Peter Kapern: Der Prinz war offensichtlich richtig verstimmt, als er sich in einer diplomatischen Runde äußerte. Gemeint ist Prinz Bandar bin Sultan, der Geheimdienstchef Saudi-Arabiens. Sein Land werde künftig auf Distanz zu den USA gehen, kündigte er im Gespräch mit europäischen Diplomaten an, und zwar aus Protest gegen das Agieren der Vereinigten Staaten in der Syrien-Krise und im Konflikt mit dem Iran. Saudi-Arabien auf Distanz zu den USA – das wäre tatsächlich eine geopolitische Umwälzung, denn beide Länder sind seit jeher Verbündete. Bei uns am Telefon der Nahost-Experte Michael Lüders. Guten Morgen.
Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Herr Lüders, wenige Tage vor der Ankündigung des saudischen Geheimdienstchefs hatte Saudi-Arabien bereits mit Pauken und Trompeten auf seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat verzichtet. Was erleben wir da gerade? Sind das tatsächlich Anzeichen einer strategischen Neuordnung der Region?
Lüders: Auf jeden Fall ist die saudische Führung sehr verärgert über die amerikanische Politik. Saudi-Arabien hat sich sehr frühzeitig gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gestellt und ist davon ausgegangen, dass die USA militärisch intervenieren würden mit dem Ziel, seinen Sturz herbeizuführen. Das ist aber nun bekanntlich nicht geschehen und die gesamte saudische Strategie in der Nah- und Mittelost-Politik steht so gesehen auf dem Prüfstand. Vor allem auch die Wiederannäherung zwischen den USA und dem Iran bereitet Riad große Sorgen. Denn Saudi-Arabien und Iran sind die beiden großen Rivalen in der Region und Saudi-Arabien hat die Sorge, dass die USA die privilegierten Beziehungen mit Saudi-Arabien, die immerhin seit 1932, seit Gründung Saudi-Arabiens bestehen, relativieren könnten. Und nun rächt man sich in gewisser Weise und kündigt an, selber voranzuschreiten und nicht nur darauf zu warten, was die Amerikaner an politischen Veränderungen in der Region vornehmen.
Kapern: Wie privilegiert waren denn diese Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien in den vergangenen Jahrzehnten? Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Lüders: Es gibt im Grunde genommen einen Deal, der seit der Staatsgründung Saudi-Arabiens im Jahr 1932 bis heute Bestand hat. Vereinfacht gesagt besteht er darin, dass Saudi-Arabien die USA und den Westen zu Vorzugsbedingungen mit saudischem Erdöl beliefert. Saudi-Arabien ist der größte Erdöl-Produzent weltweit. Und umgekehrt garantieren die USA die Sicherheit Saudi-Arabiens. Saudi-Arabien ist der einzige Staat weltweit, dessen Name sich ableitet von einer Familie, nämlich dem Clan der al-Saud, und es gibt natürlich viele in Saudi-Arabien, die mit dieser Entwicklung nicht glücklich sind, mit dieser Vorherrschaft der Familie al-Saud. Die Amerikaner haben aber nun diesem Familienclan garantiert, dass man auf jeden Fall hinter ihm stehen werde. Und aus diesem Deal wird keine Seite aussteigen, bei aller Kritik, die man gegenseitig immer wieder hat. Denn es steht zu viel auf dem Spiel: aus amerikanischer Sicht die Energieversorgung des Westens.
Kapern: Sie sagen, diese Verbindung zwischen Saudi-Arabien und den USA, die werde auf Dauer dann doch halten. Aber Saudi-Arabien ist ja nicht nur das, was Sie gerade beschrieben haben. Saudi-Arabien ist auch das Land, aus dem viele Dschihadisten-Gruppen finanziert werden. Saudi-Arabien ist weit davon entfernt, auch nur im Ansatz eine Demokratie zu sein und Menschenrechte zu verwirklichen. Wäre es da aus US-Sicht nicht geradezu günstig, eine Gelegenheit zu finden, sich von Saudi-Arabien zu distanzieren?
Lüders: Da haben Sie vollkommen recht, dieses Problem anzusprechen, denn Saudi-Arabien verkörpert durch die Wahabiten – das ist eine besonders konservative Ausrichtung des Islam – eine sehr rückständige Form der Islam-Interpretation. Aufgrund der Öl-Milliarden, über die Saudi-Arabien verfügt, hat man in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder radikale dschihadistische Gruppen weltweit finanziert und alles daran gesetzt, dass zum Beispiel moderne Lesarten des Korans gesellschaftlich keinen Durchschlag finden konnten. Saudi-Arabien spielt also alles andere als eine positive Rolle mit Blick auf die Entwicklung eines gemäßigten und toleranten Islam. Aber umgekehrt sind die geostrategischen Interessen zwischen dem Westen und Saudi-Arabien zu eng, als dass man sie einfach kappen könnte, und manchmal sind die Interessen ja auch identisch. Als beispielsweise in den 1980er-Jahren Dschihadisten die sowjetische Besatzung in Afghanistan bekämpften, waren Amerikaner und Saudis gemeinsam in einem Boot und haben diese Dschihad-Gruppen finanziert, um die Sowjets zu schwächen. Mittlerweile hat sich das allerdings umgekehrt. Elf der 19 Attentäter des 11. September 2001 kamen aus Saudi-Arabien. Und Saudi-Arabien finanziert auch ganz maßgeblich radikale Dschihad-Gruppen in Syrien, was nun überhaupt nicht im Interesse der Syrer und auch der westlichen Staatengemeinschaft ist.
Kapern: Dann stellt sich doch die Frage, ob die USA geostrategisch nicht viel besser aufgestellt wären, wenn tatsächlich eine Aussöhnung mit Teheran funktionieren würde und man auf Distanz zu Saudi-Arabien gehen könnte.
Lüders: Für die Region insgesamt wäre das ohne Zweifel ein Gewinn, wenn die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran relativiert werden könnten, indem die Amerikaner und die westlichen Staaten zu beiden Ländern pragmatische Beziehungen unterhalten würden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Für Saudi-Arabien ist das nicht akzeptabel. Saudi-Arabien sieht sich als Führungsmacht in der islamischen Welt und vor allem als Führungsmacht des sunnitischen Islam. Die sunnitische Richtung ist ja die Mehrheitsströmung im Islam, während die Schiiten die Minderheit darstellen. Und Iran als Führungsmacht der Schiiten ist ein Erzfeind Saudi-Arabiens aus geostrategischen Gründen, aber auch, weil die doch überaus reaktionär gesinnten wahabitischen Rechtsgelehrten, also sunnitische Rechtsgelehrte, den schiitischen Islam schlichtweg verachten. Also es wird nicht so ohne Weiteres eine Wiederannäherung geben zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Aber nichtsdestotrotz: Die Saudis sind entschlossen, den Amerikanern ein kleines Signal zu senden. Sie können sich nicht neu erfinden, die Beziehungen zum Westen sind zu gut, als dass man sie relativieren könnte. Aber sie haben einen Hebel, die Saudis, was den Amerikanern Sorgen bereiten könnte: Sie haben Bargeldreserven von etwa 700 Milliarden Dollar und ein Großteil dieses Geldes ist in den USA investiert, unter anderem in amerikanischen Staatsanleihen. Und wenn die Saudis auf die Idee kämen, hier ihr Geld abzuziehen oder zumindest in Teilen abzuziehen, dann würde man das in den USA wirtschaftlich spüren.
Kapern: Also ein Gewitter in den Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien, aber kein Erdbeben – das war der Nahost-Experte Michael Lüders. Herr Lüders, danke für das Gespräch und einen schönen Tag noch.
Lüders: Ihnen auch! Danke schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Herr Lüders, wenige Tage vor der Ankündigung des saudischen Geheimdienstchefs hatte Saudi-Arabien bereits mit Pauken und Trompeten auf seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat verzichtet. Was erleben wir da gerade? Sind das tatsächlich Anzeichen einer strategischen Neuordnung der Region?
Lüders: Auf jeden Fall ist die saudische Führung sehr verärgert über die amerikanische Politik. Saudi-Arabien hat sich sehr frühzeitig gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gestellt und ist davon ausgegangen, dass die USA militärisch intervenieren würden mit dem Ziel, seinen Sturz herbeizuführen. Das ist aber nun bekanntlich nicht geschehen und die gesamte saudische Strategie in der Nah- und Mittelost-Politik steht so gesehen auf dem Prüfstand. Vor allem auch die Wiederannäherung zwischen den USA und dem Iran bereitet Riad große Sorgen. Denn Saudi-Arabien und Iran sind die beiden großen Rivalen in der Region und Saudi-Arabien hat die Sorge, dass die USA die privilegierten Beziehungen mit Saudi-Arabien, die immerhin seit 1932, seit Gründung Saudi-Arabiens bestehen, relativieren könnten. Und nun rächt man sich in gewisser Weise und kündigt an, selber voranzuschreiten und nicht nur darauf zu warten, was die Amerikaner an politischen Veränderungen in der Region vornehmen.
Kapern: Wie privilegiert waren denn diese Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien in den vergangenen Jahrzehnten? Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Lüders: Es gibt im Grunde genommen einen Deal, der seit der Staatsgründung Saudi-Arabiens im Jahr 1932 bis heute Bestand hat. Vereinfacht gesagt besteht er darin, dass Saudi-Arabien die USA und den Westen zu Vorzugsbedingungen mit saudischem Erdöl beliefert. Saudi-Arabien ist der größte Erdöl-Produzent weltweit. Und umgekehrt garantieren die USA die Sicherheit Saudi-Arabiens. Saudi-Arabien ist der einzige Staat weltweit, dessen Name sich ableitet von einer Familie, nämlich dem Clan der al-Saud, und es gibt natürlich viele in Saudi-Arabien, die mit dieser Entwicklung nicht glücklich sind, mit dieser Vorherrschaft der Familie al-Saud. Die Amerikaner haben aber nun diesem Familienclan garantiert, dass man auf jeden Fall hinter ihm stehen werde. Und aus diesem Deal wird keine Seite aussteigen, bei aller Kritik, die man gegenseitig immer wieder hat. Denn es steht zu viel auf dem Spiel: aus amerikanischer Sicht die Energieversorgung des Westens.
Kapern: Sie sagen, diese Verbindung zwischen Saudi-Arabien und den USA, die werde auf Dauer dann doch halten. Aber Saudi-Arabien ist ja nicht nur das, was Sie gerade beschrieben haben. Saudi-Arabien ist auch das Land, aus dem viele Dschihadisten-Gruppen finanziert werden. Saudi-Arabien ist weit davon entfernt, auch nur im Ansatz eine Demokratie zu sein und Menschenrechte zu verwirklichen. Wäre es da aus US-Sicht nicht geradezu günstig, eine Gelegenheit zu finden, sich von Saudi-Arabien zu distanzieren?
Lüders: Da haben Sie vollkommen recht, dieses Problem anzusprechen, denn Saudi-Arabien verkörpert durch die Wahabiten – das ist eine besonders konservative Ausrichtung des Islam – eine sehr rückständige Form der Islam-Interpretation. Aufgrund der Öl-Milliarden, über die Saudi-Arabien verfügt, hat man in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder radikale dschihadistische Gruppen weltweit finanziert und alles daran gesetzt, dass zum Beispiel moderne Lesarten des Korans gesellschaftlich keinen Durchschlag finden konnten. Saudi-Arabien spielt also alles andere als eine positive Rolle mit Blick auf die Entwicklung eines gemäßigten und toleranten Islam. Aber umgekehrt sind die geostrategischen Interessen zwischen dem Westen und Saudi-Arabien zu eng, als dass man sie einfach kappen könnte, und manchmal sind die Interessen ja auch identisch. Als beispielsweise in den 1980er-Jahren Dschihadisten die sowjetische Besatzung in Afghanistan bekämpften, waren Amerikaner und Saudis gemeinsam in einem Boot und haben diese Dschihad-Gruppen finanziert, um die Sowjets zu schwächen. Mittlerweile hat sich das allerdings umgekehrt. Elf der 19 Attentäter des 11. September 2001 kamen aus Saudi-Arabien. Und Saudi-Arabien finanziert auch ganz maßgeblich radikale Dschihad-Gruppen in Syrien, was nun überhaupt nicht im Interesse der Syrer und auch der westlichen Staatengemeinschaft ist.
Kapern: Dann stellt sich doch die Frage, ob die USA geostrategisch nicht viel besser aufgestellt wären, wenn tatsächlich eine Aussöhnung mit Teheran funktionieren würde und man auf Distanz zu Saudi-Arabien gehen könnte.
Lüders: Für die Region insgesamt wäre das ohne Zweifel ein Gewinn, wenn die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran relativiert werden könnten, indem die Amerikaner und die westlichen Staaten zu beiden Ländern pragmatische Beziehungen unterhalten würden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Für Saudi-Arabien ist das nicht akzeptabel. Saudi-Arabien sieht sich als Führungsmacht in der islamischen Welt und vor allem als Führungsmacht des sunnitischen Islam. Die sunnitische Richtung ist ja die Mehrheitsströmung im Islam, während die Schiiten die Minderheit darstellen. Und Iran als Führungsmacht der Schiiten ist ein Erzfeind Saudi-Arabiens aus geostrategischen Gründen, aber auch, weil die doch überaus reaktionär gesinnten wahabitischen Rechtsgelehrten, also sunnitische Rechtsgelehrte, den schiitischen Islam schlichtweg verachten. Also es wird nicht so ohne Weiteres eine Wiederannäherung geben zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Aber nichtsdestotrotz: Die Saudis sind entschlossen, den Amerikanern ein kleines Signal zu senden. Sie können sich nicht neu erfinden, die Beziehungen zum Westen sind zu gut, als dass man sie relativieren könnte. Aber sie haben einen Hebel, die Saudis, was den Amerikanern Sorgen bereiten könnte: Sie haben Bargeldreserven von etwa 700 Milliarden Dollar und ein Großteil dieses Geldes ist in den USA investiert, unter anderem in amerikanischen Staatsanleihen. Und wenn die Saudis auf die Idee kämen, hier ihr Geld abzuziehen oder zumindest in Teilen abzuziehen, dann würde man das in den USA wirtschaftlich spüren.
Kapern: Also ein Gewitter in den Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien, aber kein Erdbeben – das war der Nahost-Experte Michael Lüders. Herr Lüders, danke für das Gespräch und einen schönen Tag noch.
Lüders: Ihnen auch! Danke schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
