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Aus dem Innern eines Atomkraftwerks

Heute bekäme er bestimmt keine Drehgenehmigung mehr, glaubt Regisseur Volker Sattel. Sein Film "Unter Kontrolle" ist vor der Katastrophe von Fukushima entstanden. Er bezieht keine Stellung für oder gegen die Nutzung der Atomkraft und zeigt dennoch eine untergehende Welt trügerischer Sicherheitsversprechen.

Von Josef Schnelle | 26.05.2011
    "Bitte umdrehen und Hände und Füße zur Rückenmessung positionieren. Vier, Drei, Zwei, Eins. "

    Eine Kontrollschleuse mit anschließender Reinigung im Sicherheitsbereich eines Atomkraftwerks. Die automatische Ansage wirkt so, als entstamme sie einem Science-Fiction-Film der 70er-Jahre. Und auch die ganze Ästhetik im Inneren der im Augenblick meist diskutierten Kraftwerksanlagen ist Nostalgie pur. Jedes Schräubchen, jeder Kontrollmonitor, jedes Lämpchen mag seinen verfahrenstechnischen Sinn haben. Und doch sieht das Ganze aus, als hätten die Ingenieure zu oft "Raumschiff Enterprise" gesehen. Kaltes Blau, warnendes Gelb und Gefahr anzeigendes Rot strukturieren das Atomkraftwerk in verschiedene Bereiche.

    Was passiert eigentlich wirklich hinter den dicken Mauern der AKWs? Das wollte der Dokumentarfilmer Volker Sattel wissen. Die Katastrophe von Fukushima hat die Risiken und die Gefährdungen durch die friedliche Nutzung der Atomkraft wieder aktuell gemacht. In Deutschland steht ein Moratorium alter Kraftwerke und überhaupt ein Ende der Atomkraft bevor. Der Film entstand vor der Katastrophe. Heute bekäme er bestimmt keine Drehgenehmigung mehr, bekennt der Regisseur.

    Auch damals vor rund einem Jahr schlug ihm allerhand Misstrauen entgegen. Man wollte nur in einem Film mitwirken, der den reibungslosen Ablauf des Verfahrens schildern würde; Volker Sattel ließ sich auf die Bedingung ein, wollte sowieso eher einen essayistischen Film machen und durfte tatsächlich im Kernbereich deutscher Kraftwerke drehen. Im Film wird an keiner Stelle die Gefahr durch Atomkraftwerke diskutiert. Alles ist "Unter Kontrolle".

    Bei der morgendlichen Tagesbesprechung im AKW Grohnde werden die kleinen und mittleren Störfälle in einer langen Litanei mit unverständlichen Kürzeln heruntergebetet:

    "UH 60, Dora 3 - leichte Tropfleckage am saumseitigen Pumpenflansch. Innerhalb drei Monaten Auftrag MTK. VW 11, Dora 1 - Kein Öl im oberen Schraubglas. Innerhalb drei Tagen ohne Auftrag MTK. Dann TX O7, Paula 17 - Meldung angesprochen. Innerhalb 10 Tagen ohne Auftrag MTN. TF 60, T 1 - Abfall des Messwerts um 1 Kelvin. Innerhalb drei Tagen ohne Auftrag LTN."
    "Ja."

    Kleine Störfälle nur. Doch nichts ist ungefährlich. Alles muss wieder und wieder kontrolliert werden. Alltag im Atomkraftwerk. Wie sieht der Prozess aus mit all den Röhren, Pumpen, Druckgefäßen, Verkabelungen, Armaturen und blinkenden Anzeigen. Wenn alle Lämpchen leuchten, erklärt irgendwann ein Techniker, dann wird die Schnellabschaltung ausgelöst.
    In der Kraftwerksschule Essen wird das regelmäßig geprobt. Am Ende blinken alle Lämpchen. Der Ernstfall ist da. Man denkt an Fukushima:

    "Ham' mer immer noch 'nen Druckanstieg im Sicherheitsbehälter"
    "Druck im Sicherheitsbehälter ist größer 200 Millibar. Steigt immer noch."
    "Das heißt: Wir machen jetzt Reaktorschnellabschaltung. Helmut?"
    "Ja."
    "Resa auslösen!"
    "Resa ist ausgelöst."

    Das immer wieder wiederholte Credo der Verfahrenstechniker, Sicherheitsexperten, normalen Arbeitern und Strahlungsschützer ist: die Technologie ist sicher. Dafür werden mancherlei Belege angeführt. Doch die hermetische Welt der Kerntechnologie wird selbst im Lichte der stilisierten Dokumentarfilmkamera immer unheimlicher. Eine simple Vernebelungsmaschine mit begrenzter Reichweite soll den Schutz vor Flugzeugkollisionen garantieren. In der "heißen Wäscherei" wird Arbeitskleidung bis zur Unterhose von möglicher Kontamination gereinigt. Und der Abstieg in den Keller einer Endlagerungsstätte wirkt wie die Fahrt in den Schlund der Hölle.

    Die Mitarbeiter der vorgeführten Kernkraftwerke sind trotzdem eine verschworene Gemeinschaft. Sie "glauben" an das was sie tun. Alles unter Kontrolle? Volker Sattel beobachtender Dokumentarfilm nimmt keine Stellung für oder gegen die Nutzung der Atomkraft und ohne den aktuellen Unfall in Japan mit einer Kernschmelze in insgesamt drei Reaktoren wäre dieser Film vielleicht wie viele andere Dokumentationen untergegangen. Nun beschreibt er eine untergehende Welt trügerischer Sicherheitsversprechen.

    Filmwebsite "Unter Kontrolle"