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Aus eins mach zwei

Spannungen zwischen Tschechen und Slowaken gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Neidisch blickte man damals von Bratislava aus auf den wirtschaftlichen Erfolg in Böhmen. Nichtsdestotrotz geschah die Teilung, die am 27. August 1992 auf Regierungsebene ausgehandelt wurde, gegen den Willen des Volkes.

Von Doris Liebermann | 27.08.2007
    Das sechste Treffen zwischen dem tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus und dessem slowakischem Kollegen Vladimir Meciar dauerte in jener Nacht vom 26. auf den 27. August 1992 sechs Stunden lang. Verhandelt wurde über die Teilung der Tschechoslowakei, 74 Jahre nach der Staatsgründung. Zweimal war das Treffen verschoben, anschließend für diesen Tag in Prag ganz abgesagt worden. Dann kam es überraschend doch noch in Brünn zustande.

    Meciar und Klaus waren zugleich auch die Chefs der jeweils stärksten Parteien, die aus den Bürgerbewegungen hervorgegangen waren, der Demokratischen Bürgerpartei ODS und der Bewegung für eine demokratische Slowakei HZDS. In diesen Stunden handelten die beiden Politiker einen Zeitplan für die völkerrechtliche Spaltung des Landes zum 1. Januar 1993 aus.

    Klaus und Meciar hatten sich schon in den Wochen zuvor einer verfassunggebenden Mehrheit unter ihren Gefolgsleuten versichert: die Vereinbarungen über die Trennung mussten von einer Dreifünftelmehrheit des Bundesparlaments gebilligt werden. So sollte eine Volksabstimmung über die Spaltung umgangen werden, die laut Verfassung als Instrument zur Auflösung der Föderation vorgesehen war. Ein Referendum, das war damals abzusehen, und davon sind auch heute noch viele überzeugt, hätte nämlich die Teilung des Landes verhindert. Auch Staatspräsident Václav Havel hatte – vergeblich – für eine Volksabstimmung plädiert:

    "Das ist der einzig verfassungskonforme und gleichzeitig der einzig ethische Weg.
    Die Bürger haben wirklich das Recht, sich zu einer derart grundsätzlichen Sache zu äußern und zwar in Form einer klaren Antwort auf eine klare Frage."

    Einige Wochen vor dem Brünner Treffen hatte der dramatische Prozess eingesetzt, der auf die Spaltung hinauslief. Schon im Juli hatte der slowakische Ministerpräsident Vladimir Meciar verkündet:

    "Für die Tschechische Bürgerpartei ODS ist die Föderation als ein einziges Subjekt des Völkerrechts die einzig vernünftige und funktionierende Form eines gemeinsamen Staates. Die Bewegung für eine Demokratische Slowakei HZDS dagegen will eine Konföderation zweier unabhängiger Republiken. Anstelle einer Konföderation bevorzugt die ODS zwei vollständig unabhängige Staaten, d. h. die verfassungsgemäße Spaltung des bestehenden Staates."

    Man muss weit in die Geschichte zurückgehen, wenn man die Wurzeln für die Spannungen verstehen will. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte der tschechische Teil zum industriellen Kern der Habsburger Monarchie, während der slowakische wirtschaftlich unterentwickelt war. Als nach dem Ersten Weltkrieg ein gemeinsamer Staat entstand, fühlten sich die Slowaken gegenüber den Tschechen immer im Nachteil.

    Daran änderte auch nichts, dass in entscheidenden Zeiten der gemeinsamen Geschichte Slowaken - und nicht Tschechen - dem gemeinsamen Staatswesen vorstanden. Während des Prager Frühlings 1968 war es der Slowake Alexander Dubcek, der weltberühmt wurde. Auf Dubcek folgte der Slowake Gustav Husak, der das Land nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wieder auf Sowjetkurs brachte.

    Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der "samtenen Revolution" von 1989 war es den aus den Bürgerrechtsbewegungen hervorgegangenen Parteien nicht gelungen, eine neue Verfassung für einen demokratischen Föderalstaat auszuarbeiten. Zum einen lag dies an der Spaltung der Bürgerbewegung, mehr aber noch in den zunehmenden, nationalistisch gefärbten Konflikten zwischen den tschechischen und den slowakischen Politikern.

    Der Zeitplan für die Teilung sah deshalb vor, dass im September 1992 in Prag 300 Abgeordnete der Förderation über zwei Gesetze abstimmen sollten, von denen das eine die Auflösung des Landes und das andere die Teilung der Macht zwischen Tschechen und Slowaken festschrieb. Im Oktober sollte dann ein Vertragspaket erarbeitet werden, das die künftige Zusammenarbeit der beiden getrennten Republiken regeln sollte. Im November und Dezember waren dann noch offene Fragen zu klären, um zum Januar 1993 zwei separate Haushalte vorzubereiten und die friedliche Trennung perfekt zu machen. Unter Meciar geriet die Slowakei in den Folgejahren zunehmend in die weltpolitische Isolation – doch seit Mai 2004 sind beide Staaten wieder vereint: in der Europäischen Union.