoffmann, verantwortlich für den Mord am jüdischen Verleger Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin.

    Um konservative Politiker als rechtsextrem zu diskreditieren, brachte er Interviews mit ihnen ohne deren Einverständnis in rechtsextremistischen Blättern unter. Bruno Hosp ist in den heißen achtziger Jahren Generalsekretär der Südtiroler Volkspartei, kurz SVP, und war damit Akteur bei der Verwirklichung der Autonomie. Er erinnert sich an Weinmanns Versuche, auch die SVP für seine Presseaktivitäten zu gewinnen:

    " Ein Herr Weinmann ist mir in den 80er Jahren öfter begegnet, bei Schützenfesten, ich war Landeskommandant der Schützen, und hat sich mit Schützen unterhalten, und hat ihnen auf die Schulter geklopft und hat ihnen Mut und alles Mögliche zugesprochen, den sie an sich nicht notwendig hatten, aber er hat sich überall ein bisschen eingeschlichen. Er ist auch bei mir im Büro in der Südtiroler Volkspartei aufgetaucht. Dort hat er mir allerdings eher Vorschläge gemacht, wie man die Werbetätigkeit der Südtiroler Volkspartei verstärkt ansetzen könnte. Ich habe dann dankend abgelehnt."

    Agenten wie Weinmann und Hegewald wurden zu Mitschöpfern einer angeblichen pangermanistischen Verschwörung mit nazistischen Zügen in Südtirol. Beide mischten in extremistischen Kreisen entscheidend mit. So zeichneten sie das Bild, das zu den außenpolitischen Interessen der jeweiligen Auftraggeber passte.