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Aus Feind mach' Freund

Derzeit warten in Deutschland etwa 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan, auf Herz, Leber, Lunge, oder Niere. Nicht wenige sterben auf der Warteliste. Aber selbst wenn sie Glück haben, und rechtzeitig ein passendes Organ gefunden wird, ist der Kampf ums Überleben noch nicht gewonnen. Denn die Immunsuppressiva, nötige Medikamente, schädigen selbst den Körper. Seit langem träumen die Betroffenen daher einem Leben ohne Immunsuppressiva. Jetzt hört man von ersten Erfolgen.

Von Kristin Raabe | 21.11.2010
    "Meine eigenen Nieren sind vor 15 Jahren ausgestiegen und sind mittlerweile so knapp an die 40 Zentimeter groß und bestehen nur noch aus Zystengewebe, sind so wie ein Schwamm geworden sozusagen, der aber nicht mehr in der Lage ist, das Blut zu filtern. Also die funktionieren selbst überhaupt nicht mehr."

    Gunnar Leonhard leidet unter einer sogenannten polyzystischen Nierendegeneration. Er ist 35 Jahre alt, als er von seiner Erkrankung erfährt, und da ist bereits alles zu spät. Anja Tasch kann sich an die Zeit, als ihre Nieren noch funktionierten, nicht mehr erinnern. Sie ist erst drei Jahre alt, als eine Lungenentzündung bei ihr zum Nierenversagen führt. Das war 1969. Die Dialyse war damals noch nicht Routine – erst recht nicht für Kleinkinder.

    "Dann habe ich das eine zeitlang gemacht, dann haben sich aber meine eigenen Nieren zu einem gewissen Prozentsatz wieder erholt, aber man wusste schon, dass es nicht hundertprozentig mehr sein wird."

    Derzeit warten in Deutschland etwa 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan, auf Herz, Leber oder Lunge, allein 8000 davon auf eine Niere. Nicht wenige sterben auf der Warteliste. Manchmal findet sich in der Verwandtschaft ein passender Spender. Bei Lebendspenden sind die Erfolgsaussichten viel besser, als bei Totenspenden.

    Anja Tasch:

    "Das war damals von meinem Vater eine Niere, die er mir gegeben hat, das lief auch für die damaligen Verhältnisse recht gut, aber die Niere hat sich dann leider acht Jahre später selber abgestoßen."

    Gunnar Leonhard:

    "Es ist ein bisschen schief gegangen. Die erste Transplantation ist, soweit wie ich mich erinnere, Freitag früh gemacht worden, und Mittwoch hat man festgestellt, dass ich eine akute Abstoßung hatte. Und dann hat man versucht, noch was zu retten. Aber nach einem knappen Vierteljahr war dann festzustellen, dass es nicht ging. Also weiter Dialyse, ohne Pause."

    Für das Immunsystem des Empfängers sind die fremden Zellen zunächst einmal Feinde. Noch immer erleiden zehn bis 30 Prozent aller Patienten deshalb eine akute Abstoßungsreaktion nach der Nierentransplantation. Das kostbare Organ, auf das sie so lange warten mussten, landet im Gewebeabfall des Krankenhauses. Aber selbst wenn das Organ die erste Zeit übersteht, tut es selten länger als zehn bis 15 Jahre seinen Dienst. Das liegt an den Medikamenten, sogenannten Immunsuppressiva, die das Immunsystem unterdrücken und so in vielen Fällen eine Organabstoßung erst einmal verhindern. Gleichzeitig aber schädigen sie den Körper. Betroffen sind vor allem die Nieren, weshalb manche Patienten mit einem transplantierten Herzen nach einiger Zeit zusätzlich noch eine Spenderniere benötigen. Und Nierentransplantierte erleiden wegen der gefäßschädigenden Wirkung der Medikamente einen Herzinfarkt. Krebs steht ebenfalls auf der langen Liste der Nebenwirkungen. Anja Tasch erhielt mit acht Jahren eine Spenderniere von ihrem Vater. Das war 1974. Damals nahm sie zum ersten Mal größere Mengen von Medikamenten.

    "Das war kein Standard, man kannte auch die Medikation noch nicht richtig. Man hat sehr viel Cortison gegeben zu der Zeit, was natürlich das Problem war, da ich ja acht Jahre war und noch im Wachstum war, dass mit acht Jahren die Knochenfugen bei mir zu waren, was dann wiederum zur Folge hatte, dass ich mit acht Jahren bei der Größe von 1,30 Meter stehen geblieben bin."

    Die rechte Hand der kleinen Frau ruht auf einem hellblauen Tuch auf dem Krankenbett. Der Verband ist inzwischen entfernt worden und eine Operationswunde sichtbar. Der Daumen musste amputiert werden, weil ein Tumor ihn durchdrungen hatte.

    "Bei der letzten Transplantation gab es auch die ersten Jahre keine Probleme, nur jetzt haben sich halt Probleme eingestellt, ja bezüglich Hauttumoren."

    "Wir verlieren einfach noch viel zu viele Organe dadurch, dass sie eine begrenzte Haltbarkeit haben."

    Fred Fändrich ist Chirurg am Universitätsklinikum Kiel, forscht aber schon seit Jahren auch in der Transplantationsmedizin. Sein großer Traum: die so genannte Toleranzinduktion.

    "Wenn man es schaffen könnte, das Immunsystem so zu modifizieren, dass es tolerant würde gegenüber dem transplantierten Organ, man diese Immunsuppressiva nicht einsetzen müsste oder nur in ganz geringer Menge, dann hätte man diesen Schaden gar nicht. Und man hätte viel mehr Organe zur Verfügung zum Transplantieren."

    Wenn es gelänge, das Immunsystem umzuprogrammieren, wären Immunsuppressiva überflüssig. Aus Feind Freund zu machen ist allerdings nicht leicht. Im Laufe der Millionen Jahre währenden Evolution ist mit dem menschlichen Immunsystem ein hocheffizientes Verteidigungssystem entstanden, das eine Vielzahl von raffinierten Angriffen durch allerlei Mikroben erfolgreich abgewehrt hat. Das Immunsystem ist komplex und arbeitet hoch effektiv. Es lässt sich nicht so einfach umprogrammieren, wie viele Transplantationsmediziner noch vor wenigen Jahren annahmen. Deswegen nähern sich die Forscher ihrem Ziel nun in kleinen Schritten.


    Schritt 1: Die vorhandenen Wirkstoffe und Therapien optimieren. Das Ziel: die minimale Dosis.

    M-Tor-Inhibitoren, DNA-Synthesehemmer, Calcineurin-Inhibitoren - um das Immunsystem in Schach zu halten, ist ein ganzer Cocktail von Medikamenten erforderlich. Petra Reinke ist es gelungen, ihn bei einigen Patienten zu reduzieren. Sie gab 20 Neutransplantierten weniger Immunsuppressiva, stattdessen aber zwei Wirkstoffe zusätzlich: Sogenannte Antikörper. Der eine Antikörper stammt aus der Krebstherapie, wo er entartete Immunzellen in den Selbstmord treibt, der zweite Antikörper wird normalerweise Rheumapatienten verabreicht. Petra Reinke ist gerade dabei, die Pilotstudie auszuwerten. Und es sieht gut aus.

    "Wenn man das beides zusammen gibt zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Kombination mit der üblichen Immunsuppression für 14 Tage, dann kann man eigentlich alles andere absetzen und mit nur noch einer ganz geringen Dosis von Calcineurin-Inhibitoren, dann kann man ganz wunderbare Transplantationsergebnisse generieren."

    Vielversprechend ist auch das neue Medikament Belatacept. Es könnte die Calcineurin-Inhibitoren vielleicht sogar ersetzen. 666 Patienten hatten Belatacept im Rahmen einer Studie getestet, die Ergebnisse wurden im März 2010 veröffentlicht. Das Ergebnis: Belatacept konnte eine Abstoßungsreaktion ähnlich effektiv verhindern wie die Calcineurin-Inhibitoren, war dabei aber nicht annähernd so nierenschädigend. Petra Reinke:

    "Es ist mit Sicherheit eine ganz große Bereicherung der Palette von immunsuppressiven Medikamenten, die wir schon haben. Warum: Weil es sozusagen einen neuen Weg blockiert, der für die Aktivierung von Immunzellen, in dem Falle von spezifisch agierenden Immunzellen ganz wichtig ist."

    Aber auch Belatacept hat Nebenwirkungen. Patienten, die damit behandelt wurden, sind besonders empfindlich gegenüber Infektionen mit Viren, die normalerweise völlig ungefährlich wären.

    Und deshalb lautet Schritt 2 auf dem Weg zum verträglichen Ersatz-Organ: Jedem Patienten seine individuell angepasste Therapie.

    Petra Reinke:

    "Da müssen wir, glaube ich, auch noch ein bisschen lernen, um diese Substanzklasse ordentlich einordnen zu können, um auch zu definieren, für welche Patienten ist es gut und für welche Patienten sollte man diese Substanz möglichst erstmal nicht anwenden."

    Nicht jeder Mensch verfügt über dasselbe Arsenal von Immunzellen. Mit welchen Waffen sein körpereigenes Verteidigungssystem ausgestattet ist, hängt stark von den Genen ab und davon, welchen Mikroben er im Laufe seines Lebens begegnet ist. Das macht es für Transplantationsmediziner wie Petra Reinke enorm schwer, die individuell richtige Dosis zu finden.

    "Wir haben ein Drittel von Patienten so in der Nierentransplantation, von denen man weiß, dass sie eigentlich zu viel Immunsuppression kriegen, die würden auch mit deutlich weniger gleich gute Langzeitergebnisse haben. Für ein Drittel ist es genau der richtige Mix, den wir standardmäßig benutzen, und für ein Drittel ist es einfach immer noch nicht genug oder nicht die richtige Kombination."

    Die Auswahl und die Dosierung ließe sich viel besser auf das Immunsystem des Patienten abstimmen, wenn schon vor der Transplantation bekannt wäre, wie es auf das fremde Organ reagieren wird. Die Arbeitsgruppe von Petra Reinke war weltweit eine der ersten, die dafür einen Test entwickelt hat. Damit konnte sie die Erfolgsquote an ihrem Zentrum bereits erheblich verbessern.

    Anja Tasch:

    "1981 dann habe ich die zweite Niere bekommen, das ging eigentlich auch recht zügig, aber durch eine Pilzinfektion habe ich die 1982 schon verloren und habe dann Dialyse gemacht, also Bauchfelldialyse bis 1989 etwa, das hat dann aber nicht mehr so funktioniert, so dass ich Chemodialyse machen musste. Und 1991 bin ich in Hannover das dritte mal transplantiert und die Niere hat genau zehn Jahre gehalten, war auch wunderbar, ich konnte derweil eine Ausbildung machen zur Erzieherin. Das lief auch wirklich glatt, aber nach zehn Jahren hat die dritte Niere auch ihren Geist aufgegeben."

    Im September 2003 erhielt Anja Tasch an der Charité in Berlin ihre vierte Niere. Die arbeitet bis heute einwandfrei.

    "Das ist einfach nur ein tolles Gefühl. Weil die Dialyse für mich auch so eine Sache war, mit der ich überhaupt nicht klargekommen bin. Also gesundheitlich, das ging gar nicht für mich. Ich habe mich nicht wohlgefühlt, mir ging es nur schlecht an der Dialyse. Meine Arbeitsstelle hat darunter auch gelitten, weil ich viel ausgefallen bin."

    Auch Gunnar Leonhard musste jahrelang regelmäßig zur Dialyse.

    "Dialyse ist aus meiner Sicht das Schlimmste, was mir passieren konnte. Es sind verschiedene Dinge. Erstens mochte ich keine Nadeln. Zweitens ist ab dem Tag, an dem man an die Dialyse muss, das gesamte Zeitregime, das einen Menschen dirigiert, was einen durchs Leben führt, durch die Dialyse bestimmt. Weil diese Termine stehen fest, die kann man nicht verschieben und alles andere, was kommt, muss sich nach dieser Zeit richten, die man dort verbringt und die ist nicht wenig. Man rechnet mit Anfahrt, Abfahrt so fünf sechs Stunden und das dreimal die Woche."

    Nachdem Gunnar Leonhardt seine erste Niere schon direkt nach der Transplantation wieder verloren hatte, war klar, dass sein Immunsystem besonders aggressiv war. Durch diese Erfahrung wussten die Ärzte, mit welcher besonderen Kombination von Immunsuppressiva sie ihn behandeln mussten, als Jahre später wieder eine passende Spenderniere für ihn gefunden wurde.

    "Die kam dann 2005 am 11. Februar. Das heißt am 10. Februar bin ich abends angerufen worden, dasselbe Muster, irgendwann klingelt eben das Telefon: 'Ja, alles gut, wir haben eine Niere für Sie.' Und dann kommt das Taxi und dann nimmt man seine Tasche und dann fährt man her. Und dann bin ich am nächsten Morgen auch operiert worden, gegen 4 Uhr und das Schönste an diesem Tag war, um 11 Uhr, so komisch wie das klingt, war der Beutel voll. Nach der Operation, der Blasenausgang wird ja nach außen gelegt und dann hängt dann so eine Plastiktüte dran, wie man das so aus dem Krankenhaus kennt, und die war dann voll. Wenn man aus der Narkose aufwacht und das Ding ist voll, das ist ein Blick gewesen, den werde ich nicht vergessen. Der ist einfach befreiend, genial, nachdem was ich beim ersten Mal erlebt hatte eben, ein ganz tolles Gefühl."

    Fünf Jahre lang arbeitete seine Niere völlig einwandfrei. Gunnar Leonhardt hatte kein Fieber und auch sonst keine Probleme - als ein Zufallsbefund ergab, dass sein Immunsystem die Spenderniere angriff.

    "Ich habe mich eine ganze Zeit jetzt in den drei Wochen hilflos gefühlt und habe immer wieder gegrübelt, was habe ich falsch gemacht, wo ist was schief gelaufen. Und das Schlimme ist, man kommt zu keinem Ergebnis. Man kann zu keinem Ergebnis kommen, weil selbst die Ärzte sagen, sie wissen nicht, wo es herkommt, weil man es nicht feststellen kann. Man stellt nur irgendwann fest: Es ist so. Warum und weshalb sich das genau dann und dort jetzt genau so entwickelt hat, keine Ahnung und ich hatte die fünf Jahre immer sehr, sehr gute Werte, annähernd sogar am Normalwert und trotzdem ist es passiert."

    Noch einmal gelang es den Ärzten, Gunnar Leonhardts Immunsystem wieder in den Griff zu bekommen

    "Sie arbeitet wieder, sie arbeitet im Moment sehr stabil. Ich bin sehr, sehr, sehr froh darüber."

    Bei Ratten und sogar bei Affen lässt sich das Immunsystem schon jetzt so umprogrammieren, dass es ein fremdes Organ toleriert. Die Toleranzinduktion, von der so viele Forscher weltweit träumen, ist bei Versuchstieren also kein Problem mehr. Aber diese Daten ließen sich lange nicht auf Menschen übertragen. War die Toleranzinduktion beim Menschen vielleicht gar nicht machbar? Das Gegenteil bewies eine Studie, die im Jahr 2008 in der renommierten Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" erschien: Auch beim Menschen lässt sich Immuntoleranz induzieren. Amerikanische Ärzte hatten fünf Patienten mit einer Nierenerkrankung im Endstadium transplantiert. Mit der Spenderniere übertrugen sie auch Knochenmark des lebenden Spenders. Aus den Stammzellen des Knochenmarks entstehen alle Immunzellen. Die Patienten hatten also nach der Transplantation ein gemischtes Immunsystem. Es tolerierte die Erkennungsmerkmale von Empfänger und Spender. Die immunsuppressiven Medikamente konnten nach neun bis 14 Monaten komplett abgesetzt werden. Doch dann erlitt einer der fünf Patienten eine irreversible Abstoßungsreaktion. Petra Reinke:

    "Wir sind in der Transplantationsmedizin insgesamt sehr gut geworden. Das ist ein Segen, das ist aber auch ein Fluch für alle neuen Therapien, weil sie sich an einem sehr hohen Standard messen lassen müssen."

    Eine neue Methode muss für den Patienten extrem sicher sein und natürlich in möglichst allen Fällen funktionieren. Das leistet die Knochenmarktransplantation offenbar nicht. Sie ist riskant und extrem aufwendig. In aller Welt suchen Forscher deswegen nach anderen Lösungen.

    Schritt 3: die natürliche Immuntoleranz verstehen.

    "Es ist so, dass wir heute wissen, dass etwa 20 bis 25 Prozent der Patienten, die ein Jahr lang eine stabile Leberfunktion ihres Lebertransplantates zeigen und dann ihre Immunsuppression komplett absetzen, dass die eben tolerant bleiben. Aber das sind eben nur 20 bis 25 Prozent, die anderen 80 bis 75 Prozent stoßen ihre Leber ab, auch wenn sie ein Jahr lang stabil waren. Bei der Niere ist es noch schlechter, wir haben Tausende von Nieren in Europa transplantiert und es gibt dokumentiert etwa 30 bis 40 Patienten, die stabil waren trotz Absetzen ihrer Immunsuppression, bezogen auf Tausende von Organen ist das verschwindend gering und der kritische Punkt ist eben, dass wir bis heute nicht exakt vorhersagen können, welcher Patient darf seine Immunsuppression ohne Gefahr für sein Organ absetzen und welcher nicht."

    Fred Fändrich und andere Forscher haben inzwischen herausgefunden, welche Zellen die natürliche Immuntoleranz bewirken: Es sind sogenannte regulatorische T-Zellen. Das Immunsystem besteht aus Dutzenden verschiedener Zellarten, darunter die regulatorischen T-Zellen, eine Art Wächtertrupp, der die Armee der restlichen Immunzellen in Schach hält. Das Gleichgewicht zwischen Wächtertrupp und den angriffslustigen Zellen des Immunsystems ist entscheidend: Ist der Wächtertrupp nicht groß genug oder nicht aktiv genug, können die sogenannten cytotoxischen T-Zellen ungebremst losschlagen, im Extremfall sogar eigene Organe angreifen. Autoimmunerkrankungen sind die Folge. Umgekehrt kann ein mächtiger Wächtertrupp die aggressiven Immunzellen kontrollieren, und bei Patienten mit einer natürlichen Immuntoleranz sogar den Angriff auf ein transplantiertes Organ verhindern.

    Wenn es gelänge, auch in allen anderen Patienten den Wächtertrupp zu stärken, würden sie ebenfalls eine Toleranz gegenüber ihrem Spenderorgan entwickeln. Technisch wäre das ohne größere Probleme machbar, aber Ärzte haben lange gezögert, solch eine Therapie bei Menschen zu testen. Sie fürchten, das Gleichgewicht zwischen "guten" Regulatorzellen und "bösen" T-Zellen könnte sich als labil erweisen.

    "Man kann nicht davon ausgehen, dass ein toleranter Patient ewig tolerant bleibt, sondern, wenn das Immunsystem wieder verstärkt aktiviert wird nach einer Infektion, kann auch wieder dieses Gleichgewicht kippen und das Organ wieder angegriffen werden, deswegen muss man solche Patienten auch dauerhaft überwachen und sich verschiedene Marker angucken, um eben ein komplexes Bild zu kriegen von der Situation, in der sich das Immunsystem gerade befindet."

    Birgit Sawitzki ist Biochemikerin und leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für medizinische Immunologie der Charité. Sie hat lange an einem Test für den Nachweis einer Immuntoleranz gearbeitet. Zunächst suchte sie im Blut der immuntoleranten Patienten nach einem Protein, mit dem sich die Wächterzellen nachweisen lassen. Schnell zeigte sich jedoch, dass es damit nicht getan war.

    "Wenn man so einen toleranten Patienten charakterisieren will, da muss man sich, glaube ich, viele Faktoren des Immunsystems angucken. Und so eine Balance sollten die erreichen zwischen gefährlichen T-Zellen und guten T-Zellen. Also die guten T-Zellen, also diese regulatorischen T-Zellen, sollten überwiegen und die schlechten T-Zellen, die das Organ zerstören, sollten vermindert sein."

    Birgit Sawitzki suchte also im Blut immuntoleranter Patienten nach weiteren Markern für die guten regulatorischen T-Zellen und nach Markern für die gefährlichen T-Zellen. Damit konnte sie feststellen, in welchem Verhältnis die "guten" und die "bösen" Zellen im Blut vorkamen. Und tatsächlich erwies sich ein Wert als tauglich, um eine Immuntoleranz festzustellen und zu überwachen. Ohne so einen Test wäre es viel zu riskant, ein Absetzen von Immunsuppressiva bei einem Patienten überhaupt in Erwägung zu ziehen.

    Gunnar Leonhard:

    "Der Blutdruck ist nach oben gegangen, wird aber durch Medikamente gut eingestellt. Das größte Handicap, das ich habe: Ich habe seit dreieinhalb Jahren einen gebrochenen Fuß, der nicht heilt. Da ist man sich aber nicht ganz im Klaren, es gibt ein paar unterschiedliche Meinungen. Unter anderem hängt es mit Osteoporose zusammen, die peripher auch durch das Prograf auch in den Knochen verursacht wird, auch die Wundheilungsstörungen hängen damit zusammen."

    Den Fußknochen hat sich Gunnar Leonhard beim ganz normalen Gehen gebrochen – so empfindlich waren seine Knochen geworden. Schmerzen hat er allerdings kaum. Wegen seiner Erkrankung spürt er nichts mehr in den Füßen. Sie sind völlig taub. Trotz allem erträgt er die Situation. Ihn quält nur die Angst vor einer weiteren Abstoßungsreaktion.

    "Gerade, wenn ich meine Geschichte angucke ist das ja sehr wichtig. Wenn mein Immunsystem toleranter gemacht werden könnte, würde mein Immunsystem mit meinem Transplantat anders umgehen. Es würde länger seine Arbeit verrichten, könnte länger zur Verfügung stehen."

    Vor kurzem ist der Traum von der Toleranzinduktion beim Menschen wieder in greifbare Nähe gerückt. Dem Transplantationsmediziner Fred Fändrich am Universitätsklinikum Kiel ist sie beinahe gelungen. Er ging dabei einen ganz anderen Weg als alle anderen Forscher: Fred Fändrich benutzt Immunzellen des Spenders, um das Immunsystems des Empfängers umzuprogrammieren. Dazu entnimmt er aus dem Blut des Organspenders sogenannte Monozyten. Das sind Vorläuferzellen, die sich zu den Fresszellen des Immunsystems weiterentwickeln können. Bei Totenspenden können sie aus der Milz gewonnen werden. Fändrich:

    "Die werden zunächst auf Plastikkulturflaschen kultiviert, da kleben die richtig fest, im Gegensatz zu den anderen Zellen, die wir nicht wollen, die schwimmen, die werden dann abgesaugt. Und dann werden diese Zellen mit einem Wachstumsfaktor MCSF behandelt, da wachsen die gut in der Flasche und mit einem Zytokin Interferon-Gamma aktiviert. Darüber gewinnen Sie dann nach sieben Tagen die tolerogenen Eigenschaften, die wir benötigen."

    Aus den Monozyten sind nach einer Woche regulatorische Fresszellen, sogenannte Makrophagen geworden. Sie unterscheiden sich in einigen Eigenschaften deutlich von den regulatorischen T-Zellen, dem Wächtertrupp, der für die sehr seltene natürliche Toleranz verantwortlich ist. Fändrich:

    "Die regulatorischen T-Zellen können nur regulieren, die können die cytotoxischen T-Zellen nur blockieren. Unsere regulatorischen Makrophagen können aber die cytotoxischen T-Zellen eliminieren, die schicken die in den Tod, in den T-Zell-Tod. Und gleichzeitig können sie Regulator-T-Zellen vermehren."

    Patienten, die eine Lebendspende erhielten, bekamen die regulatorischen Makrophagen schon vor der eigentlichen Transplantation injiziert. Bei einer Totenspende standen die Zellen erst eine Woche nach dem Einsetzen des Spenderorgans zur Verfügung. Insgesamt 18 Patienten hat Fred Fändrich inzwischen behandelt. Mit dem von Birgit Sawitzki entwickelten Test konnte er die Wächterzellen im Blut nachweisen. Die Patienten scheinen also tatsächlich eine gewisse Immuntoleranz entwickelt zu haben. Und was mindestens ebenso erfreulich war: Die Toleranz scheint nur für das Spenderorgan zu gelten. Infektionen mit Viren und andere Angriffe auf das Immunsystem konnten nach wie vor abgewehrt werden. Fändrich:

    "Was wir schon gemacht haben ist, dass wir allen diesen Patienten nach sechs Monaten nur noch ein Immunsuppressiva verabreichen und zwar in sehr geringer Dosis und sie alle nicht abgestoßen haben. Die Patienten, die wir komplett abgesetzt haben, die haben allerdings abgestoßen. Wir hatten zwar einen Patienten, der acht Monate komplett ohne Immunsuppression auskam, aber dann hatte er eine Abstoßung. So dass wir inzwischen davon ausgehen: 'OK, wir können das Immunsystem sehr gut regulieren, aber es braucht eben doch noch ein Medikament, wenn auch in sehr niedriger Dosierung, um diese Balance zu halten.' Was schon ein sehr deutlicher Erfolg wäre, denn die Dosierung dieses Medikaments, in dem Fall benutzen wir das Tacrolimus, ist so gering, dass wir nicht von einer Nierenschädigung ausgehen und nicht von Nebeneffekten, die unerwünscht sind für den Patienten."

    Unter diesen Bedingungen, könnte ein Spenderorgan länger gesund bleiben und im Körper des Empfängers seinen Dienst tun. Es würden insgesamt weniger Spenderorgane benötigt. Und vielleicht ermöglicht die Behandlung mit regulatorischen Makrophagen auch eine völlig neue Form von Lebendspende, an die bisher nicht zu denken war: Die, bei der die Gewebsfaktoren von Spender und Empfänger gar nicht übereinstimmen. Damit eine Immunzelle zwischen Freund und Feind unterscheiden kann, trägt jede Zelle eine Art Uniform, durch die sie als Mitglied der "eigenen Truppe" erkennbar wird. Diese Uniform besteht aus Gewebsfaktoren, die auch HL-Antigene genannt werden. Insgesamt gibt es sechs verschiedene Typen HL-Antigene. Gegen sechs HLA Unterschiede kommen Immunsuppressiva normalerweise auch in Höchstdosis nicht an. Fred Fändrich:

    "Wir haben jetzt aber Patienten in der Lebendspende, wo wir auch sechs HLA-Unterschiede haben und in der Lage waren dadurch, dass wir die Zellen gaben, diesen Empfänger in seiner Immunsuppression auch nach sechs Monaten auf ein Medikament zu minimalisieren, er hat keinerlei Abstoßung gezeigt nach zwei Jahren."

    Mit seiner Therapie ist es Fred Fändrich tatsächlich gelungen, das menschliche Immunsystem umzuprogrammieren. Es sieht ein fremdes Spenderorgan nicht mehr als Feind, sondern als Freund.

    "Ich bin fest davon überzeugt, dass in Zukunft zelluläre Produkte als eigenständige Medizin verabreicht werden, um in Ergänzung zur bekannten Immunsuppressivagabe das Ganze zu verbessern und hoffentlich dazu führt, dass weniger Organe verbraucht werden und damit mehr Transplantate für Patienten zur Verfügung stehen."

    Anja Tasch:

    "Ich konnte meine Schule gut abschließen, da hatte ich eigentlich keine Probleme. Konnte bis zum Ende durchführen, natürlich immer mit Abständen mal Transplantation, mal Dialysezeit. Aber für mich waren es nie Probleme, aber ich sag mal, wenn man gute Freunde hat und ein gutes Elternhaus, dann stellen sich für einen selber nicht so die Probleme dar."

    Gunnar Leonhard:

    "Man muss ganz doll darauf achten, seine Grenzen nicht zu überschreiten, sich nicht selbst zu überlasten, zu überpowern, meine Hobbys sind Wandern, ich bin sehr gerne in den Bergen, mache gerne Wintersport, Skilanglauf. Das kann man machen, man muss es anders machen, sich anders einteilen und das kann man machen. Ich komme mit meinem Leben sehr, sehr gut zurecht. Mir macht das sehr, sehr viel Spaß."

    Anja Tasch:

    "Es wäre ganz schön, wenn sich mehr Leute zur Organspende bereiterklären würden. Ich denke mal, da wären viele Leute dankbar und es wäre auch vielen Leuten damit geholfen. Es kann jeden treffen."