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Aus der Quarantäne entlassen

Lange wurde Hanns Eisler als DDR-Komponist ignoriert und verfemt, inzwischen wird sein vielschichtiges Werk wiederentdeckt. Auch eine neue Biografie würdigt den Pionier politischer Musik als Avantgardisten seiner Zeit.

Von Henry Bernhard | 10.09.2012
    Wie wäre Hanns Eisler wohl ins Gedächtnis der Deutschen eingegangen, wenn nicht er, sondern der Weimarer Komponist Ottmar Gerster den Wettbewerb um die Vertonung des Johannes R. Becher-Gedichts "Auferstanden aus Ruinen" gewonnen hätte, wenn die SED nicht Eislers Komposition zur Nationalhymne der DDR erklärt hätte? Dann wäre Hanns Eisler nicht als Komponist der "Spalterhymne", wie sie im Westen genannt wurde, in Erinnerung, sondern als Verfasser mitreißender, moderner, intelligenter Musik, als gnadenloser Kritiker der Dummheit und Verlogenheit in der Kunst, als erfolgreicher Filmmusik-Komponist, der zwei Mal für den Oscar nominiert war.

    Hanns Eisler wurde in der westdeutschen Presse beschimpft und im Musikbetrieb ignoriert – während er im Osten nach der Wende 1989 quasi in "Quarantäne" kam. Weil die SED ihn als einen der ihren reklamierte, weil er sich – trotz aller Zweifel – immer zur DDR und zum Sozialismus bekannte und, eben, weil er die Nationalhymne des ungeliebten Staates geschrieben hatte. Aber: Hanns Eisler war natürlich mehr, er war komplexer, vielschichtiger, entdeckenswerter.

    "Eisler hat Zwölftonmusik geschrieben, die man pfeifen kann, und Revolutionslieder komponiert, die den Anspruch der Avantgarde spiegeln."

    So prägnant fasst Friederike Wißmann, Musikwissenschaftlerin und Autorin des Buches "Hanns Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär" dessen kompositorische Bandbreite zusammen. Wißmann verfolgt einen interessanten Ansatz: Sie will Eisler endlich einmal nicht als politischen Menschen portraitieren, der komponiert hat, sondern sie geht von Eislers Musik aus und spiegelt darin dessen Leben. So kommt seine Musik zur Geltung, die es in jedem Fall verdient hat, 50 Jahre nach Eislers Tod und über 20 Jahre nach dem Ende der DDR, die Quarantäne zu verlassen.

    "Eisler ist gleichzeitig intellektueller Schönberg-Schüler, volksnaher Arbeiterchordirigent, schlagfertiger Bühnenmusiker, flexibler Filmmusikkomponist und Autor antifaschistischer Agitation. Entscheidend blieb für Eisler, mit avancierten musikalischen Verfahren umzugehen und gleichzeitig für ein Publikum verständlich zu sein. Eisler wollte breite Bevölkerungsschichten für eine Neue Musik gewinnen. Dass Eislers Konzept nicht aufging, können wir aus heutiger Perspektive konstatieren. Seine eigene Zerrissenheit spiegelt die Widersprüchlichkeit des 20. Jahrhunderts, seine Haltung die der ihn umgebenden paradoxen Welt."

    "Als ich drauf kam, dass die Politik sich so für die Musik interessiert, habe ich als Musiker mich für die Politik interessiert; ich habe das nur umgedreht. Wenn man mich also als politischen Musiker bezeichnet, so ist das ein Ehrenname für mich. Ich versuche mit den Mitteln der Musik etwas politische Intelligenz in den Menschen hineinzubringen. Ich weiß, dass das viele Leute nicht mögen, aber da müssen sie sich eben ändern! Die Leute müssen sich ändern, vielleicht auch mit den Mitteln der Musik!"

    So Hanns Eisler Anfang der 60er-Jahre in Leipzig. Die Autorin seiner Biografie führt den Leser sachkundig durch Eislers Werk. Sie beschreibt Eislers Lust an der Provokation, am Infragestellen der bestehenden Verhältnisse – in der Politik und in der Kunst. Dabei ist jedes Kapitel einem signifikanten Werk Eislers gewidmet und auf dessen Biografie bezogen. Die musikwissenschaftlichen Erörterungen richten sich dabei an den ambitionierten Laien, Friederike Wißmann gelingt es aber, auch dem weniger Kundigen musikalische Erkenntnisse zu vermitteln.

    Jeden Morgen mein Brot zu verdienen
    geh ich zum Markt, wo Lügen verkauft werden.
    Hoffnungsvoll reihe ich mich ein unter die Verkäufer.

    (Aus Hanns Eisler: "Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen")

    Wißmanns Annäherung an Eisler ist auf eine sehr angenehme Weise von Empathie getragen, nicht aber von Parteigängerschaft. Das Interessanteste an Eislers Werk ist ihr wohl die Dialektik, an Eislers Leben sind es die Widersprüche. So schreibt sie über das im Exil entstandene "Hollywooder Liederbuch":

    "Eisler nutzt die letzten Takte nicht nur zur Provokation, sondern auch dazu, dialektische Bezüge herzustellen. In Eislers Lieder werden wir zwar hineingezogen, aber spätestens am Ende mitsamt etwaiger Gefühlsduselei wieder ausgespien."

    Friederike Wißmann schildert lebendig Eislers Weg von den Studienjahren bei Arnold Schönberg in Wien über das revolutionäre Berlin ins dänische Exil, weiter als Lehrer in New York, als Filmmusik-Komponist und Autor zarter Lieder in Hollywood. Dann der Rauswurf aus den USA aus politischen Gründen, die Rückkehr nach Europa, die Zurückweisung in Wien, wo Eisler Heimat und Anstellung suchte, die Ankunft in Ostberlin, wo er Anerkennung und Arbeit fand, die zunehmenden Zweifel, die zeitweise Flucht nach Wien vor der Dummheit und Borniertheit der Parteioberen, die seine Musik diffamierten und Aufführungen verboten; sehr knapp Eislers Ende in Trauer, Resignation und Alkohol. Sie zeigt Eisler scharfsinnig denkend, unsentimental, aber gefühlvoll, sarkastisch, aber nie zynisch, charmant und ungeheuer humorvoll, intellektuell und mitunter arrogant.

    Auf der zeithistorischen und persönlichen Ebene überschreitet Wißmann kaum den Erkenntnishorizont bereits vorliegender Eisler-Biografien. Eislers wohl politisch anstößigstes, musikalisch herausragendes und fast ungespieltes Stück "Die Maßnahme" lässt sie links liegen. Hier wäre die Chance gewesen, der Frage nachzugehen, was Hanns Eisler über die Verbrechen des Kommunismus wusste, verschwieg, beschönigte, ignorierte, der immer wiederkehrenden Frage, wie und warum die Intellektuellen des 20. Jahrhunderts in Scharen ihren Verstand beerdigten und ihre Augen verschlossen, wenn es um den Kommunismus ging. Vielleicht ist es Feigheit vor dem Freund, die die Autorin diese Klippe umschiffen ließ. Aber: Friederike Wißmann hat ein durchweg gut lesbares, sehr informatives Buch geschrieben, das Lust aufs Eisler-Hören macht, über einen wohlsortierten Anhang verfügt und auch als Nachschlagewerk zu einzelnen Eisler-Stücken sehr gut zu gebrauchen ist. Die große, die "maßgebliche" Eisler-Biografie, als die sie der Verlag bewirbt, ist jedoch auch ihr Buch nicht geworden.


    Friederike Wißmann: "Hanns Eisler - Komponist, Weltbürger, Revolutionär"
    Bertelsmann, 304 Seiten, Preis: 19 Euro 99.