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Aus dem Schatten ins Licht

"Die andere Seite des Mondes" ist der Titel einer Ausstellung in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Sie präsentiert acht Künstlerinnen von Hannah Höch über Dora Maar bis zu Sophie Taeuber-Arp, die nach dem Ersten Weltkrieg im Zentrum der Avantgarde standen.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 24.10.2011
    Stefan Koldehoff: Ob ein Roman von einem Mann oder einer Frau geschrieben sei, hat der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einmal gesagt, das sei ihm reichlich egal – Hauptsache, das Buch unterhalte ihn und sei amüsant. Nun muss man sich natürlich auch vor Augen führen, dass es Zeiten gab – manche sagen: und noch gibt –, in denen Frauen nicht nur gut sein mussten, sondern in denen sie dazu noch ständig beweisen mussten, dass es für sie überhaupt einen Platz jenseits von Küche, Kirche, Kinderzimmer gab. Ein Atelier zum Beispiel. Künstlerinnen im Kaiserreich? Die absolute Ausnahme. Danach aber, in den 20ern, scheint es besser geworden zu sein. Das jedenfalls möchte eine Ausstellung zeigen, die gerade in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf eröffnet wurde und sich den oder zumindest acht Avantgarde-Künstlerinnen der 20er- und 30er-Jahre widmet. - Christiane Vielhaber, Sie haben die Ausstellung gesehen: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde plötzlich alles ganz schön und einfach?

    Christiane Vielhaber: Nicht wirklich. Diese Ausstellung will zu viel. Diese Ausstellung möchte erst mal dem verstorbenen Gründungsdirektor Werner Schmalenbach so eine leichte Schwalbe geben, weil er ja nun immer gesagt hat, er sammelt Sternstunden der Kunstgeschichte, und zu diesen Sternstunden gehört überhaupt keine Frau. In seiner Sammlung ist keine Frau darin. Nach dem Besuch dieser Ausstellung würde ich mich auch fragen, was kleine Stoffmuster, was Marionetten oder was kleine Fotografien in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu seiner Zeit jedenfalls verloren hätten.
    Die Ausstellung möchte aber noch mehr. Die Ausstellung möchte zeigen, dass die Frauen auf der Höhe der Zeit waren und dass die Frauen so etwas wie ein Netzwerk hatten. Nur wenn eine der Künstlerinnen mit dem Ehepaar Schwitters befreundet war oder wenn eine der Künstlerinnen – es ist sicherlich die größte in dieser Ausstellung -, Hannah Höch, von Raoul Hausmann, der sich nie von seiner Frau hat scheiden lassen, ganz mies behandelt worden ist, wenn sie aber über ihn in die Berliner Galerieszene um die Galerie Sturm reinkam, dann würde ich das auch nicht als Vernetzung bezeichnen. Vernetzen, so nennen wir heute eigentlich was anderes, und ich meine jetzt nicht das Internet, sondern Vernetzung ist ja nicht, dass man sich besucht, dass man Briefe schreibt oder mit irgendwem mal in Urlaub fährt. Und auch, dass Frauen gleichgeschlechtliche Beziehungen hatten, hat mit Avantgarde eigentlich nichts zu tun, es hat mit der Kunst nichts zu tun.

    Koldehoff: Es gibt seit den 70er-Jahren so etwas wie eine feministische Kunstgeschichtsschreibung, Kunstgeschichte auch. Das heißt, richtig neu ist der Ansatz nicht. Eine solche Ausstellung, wie Sie sie gesehen haben, wäre gerechtfertigt, wenn es so was wie den weiblichen Blick auf die Welt gibt oder irgendetwas Einigendes, was übers Geschlecht hinausgeht. Haben Sie das gefunden?

    Vielhaber: Na ja, was man sagen kann: Es ist der weibliche Blick auf die Kunstgeschichte. Zum Beispiel ist mir eine Künstlerin untergekommen, Germaine Dulac, von der ich noch nie was gehört hatte, die unter anderem mit Antonin Artaud zusammengearbeitet hat. Der muss das Drehbuch für einen Stummfilm geschrieben haben. Und als ich dann las, es sei die extremste Feministin unter allen, ich habe so gelacht über diesen Film. Aber das ist Stummfilm und das ist Slapstick und dann gibt es irgend so eine Putze, die da herumgeht mit so einem Feudel, und dann gibt es so einen Mann, der da steht, und dann rollt der die Augen. Also wie gesagt, das habe ich nicht gekannt.
    Nein: Was entscheidend ist, dass diese Ausstellung so viel will, und schon allein der Titel, "Die abgewandte Seite des Mondes" - es ist eben nicht so, dass wir Sonia Delaunay nicht kannten, also die Frau von Robert Delaunay, die dann eben Stoffmuster und so was gemacht hat. Als ihr Mann nichts verkaufen konnte, hat sie die Familie damit durchgezogen. Oder Hannah Höch, die nun mal sehr bekannt ist, oder Sophie Taeuber-Arp, die eben auch mehr war nur als die Frau von Hans Arp oder Jean Arp, die sehr eigenständig war, aber von der ich auch so viele Ausstellungen gesehen habe, wo man nie sagen konnte, was hat sie alleine gemacht, was haben sie zusammen gemacht. Also insofern ist das jetzt nichts, was irgendwie einen neuen Blick wirklich auf die Kunstgeschichte oder auf die Kunst von Frauen wirft. Vielleicht ist es nur so, das muss ich gerechterweise sagen, dass es eine ganz junge Generation von Kuratorinnen oder Kunsthistorikerinnen gibt, die da jetzt so ein Feld gefunden haben und wirklich engagiert forschen und engagiert auch was in den Raum stellen. Was aber jetzt als so große ästhetische Erfahrung oder so - dafür, wie Sie immer so schön sagen, das trägt nicht.

    Koldehoff: … denn wenigstens eine sinnfreudige Ausstellung, die Sie da gesehen haben?

    Vielhaber: Ja lustig sind zum Beispiel die Marionettenfiguren. Schön anzusehen ist vielleicht der Mantel, der für Gloria Swanson entworfen wurde. Aber es liegt dann auch da einfach wie Kunstgewerbe, und man hätte von vielen Künstlerinnen oder auch Fotografinnen, man hätte von Sonia Delaunay oder Sophie Taeuber-Arp möglicherweise ein paar schöne große Bilder haben können. So ist das: In dieser großen Klee-Halle verschwinden diese kleinen Aquarelle und Gouachen und Püppchen und Stoffmüsterchen. Da hätte man vielleicht eine ganz tolle Kabinettausstellung draus machen können.

    Koldehoff: "Die andere Seite des Mondes" – Christiane Vielhaber war das über eine Ausstellung in der Kunstsammlung NRW. Vielen Dank.


    Mehr Informationen zur Ausstellung finden Sie auf der Website der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.