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Aus der Perspektive des Lesers

Die Akademie der Künste zeigt eine Ausstellung über den Schriftsteller Max Frisch. In 18 thematisch Bereichen kann der Besucher sehen und hören, wie Leser von ihren Erfahrungen mit Frisch-Werken berichten. Außerdem wird erstmals das "Berliner Journal", eine Tagebuchfolge Frischs, gezeigt.

Von Jürgen König |
    Die wenigen Vitrinen, die es gibt, enthalten – zum Beispiel – zwei der dunkelgerahmten Brillen von Max Frisch oder auch vier seiner Pfeifen: Sofort sieht man ihn vor sich. Überaus unterhaltsam ist diese Ausstellung, die vor einem Jahr, zum 100. Geburtstag, schon in Zürich gezeigt wurde, nun aber - um einen entscheidenden Teil ergänzt – in Berlin zu sehen ist, in jener Stadt, die Frisch faszinierte, in der Akademie der Künste, deren Mitglied Frisch war. Annemarie Hürlimann, Kuratorin der Ausstellung:

    "Wir haben uns entschieden, die Ausstellung aus der Perspektive des Lesers aufzubauen, weil Literatur lebt - natürlich durch den Leser und die Leserin. Aufgrund diesen konzeptuellen Ansatzes haben wir uns gefragt: wie viel Gegenwart steckt in Max Frisch? Und wir haben dann viele Menschen interviewt, ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Bildung, unterschiedlicher Berufe und sind dann zu einem sehr schönen Mosaik gekommen von verschiedenen Meinungen über Max Frisch; diese Interviews haben wir eingebaut in die Ausstellung."

    18 thematisch getrennte Bereiche umfasst die Ausstellung, mit Frisch-Zitaten überschrieben wie: "Ich schreibe für Leser" oder "Bei Frauen bin ich mir nie sicher" oder "Heimweh nach der Fremde" oder "Berlin.... man ist wacher als anderswo." Im Mittelpunkt jeder dieser "Themeninseln": ein Monitor und Kopfhörer. Zu sehen und zu hören sind: Leser. Etwa Schüler, die erzählen, wie sie mit Frisch in der Schule gequält werden, Lehrer, die erzählen, warum sie Frisch so "spannend" finden, ferner Regisseure, Oberkellner, Grafittikünstler, Wissenschaftler, Politiker, Schriftsteller, Wanderer. Gleich daneben kann man anhand von Typoskripten und Briefen, Fotos und Notizbüchern Max Frischs sozusagen bei der Arbeit beobachten: beim Planen und Ordnen von Material, beim bedächtigen Schreiben. Auszüge seiner Texte runden jede Einheit ab. Ein ausgesprochen pfiffiges Konzept: lehrreich, klug, und manchmal auch sehr lustig.

    Was in Zürich nicht zu sehen war, was noch nie zu sehen war, in Berlin wird es gezeigt: das "Berliner Journal" von Max Frisch. Eine Tagebuchfolge, geschrieben in seiner Berliner Zeit zwischen 1973 und 80. Erst 20 Jahre nach seinem Tod durfte das versiegelte Manuskript geöffnet werden, das geschah im letzten Jahr. Peter von Matt, Präsident der Max Frisch-Stiftung:

    "Der Stiftungsrat hat dann im Verlauf des vergangenen Jahres dieses Berlin-Journal studiert und in einer langen Sitzung ist er einstimmig zur Überzeugung gekommen, dass zum jetzigen Zeitpunkt das Ganze unter keinen umständen publiziert werden kann und zwar aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen."

    Man darf getrost vermuten, dass hier die Persönlichkeitsrechte von Marianne Frisch gemeint sind, seine damalige Frau, die er bei seiner Scheidung reich bedacht hatte.

    "Er hat ihr eine Wohnung in Berlin und eine in Zürich geschenkt, und sie lebt heute immer noch an beiden Orten, und der Inhalt dieses Journals ist natürlich auch ein bisschen geprägt von diesem Prozess einer sterbenden Ehe. Das kann man, glaube ich, soweit schon sagen."

    Vielleicht wird das "Berliner Journal" in Auszügen als Buch erscheinen. In Berlin sind Auszüge seiner Begegnungen mit Schriftstellern zu lesen, beschrieben mit trockener, auch
    teilnahmsvoller Präzision. Uwe Johnson, Günter Grass, Lars Gustafsson, Hans Magnus Enzensberger wohnten in Frischs unmittelbarer Begegnung; in Ost-Berlin traf er Günter Kunert, Wolf Biermann, Christa und Gerhard Wolf. Über sie heißt es:

    "Ihre neue Art, offen zu reden. Ohne Zweifel loyal gegenüber dem System, kritisch offen, ohne dass der Besucher dazu nötigt. Aber bald ist die DDR natürlich doch das Thema. Nicht aufdringlich, nur ebenso offen ist ihre Überzeugung, dass die Leute hier humaner sind. Menschen. Dies ohne Polemik gegen den Westen. Unser Gespräch, auch bei Sympathie, bleibt sorgsam, nicht ohne Scherz. Beiläufig erfahre ich immer irgendetwas, ohne gefragt zu haben. Zum Beispiel die hohe Selbstmordziffer in der DDR, offiziell nicht bekannt gegeben."

    Wer alles liest, anschaut, anhört, kann einen ganzen Tag in der Ausstellung verbringen. Genau dieses ist sehr zu empfehlen.