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Aus den Ateliers ins Freie

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Holger Noltze |
    Noltze: Wenn wir jetzt nach zwei Kunstanstrengungen, die so dezidiert auf die Gegenwart und ihre drängenden Fragen zielen, nach Stuttgart schauen mit Christiane Vielhaber zu einer großen Werkschau Edouard Manet und die Impressionisten, gucken wir dann, Frau Vielhaber, ins ganz und gar Unkulinarische, Unproblematische auf einfach schöne Bilder?

    Vielhaber: Grundsätzlich ja.

    Noltze: Ist das schlimm?

    Vielhaber: Nein, das ist sicherlich sehr schön, und diese Ausstellung wird auch viereinhalb Monate laufen. Wenn ich mich recht erinnere, waren gestern fast 200 Kollegen bei der Pressekonferenz, und dann fiel auch der Satz, dass Manet selber, der hier im Mittelpunkt steht, ziemlich - ich sag das mal locker, pressegeil war. Das hätte ihm sehr gefallen, dass wir alle darüber schreiben, und er hätte natürlich gehofft, wir würden das loben. Es gibt nichts daran zu kritisieren. Es gibt vielleicht etwas, was schwierig zu vermitteln ist. Der Obertitel "Manet" ist fettgedruckt und der Untertitel "und die Impressionisten" ist klein und kursiv. Man glaubt so, man würde eine Retrospektive von Manet sehen, die es hier in Deutschland nie gegeben hat. Wir haben ja auch gar nicht so viele Manets in den großen Sammlungen. Richtig ist vielmehr, dass man versucht, Manet in die Riege der Impressionisten zu stellen. Außerdem war er im wahrsten Sinne kein Impressionist.

    Noltze: Er war ein Wegbereiter.

    Vielhaber: Er war auch kein Wegbereiter. Zum Beispiel machten 1874 jene Künstler, wie Renoir, Monet und Degas, die vorher vom Salon ausjuriert worden waren, weil sie zu modern waren, weil sie zu getüpfelt waren bei dem Franzosen Nodas (?) im Atelier eine eigene Ausstellung. Hier war das Bild von Monet dabei, was eben heißt "l'Impression du Soleil levant". Also aus der Impression einer aufgehenden Sonne war der Begriff der Impressionisten geboren. Und Manet war derjenige, der daran überhaupt nicht teilgenommen hat. Warum hat er nicht teilgenommen? Er hat gedacht, wenn er zu den abgelehnten Künstlern gehe, habe er nie wieder eine Chance, in den Salon zu kommen. Er war natürlich schon ein eitler Dandy, dem es auch immer gut ging und der immer gut verkaufen wollte.

    Noltze: Die Staatsgalerie Stuttgart behauptet, es sei die erste umfassende Manetschau in Deutschland. Heißt es, es werden Neuerkenntnisse versprochen? Bringt die Fokussierung hier jetzt eine Differenzierung, was unser Manetbild angeht?

    Vielhaber: Ich denke, wenn man genau hinschaut, dann sieht man, warum Manet wirklich kein Impressionist war. Er ist nie mit der Staffelei nach draußen gegangen. Was die Impressionisten nicht mehr wollten, war die akademische Malerei und diese dunkle Tonigkeit, sondern sie wollten weg von dem Kunstlicht im Atelier. Dies war ja ein willkürliches Licht. Sie wollten raus und wirklich den höchsten Grad von Realismus erreichen, den man sich vorstellen kann. Sie wollten wissen, wie das Licht auf die Landschaft, auf den Menschen und in der Stadt wirkt. Das ist ja auch ganz neu, dass die auf die Strassen und in die Parks gingen, da wo die Leute flanieren, wo die Schiffe fahren, dass sie in die Strandbäder fuhren, um einfach zu gucken, was eigentlich Leben ist. Sie wollten weg von diesen historischen Themen oder auch noch christlichen Themen. Da ist Manet jemand gewesen, der thematisch sehr wohl das Leben der Menschen in der Großstadt oder am Strand in seine Bilder gebracht hat, aber es hat es im Grunde genommen immer in eine klassische Komposition gebracht. Stéphan Mallarmé hat ganz früh erkannt, dass bei Manet so ein Dualismus vorherrscht. Also auf der einen Seite gab es die strenge Komposition, praktisch auch noch akademisch gemalt, und dann im Hintergrund löst sich das teilweise auf. Aber es war eben auch nicht so getüpfelt wie bei den Impressionisten, wo man zum Beispiel Farben ungemischt mit dem Pinsel nebeneinander setzte. Das findet bei ihm auch gar nicht statt. Der Mensch oder die Menschengruppen, die bei ihm im Mittelpunkt stehen, sind häufig sehr beziehungslos. Man denkt hier, es ist doch nicht der Eindruck, den man vom Menschen hat, sondern ein Bildeindruck, den er uns vermitteln will.

    Noltze: Spürt man diesem Großunternehmen einer Ausstellung auch die Spekulation auf das große Publikum?

    Vielhaber: Herr Noltze, man spürt sie ganz sicher. Man darf nicht vergessen, dass diese Ausstellung jetzt gezeigt wird, nachdem man für elf Millionen Mark einen neuen Riegelanbau gemacht hat. Dieser ist jetzt neu bespielt, also da sollen auch die Werkstätten und anderes rein. Damit man sieht, dass man dort jetzt mehr Platz hat, wird jetzt auch das eine Geschoss dieses neuen Riegels dafür benutzt. Also da wird kräftig auf die Pauke gehauen. Der Katalog wird laufen, wie geschnitten Brot. Sie haben hübsche Tüten, wo man diesen Katalog mit wegtragen kann, und das wird ein großer Erfolg. Zumal sie selber seit 1966 einen Manet besitzen. Es wurde damals für 980.000 Mark gekauft.

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