"Er hat das wohl dickste Adressbuch der Stadt mit etwa 1000 Namen, 500 Frauen und 500 Männern. Und das ungewöhnlichste: Rund 60 DIN-A-4-Seiten, ausgedruckt, mit Notizen bekritzelt und zu einer Rolle zusammengeknautscht. Diese zieht er dann, je nach Bedarf und Gelegenheit, mit Grandezza und Augenzwinkern aus der Tasche seines weiten Leinenjacketts."
Katja Ridderbusch schafft es in ihrem Buch Der Tross von Brüssel mit diesem Detail das ganze Konzept des Netzwerkers zu erklären: Er knüpft Kontakte, ordnet sie ein, pflegt sie und zieht sie bei Bedarf wieder hervor. Die ehemalige WELT-Korrespondentin Ridderbusch, die mittlerweile in den USA lebt, hat es sich in ihrem Buch zur Aufgabe gemacht, gerade nicht die großen politischen Streitfragen und Zusammenhänge zu beschreiben, sondern ganz nah, ganz menschlich zu bleiben. Frank Schwalba-Hoth war darüber selbst überrascht:
"Die Katja Ridderbusch hat eine unglaubliche Gabe, sich mit Dir hinzusetzen, Dir in die Augen zu gucken, und dann zieht sie plötzlich Sachen aus Dir raus, die Du gar nicht sagen willst, die Du gar nicht auf den Tisch legen willst, die Dir vielleicht gar nicht klar sind."
Herausgekommen sind zwölf liebevolle Portraits von Menschen im Maschinenraum Brüssel, die sonst nicht im Rampenlicht stehen: Es ist nicht der Kommissar, sondern seine Pressesprecherin, die Katja Ridderbusch portraitiert. Es sind die Menschen, die die europäische Maschine am Laufen halten, ohne dass es jemand bemerkt. Es sind der Butler der amerikanischen Botschaft und der Protokollchef des Europäischen Rates:
"Keine Musik. Keine Ehrengarde. Keine Blumengebinde und keine fähnchenschwenkenden Menschen: Bei Gipfeltreffen der Europäischen Union kommen die Staatsoberhäupter durch die Warenanlieferung. So jedenfalls sieht die Auffahrt zum Hintereingang des Brüsseler Ratsgebäudes aus. In Europas Hauptstadt wird er der "VIP-Eingang" genannt, halb ernst, halb ironisch. Die Limousinen können hier besser vorfahren, und die Türen können besser gesichert werden. Die wirklich wichtigen Leute kommen nie durch die Vordertür, so ist das in Brüssel. Am Hintereingang also, auf einem etwa vier Meter langen, verschlissenen roten Teppich, steht ein schlanker, feiner Herr in dunklem Anzug; mit sorgfältig polierten Schuhen und einem freundlichen Lächeln. Der Herr ist Hans Brunmayr, österreichischer Diplomat und Protokollchef beim Rat der Europäischen Union. Er ist es, der die Staatspräsidenten, die Regierungschefs, die Minister begrüßt, wenn sie zu den Gipfeltreffen der EU vorfahren."
Die Autorin stand selbst vier Jahre lang immer wieder, bei jedem EU-Gipfel, nur unweit von Protokollchef Brunmayr entfernt. Aber damals hatte sie ganz andere Dinge im Kopf: Sie versuchte, für ihre aktuelle Berichterstattung das ein oder andere Zitat von Altkanzler Gerhard Schröder oder einem seiner Kollegen zu erhaschen. Während ihrer Arbeit als WELT-Korrespondentin blieb ihr kaum Zeit für den Blick dahinter. Den Protokollchef, sagt die Autorin, habe sie lange Zeit überhaupt nicht wahrgenommen. Schließlich spielte er für die politischen Entscheidungen bei den Gipfeltreffen kaum eine Rolle.
Erst gegen Ende ihrer Tätigkeit in Brüssel, im vergangenen Sommer, nahm sich Katja Ridderbusch ganz bewusst die Zeit, den Menschen in Brüssel wirklich zu begegnen, sie kennen zu lernen und ihre Arbeit zu beschreiben. Und dabei hat sie auch die kleinsten Rädchen im Maschinenraum nicht vergessen – wie zum Beispiel die unzähligen Praktikanten in Brüssel.
Sevda Alendarova ist Bulgarin. Ihre Mutter ist Fabrikarbeiterin, ihr Vater LKW-Fahrer. Sie ist in einer Stadt aufgewachsen, in der Konserven, Autoersatzteile und Möbel hergestellt werden. Aber in der Zwischenzeit arbeitet sie in Brüssel – sie hat einen Job in einer Beratungsfirma gefunden nach einem Praktikum bei der Europäischen Kommission. Für sie war das Interesse der Welt-Korrespondentin an ihrem Leben eine Ehre. Und als sie das Buch vor ein paar Wochen zum ersten Mal aufgeschlagen hat, war sie überwältigt:
"Es war schon ein bisschen merkwürdig. Ich habe nicht erwartet, dass ich da mit meinem Namen und mit den ganzen Details aus meinem Leben erscheine. Und dann habe ich das Buch aufgemacht, und ich war schon ein bisschen baff im ersten Moment."
Portraits von Menschen wie Du und ich. Das gab es bisher noch nicht, wenn es um die Europäische Union ging. Netzwerker Frank Schwalba-Hoth:
"Das ist ein ganz neuer Typus Buch, in dem wie mit einem Scheinwerfer auf ganz bestimmte Leute geguckt wird: Was ist das für eine Person, was macht diese Person? So wird indirekt die EU erklärt. Ich muss gestehen: Ich bin jetzt 22 Jahre in Brüssel. Während ich dieses Buch gelesen habe, habe ich mehr über Brüssel gelernt als in den letzten drei Jahren."
Das sagen viele der alten Hasen in Brüssel. Denn das Buch von Katja Ridderbusch ist keineswegs banal, keine pure Unterhaltungsliteratur. Der Leser – egal ob EU-Experte oder Laie – lernt ganz nebenbei unglaublich viel über die Funktionsweise, das Innenleben, der europäischen Institutionen – zum Beispiel über die Arbeit von Hardy Boeckle, dem ehemaligen Antici der deutschen Vertretung in Brüssel.
Die Anticis sind hohe Diplomaten. Sie sitzen während der Gipfeltreffen gleich neben dem Saal, in dem die Verhandlungen laufen. Sie schreiben mit, versehen die Informationen mit Kommentaren und leiten das an die nationalen Delegationen weiter. Sie sind die Schaltstelle zwischen den Chefs und ihren Beratern.
"So ist in den Antici-Protokollen beispielsweise festgehalten wie sich die Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen von Laeken um die Standorte für prestigeträchtige EU-Agenturen zankten: Wie Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi als Sitz der Lebensmittelagentur die Schinkenstadt Parma anpreist, die sei schliesslich 'der Inbegriff der guten Küche’, wie er, als er sich im Ton vergreift, vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder zurechtgewiesen wird: 'Wenn Sie so schreien, erreichen Sie gar nichts’, und wie der französische Staatschef Jacques Chirac den beleidigten schwedischen Premierminister Göran Persson mit den Worten aufzumuntern versucht: 'Wie wäre es mit einer Model-Agentur in Stockholm?’ Eine Serie von Momentaufnahmen."
Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Unterhaltung und Information. Katja Ridderbusch holt die Leser ab, nimmt sie behutsam mit in den sonst so unverständlichen Maschinenraum Brüssel und schreibt ganz nebenbei journalistisch anspruchsvolle Portraits.
Für Frank-Schwalba-Hoth ist das eine brillante Idee:
"Ich habe eine 13jährige Tochter. Die will absolut nicht mehr lernen, und da muss ich Wege finden, wie sie trotzdem Dinge in ihren Kopf rein kriegt. Und genau dasselbe ist mit dem Buch. Du liest es, es ist leicht geschrieben und plötzlich merkst Du, Du hast etwas über die EU verstanden. Das ist positiv-subversives Vermitteln von EU."
Bei dem schlechten Image, das die Europäische Union zurzeit bei ihren Bürgern hat, sollten sich die Institutionen in Brüssel vielleicht ein Scheibchen abschneiden von Ridderbuschs verspieltem Ansatz - ganz ohne große Worte, aber dafür mit viel Menschlichkeit.
Ruth Reichstein besprach das Buch von Katja Ridderbusch, Der Tross von Brüssel, erschienen im Czermin-Verlag in Wien, das Buch hat 128 Seiten und kostet 18 Euro neunzig.
Katja Ridderbusch schafft es in ihrem Buch Der Tross von Brüssel mit diesem Detail das ganze Konzept des Netzwerkers zu erklären: Er knüpft Kontakte, ordnet sie ein, pflegt sie und zieht sie bei Bedarf wieder hervor. Die ehemalige WELT-Korrespondentin Ridderbusch, die mittlerweile in den USA lebt, hat es sich in ihrem Buch zur Aufgabe gemacht, gerade nicht die großen politischen Streitfragen und Zusammenhänge zu beschreiben, sondern ganz nah, ganz menschlich zu bleiben. Frank Schwalba-Hoth war darüber selbst überrascht:
"Die Katja Ridderbusch hat eine unglaubliche Gabe, sich mit Dir hinzusetzen, Dir in die Augen zu gucken, und dann zieht sie plötzlich Sachen aus Dir raus, die Du gar nicht sagen willst, die Du gar nicht auf den Tisch legen willst, die Dir vielleicht gar nicht klar sind."
Herausgekommen sind zwölf liebevolle Portraits von Menschen im Maschinenraum Brüssel, die sonst nicht im Rampenlicht stehen: Es ist nicht der Kommissar, sondern seine Pressesprecherin, die Katja Ridderbusch portraitiert. Es sind die Menschen, die die europäische Maschine am Laufen halten, ohne dass es jemand bemerkt. Es sind der Butler der amerikanischen Botschaft und der Protokollchef des Europäischen Rates:
"Keine Musik. Keine Ehrengarde. Keine Blumengebinde und keine fähnchenschwenkenden Menschen: Bei Gipfeltreffen der Europäischen Union kommen die Staatsoberhäupter durch die Warenanlieferung. So jedenfalls sieht die Auffahrt zum Hintereingang des Brüsseler Ratsgebäudes aus. In Europas Hauptstadt wird er der "VIP-Eingang" genannt, halb ernst, halb ironisch. Die Limousinen können hier besser vorfahren, und die Türen können besser gesichert werden. Die wirklich wichtigen Leute kommen nie durch die Vordertür, so ist das in Brüssel. Am Hintereingang also, auf einem etwa vier Meter langen, verschlissenen roten Teppich, steht ein schlanker, feiner Herr in dunklem Anzug; mit sorgfältig polierten Schuhen und einem freundlichen Lächeln. Der Herr ist Hans Brunmayr, österreichischer Diplomat und Protokollchef beim Rat der Europäischen Union. Er ist es, der die Staatspräsidenten, die Regierungschefs, die Minister begrüßt, wenn sie zu den Gipfeltreffen der EU vorfahren."
Die Autorin stand selbst vier Jahre lang immer wieder, bei jedem EU-Gipfel, nur unweit von Protokollchef Brunmayr entfernt. Aber damals hatte sie ganz andere Dinge im Kopf: Sie versuchte, für ihre aktuelle Berichterstattung das ein oder andere Zitat von Altkanzler Gerhard Schröder oder einem seiner Kollegen zu erhaschen. Während ihrer Arbeit als WELT-Korrespondentin blieb ihr kaum Zeit für den Blick dahinter. Den Protokollchef, sagt die Autorin, habe sie lange Zeit überhaupt nicht wahrgenommen. Schließlich spielte er für die politischen Entscheidungen bei den Gipfeltreffen kaum eine Rolle.
Erst gegen Ende ihrer Tätigkeit in Brüssel, im vergangenen Sommer, nahm sich Katja Ridderbusch ganz bewusst die Zeit, den Menschen in Brüssel wirklich zu begegnen, sie kennen zu lernen und ihre Arbeit zu beschreiben. Und dabei hat sie auch die kleinsten Rädchen im Maschinenraum nicht vergessen – wie zum Beispiel die unzähligen Praktikanten in Brüssel.
Sevda Alendarova ist Bulgarin. Ihre Mutter ist Fabrikarbeiterin, ihr Vater LKW-Fahrer. Sie ist in einer Stadt aufgewachsen, in der Konserven, Autoersatzteile und Möbel hergestellt werden. Aber in der Zwischenzeit arbeitet sie in Brüssel – sie hat einen Job in einer Beratungsfirma gefunden nach einem Praktikum bei der Europäischen Kommission. Für sie war das Interesse der Welt-Korrespondentin an ihrem Leben eine Ehre. Und als sie das Buch vor ein paar Wochen zum ersten Mal aufgeschlagen hat, war sie überwältigt:
"Es war schon ein bisschen merkwürdig. Ich habe nicht erwartet, dass ich da mit meinem Namen und mit den ganzen Details aus meinem Leben erscheine. Und dann habe ich das Buch aufgemacht, und ich war schon ein bisschen baff im ersten Moment."
Portraits von Menschen wie Du und ich. Das gab es bisher noch nicht, wenn es um die Europäische Union ging. Netzwerker Frank Schwalba-Hoth:
"Das ist ein ganz neuer Typus Buch, in dem wie mit einem Scheinwerfer auf ganz bestimmte Leute geguckt wird: Was ist das für eine Person, was macht diese Person? So wird indirekt die EU erklärt. Ich muss gestehen: Ich bin jetzt 22 Jahre in Brüssel. Während ich dieses Buch gelesen habe, habe ich mehr über Brüssel gelernt als in den letzten drei Jahren."
Das sagen viele der alten Hasen in Brüssel. Denn das Buch von Katja Ridderbusch ist keineswegs banal, keine pure Unterhaltungsliteratur. Der Leser – egal ob EU-Experte oder Laie – lernt ganz nebenbei unglaublich viel über die Funktionsweise, das Innenleben, der europäischen Institutionen – zum Beispiel über die Arbeit von Hardy Boeckle, dem ehemaligen Antici der deutschen Vertretung in Brüssel.
Die Anticis sind hohe Diplomaten. Sie sitzen während der Gipfeltreffen gleich neben dem Saal, in dem die Verhandlungen laufen. Sie schreiben mit, versehen die Informationen mit Kommentaren und leiten das an die nationalen Delegationen weiter. Sie sind die Schaltstelle zwischen den Chefs und ihren Beratern.
"So ist in den Antici-Protokollen beispielsweise festgehalten wie sich die Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen von Laeken um die Standorte für prestigeträchtige EU-Agenturen zankten: Wie Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi als Sitz der Lebensmittelagentur die Schinkenstadt Parma anpreist, die sei schliesslich 'der Inbegriff der guten Küche’, wie er, als er sich im Ton vergreift, vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder zurechtgewiesen wird: 'Wenn Sie so schreien, erreichen Sie gar nichts’, und wie der französische Staatschef Jacques Chirac den beleidigten schwedischen Premierminister Göran Persson mit den Worten aufzumuntern versucht: 'Wie wäre es mit einer Model-Agentur in Stockholm?’ Eine Serie von Momentaufnahmen."
Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Unterhaltung und Information. Katja Ridderbusch holt die Leser ab, nimmt sie behutsam mit in den sonst so unverständlichen Maschinenraum Brüssel und schreibt ganz nebenbei journalistisch anspruchsvolle Portraits.
Für Frank-Schwalba-Hoth ist das eine brillante Idee:
"Ich habe eine 13jährige Tochter. Die will absolut nicht mehr lernen, und da muss ich Wege finden, wie sie trotzdem Dinge in ihren Kopf rein kriegt. Und genau dasselbe ist mit dem Buch. Du liest es, es ist leicht geschrieben und plötzlich merkst Du, Du hast etwas über die EU verstanden. Das ist positiv-subversives Vermitteln von EU."
Bei dem schlechten Image, das die Europäische Union zurzeit bei ihren Bürgern hat, sollten sich die Institutionen in Brüssel vielleicht ein Scheibchen abschneiden von Ridderbuschs verspieltem Ansatz - ganz ohne große Worte, aber dafür mit viel Menschlichkeit.
Ruth Reichstein besprach das Buch von Katja Ridderbusch, Der Tross von Brüssel, erschienen im Czermin-Verlag in Wien, das Buch hat 128 Seiten und kostet 18 Euro neunzig.