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Aus der „Tag für Tag“-Redaktion
Ein Symbolbild und die Kritik daran

Im Werben um Aufmerksamkeit sollen Bilder auf Internetseiten in Sekundenschnelle klarmachen, worum es in dem Artikel geht, und Interesse dafür wecken. Problematisch wird es, wenn die Verantwortlichen gar nicht wissen, was auf dem Foto eigentlich genau zu sehen ist – wie in diesem Fall.

Von Christian Röther | 16.05.2019
Zahlreiche Fotoreporter mit ihren Kameras stehen in einer Reihe
Das Bild, um das es in diesem Beitrag geht, möchte der Deutschlandfunk nicht mehr verwenden, auch nicht an dieser Stelle (dpa/Jan Woitas)
Ein Manuskript auf die Homepage stellen, Überschrift ausdenken, noch schnell ein gutes Foto dazu finden: Redaktionsalltag. Auch in diesem Fall: Ich bekomme einen Beitrag von einem Kollegen auf den Tisch, in dem es um Islamische Theologie in Deutschland geht. Welches Foto passt dazu?
Im digitalen Fotoarchiv des Deutschlandfunks finde ich unter dem Stichwort "Islamische Theologie" nicht allzu viel. Doch ein Foto haut hin als Symbolbild: zwei Hände, die ein Buch halten, auf dem arabische Schriftzeichen zu sehen sind. Im Hintergrund mehrere Bücher, auf denen "Quran" zu lesen ist.
Das Gesicht des Mannes, der das Buch hält, ist im Anschnitt ebenfalls zu sehen, ein wenig unscharf. Die Bildunterschrift: "Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für islamische Theologie [...]". Den Ort nennen wir jetzt mal nicht.
"Äußerst unpassend!"
Ich pflege das Bild ein, sage dem zuständigen Redakteur Bescheid. Der nimmt den Artikel ab und veröffentlicht ihn auf deutschlandfunk.de. Erledigt, nach dem Vier-Augen-Prinzip.
Bis kritische Rückmeldungen kommen, wie diese eines Islamwissenschaftlers:
"Das Buch, das im Titelbild gezeigt wird, ist vom islamistischen Ideologen Yusuf al-Qaradawi und heißt "Fiqh al-Dschihad" (= Jurisprudenz des Dschihad) und ist in diesem Zusammenhang äußerst unpassend! Es wäre gut, dieses Bild durch ein anderes zu ersetzen, das positiver zum guten Inhalt des Beitrages passt. Ansonsten gibt es falsche Assoziationen."
Da hat er natürlich recht. Unser Fehler. Weder der Redakteur noch ich können Arabisch. Und auch nicht Hebräisch oder Sanskrit oder die meisten der vielen vielen Sprachen, mit denen es Religionsredaktionen so zu tun bekommen.
"Typisch kompetenter Journalismus"
Aber der Titel steht auf dem Buch eben auf Arabisch. Das Bild ist entstanden, als eines der deutschen Institute für islamische Theologie eröffnet wurde – das ist schon ein paar Jahre her. Ich hatte mich darauf verlassen, dass der abgebildete Wissenschaftler ein unproblematisches Buch ausgewählt hat.
Natürlich ist es richtig und wichtig, dass Wissenschaft sich auch mit problematischen Schriften auseinandersetzt. Aber auf einem Foto, das symbolisch für das eigene Institut steht, da kann so ein Buch eben einen Eindruck erwecken, der so vermutlich nicht beabsichtigt ist – und das Institut in die Nähe von Muslimbrüdern und Dschihad rücken.
Deshalb schlägt unser Bild auch in sozialen Netzwerken im Internet Wellen. Menschen, die im Gegensatz zu uns offenbar Arabisch verstehen, kritisieren die redaktionelle Auswahl:
"Typisch kompetenter Journalismus."
"Was für ein Depp sucht so ein Foto aus?"
Absolut berechtigte Frage. Nur komisch, dass niemand fragt, warum der abgebildete Wissenschaftler dieses Dschihad-Buch ausgesucht hat, um es in die Kamera zu halten. Wollte er uns damit etwas sagen?
Ein Versehen?
Das Bild stammt aus einer Datenbank der Deutschen Presse Agentur, dort finde ich auch den Namen des Wissenschaftlers. Ich schreibe ihm eine Mail – und er ruft mich sofort zurück. Klingt offen und freundlich und sagt, dass er überrascht sei, dass diese Anfrage ihn erst heute erreicht, mehrere Jahre, nachdem das Bild erstmals veröffentlicht wurde.
Es sei damals ein anstrengender Tag gewesen - mit viel Medienrummel. Und am Ende wollte ein Fotograf noch schnell ein Foto, auf dem ein Buch mit arabischer Schrift zu sehen sein sollte. Er selber könne allerdings nicht so richtig gut Arabisch, sagt mir der Islamwissenschaftler, und habe erst später festgestellt, welches Buch er da in die Kamera gehalten hat.
Für mich klingt das glaubhaft, ich frage aber auch noch einen Kollegen nach seiner Meinung. Der kann Arabisch, kennt sich mit Islamthemen bestens aus – und kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Wissenschaftler das Dschihad-Buch nicht rechtzeitig erkannt hat. Er glaubt also nicht an ein Versehen.
Aussitzen oder Handeln?
Ich frage auch beim Fotografen nach, der das Bild gemacht hat. Und auch der antwortet sofort. Allerdings nur, dass er sich an die Umstände nicht mehr genau erinnern könne.
Der Wissenschaftler sagt, er habe die Buchauswahl mit seinem Chef besprochen, sobald er gemerkt habe, was auf dem Foto zu sehen ist. Sie hätten dann beschlossen, erst mal nichts zu unternehmen. Immerhin befassen sich Islamwissenschaftler ja auch mit Büchern über den Dschihad.
Trotzdem: Auch den Wissenschaftlern muss natürlich klar sein, dass dieses Buch auf einem Symbolbild für ihr Institut problematisch ist. Zumal verschiedene Medien es veröffentlicht haben, mehrfach auch der Deutschlandfunk. Auf unserer Homepage haben wir das Bild inzwischen ausgetauscht, auch die dpa vertreibt es - nach unserem Hinweis - nicht mehr.
Für mehr Sprachkompetenz!
Fazit: Ein Wissenschaftler und ein Fotograf haben eben noch schnell ein Foto gemacht, eine Presseagentur verbreitet es weiter, eine Redaktion stellt es mal eben schnell online – und genauso schnell steht ein Verdacht im Raum: Gibt es an diesem Institut für islamische Theologie Sympathien für Muslimbrüdern und Dschihad?
Ich persönlich glaube das nicht, sondern gehe von einem Versehen aus. Aber abschließend klären können wir die Sache nicht. Stattdessen können wir selbstkritisch erzählen, dass es hilfreich wäre, könnten Fachleute, die sich mit Islam beschäftigen, Arabisch lesen – in Redaktionen, aber vor allem auch an Hochschulen.