Archiv


Aus Bückeburg in Niedersachsen

Schon vor hunderten von Jahren wurde im heutigen Niedersachsen der Wesersandstein abgebaut und auf dem Wasserweg in alle Welt transportiert. Auch Spuren einiger Dinosaurierarten sind im Sandstein noch zu erkennen. Ein Spaziergang entlang der Weser öffnet die Augen für die Schönheit des Sandsteins.

Von Günter Beyer |
    Sportlicher wäre es schon gewesen, hätten wir es so gemacht wie die unerschrockene Schulklasse: Vier Kilometer von Obernkirchen auf matschigem Forstweg, leicht ansteigend durch dichten Wald, hinauf auf den Bückeberg. Aber so ging es schneller: mit Klaus Kösters allradgetriebenem Wagen durch immer dichter werdende Nebelschwaden. Oben angekommen, steckt man mitten in der Waschküche.

    "Ist der erste Berg nach dem norddeutschen Flachland, der Bückeberg, und da ist das Wetter schon ein bisschen rauer und oft nicht so nett, wie man es haben möchte."

    Wir halten am Rande einer weitläufigen, terrassenartig ausgeschachteten Grube. In meterdicken Schichten türmen sich, so weit das Auge reicht, mächtige Sandsteinquader. Braungraue, feucht glänzende Schollen, die ein bisschen an das berühmte Gemälde "Das Eismeer" von Caspar David Friedrich erinnern. Nur dass wir nicht am Meer stehen, sondern auf dem 350 Meter hohen Bückeberg.

    Ab und an blinkt durch den Nebel das leuchtende Gelb eines Radladers auf. Der Fahrer schiebt die Zähne der mächtigen Schaufel unter eine tonnenschwere Scholle, lupft sie, so scheint es, mühelos an, und transportiert seine Beute zu einem Schuppen. Sandstein aus Obernkirchen ist bei Steinmetzen äußerst begehrt.

    "Es ist ein sehr feines Korn, lässt sich also somit gut steinmetzmäßig bearbeiten, und die einzelnen Sandkörner sind nicht durch Ton oder Kalk verkittet, sondern Kieselgur, und somit säurefest, äußerst alterungsbeständig. Gar nicht mal, dass er der besonders harte Sandstein ist, sondern einfach nur die Verkittung der einzelnen Sandkörner, die sind das Entscheidende."

    Klaus Kösters Familie bewirtschaftet den Steinbruch in dritter Generation. Aber schon seit dem Mittelalter wird hier Stein gebrochen. Der Dom der Weserstadt Minden, errichtet im elften Jahrhundert, ist das älteste Bauwerk, bei dem er zum Einsatz kam. Ihre Blüte hatten die Obernkirchener Brüche im 16. und 17. Jahrhundert. Bis die Radlader kamen, war die Arbeit eine schweißtreibende Plackerei.

    "Da gab es einen großen Kran, und unter dem Kran wurde sehr viel schwere körperliche Arbeit verrichtet, Keillöcher gemacht, in die Keillöcher kamen Keile, mit Vorschlaghämmern wurden diese Keile getrieben, dass der Block aufspaltet, und im Steinbruch waren mindestens 20 Leute, die wirklich schwere körperliche Arbeit machten."

    Mit dem Pferdewagen wurden die Blöcke hinunter an die Weser transportiert. In Kohlenstedt und Petershagen, später auch in Rinteln, wurde die begehrte Ware umgeladen.

    "Hier war auch gleichzeitig lange Zeit Steinhauerplatz, das heißt, die Steine wurden hier auch weiterbearbeitet, zumindest in grober Form, zum Beispiel für Brunneneinfassungen, oder für Ecksteine für Gebäude."

    Mit Stefan Meyer, dem Direktor des Eulenburg-Museums, haben wir uns an der Weserbrücke in Rinteln verabredet. Die einstige Freiluft-Werkstatt kann man nur noch ahnen, noch im 19. Jahrhundert muss der Steinhauerplatz erfüllt gewesen sein vom Hämmern und Schlagen der Fäustel und Klöpfel, vom Schleifen der Scharriereisen, wenn die Oberflächen geglättet wurden. Übrigens wachten die Steinhauer penibel darüber, dass niemand ihnen ihre qualifizierte Arbeit wegnahm.

    "Die Steinbrüche waren in der Regie der Obernkirchener Steinhauerzunft. Die behielten es sich auch vor, alle Steine selbst zu bearbeiten. Roher Stein durfte gar nicht an den Mitgliedern der Zunft vorbei verkauft werden. Das wurde alles geregelt, und man sah auch zu, dass man so etwas wie ein Monopol aufrecht erhielt. Also an den Obernkirchener Steinhauern ging auch hier in Rinteln am Verladeplatz nichts vorbei."

    Einziges sichtbares Relikt jeder Tage ist der alte Schiffsanleger, eine Mole, gemauert, selbstverständlich, aus Wesersandstein.

    "Und dann wurden diese Stücke auf die Bockschiffe, die an der Weser hier arbeiteten, geladen. Das waren meistens drei Schiffe, also das "Bockschiff", ein "Hinterhang", ein hölzernes Beischiff, das auch beladen werden konnte, und eine "Bulle", ein kleines Beiboot, das meistens mit dazu gehörte. Dann ging das mit der Strömung die Weser runter, und die Weser fließt ja relativ schnell, sie hat ungefähr sechs, sieben Stundenkilometer, deswegen ist natürlich das Treideln flussaufwärts, das Ziehen, um so beschwerlicher, aber runter den Fluss ging vergleichsweise schnell."

    Der größte Teil der Steine fuhr mit dieser seltsamen Dreier-Flottille aus "Bockschiff", "Hinterhang" und "Bulle" Weser abwärts nach Bremen, dem Haupthandelsplatz für die Ware vom Bückeberg. Aber ein paar Dutzend Fuder haben die Rintelner für sich behalten. Eigentlich ist Rinteln eine typische, bis heute wohl erhaltene Fachwerkstadt. Aber mit seinem Rathaus wollte Rinteln repräsentieren! Die Stadt der Grafen von Schaumburg hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht und beherbergte von 1621 bis 1810 sogar die "Academia Ernestiana", eine kleine Universität mit zeitweise zweihundert Studenten.

    "Wir stehen vor dem historischen Rathaus am Rintelner Marktplatz, und die Fassade des Rathauses ist 1598 im Stil der hohen Weserrenaissance neu gestaltet worden, und da finden sich eben ganz viele Beispiele des typischen Stils der Weserrenaissance. Alles ist auch hier in Obernkirchener Sandstein gearbeitet, und es ist ein sehr schönes Beispiel für die Qualität des Bildhauerhandwerks in der Blütezeit der Renaissance in unserem Gebiet."

    "Typisch Weserrenaissance" ist zum Beispiel die "Utlucht", ein erkerartiger Vorbau mit Sprossenfenstern, die von zierlichen Sandsteinsäulchen eingefasst sind. Die Utlucht beginnt im Erdgeschoss und erstreckt sich über zwei Etagen.
    "Und was hier ganz typisch ist, das wären hier an den Seiten, an den Ecksteinen, die so genannten "Bossenquader". Wird auch "Waffeleisenfries" genannt. Waffeleisen - so ähnlich sieht das aus ..."

    In der Tat, in die Oberflächen der Ecksteine haben die Steinmetze zum Schmuck kleine Kerben hineingeschlagen. Man könnte auch an einen norddeutschen Butterkuchen denken. "Typisch Weserrenaissance" sind auch die bandartigen, symmetrischen Verzierungen, wie sie schmiedeeiserne Truhen oder altmodische Türbeschläge aufweisen. Dieses so genannte "Beschlagwerk" ist aber nicht aus Eisen, sondern aus dem leicht formbaren Sandstein gehauen.

    Wer nun Feuer gefangen hat für die reiche Ornamentik der Weserrenaissance, sollte hinüberfahren zum Schloss Brake bei Lemgo. Dort hat man ihr ein eigenes Museum errichtet - untergebracht in der um 1600 entstandenen Residenz der Grafen zur Lippe. Drei Umstände sorgten in jenen Jahren für Wohlstand und rege Bautätigkeit: Erstens: der florierende Getreideexport aus der Kornkammer Weserbergland in die Niederlande. Zweitens: der Handel mit rechtlosen jungen Männern, die skrupellose Adlige an ihresgleichen für den Kriegsdienst verschacherten. Und drittens der Handel mit Wesersandstein, der in Bremen geradezu global organisiert wurde. Bauwerke aus dem Stein vom Bückeberg finden sich nämlich auch in Flandern, Holland, Dänemark und Russland. Der kurioseste Beleg für den weltweiten Siegeszug des Wesersandsteins ist ein Tor, mit dem die Holländer Batavia, die Hauptstadt ihres Kolonialreiches in Indonesien, befestigen wollten. Das Schiff ging allerdings vor Australien unter, das Tor wurde aus dem Wrack geborgen und steht heute in einem Museum im westaustralischen Fremantle.

    Im Museum Schloss Brake spürt man, wie eng der Sandstein und sein mühseliger Transport auf dem Wasserweg zusammen gehören. Eine abenteuerliche Geschichte erzählen zwei Kähne, die 1769 am so genannten "Branntweinloch" in einer Weserbiegung bei Nienburg kenterten und vor zehn Jahren, 1999, gehoben wurden. Die Schiffe waren offenbar überladen - mit Sandstein, erzählt Vera Lüpkes, die Hausherrin:

    "Der Vlothoer Schiffmann Johann Wilhelm Krimmelberg war verantwortlich für diesen beiden Schiffe, und er wird im falschen Moment eben das Ruder umgelegt haben. Dadurch hat eines der Schiffe Wasser geholt, die Ladung, also diese 50 Tonnen Sandstein, waren in drei Etagen eingelegt, die Ladung ist verrutscht, über Bord gegangen, und das eine hat das andere Schiff im Grunde mit runtergerissen."

    Der Schiffsführer war kam dabei ums Leben.

    "Der Leichnam von ihm ist Tage nach der Havarie in Balge angespült, ist da auch in Balge auf dem Friedhof bestattet worden, die entsprechende Eintragung im Kirchenbuch hat uns dann überhaupt auf diese ganze Geschichte hingewiesen ..."

    Das Rätsel um die Havarie am "Branntweinloch" wäre also gelüftet. Aber der Wesersandstein birgt noch ganz andere Geheimnisse. "Wollen Sie denn die Saurierspuren nicht sehen?" hatte Steinbruch-Besitzer Klaus Köster bei unserem Besuch auf dem Bückeberg gefragt. Erst vor zwei Jahren [2007] hatte ein Radlader die sensationelle Spuren freigelegt.

    "Das Besondere an dieser Fläche hier oben ist, dass wir nicht nur einen Fuß oder zwei Fußabdrücke gefunden haben, sondern dass man parallel zueinander mehrere Spuren sehen kann von Dinosauriern in einer Größenart, wie wir es noch nie vorher hatten."

    Klaus Köster geht in die Hocke und weist auf handtellergroße Abdrücke, die sich in regelmäßigem Abstand wiederholen. Sie sind mit farbigem Wachs markiert und mit Regenwasser voll gelaufen.

    "Wir haben immer nur einzelne gefunden. Aber dass man richtig über dreißig Meter eine Spur verfolgen kann, parallel dazu andere Spuren, kreuzende Spuren, das haben wir das erste Mal."

    Ganze Herden von Dinosauriern, fanden Wissenschaftler heraus, sind vor 140 Millionen Jahren über den noch weichen Boden einer damaligen Lagune gestampft. Die Spuren von fünf Saurierarten konnten identifiziert werden, darunter fleischfressende Allosaurier und Raptoren, kleine gefiederte Raubsaurier, aus denen sich die Vögel entwickelt haben sollen. Raptoren waren bisher in Europa unbekannt, und weltweit gibt es so nirgendwo so viele Spuren auf so engem Raum. Festgehalten für die Nachwelt in Wesersandstein.