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Aus der Nase, aus dem Sinn

Biologie. - Mäuse verlassen sich vor allem auf ihre Nase, geht es um Orientierung, Nahrung und Partnerwahl. Wie US-Forscher jetzt im Fachmagazin "Nature Neuroscience" berichten, funktionieren die Mechanismen im Riechhirn der Nager allerdings ganz anders als bislang angenommen.

Von Michael Stang |
    Mäuse sind in der Lage, Gerüche auf zwei verschiedene Weisen wahrzunehmen. Einerseits mit dem geruchsempfindlichen Zellgewebe in der Nase, mit dem auch Menschen riechen. Andererseits mit einem winzigen Organ, das ebenfalls in der Nase sitzt - beim Menschen jedoch verkümmert ist - dem so genannten vomeronasalen Organ. Es befindet sich auf beiden Seiten der Nasenscheidewand und besteht aus winzigen Einbuchtungen, auf denen viele Sinneszellen konzentriert sind. Nur mit diesem Organ können Mäuse – so zumindest die bisherige Lehrmeinung – Sexuallockstoffe riechen.

    "Wenn man ein Weibchen, das gerade einen Eisprung hat, in den Käfig eines Männchens setzt, beginnt das Männchen innerhalb von fünf bis sieben Minuten, das Weibchen zu begatten. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Männchen sexuell erfahren ist oder nicht. Es wird sofort damit anfangen, sich mit dem Weibchen zu paaren. "

    Sagt Nirao Shah von der Universität von Kalifornien in San Francisco. Der Neurowissenschaftler wollte herausfinden, wie die beiden Geruchskomponenten tatsächlich funktionieren. Dazu setzte er Männchen, bei denen der Geruchssinn über eine Mutation ausgeschaltet, aber das vomeronasale Organ voll funktionstüchtig ist, ein Weibchen in den Käfig. Und: nichts passierte.

    "Die Männchen machten noch nicht einmal Anstalten, überhaupt zu dem Weibchen zu gehen und an ihm zu schnüffeln wie ein normales Männchen. Dass sich die mutierten Männchen nicht annähernd für das Weibchen interessierten, war wirklich überraschend. "

    Anscheinend ist durch diese Mutation das ganze sexuelle Verhalten unterdrückt, obwohl die mutierten Männchen physiologisch in der Lage sind, die Sexuallockstoffe des Weibchens über das vomeronasale Organ zu riechen. Nirao Shah testete anschließend das Revierverhalten.

    "Was passiert, wenn wir ihnen ein Männchen vor die Nase setzen? Normalerweise riechen Männchen einen Konkurrenten und attackieren sofort den Eindringling, weil es sein Territorium verteidigt. Wenn sie das andere Männchen nicht riechen können, werden sie dann überhaupt kämpfen? Und es passierte wieder rein gar nichts. Auch das ganze aggressive Verhalten war bei den mutierten Männchen vollständig eliminiert."

    Das Erstaunliche war nicht nur, dass die mutierten Männchen den Eindringling nicht attackierten, sondern einfach davon liefen und dem Konkurrenten kampflos das Revier überließen. Nirao Shah wunderte sich, warum durch eine einfache Mutation jegliches Verhalten, welches für das Überleben wichtig ist – also Fortpflanzung und Verteidigung – völlig verschwunden ist, obwohl das Organ, das dies regelt, von der Mutation überhaupt nicht betroffen ist.

    "Wieso werden überhaupt zwei Geruchskomponenten – also das vomeronasale Organ und das geruchsempfindliche Zellgewebe - benötigt? Möglich wäre, dass das vomeronasale Organ nur über einen physischen Kontakt – eine Berührung - aktiviert werden kann. Dadurch kommen die mutierten Mäuse erst gar nicht auf die Idee, dieses Organ zu benutzen, weil ihnen der Auslöser dazu fehlt. "

    Wenn der Auslöser fehlt, gibt es keinen Anlass für eine Handlung. Und dies unabhängig davon, ob dem mutierten Mäuserich ein paarungswilliges Weibchen gegenüber steht oder ein Konkurrent. Das Überraschende an diesen Ergebnissen war für Nirao Shah aber vor allem die Tatsache, dass nicht die Hormone die sexuellen und aggressiven Aktivitäten bei Mäusen letztendlich steuern, sondern ein Sinnesorgan.

    "Bislang hatte man immer gedacht, dass ein solches Verhalten nur über Hormone – etwa Testosteron – gesteuert wird. In diesem Fall sieht es aber so aus, als ob diese Hormone nur aktiv werden, wenn das soziale Umfeld stimmt. Wie sollen die Testmäuse aber handeln, wenn dieser Auslöser fehlt? Die Mutanten können ja noch nicht einmal ein Weibchen von einem Männchen unterscheiden. Wie sollen sie dann wissen, ob sie ihr Gegenüber begatten oder bekämpfen sollen?"