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Aus der Wirtschaft ins Klassenzimmer

Die Lehrer an berufsbildenden Schulen werden knapp und gleichzeitig ist die Chance für einen Seiteneinstieg in den Beruf des Berufschullehrers so gut wie noch nie. Eine Brücke zwischen den Seiteneinsteigern zum Beispiel mit Diplomabschluss und den richtigen Berufschullehrern versucht die Wissenschaftliche Hochschule Lahr zu schlagen.

Von Andrea Groß | 23.02.2006
    Die Wissenschaftliche Hochschule Lahr (WHL) ist eine private Fernuniversität. Sie ist seit 1999 auf dem Markt und bietet zwei Fächer an: Wirtschaftspädagogik und Betriebswirtschaftslehre. Das Besondere: Die Studierenden haben alle schon einen Studienabschluss. Die WHL bietet ausschließlich Weiterbildungsstudien an für Menschen, die sich bereits im Berufsleben befinden. Und im Bereich Wirtschaftspädagogik hat die Hochschule eine ganz überraschende Erfahrung gemacht, wie Kanzler Ulrich Rolf erklärt:

    "Die eigentliche Zielrichtung damals dieses Studienganges Wirtschaftspädagogik war im Grunde, interessierte Berufstätige eines ersten Studiengangs weiterzubilden für den Einsatz in großen Unternehmen, in Weiterbildungsabteilungen von großen Unternehmen, in Weiterbildungseinrichtungen im öffentlichen Bereich, für das Bildungsmanagement, für die Personalentwicklung. Da kam aber jetzt in den letzten Jahren ein Phänomen auf. Wir haben einen großen Nachfrageüberschuss nach Lehrern in dem Berufsbild der Schulen."

    Flugs startete die WHL, die übrigens ihren Sitz in Baden-Württemberg hat, eine Anfrage unter den Kulturministern der Länder und bekam dort die Bestätigung, dass in allen Ländern mit Ausnahme von Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein die Wirtschaftspädagogen der WHL gerne als Berufschullehrer übernommen würden.

    Jürgen Wiegemann ist Leiter des Berufskollegs in Castrop-Rauxel, am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Wiegemann hat einst selbst Berufschullehrer in Studienseminaren ausgebildet. Er weiß also, worauf es ankommt. Das Angebot der Fernuni in Lahr findet er erst mal nicht schlecht.

    "Also grundsätzlich sind solche Leute für unsere Schule, für ein Berufskolleg interessant, weil sie entsprechende Praxiserfahrung mitbringen und diese ja auch an die Schüler vermittelt werden sollen."

    Gerade im Fach Wirtschaft kann Schulleiter Wiegemann immer Leute gebrauchen, besonders, wenn sie als zweites ein allgemeinbildendes Fach oder Informatik unterrichten können.

    Im Weiterbildungsstudium zum Wirtschaftspädagogen an der WHL lernen die Studierenden allgemeine Betriebswirtschaftslehre und die verschiedenen Elemente der Erziehungswissenschaften. Dabei gibt es eines, auf das Kanzler Ulrich Rolf besonders stolz ist. Es heißt: führungsrelevante Grundfragen der Philosophie und Sozialwissenschaft.

    "Das ist innovativ in Deutschland. Dort konfrontieren wir unsere Studierenden schon in den ersten Monaten ihres Studiums mit Philosophen, mit philosophischen Lehrmeinungen. Das Ganze wird in diesem Fach dann ausgedehnt auf die Wirtschaftsethik, auch auf die Führungslehre. Insofern bemüht sich die WHL, ein ganzheitliches Spektrum aufzubauen und nicht den in Anführungsstrichen Fachidioten, ich sage es mal so, auszubilden."

    Schließlich belegen die Studierenden noch ein Wahlfach aus einem spezielleren Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Das kann Marketing sein, Steuerlehre oder Volkswirtschaft. Ein praktischer Teil, in dem die Studierenden in einer Schulklasse ausprobieren können, was sie gelernt haben, ist nicht vorgesehen, auch nicht in den regelmäßigen Präsenzphasen, die am Hochschulstandort in Lahr stattfinden. Das ist schade, findet Berufschulleiter Jürgen Wiegemann:

    "Begrüßenswert an dieser Maßnahme ist zunächst einmal, dass erziehungswissenschaftliche Kenntnisse vermittelt werden. Auf der anderen Seite ist es ja gerade für den Lehrerberuf wichtig, einen Theorie-Praxisbezug herzustellen. Und so, wie diese Maßnahme beschrieben ist, fehlt eigentlich dieser Theorie-Praxisbezug. Das heißt, dass man erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse eben auch in der Praxis ausprobieren und reflektieren kann."

    So ergeht es den Absolventen des Weiterbildungsstudiums wie den Quereinsteigern, die das Land Nordrhein-Westfahlen seit einigen Jahren zum Referendariat an Berufschulen zulässt: Vom ersten Tag an müssen sie zusehen, wie sie mit einer Schulklasse zurechtkommen. Darüber hinaus lernen sie im Studienseminar ein zweites Unterrichtsfach und bereiten sich auf das zweite Staatsexamen vor. Seit dem Jahr 2000 hat Berufschuldirektor Wiegemann fünf Quereinsteiger eingestellt. Vier von ihnen sind heute noch dabei. Es sind vor allem über 40-Jährige, die befürchten, dass ihr ursprünglicher Arbeitsplatz wegrationalisiert wird. Die Kunden der WHL sind da deutlich jünger.

    Ulrich Rolf: "Die arbeiten ganz normal in Unternehmen, im öffentlichen Dienst, wo auch immer. Die haben ihr Studium abgeschlossen, sind so im Durchschnitt 30, 32 Jahre alt, haben eben alle schon Berufserfahrung und sehen eine Option für ihren weiteren Berufsweg eben in einer gegenüber der Unternehmenspraxis oder in anderen öffentlichen Dienstbereichen anderen Richtung."

    Dass es Unzufriedenheit bei den Kollegen gibt, die die klassische Ausbildung zum Diplom-Handelslehrer durchlaufen haben, hat Schulleiter Jürgen Wiegemann bisher nicht beobachtet und befürchtet das auch für die Zukunft nicht. Die klassischen Lehrer, so sagt er, holen sich Tipps ab, wie es im Betrieb zugeht, und der Praktiker holt sich Rat, wenn er die Klasse nicht gebändigt kriegt.

    Das Weiterbildungsstudium an der Fernuni Lahr kostet 16.000 Euro für vier Semester. Das ist ein Haufen Geld, findet auch Kanzler Ulrich Rolf. Allerdings denkt er auch, dass es eine gute, steuerlich absetzbare Geldanlage ist.

    "Wir nennen das eine Investition in das Humankapital, wenn man einen solchen Weiterbildungsstudiengang belegt an einer privaten Hochschule, der eben mit bestimmten Gebühren verbunden ist. Dann ist das ja nicht weg, was man da ausgibt, sondern das ist eine Investition, die ja später auch Erträge abwirft, nämlich den Zugang zu einem neuen Beruf, zu einem neuen, gesicherten Auskommen. Insofern ist das nicht weg."