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Augen des Himmels

In der Republik Südafrika galt es zu Zeiten der Apartheid als unumstößliches Dogma, dass das Land am Kap der Guten Hoffnung zuerst von Weißen besiedelt worden sei. Anders lautende Ansichten und entsprechende historische Dokumente wurden in ihrer Bedeutung heruntergespielt. Seit der politischen Wende in der Kap-Republik gewinnen indes die Stimmen an Gewicht, die auf die belebte Geschichte Südafrikas schon vor dem Eindringen der Holländer 1652 und vor der Besetzung des Kaps durch die Briten im Jahr 1806 verweisen.

Manfred Loimeier |
    Die 53-jährige Autorin Rayda Jacobs hat nun den Roman "Augen des Himmels” vorgelegt. Sie schildert darin das Leben der San, der so genannten Buschleute. Jacobs beschreibt deren Auseinandersetzungen mit den ersten Kapholländern, die um 1750 vom Süden her nach Norden ins Landesinnere vorstießen, in die trockene Karoo. Dazu die Autorin:

    "Gewöhnlich ist in Büchern zu lesen, dass Buschleute Farmen überfielen - ja, das kam vor -, aber in diesem Buch zeige ich auch, was die Weißen den Buschleuten antaten. Sie töteten und vernichteten ganze Lager der Buschleute. Es war letztlich ein Kampf um Land. Es war das Land der Buschleute - sie betrachteten es als ihr Land. Dann kamen die Weißen und drangen in das Gebiet der Buschleute ein.”

    Jacobs hat 27 Jahre ihres Lebens im Exil verbracht. 1968 hatte sie sich entgegen den Apartheidsgesetzen einen Pass für Weiße besorgt, um das College besuchen zu können. Deshalb wurde die als Farbige eingestufte Jacobs im Alter von 21 Jahren nach Kanada abgeschoben. Sie veröffentlichte dort 1994 ihr erstes Buch mit halb-autobiografischen Erzählungen. Im Jahr darauf kehrte Jacobs nach Südafrika zurück und publizierte wenig später den Roman "Augen des Himmels”, für den sie sogleich den neuen Herman-Charles-Bosman-Preis erhielt:

    "Ich schrieb das Buch vollständig in Kanada. Es war damals aber ein vollkommen anderes Buch als es nun ist! Es war ein Buch allein über Buschleute. Als es jemand las, sagte er: Du solltest besser ein paar weiße Figuren einfügen, denn sonst wird es niemand veröffentlichen. Also fügte ich weiße Figuren ein, gab ihm einen neuen Titel, und als ich nach Südafrika kam und es dort an Verlage schickte, hieß es, es seien zu viele weiße Figuren darin. Also überarbeitete ich es wieder und so wurde es schließlich zu ‘Augen des Himmels’”.

    Dem Roman "Augen des Himmels” ist diese mehrfache, erstaunlich bereitwillige Überarbeitung nicht anzumerken. Das Buch liest sich flüssig und locker, ohne Brüche. Die Handlung setzt etwa Mitte des 18. Jahrhunderts ein und endet um 1800. Auf einer entlegenen Farm leben Großvater, Vater und die beiden zerstrittenen Brüder David und Roeloff.

    Jacobs simplifiziert die Charaktere der beiden Brüder. Während David voller Hass steckt, ist Roeloff durchwegs gut. Das zeigt sich auch im Umgang mit den Buschleuten, den San. David plädiert für Mord und Vertreibung und vergewaltigt, Roeloff hingegen beginnt eine Liebesbeziehung mit einem Buschmädchen namens Zokho. Mit Zokho und dem Buschmann Twa verlässt Roeloff nach einem Streit mit Bruder und Vater die Farm. So heißt es im Text:

    "Roeloff lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und zog sich seinen Hut über das Gesicht. Seine Trauer über den Verrat lag wie ein Stein in seiner Brust. David hatte dafür gesorgt, dass er vertrieben wurde. Sein Vater hatte ihn verurteilt. Er war verbannt worden. Sein Leben bestand aus nichts mehr als einer züngelnden Flamme in der Wildnis und der Kleidung, die er trug. Wohin sollte er gehen? Wie sollte er überleben? Er schaute zu Twa hinüber, der am Feuer lag. Roeloff wünschte, er wäre wie Twa, der sich einfach wohin legen konnte. Twa machte sich keine Sorgen. Für ihn gab es keine Zukunft. Waren die San die wahren Besitzer der Freiheit?”

    Um die Sitten und Bräuche der San möglichst korrekt wiedergeben zu können, recherchierte Jacobs vier Jahre lang - und gründlich. Die Autorin schildert anschaulich die Lebensbedingungen in der Steppe, die Methoden der Wassersuche oder der Jagd. Auch auf eigene Erfahrungen griff die Autorin zurück:

    "Mein Großvater hatte eine Farm - wir lebten am Kap - und dieser Junge von 18, 19 oder 20 Jahren, der auf Arbeitssuche auf die Farm kam, als ich zwei Jahre alt war, war zum Teil Buschmann und verließ die Farm nie mehr. Er blieb bei der Familie, bis er starb. Als Kind war ich in seiner Obhut, wenn ich meine Großeltern besuchte. Meine Großmutter kochte ihm Kaffee und machte ihm Sandwiches, wenn er das Vieh auf die Weide zu treiben hatte; ich begleitete ihn und spielte, und er war so sorgsam und aufmerksam, wirkte in seiner Art so anders auf mich, und das blieb die ganzen Jahre so. Twa - das ist dieser Mann! Alles, was Twa in diesem Buch macht, ruhte als Erinnerung in meinem Gedächtnis.”

    Am Beispiel des San-Mädchen Zokho und des Burenjungen Roeloff kontrastiert die Autorin zudem die Lebensordnungen der Buschleute und der Buren. Wanderwirtschaft und Gemeinbesitz stehen Sesshaftigkeit und Privatbesitz gegenüber. Realistischerweise verdeutlicht Jacobs die Unvereinbarkeit dieser Lebensweisen: Die Beziehung zwischen Zokho und Roeloff zerbricht trotz eines Kindes, und Roeloff heiratet schließlich eine weiße Farmerstochter.

    Dennoch liegen die Sympathien der Autorin unverkennbar bei den San, deren Lebensstil sie im Einklang mit einer freundlichen Natur sieht und als friedliebend verklärt. Im Buch zeigt sich das auch daran, dass der Diebstahl von Schafen durch die Buschleute mit deren anderem Verständnis von Eigentum entschuldigt wird. Wegen der stereotypen Romantisierung erinnert der Roman "Augen des Himmels” an klassische und streckenweise sogar an triviale Abenteuerromane über edle Wilde und böswillige Eroberer.

    Auch stilistisch ist dieser Roman traditionell geschrieben. Erst gegen Ende des Buchs wird durch ein vorgefundenes fiktives Tagebuch die Einheit aus Raum, Zeit und Ort kurzfristig aufgehoben. Die einfache Sprache, der sich die Autorin bedient, ermöglicht immerhin eine flotte Lektüre, die bequem Details aus der Geschichte Südafrikas vermittelt.

    Jacobs Roman "Augen des Himmels” eröffnet zugleich eine Trilogie, deren zweiter Teil "The Slave Book” - ‘Das Sklavenbuch’ - in Südafrika bereits veröffentlicht ist. In deutscher Übersetzung soll es im Herbst erscheinen. Zurzeit schreibt Jacobs an den letzten Seiten des dritten Trilogie-Teils. Er ist den immer noch spürbaren Folgen der ethnischen Trennung und der heimlich praktizierten Vermischung der Kulturen in Südafrika gewidmet. Doe Autorin:

    "Wenn man, wie ich, als farbige Person oder als gemischtrassige Person eingestuft wird, dann fragt man sich viel eher: Wo komme ich her, wie bin ich entstanden? Das kann man nicht mit einem Satz beantworten, man muss jede Menge Bücher lesen, um das nachempfinden zu können. Würde man also von einem fremden Planeten kommen und nichts über Südafrika wissen, dann könnten einem diese drei Bücher von mir vor Augen führen, wie sich die heutige südafrikanische Gesellschaft geformt hat.”