Mit gezielten Schnitten setzt Dr. Ute Weber die Untersuchung an Kopf und Organen fort und wendet sich dann dem geviertelten Tierkörper zu: eine Fleischbeschau im Jahr 2000.
Zwei kapitale Bullen waren am frühen Morgen in der Metzgerei Roy in Bad Honnef geschlachtet worden. Nicht ohne den positiven Befund der Tierärztin, die sich die Tiere zuvor angesehen hatte.
"Ich hab mir angeguckt, ob die Füße in Ordnung sind, ob die keine Transportschäden haben, ob die nicht verletzt sind, eine besondere Stresssituation haben. Stark verletzte, atmungsinaktive, liegende Tiere, temperaturerhöhte, kranke Tiere einfach, da ergeht ein Schlachtverbot."
Das ist Vorschrift, so geregelt bereits seit 100 Jahren. Denn was sich im heute gültigen Fleischhygienegesetz über die Untersuchungspflicht vor und nach der Schlachtung nachlesen läßt, steht schon mit den gleichen Worten im Reichsgesetz, betreffend die Schlachtvieh- und Fleischbeschau von 1900 - und zwar für Rinder, Schweine, Schafen, Ziegen, aber auch Hunde und Pferde. Damals war ein für alle Länder gültiges Reichsgesetz nötig geworden im erst dreissig Jahre alten Deutschen Reich. Zuvor hatte es schon unzählige Regelungen gegeben: Jedes Fürstentum, jede Stadt versuchte auf eigenen Wegen, die Bevölkerung vor dem Verzehr schlechten oder krankmachenden Fleisches zu schützen. Denn unsere Vorfahren waren nicht zimperlich. Verschiedene Dokumente aus den vergangenen Jahrhunderten belegen, mit verseuchtem Fleisch ließ sich ein schwunghafter Handel betreiben. Geräuchert und gesalzen vermarkteten Händler auch das Fleisch kranker Tiere gewinnbringend. Und skrupellose Geschäftemacher schreckten nicht davor zurück, Eingeweide und Fleisch von Tieren zu verkaufen, die an der Rinderpest erkrankt waren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte sich zunehmend wissenschaftlicher Einfluss bemerkbar. Tierärzte wurden ausgebildet und bei der Fleischbeschau zu Rate gezogen. Ein großes Problem war noch bis in das 20. Jahrhundert hinein die Trichinenkrankheit - eine durch Fadenwürmer ausgelöste mitunter tödliche Krankheit. Sie ist heute durch regelmäßige Laboruntersuchungen so gut unter Kontrolle, dass sich einige Bundesländer zur trichinenfreien Zone erklären wollen. Für die wissenschaftliche Fleischbeschau waren die Forschungen im ausgehenden 19. Jahrhundert über die Trichinen entscheidend. Ebenso die Erkenntnis, dass es sich bei der sehr oft vorkommenden Schweinefinne um die Larven des Bandwurms handelt. Durch den Verzehr von rohem oder nicht durchgebratenem Fleisch siedelten sich Finnen im Darm an und entwickelten sich zu Bandwürmern, die bis zu 10 Meter lang werden konnten. Nur schwer und mit drastischen Abführmethoden wurde man den Wurm wieder los. Dr. Hartwig Kobelt vom Bundesgesundheitsministerium erläutert die Umstände, die im Jahre 1900 das Gesetz über die Fleischbeschau erforderlich machten.
"Damals spielten Krankheiten wie die Trichinellose, Tuberkulose, Bruzellose, Milzbrand und das was damals allgemein als Septikämien - heute würde man sagen Salmonellosen - eine entscheidenden Rolle und durch die Untersuchung jedes einzelnen Tieres hoffte man, den Gefahren begegnen zu können."
Akute Gefahrenabwehr also war das Hauptmotiv für das Fleischbeschaugesetz. Mit Erfolg. Denn DIESE Krankheiten hat man heute weitestgehend im Griff.
"Das Fleischbeschaugesetz war letztlich der Meilenstein auf dem Weg zur Verbesserung des Gesundheitsstatus des Lebensmittels Fleisch. Und dass es eben ein Meilenstein war, erkennt man auch daran, dass eben die wichtigsten Prinzipien des Fleischbeschaugesetzes von 1900 bis zum heutigen Tage überdauert haben und auch Eingang gefunden haben in das EG Recht, in das Gemeinschaftsrecht."
Ganz in der Tradition der sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelten Fleischbeschau standen im Gesetz von 1900 die Beurteilungskriterien für das untersuchte Fleisch. Es wurde unterschieden zwischen tauglichem und bedingt tauglichem Fleisch und zwischen minderwertigem und untauglichem Fleisch. Dabei galt das minderwertige Fleisch durchaus als genießbar. Es war wässrig, roch und schmeckte anders, war aber nicht gesundheitsschädlich. Das bedingt taugliche Fleisch war mit Krankheitserregern verunreinigt, man konnte es aber erhitzen und so die Krankheitserreger abtöten. Danach durfte es verkauft werden.
Bis in die 90er Jahre hinein übrigens, als sogenanntes Freibankfleisch, das in Anlehnung an die Fleischbänke des Mittelalters so bezeichnet wurde. Erst durch die Umsetzung von nationalem in europäisches Recht schaffte man die vier Beurteilungsstufen und auch die Freibänke ab. Seitdem wird nur noch unterschieden zwischen tauglichem und untauglichem Fleisch.
"Mit Kühl-LKW kommen die Rinderviertel oder Schweinehälften an, werden dann abgeladen, gewogen. Beim Abladen ist die Firma verpflichtet, stichprobenweise Temperaturkontrollen durchzuführen, die von der Firma auch dokumentiert werden. Danach werden die Rinderviertel oder Schweinehälften in den Kühlraum verbracht um dann in die entsprechenden Teilstücke zerlegt zu werden."
Herbert Gesang ist Tierarzt bei der Stadt Bonn. Seine Aufgabe ist es, wie hier in einem sogenannten Zerlegebetrieb, Papiere und Stempel der aus dem europäischen Ausland kommenden Tierteilstücke zu überprüfen. Er kontrolliert die Temperatur der Fleischkörper, ebenso die Raumtemperatur, die Schutzkleidung der Arbeiter, bevor die Fleischhälften weiter zerlegt und verschickt werden. Denn das heute gültige Fleischhygienegesetz umfaßt mehr, als die reine Fleischbeschau.
Die erledigen heute die Kollegen im jeweiligen Mitgliedsland. Denn innerhalb der Europäischen Union gilt das Gemeinschaftsrecht, insofern beschränkt sich die Arbeit des Veterinärmediziners bei der Ankunft holländischer Rinder- oder Schweinehälften heute auf die Kontrolle der Papiere.
Schon das Reichsgesetz über die Fleischbeschau von 1900 war ein Rahmengesetz. Diese Eigenschaft hat auch das heute gültige Fleischhygienegesetz. Das heißt: Im Kern hat sich nicht viel geändert. Entscheidend sind die enthaltenen Ermächtigungen, die dem Gesetzgeber erlauben, europäische Richtlinien oder Verordnungen in ihre nationale Gesetzgebung aufzunehmen. Das wäre - rein theoretisch - auch schon vor 100 Jahren möglich gewesen.
Auch heute ermächtigt das Gesetz den Gesundheitsminister für die Einfuhr von Fleisch auch aus einem EU-Land Verbote und Beschränkungen zu erlassen. Wie er es im Fall von BSE zum Beispiel getan hat. Denn Bestandteil der Verordnung ist, dass britisches Rindfleisch nur dann Großbritannien verlassen und in den Handel gelangen darf, wenn es mit einem entsprechenden Stempel gekennzeichnet ist, der besagt: dieses Fleisch ist gesundheitlich unbedenklich. Damit sei der Gefahrenabwehr, die schon vor 100 Jahren bei der Formulierung des alten Fleischbeschaugesetzes Hauptanliegen war, genüge getan. So die Experten im Gesundheitsministerium. Rechtlich gibt es da nichts mehr zu beanstanden. Indes darf man die umständliche Kennzeichnung im Fall BSE wohl als Notbremse deuten.
"Wir sehen diese Kennzeichnung auch als wichtiges Mittel, dass sich der deutsche Verbraucher in Kenntnis aller Fakten entscheiden kann, britisches Rindfleisch zu verzehren oder es zu unterlassen."
Entscheidungsfreiheit also. Auf der Grundlage hundertjähriger gesetzlich geregelter Fleischbeschau.