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Aus dem Elendsquartier in den Bungalow

Wie in vielen französischen Städten strandeten auch in Aubervillers bei Paris regelmäßig rund 700 Roma, lebten dort im Slum, gingen betteln. Oft "erledigen" die Städte das Problem mit Hilfe der Polizei. So ordnete der Präfekt des Departements Rhône im August gleich dreimal die Vertreibung von Roma an, die bei Lyon lebten. Die Stadt Aubervilliers versucht es nun anders. Bettina Kaps berichtet aus Paris.

    Vor einem Jahr häufte sich auf dem schmalen Gelände noch der Müll von Aubervilliers. Jetzt ist das Terrain sauber mit Kies bedeckt und an der Betonmauer entlang reihen sich 17 nagelneue Fertighäuser, sie ähneln Bauwagen. Eine Autobahnbrücke wirft ihren Schatten auf die Bungalows. Alle paar Minuten rattert eine Schnellbahn vorbei und übertönt die Stimmen der Kinder, die mit ihren Rädern über den Hof flitzen.
    Ein junger Mann steht in der Tür eines Bungalows. Sein breites Lachen legt golden blinkende Eckzähne frei.

    "Das ist unser Haus. Für uns ist das sehr schön, weil wir nichts hatten und jetzt haben wir ein echtes Haus. Für mich ist das wie ein Traum, weil ich eine kleine Tochter habe. Ich habe nicht gehofft, dass ich einmal ein eigenes Haus besitzen werde, so wie ich zuvor gelebt habe. Denn ich habe keine Ausbildung."

    Ionel Cirpaci, 24 Jahre alt, ist Roma. Er führt ins Haus. In der Wohnküche stehen ein Herd und eine Waschmaschine. Alles ist blitzblank. Ionels Eltern, seine junge Frau und die anderthalb jährige Tochter Sabrina sitzen auf einem alten Sofa. Spitzengardinen und eine Girlande aus roten Stoffblumen schmücken das Fenster.

    Die Familie stammt aus Rumänien. Doch so lange Ionel sich erinnern kann, ist sie vor der Diskriminierung in ihrer Heimat geflüchtet und auf ihrer Irrfahrt von einem Slum zum nächsten gezogen. Als Kind hat er mal in Saarbrücken gelebt, wo er Deutsch aufgeschnappt hat. In den letzten Jahren hausten die Cirpacis in einem Elendsquartier von Aubervilliers. Sie hatten sich dort aus Holz, Wellblech und Karton einen Unterschlupf gebaut.

    "Da waren Ratten, wir hatten kein Wasser und keinen Strom und da ist meine Tochter geboren und so aufgewachsen. "

    Als die staatlichen Behörden den Slum beseitigen und die Roma vertreiben wollten, stellte sich der Bürgermeister quer. Die Stadträtin Claudine Péjoux ist zuständig für die Sozialarbeit.

    "Aubervilliers hat Solidarität immer groß geschrieben und viele Nationalitäten aufgenommen. Deshalb haben wir dieses Programm zur Eingliederung der Roma erarbeitet, aber wir brauchten dazu die Kooperation des Staates. Die Verhandlungen waren wirklich sehr schwierig. "

    Zwei Jahre hat es gedauert, aber seit Juli ist es soweit: 15 Roma- Familien leben in den Bungalows. Solange sie keine Arbeit haben, beteiligen sie sich mit 50 Euro im Monat an den Kosten. Alles in allem kostet das Projekt 1,5 Millionen Euro. Träger sind die Stadt, die Region und der Staat.

    Die Familien haben einen Vertrag unterschrieben: Sie verpflichten sich, Französisch zu lernen, ihre Kinder in die Schule zu schicken und reguläre Arbeit zu suchen. Zahlreiche Sozialarbeiter helfen ihnen dabei. Spätestens nach drei Jahren – so das Ziel - sollen sie auf eigenen Beinen stehen und in eine Sozialwohnung umziehen, sagt der Leiter der kleinen Siedlung, Christophe Auger. Wer nicht mitspielt, muss mit Folgen rechnen.

    "Wenn wir feststellen, dass jemand die Französischkurse schwänzt oder sich nicht wirklich bemüht, reguläre Arbeit zu finden, dann wird die Stadt wohl den Vertragsbruch beschließen. Sonst hätte das ganze Projekt ja keinen Sinn. "

    Etwa 70 besonders motivierte Roma haben in Aubervilliers jetzt eine echte Chance bekommen, aber ihre Nachbarn und Familien – mehr als 600 Menschen - mussten ihre Habseligkeiten packen und die Stadt verlassen. Immer noch werden viele aus Frankreich ausgewiesen. Denn obwohl sie als rumänische und bulgarische Staatsbürger nun zur Europäischen Union gehören, bekommen sie vorläufig nur ein Touristenvisum, das drei Monate gültig ist.

    In Aubervilliers hat die Polizei unterdessen alle Slums beseitigt, räumt die Stadträtin Claudine Pejoux ein. Sie hofft darauf, dass das Integrationsprojekt Nachahmer finden wird.

    "Wir wollen beweisen, dass es möglich ist, mit Menschen, die vollkommen ausgeschlossen waren, ein echtes Projekt zu verwirklichen. Tatsächlich wird in der Nachbarstadt Saint Denis jetzt ähnliches erwogen. Nur so kann es gehen. Eine Stadt wie Aubervilliers kann unmöglich 600 Menschen eingliedern. "

    Ionel Cirpaci bricht auf. Er verkauft eine Obdachlosenzeitung, damit verdient er etwa zehn Euro am Tag. Doch bald, so hofft er, wird er eine Schulung erhalten und dann auf dem Bau arbeiten oder bei einem Putzdienst anfangen. Er will schnell auf eigenen Füssen stehen.

    "Ich hoffe, ich bleibe nicht die 3 Jahre hier, denn wenn ich eine kleine Arbeit habe, können wir uns vielleicht eine kleine Wohnung leisten. Wir hatten nix, jetzt haben wir etwas. Für uns ist das ein neuer Anfang. "