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Augustus. Eine Biographie

Als eine Art Gustav Gans des Altertums charakterisierte Christoph Martin Wieland 1782 den Erben Julius Caesars und Begründer des Kaisertums, Octavian alias Augustus: Im Kommentar seiner Übersetzung der Briefe des Horaz nannte er den Protektor des Dichters "das eitle und ehrgeizige, aber schwache, furchtsame, unentschlossene und demungeachtet der größten Übereilungen fähige Schoßkind des Glücks". Helden, die das Lob der Poeten verdienen, machen gemeinhin eine bessere Figur. Augustus stellt die Nachwelt vor ein Rätsel: Zu groß scheint die Diskrepanz zwischen Person und Werk.

Patrick Bahners | 23.05.1999
    Caesars Großneffe, den nur die Gunst des ermordeten Diktators empfahl, kein eigenes Verdienst, beendete die Bürgerkriege und gab dem römischen Staat eine Ordnung, die über Jahrhunderte Bestand hatte und noch nach ihrem Untergang jeden inspirierte, der ein Reich regieren wollte. Dabei fehlte dem Adoptivsohn das Charisma, der natürliche Charme des vergöttlichten Vaters. Keineswegs konnte sich Octavian den Legionen Caesars durch ein Talent zum Feldherrnberuf empfehlen. Das Kommando überließ er seinen Generälen; nur den Ruhm wollte er für sich allein haben. Er nahm den siegreichen Heerführern das Recht, einen Triumphzug innerhalb der Stadtmauern abzuhalten. Im neuen Regime gab es nur einen Herrn und konnte es auch nur einen Sieger geben. Aber in den vier Jahrzehnten seiner ungeteilten Herrschaft trat nie ein Rivale aus der zurückgesetzten Kriegeraristokratie hervor, der ihn herausgefordert hätte. Auch die Leistung des tüchtigsten Dieners stellte sein Glück nicht in den Schatten. Man mußte ihn bewundern, durfte ihn beneiden. Lieben konnte man ihn nicht.

    Jochen Bleickens Augustus-Biographie baut auf den Ergebnissen von zwei Jahrhunderten gelehrter Forschung auf. Aber der Göttinger Althistoriker, der an Scharfsinn wohl alle seine Kollegen hierzulande übertrifft, will nicht alles erklären und erst recht nicht allem einen Sinn abgewinnen. Auch in Bleickens Buch ist Augustus der Günstling der Fortuna, dem der Leser seine Erfolge nicht gönnen möchte. "Unverdiente Glücksfälle" bahnten ihm den Weg nach oben. Kaum hatte er das Erbe Caesars angetreten, hätte er es beinahe schon wieder verspielt. Die Bewaffneten, die er auf eigene Faust aushob, ließ er im November 44 auf Rom marschieren. In einer Rede an das Volk bekannte sich der Einundzwanzigjährige in brutaler Offenheit zu seinem schrankenlosen Ehrgeiz. Aber selbst Octavians eigene Soldaten mochten diesem direkten Ton keinen Beifall spenden, und der Jüngling durfte froh sein, daß er mit heiler Haut davonkam. Es war sein Glück, daß Marcus Antonius, der amtierende Konsul, kein Kapital aus dem dilettantischen Putschversuch des Anfängers schlug. Ein halbes Jahr später wiederholte sich dieses Glück, als er mit dem Heer des Senats in den Krieg gegen Antonius zog. Er hatte aus seinem Fehler gelernt und ließ den Konsuln Hirtius und Pansa respektvoll den Vortritt. Aber das Schicksal wollte es, daß beide Konsuln fielen. Es war an Octavian, das Kommando zu übernehmen, denn sonst war niemand da, der die Rolle hätte übernehmen können.

    Bleicken läßt die Schicksalsgöttin höchstselbst auftreten und gibt ihr ihren griechischen Namen: "Durch den Tod der Konsuln erhob ihn die Tyche zu einem der mächtigsten unter den nicht wenigen Heerführern, die mit ihren Legionen durch das Römische Reich stampften." Die Beschwörung der himmlischen Mächte dient nicht der Erhöhung Octavians, sondern ist eher geeignet, ihn herabzusetzen. Die Kommandeure, die mit ihren Truppen kreuz und quer durch das Reichsgebiet stampfen, statt an der Grenze Wache zu stehen, bieten keinen würdigen Anblick dar. Ihre Züge taugen nicht zum Sinnbild der zielgerichteten historischen Bewegung. Keiner von ihnen weiß, in welche Richtung der römische Staat sich entwickeln soll, auch Caesars Erbe nicht. Daß Octavian derjenige ist, der schließlich alle Rivalen hinter sich läßt, nimmt sich beinahe wie ein Zufall aus.

    Manchmal zeigte das Schicksal dem Mann ohne Kollegen und Konkurrenten auch die Grenzen seiner Macht. Aus der Verbindung mit Livia, die er ihrem ersten Gatten wegnahm, erwuchs ihm kein Erbe. Bleickens Formulierung, "die Götter" hätten durch das Verhängnis der Kinderlosigkeit "späte Rache" für den Ehebruch geübt, könnte so auch bei einem antiken Historiker stehen. Demonstrativ nimmt der Autor den Standpunkt der Zeitgenossen ein, weil er mit der modernen Übung brechen möchte, einer im höchsten Maße unwahrscheinlichen Karriere im nachhinein eine vorherbestimmte Bedeutung zu unterschieben. Solche Sinnstiftung hatte in Deutschland einmal Tradition. Einen Historiker, der vernünftige Ordnung in der Geschichte schaffen möchte, kann das Glückskind Octavian zur Verzweiflung treiben. Vergeblich bemühte sich Theodor Mommsen darum, die beispiellose Machtvollkommenheit des Augustus seinem System des römischen Staatsrechts einzufügen. Das Grundelement dieses Systems war die Magistratur, das zu einem bestimmten Zweck und für eine bestimmte Zeit übertragene Amt. Mommsen wollte auch die Stellung des Augustus, der sich als Princeps titulieren ließ, als erster Mann im Staat, noch als Amtsgewalt aufgefaßt wissen, obwohl sie auf Dauer angelegt war und eine Zuständigkeit für alle öffentlichen Angelegenheiten begründete.

    Gerade das Neue und Dynamische der von Augustus geschaffenen Verhältnisse hat Mommsen mit seinem juristischen Blick nach verbreiteter Meinung unterschätzt. Im deutschen Kaiserreich, dessen Verfassung mit Bedacht offen ließ, ob die letzte Autorität beim Monarchen oder beim Parlament lag, konnte man das römische Kaisertum gerade deshalb als vorbildlich ansehen, weil sich die Macht des Princeps vom Recht nicht hatte einhegen lassen. Nach der Katastrophe des Kaiserreiches, in der Zeit des radikalen Zweifels am Rechtsstaat, wurde es erst recht attraktiv, in den improvisierten und gewaltsamen Momenten der Prinzipatsverfassung das Kreative und Konstruktive zu suchen. Die Charakterzüge, die Octavian zum Außenseiter in der gesitteten Gesellschaft stempelten, Kaltblütigkeit und Rücksichtslosigkeit, wiesen ihn nun als geborenen Führer aus. Eben die Unwahrscheinlichkeit seines Erfolges bürgte dafür, daß er mit der Geschichte verbündet gewesen war.

    Von solchen Legenden bleibt in Bleickens Biographie nichts mehr übrig. Nach 1945 hat die deutsche Althistorie ihrem Kaiserkult abgeschworen. Gelehrte wie Lothar Wickert, Hans Schäfer und Karl Christ haben einer nüchternen Neueinschätzung des Prinzipats den Weg bereitet, die das Unfertige und Widersprüchliche dieser Monarchie im republikanischen Kostüm betont. Es wird Bleickens imposantem Werk zu verdanken sein, wenn die Ergebnisse der kritischen Prinzipatsforschung auch in das Geschichtsbild des großen Publikums eingehen. Doch nicht die Zusammenfassung, sondern die Zuspitzung des gelehrten Streits macht den Reiz seines Buches aus. Ein Beispiel ist die Debatte um die außenpolitischen Maximen des Augustus.

    Schon antike Quellen brachten den Verfassungswandel mit einem Strategiewechsel in Verbindung: Auf die republikanische Expansion sei in der Kaiserzeit die Bewahrung des Status quo gefolgt. Eduard Meyer, der einflußreichste Althistoriker im wilhelminischen Reich, schrieb Augustus eine defensive Außenpolitik zu, hinter der er einen innenpolitischen Antrieb postulierte. Die von Augustus ausgegebene Losung einer Wiederherstellung der Republik nahm Meyer beim Wort. Er deutete die Herrschaft des ersten Bürgers als eine Art konstitutioneller Monarchie: Dem Princeps sei es ernsthaft um eine Teilung der Macht mit dem Senat zu tun gewesen. Eben deshalb habe Augustus auf Eroberungen verzichtet: Nur in einem saturierten Reich, das den Frieden wahrte, ließ sich die Teilung der Sphären aufrechterhalten; als Kriegsherr hätte der Prinzeps alle Machtmittel an sich ziehen müssen.

    Bleicken geht wie Meyer von einem Primat der Innenpolitik aus: Die Logik der Verfassungsentwicklung bestimmt die Prinzipien der Außenbeziehungen. Diese Prinzipien sucht Bleicken aber nicht in den großen Worten von der Befriedung des Erdkreises, sondern in den kleinen Handlungen der Realpolitik. Er kommt zu dem Befund, daß im Jahr 16 vor Christus eine Kette weitausgreifender Offensiven einsetzte, die die Grenzen des Reiches in unerschlossene und bis dahin auch uninteressante Räume vorschob. In den Quellen findet sich keine Begründung für diese Wende. Bleicken schließt aus, daß den Operationen in Germanien und auf dem Balkan ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept zugrundelag. Expeditionen, die zur Erkundung des Grenzgebiets unternommen worden seien, hätten bald jeden strategischen Sinn hinter sich gelassen. Die Expansion war ungeplant und eben deshalb bringt sie für Bleicken die Mechanik der augusteischen Herrschaftsorganisation an den Tag. Hinter den militärischen Ad-hoc-Entscheidungen war ein langfristiger politischer Zwang am Werk, dem sich auch Augustus nicht entziehen konnte.

    In der Leidenschaft, mit der Bleicken den Dingen auf den Grund geht, verrät sich die Tradition Mommsens. Der juristische Blick sucht hinter jedem Grund einen weiteren, tieferen und schließlich den letzten Grund. Die klassische Frage der Staatslehre ist die nach dem Sitz der Souveränität, nach dem Ort der letzten, unbeschränkten Macht, die keinen Widerspruch ertragen muß. Mit Recht nimmt Bleicken Mommsen gegen den Vorwurf in Schutz, der juristische Betrachter sitze einer idealistischen Täuschung auf. Die Verfassung läßt sich nicht nur als Normengefüge, sondern auch als Machtkomplex analysieren. In diesem Sinne ist für Bleicken das fundamentale Faktum der römischen Verfassung in augusteischer Zeit die Militärmonarchie. Die letzte Autorität lag beim mächtigsten General und im Extremfall sogar bei seinen Soldaten, die allmählich ihre Interessen auch gegen ihre Kommandeure durchzusetzen verstanden.

    Aus der Natur der Militärmonarchie erklärt Bleicken, daß es im Kampf zwischen Octavian und Antonius keinen Kompromiß geben konnte. Solange sie noch Abmachungen über eine Teilung des Reichsgebiets trafen, war, juristisch gesprochen, die Frage nach der Souveränität nur aufgeschoben, nicht entschieden. Als Octavian seinen letzten Rivalen ausgeschaltet hatte, hätte er seine Soldaten eigentlich entlassen müssen. Das stehende Heer war keine römische Einrichtung. Der Sieger nannte sich nicht mehr Octavian, sondern Augustus, der Heilige, Erhabene, wollte die Erinnerung an den Bandenführer auslöschen und auch von seinem Adoptivvater nicht mehr sprechen. Aber über die Bedingungen seiner Macht war auch Augustus nicht erhaben. Hätte er das Heer verkleinert, hätte er die mit denkbar großem Einsatz gewonnene Militärmonarchie wieder preisgegeben. Da kein innerer Feind mehr zur Verfügung stand, mußte ein äußerer aufgescheucht werden. Denn die Armee durfte nicht kaserniert werden: Dann wäre das Geheimnis der Verfassung offenbar geworden, die Souveränität des Militärmonarchen, der jederzeit zuschlagen konnte. Da das ruhende Heer unbekannt war, notiert Bleicken mit lakonischem Realismus, mußte es bewegt werden, ob Augustus wollte oder nicht.

    So stellt Bleicken Meyers Theorie auf den Kopf: Nicht die Gewaltenteilung verlangte die Defensive, vielmehr war die Offensive die Konsequenz der ungeteilten Macht. Bleicken zu lesen ist ein Erlebnis, weil die historische Erzählung unter seinen Händen die Einfachheit und Schönheit einer logischen Demonstration erhält. Die Tyche ist wirklich die Göttin, die über dieser Geschichte waltet. Sie trägt ein Doppelgesicht: Die spöttische Grimasse des Zufalls zeigt sie nach der einen Seite, nach der anderen das ernste Antlitz der Notwendigkeit. Es ist kein Zufall, daß Octavian sich soviele Zufälle zunutze machen konnte. Glücksrittern pflegen sich gerade dort Chancen aufzutun, wo einer Gesellschaft das Gesetz verborgen bleibt, unter dem ihre Existenz steht. Daß ein junger Mann, ein haltloser Charakter, für den nichts sprach als sein Name, den Staat in seine Gewalt brachte, sagt alles über diesen Staat: Die Macht war ortlos geworden, die Souveränität hatte ihren Träger verloren. Hätte nicht Octavian den Bürgerkrieg gewonnen, dann hätte es einen anderen Sieger gegeben. Man könnte es einen Glücksfall für die historische Erkenntnis nennen, daß der Großneffe Caesars militärisches Genie nicht geerbt hatte. So ist klar, daß nicht die Kraft des Militärmonarchen, sondern die Logik der Militärmonarchie sich die Republik unterwarf.

    Wenn Bleicken die Tyche anruft, ist der Name der Göttin die Chiffre für einen Prozeß, der sich im Rücken der Handelnden vollzieht. Dem antiken Historiker erschien das Geschick unergründlich; sein moderner Nachfolger will am Ende doch zum Grund des Unglücks der Republik vorstoßen. Ein Sinn wächst dem verworrenen Geschehen der letzten Bürgerkriegsjahre dadurch nicht zu; Bleicken ruft Octavian, der sich stets selbst ermächtigte und dann erst nachträglich um die rechtliche Legitimation seiner Handlungen kümmerte, nicht zum Träger einer historischen Sendung aus. Wenn der Historiker hinter die Perspektive der Republikaner zurückgeht und erklärt, warum sie ihre Ziele nicht erreichen konnten, tadelt er sie nicht für die Beschränkung ihres Blickfelds. Denn der unbeirrte Blick, der sich nicht ablenken ließ, hatte die Republik einmal groß gemacht. Bleicken legt den blinden Fleck des republikanischen Weltbilds frei. Es hatte die Stärke der Römer ausgemacht, daß sie nicht über die Bedingungen ihres Erfolgs nachgedacht hatten; sie durften den Siegeszug römischer Waffen und Begriffe ihrer Tugend zugutehalten. Der Stolz hatte einen Preis. Als die Institutionen die Erwartungen nicht mehr erfüllten, mußte der Grund in menschlichem Versagen gesucht werden, in einem Verfall der Moral. Nicht die Erfindung neuer politischer Maßregeln, sondern die Wiederbelebung der alten Sitten versprach die Rettung.

    Jede Verfassung hat ihren blinden Fleck. Es ist jener Punkt, an dem die tatsächliche und die juristische Souveränität zusammenfallen. Die letzte Macht, die sich nicht mehr auf Gründe berufen muß, bleibt unsichtbar. Denn käme sie ins Blickfeld, geriete die Frage nach ihrer Rechtfertigung auf die Tagesordnung. Nach Bleicken hat die Rechtsordnung der Republik solange funktioniert, wie die Machtfrage geklärt war und sich insofern nicht stellte. Das prächtige Gebäude der Normen und Kompetenzen hatte sein unterirdisches Fundament in den sozialen Tatsachen. Die komplizierte Mischverfassung aus demokratischen, aristokratischen und monarchischen Elementen, das Zusammenwirken von Volksversammlung, Senat und Magistraten, hatte deshalb Bestand, weil nie in Frage stand, wer de facto die entscheidenden Entscheidungen traf: die Gruppe der angesehensten Senatoren, die sogenannte Nobilität.

    So erweitert Bleicken den Rechtspositivismus von Mommsens System des Staatsrechts um einen soziologischen Machtpositivismus: Die Grundnorm des republikanischen Rechts, der erste Artikel der ungeschriebenen Verfassung, war der Machterhalt der Nobilität. In dieser Sicht untergruben die Bürgerkriege die Republik in einem ganz handfesten Sinne: Sie zerstörten ihre soziale Basis, indem sie das Personal dezimierten, dessen Solidarität den Staat getragen hatte. In dem Senat, der zwischen den Militärpotentaten Antonius und Octavian hin- und hergerissen wurde, gab es kaum noch Konsulare, ehemalige Konsuln, die durch ihr Ansehen die versammelten Väter zur Festigkeit eines eigenständigen Kurses hätten bewegen können.

    Trotz ihrer souveränen Geschlossenheit ist die Augustus-Biographie ein Nebenprodukt der republikanischen Studien des Verfassers. Bleicken macht die Gegenprobe auf die Tragfähigkeit seiner genial einfachen Verfassungstheorie: Nachdem die Senatsaristokratie weggebrochen war, fehlte dem Staat der Halt; das Vakuum, in dem Caesars Erbe sein Glück machte, entstand durch das Verschwinden der Nobilität. Octavian nutzte die Machtlosigkeit der Nobiles aus; er wollte einfach den Bürgerkrieg gewinnen. Für den Sieger, der sich Augustus nannte, stellte sich eine andere Aufgabe: Er mußte einen Ersatz für die Nobilität finden, wenn im Staat wieder stabile Verhältnisse einziehen sollten. Tatsächlich hatte das Militär den Amtsadel abgelöst: Nichts geschah gegen den Willen der Armee, insofern war ihr Oberbefehlshaber im Besitz der Souveränität. Einer Beschränkung unterlag die Freiheit des Militärmonarchen dennoch: Er mußte seine Machtvollkommenheit für sich behalten. Sie war der blinde Fleck der Prinzipatsverfassung: Man wußte, daß man einen Herrn hatte, und wollte es doch nicht wahrhaben. Sehen wollte man den ersten Bürger, der sich den überkommenen Formen fügte und die Staatsangelegenheiten im Kreis der Senatoren verhandelte.

    Als Princeps hatte Augustus kein klar umrissenes, neu erfundenes Amt: Seine persönliche Autorität hob ihn über die Beamten hinaus, sein soziales Ansehen verschaffte ihm politischen Einfluß. In seiner Person zogen sich die Tugenden und die Funktionen der Nobilität zusammen. Insoweit korrigiert Bleicken Mommsens Theorie von der Amtsgewalt des Princeps. Im übrigen aber läuft Bleickens Analyse auf eine grandiose Rechtfertigung von Mommsens vielgescholtener Prinzipatsdeutung hinaus. Wie hatte der Meister der Kritik, so fragten die Nachfolger verwundert, nur so naiv sein können, von den monarchischen Tatsachen abzusehen und das harmonische Bild einer Doppelherrschaft von Kaiser und Senat zu malen? Bleicken zeigt nun, daß das restaurierte Zeremonienwesen der Republik nicht in dem Sinne eine Fassade war, daß der Kaiser sich dem Rollenspiel hätte verweigern können: Das Theater machte den Staat, im Recht verbarg sich die Macht. Mit einem Einfall von brillanter Schlichtheit charakterisiert Bleicken den Prinzipat als "kopflastig". Das gilt in doppeltem Sinn: Zum einen war alles war auf den ersten Mann ausgerichtet, zum anderen entsprangen seinem Hirn die seltsamen Gebilde eines neuen Staatsrechts, das alt aussehen wollte, all die ordentlichen Sondervollmachten wie die tribunizische Gewalt ohne die tribunizische Amtsbürde.

    Die ausgeklügelte Systematik, die Mommsen im römischen Staatsrecht fand, spiegelte nicht nur den Positivismus seiner Zeit. Bleicken zeigt, wieso das Konstruierte zur Realität des Prinzipats gehörte. Die neue Gesellschaft, die an die Stelle der Nobilität treten sollte, gab es noch nicht; Augustus mußte sie sich selbst ausdenken. Der Autor zieht von hier aus keine Linie in unsere Gegenwart der nützlichen Fiktionen. Bleickens Buch fasziniert, weil es uns seinen unattraktiven Helden gerade nicht nahebringt. Diese Biographie spricht nicht zum Herzen, lädt nicht zur Identifikation ein, sondern ist kopflastig: ein reines intellektuelles Vergnügen.