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Aus für ausländische Akademiker

Obwohl Deutschland händeringend nach Ärzten oder Ingenieuren sucht, haben Akademiker aus dem Ausland mit zahlreichen Problemen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen. Aufenthaltsrecht, Arbeitsmarktzugang, Anerkennung von Hochschulabschlüssen - die zahlreichen Regelungen machen aus qualifizierten Arbeitskräften häufig Arbeitslose.

Von Peter Leusch |
    "Erste Ausbildung zur Krankenschwester: Das wurde hier in Deutschland nicht anerkannt. Für Deutschland ist eine dreijährige Ausbildung normal, deswegen fehlt mir ein Jahr. Ich habe Praktika damals gemacht im Krankenhaus, aber man hat hier mir nach Beendigung der Praktikazeit gesagt, dass ich ein Jahr lernen soll. Mein Diplom als Psychologin wurde teilweise anerkannt. Das ist schwierig. Man muss die Stunden berechnen, die fehlenden Zeiten nachholen. Und damals, mit einem kleinen Kind, war das nicht realistisch."

    Ruslana Sviridova, aus der Ukraine, Diplompsychologin, seit elf Jahren in Deutschland, arbeitslos.

    "Als ich hier nach Deutschland kam, kam ich mit einem Stipendium. So konnte ich die ersten vier, fünf Jahre das Studium finanzieren - und danach habe ich ein Jahr in der Schweiz gearbeitet. Das war eine gute Erfahrung. Danach hatte ich eigentlich die Absicht, in meine Heimat zu fahren, aber das hat sich nicht so ergeben, wie meine Frau und ich es wollten, und danach mussten wir gucken, wie ich hier eine Stelle finde. Ich habe Bewerbungen geschickt, mehrere Gespräche geführt, bis jetzt aber keine Zusage."

    David Portero aus Ecuador, Theologe, erfahren in christlicher Sozialarbeit, seit zehn Jahren in Deutschland, arbeitslos.

    "Nach NRW-Vorstellung musste ich dann mal ein Jahr Innere machen, mal ein Jahr Chirurgie machen, vielleicht noch sechs Monate Radiologie oder Pharmakologie, dann an einer Kenntnisprüfung teilnehmen. Nach intensiver Recherche, was vor allem meine Frau gemacht hat, haben wir in Erfahrung gebracht, dass es in anderen Bundesländern gar nicht nötig ist, bei dem Mangel an Ärzten, den wir momentan in der Bundesrepublik haben. Über 10.000 Klinikärzte fehlen uns. Wenn da einer kommt und sich freiwillig erklärt, Unfallchirurgie und Orthopädie zu machen, dass man eigentlich hier in Rheinland-Pfalz mit offenen Armen genommen wird."

    Aliresa Nasserabadi, Arzt, kam mit 13 Jahren nach Deutschland, Abitur und Medizinstudium hier, Abschluss im Iran, er kämpft um die Approbation. Drei Biografien, drei Beispiele von Migranten mit Hochschulabschluss, die in Deutschland arbeiten wollen. Aliresa Nasserabadi pendelt täglich von seinem Wohnsitz Essen zur Arbeit nach Bad-Neuenjahr, weil Rheinland-Pfalz ihn als Arzt anerkennt, NRW aber nicht. Demnächst wird seine ganze Familie umziehen, obwohl Ärzte gerade im Ruhrgebiet gebraucht würden. Ruslana Sveridova und David Portero, die Krankenschwester und Diplompsychologin und der Theologe, hatten nirgendwo eine Zusage.

    Wie begegnet Deutschland eigentlich den hochqualifizierten Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt? Die erste Antwort der Forscher, die dazu die Studie "Kulturelles Kapital in der Migration" vorgelegt haben, ist überraschend: Deutschland sieht dieses akademische Potenzial gar nicht, so Anja Weiß, Soziologin an der Universität Duisburg-Essen, eine der Herausgeberinnen der Studie.

    "Deutschland hat das Selbstverständnis, dass Migranten immer ungebildet sind. 13 Prozent aller Migranten, also im Ausland geborenen, haben aber einen Hochschulabschluss - das kommt nirgendwo vor. Auf die Dauer wirkt sich das so aus, dass die Betroffenen mit der Zeit aufhören, sich selbst als hochqualifiziert zu begreifen."

    Allein in der Altersgruppe der 31- bis 45-Jährigen in Deutschland gibt es eine Viertelmillion Akademiker aus dem Ausland. Sie kamen als Ehepartner oder Spätaussiedler, als Studenten, Asylbewerber oder Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Hier erwartet sie ein ganzer Parcours von Hindernissen auf dem Weg zu einem Arbeitsplatz.

    Eine erste Hürde bildet das Aufenthaltsrecht. Denn es regelt auch den Zugang zum Arbeitsmarkt. Asylbewerber dürfen zunächst gar nicht arbeiten. Manch einer jedoch stellt einen Asylantrag, der eine Greencard als IT-Fachmann erhalten hätte. Schlecht beraten sitzt er nun in der Falle asylrechtlich erzwungener Untätigkeit. Erst in jüngster Zeit hat man diesen fatalen Mechanismus ein wenig gelockert.

    Spätaussiedler haben es hier leichter, doch auf sie warten andere Tücken, wie der Fall des russischen Ingenieurs Michail Shvets zeigt.

    "Als Spätaussiedler hat er relativ viele soziale Rechte und natürlich auch recht schnell die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Und dann kommt er zur Arbeitsagentur und wird beraten und die Arbeitsagentur erkennt die Qualifikationen aus dem Ausland, die Hochschulabschlüsse, gar nicht erst an, die können sie nicht mehr verbuchen im engeren Sinne in ihrem Computersystem, und gleichzeitig kann man nicht dafür sorgen, dass diese Person ihr Studium fortsetzen oder anpassen könnte und schickt sie in Umschulungsmaßnahmen, die eher im nichtakademischen Bereich angesiedelt sind. So wird aus Herrn Shvets, der vorher ein KFZ-Ingenieur war und vorher in einem Unternehmen verantwortlich gearbeitet hat, schließlich ein Automechaniker."

    Arnd-Michael Nohl, Erziehungswissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, und Mitherausgeber der Studie, schildert, wie ein Ingenieur, den wir in Deutschland eigentlich benötigen, buchstäblich heruntergeschult wird, und das mit Steuermitteln.

    "Herr Shvets arbeitete hernach als KFZ-Mechaniker in einer Autowerkstatt, die er inzwischen übernommen hat. So ist er doch noch in eine seiner Qualifikation entsprechende Position gelangt, aber - so möchte man sagen - nicht wegen, sondern trotz der Bedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt."

    Der Fall Shvets markiert zugleich die zweite Hürde für akademische Migranten: die fragliche Anerkennung ihrer Hochschulabschlüsse. Das trifft am stärksten die sogenannten reglementierten Berufsgruppen, zum Beispiel Mediziner und Lehrer.

    "Da gibt es große Reglements. Es ist genau beschrieben, wie dieser Weg zu sein hat, und es gibt kaum Möglichkeiten, diese festgeschriebenen Wege zu umgehen. Beispielsweise ist es jetzt so, dass eine Lehrerin, die in Russland, Mathematik und Physik gelehrt hat, aber nur Mathematik im Hauptfach studiert hat, in Deutschland nicht als Lehrerin arbeiten kann, bis sie mindestens ein zweites Fach studiert hat. Das ist eine Voraussetzung in Deutschland, wobei wir gerade beim Lehramt - das weiß auch jeder Deutsche - 16 verschiedene Bundesländer und sechzehn verschiedene Regelungen haben. Das heißt also, unsere russische Lehrerin muss natürlich gutes Deutsch können, das ist unbestritten, sie müsste aber ein zweites Fach studieren, und das, obwohl wir sehr viele Mathematik- oder naturwissenschaftliche Lehrer brauchen."

    Ilsedore Kraus arbeitet als Bildungsreferentin bei der Otto Benecke Stiftung, die ein spezielles Programm zur Beratung und Weiterqualifizierung für Akademiker, auch für Zugewanderte aus dem Ausland, aufgelegt hat. In Kooperation mit verschiedenen Hochschulen bietet sie Studienergänzungen an, in denen ausländische Akademiker ihr Fachwissen, zugeschnitten auf Deutschland, erweitern können. Am Anfang steht natürlich die Beratung.

    Denn auf einige wartet noch ein weiteres Hindernis, das Professionsrecht, dem Ärzte, Juristen, Architekten und Psychologen unterliegen. Nach diesem Berufsrecht dürften eigentlich nur Deutsche in Deutschland als Ärzte approbiert werden und die Ausnahmen sind sehr speziell.

    Die Sozialwissenschaftler haben in ihrer internationalen Studie die Situation in der Türkei, Großbritannien und Kanada zum Vergleich herangezogen. Gerade Kanada wird ja dafür gelobt, dass es mit einem ausgeklügelten Punktesystem gezielt hochqualifizierte Zuwanderer ins Land lotst. Arnd-Michael Nohl:

    "Dort haben wir Fälle von Managern, etwa Herrn Schwertfeger, der in Deutschland bereits ein Manager war und nach Kanada kommt und dort zunächst einmal überhaupt keine Arbeit findet, die qualifiziert wäre, sondern in einem Restaurant als Kellner anfängt zu arbeiten, und sich dann von diesen unqualifizierten Beschäftigungen erst allmählich wieder hocharbeiten kann, hin zu den Positionen, die er vor der Migration einmal hatte. Und was hier wichtig ist, dass die kanadische Arbeitserfahrung sehr viel mehr zählt, unter Umständen noch sehr viel stärker als ein qualifizierter Hochschulabschluss, der letztendlich auf dem Arbeitsmarkt gar nicht so starke Beachtung findet."

    Das Immigrationsland Kanada ist schlechter als sein Ruf. Denn die Einwanderungserlaubnis für gut Qualifizierte bietet keineswegs einen Freischein für lukrative Jobs und Positionen, man muss sich vielmehr erst hocharbeiten und an den strengen Aufnahmeprüfungen für Ärzte scheitern viele zugewanderte.

    Aber der Vergleich tröstet nicht. Das System in Deutschland, mit seiner vielfachen Reglementierung - Aufenthaltsrecht, Arbeitsmarktzugang, Anerkennung von Hochschulabschlüssen und Professionsrecht - ist ein Dschungel voller Fußangeln. Es funktioniert deshalb nicht gut, weil es zu kompliziert ist, so lautet das Fazit der Studie. Anja Weiß:

    "Diese Vielzahl von Ausnahmetatbeständen, die dringen nicht durch, schon Deutsche haben damit Schwierigkeiten, aber Ausländer, die neu im Land sind, teilweise die Sprache nicht kennen, die können es nicht wissen, die ganze Situation ist so komplex, und wenn man so kleine Ausnahmen schafft, ist es so, dass diese nicht wirklich bis zu den Leuten durchdringen."

    Die deutsche Zuwanderungspolitik folgt immer noch dem Paradigma, dass Ausgrenzung von Migranten die Regel ist - und Aufnahme auf dem Arbeitsmarkt eine Ausnahme darstellt. Genau diese Logik spiegelt sich wider in dem komplexen Geflecht von Bestimmungen, die kaum einer durchblickt.

    Dieser Zustand, das zeigt die Studie auch, schließt keineswegs Erfolgsgeschichten aus. Akademische Zuwanderer können in Deutschland reüssieren, aber sie brauchen einen unbeugsamen Willen, sozialen Rückhalt, kompetente Berater, ein gutes Netzwerk und letztendlich auch eine größere Portion Glück, wie jener frisch anerkannte Asylbewerber, der nach seinem Interview die Professorin auf der Straße wieder trifft.

    "Er suchte seit vier Monaten Arbeit und dann habe ich gesagt: 'Hast Du schon einmal die Otto Benecke Stiftung kontaktiert?' Von der hatte er noch nichts gehört. Die OBS ist die einzige Stiftung, die Anpassungsqualifikation für Akademiker bietet. Der hatte sich dann darum bemüht, und ich weiß, dass er eine solche Anpassungsqualifikation gemacht hat und jetzt auch Arbeit hat. In den vier Monaten, in denen ihn die Arbeitsagentur betreut hat, hat ihm nie jemand gesagt, dass es diese Stiftung gibt."

    Ruslana Sviridova, die ukrainische Diplompsychologin, und David Portero, der Theologe aus Ecuador, hatten kompetentere Berater. Sie nehmen gerade an der 13-monatigen Studienergänzung Interkulturelle Suchtberatung teil, die von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Otto Benecke Stiftung durchgeführt wird.

    "Bald sind wir mit dieser Ausbildung schon fertig, und dann beginnt die Praktikumszeit. Das werde ich in Bonn machen in einer ambulanten Suchtbehandlungsstelle, mit russischsprachigen Leuten, und da sehe ich Chancen, denn dieser Bereich wird gebraucht in Deutschland."