Ein Mann und eine Frau. Sie sitzen sich gegenüber, an einem langen Tisch aus Holz, im Hofbräukeller in München, beide Beine fest am Boden, eine Maß Bier in der Hand. Der Saal ist voll, sie prosten in die Menge. Und dann ein kräftiger Schluck. Sie kann das genauso gut wie er: Eine Maß ansetzen, den Mund aufmachen und richtig schlucken. Das tut gut, die Gesichtszüge der beiden entspannen sich, das schmeckt. Und wie sie so dasitzen, an diesem Sonntag im November, man könnte glatt auf die Idee kommen: Das passt. Komisch nur, dass er und sie das nicht schon viel früher gemerkt haben.
"Wir haben tatsächlich nicht so eng zusammengearbeitet. Er macht Umwelt, ich habe Arbeit und Soziales gemacht. Aber ich glaube, wir sehen uns jetzt jeden Tag, wir reden sehr viel, es läuft. Also, machen sie sich deswegen keine Gedanken."
Gedanken macht sich allenfalls, wer sich erinnert. Denn wenn Andrea Nahles von Sigmar Gabriel sagt:
"Wir haben tatsächlich nicht so eng zusammengearbeitet."
Könnte man auch sagen: "Wir haben erfolgreich gegeneinander gearbeitet." Vor vier Jahren zum Beispiel, als Andrea Nahles Generalsekretärin der SPD werden wollte. Sigmar Gabriel wollte ihr erst dabei helfen. Dann wieder nicht. Und zeigte ihr am Ende die kalte Schulter. Vor zwei Jahren dann die süße Rache: Andrea Nahles wusste Sigmar Gabriel im Parteipräsidium zu verhindern. Jetzt aber wollen beide, die Konkurrenten von einst, etwas werden in der Partei: Am kommenden Wochenende, auf dem Parteitag in Dresden, wird er für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren. Sie stellt sich als Generalsekretärin zur Wahl. Gegeneinander werden sie es nicht schaffen. Also, versuchen sie es miteinander. Wer wollte Böses dabei denken?
"Man mag es nicht glauben, aber nicht alles in der SPD ist vorbereitete Taktik und Strategie, manches entspringt auch einfach nur unseren Gefühlen."
Und weil man sich nirgends so gut kennenlernt wie auf Reisen, fahren Andrea Nahles und Sigmar Gabriel gemeinsam durchs Land. An diesem Sonntagabend sind sie in München. Sie wollen Frust abschöpfen, nach der verlorenen Wahl, wollen mit den Genossen an der Basis sprechen, damit der Parteitag harmonisch verlaufe. 254 Stühle stehen in dem Saal, im Münchner Hofbräukeller - nicht genug für die vielen Menschen, die endlich wieder mitreden wollen in der Partei, die ihre Partei ist. Hinter den Stuhlreihen stehen dicht gedrängt, die Münchener Genossen, sie wollen sich die Politik nicht länger "von denen da oben" vorschreiben lassen, deshalb sind sie gekommen. Und auch, um das verlobte Spitzenpaar persönlich kennenzulernen. Ein Antrittsbesuch also - bei dem man am besten erst einmal von der Familie erzählt, das weiß Sigmar Gabriel so gut wie Andrea Nahles.
"Meine Mutter ist Krankenschwester. Ich kenne keine Krankenschwester, die mit 67 einen Patienten heben kann, die kenne ich nicht. Und ich konnte ihr und meiner Schwester noch drei Mal erzählen, wie sich die Rentenversicherungsformel zusammensetzt, die haben trotzdem gesagt - Entschuldigung, das darf man ja im Fernsehen nicht sagen - aber bei uns sagen die Leute: Das ist Scheiße."
Nahles: "Opposition ist Mist, hat Franz Müntefering das einmal knapp zusammengefasst. Jetzt komme ich aber vom Lande. Um genau zu sein, von einem Dorf mit 400 Einwohnern. Und meine Eltern haben einen ziemlich großen Misthaufen. Und darauf züchten sie jedes Jahr die größten Kürbisse der Eifel."
Es könnte so schön sein. Die beiden ein Paar: Andrea Nahles, die Kürbisse auf Misthaufen züchtet. Und Sigmar Gabriel, der ihr dabei die Rentenversicherungsformel erklärt. Sie, die aus dem linken Lager der SPD kommt, und er, der Mann an ihrer Seite, der immer rechts von ihr stand. Die beiden ein Paar, das wäre auch ein Ende der Flügelkämpfe - oder doch jedenfalls die Hoffnung darauf. Denn nichts fürchtet die SPD mehr als sich selbst zu zerreißen, zwischen links und rechts, in diesen Wochen nach der Bundestagswahl, nach elf Jahren in der Regierung.
"Wenn ich den heutigen, bisherigen Abend so erlebe und beobachte, Andrea, lieber Sigmar, dann muss ich wirklich sagen, diesem neuen Anfang wohnt ein ganz, ganz großer Zauber inne. Ich wünsche mir, dass ihr politisch ein Traumpaar werdet, für uns alle. (Gelächter) Was ihr privat daraus macht, darauf habe ich keinen Einfluss."
Der Münchner Genosse spricht es ins Saalmikrofon und sie schlägt beide Hände vors Gesicht. Wäre nicht von Andrea Nahles die Rede, man wollte sagen: wie ein Backfisch, der die Schamesröte auf den Wangen zu verbergen sucht. Vorsichtig wagt sie sich hinter ihren Händen hervor, sucht seinen Blick, vielleicht ein gemeinsames Lachen - oder wenigstens ein Lächeln? Keine Chance. Er bleibt mit seinen Augen ganz bei dem Genossen am Saalmikrofon, seine Mundwinkel zucken allenfalls amüsiert - ihren Blick aber, den lässt er an seiner linken Backe einfach abtropfen. Noch nicht einmal der Versuch, charmant zu sein.
"Ich mache den Job mehr nach innen. Sigmar Gabriel mehr nach außen."
Was für die Arbeit in der Partei gilt, das gilt auch an diesem Sonntagabend. Sie kümmert sich um die Beziehungsarbeit. Sie sieht ihn an, während er mit dem Saal spricht, nickt zustimmend und lacht über seine Witze. Er kümmert sich um den Saal, er spricht als Erster, er spricht länger als sie und gibt Regieanweisungen, als sie einen kräftigen Schluck aus dem Tonkrug nimmt, der jetzt vor ihr auf dem Tisch steht.
"Sigmar sagt, ich soll sagen, dass da Wasser drin ist, sonst ..."
Ein Mann. Und eine Frau. Ein Traumpaar? Wohl kaum. Wohl eher eine Vernunfts- oder noch besser eine Versorgungsehe - aber man sagt ja, das seien nicht immer die schlechtesten Ehen.
Andrea Nahles und Sigmar Gabriel, beide wissen, dass sie nicht ohne einander können. Sie scheint das noch ein bisschen besser zu wissen als er. Oder vielleicht ist sie einfach nur geschickter, weil sie weiß, dass es auf die kleinen Gesten im täglichen Miteinander ankommt - selbst wenn eine Beziehung nur funktionieren soll. Das Kalkül hinter dem, was sie tut, zeigt Andrea Nahles jedenfalls nicht ganz so offen wie Sigmar Gabriel.
"Macht es gut, es tut mir leid, ich muss jetzt los, Andrea bleibt hier. Wir sind verabredet. Und als eine kleine Erpressung am Ende, ich komme natürlich nur wieder, wenn ihr mich wählt."
"Wir haben tatsächlich nicht so eng zusammengearbeitet. Er macht Umwelt, ich habe Arbeit und Soziales gemacht. Aber ich glaube, wir sehen uns jetzt jeden Tag, wir reden sehr viel, es läuft. Also, machen sie sich deswegen keine Gedanken."
Gedanken macht sich allenfalls, wer sich erinnert. Denn wenn Andrea Nahles von Sigmar Gabriel sagt:
"Wir haben tatsächlich nicht so eng zusammengearbeitet."
Könnte man auch sagen: "Wir haben erfolgreich gegeneinander gearbeitet." Vor vier Jahren zum Beispiel, als Andrea Nahles Generalsekretärin der SPD werden wollte. Sigmar Gabriel wollte ihr erst dabei helfen. Dann wieder nicht. Und zeigte ihr am Ende die kalte Schulter. Vor zwei Jahren dann die süße Rache: Andrea Nahles wusste Sigmar Gabriel im Parteipräsidium zu verhindern. Jetzt aber wollen beide, die Konkurrenten von einst, etwas werden in der Partei: Am kommenden Wochenende, auf dem Parteitag in Dresden, wird er für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren. Sie stellt sich als Generalsekretärin zur Wahl. Gegeneinander werden sie es nicht schaffen. Also, versuchen sie es miteinander. Wer wollte Böses dabei denken?
"Man mag es nicht glauben, aber nicht alles in der SPD ist vorbereitete Taktik und Strategie, manches entspringt auch einfach nur unseren Gefühlen."
Und weil man sich nirgends so gut kennenlernt wie auf Reisen, fahren Andrea Nahles und Sigmar Gabriel gemeinsam durchs Land. An diesem Sonntagabend sind sie in München. Sie wollen Frust abschöpfen, nach der verlorenen Wahl, wollen mit den Genossen an der Basis sprechen, damit der Parteitag harmonisch verlaufe. 254 Stühle stehen in dem Saal, im Münchner Hofbräukeller - nicht genug für die vielen Menschen, die endlich wieder mitreden wollen in der Partei, die ihre Partei ist. Hinter den Stuhlreihen stehen dicht gedrängt, die Münchener Genossen, sie wollen sich die Politik nicht länger "von denen da oben" vorschreiben lassen, deshalb sind sie gekommen. Und auch, um das verlobte Spitzenpaar persönlich kennenzulernen. Ein Antrittsbesuch also - bei dem man am besten erst einmal von der Familie erzählt, das weiß Sigmar Gabriel so gut wie Andrea Nahles.
"Meine Mutter ist Krankenschwester. Ich kenne keine Krankenschwester, die mit 67 einen Patienten heben kann, die kenne ich nicht. Und ich konnte ihr und meiner Schwester noch drei Mal erzählen, wie sich die Rentenversicherungsformel zusammensetzt, die haben trotzdem gesagt - Entschuldigung, das darf man ja im Fernsehen nicht sagen - aber bei uns sagen die Leute: Das ist Scheiße."
Nahles: "Opposition ist Mist, hat Franz Müntefering das einmal knapp zusammengefasst. Jetzt komme ich aber vom Lande. Um genau zu sein, von einem Dorf mit 400 Einwohnern. Und meine Eltern haben einen ziemlich großen Misthaufen. Und darauf züchten sie jedes Jahr die größten Kürbisse der Eifel."
Es könnte so schön sein. Die beiden ein Paar: Andrea Nahles, die Kürbisse auf Misthaufen züchtet. Und Sigmar Gabriel, der ihr dabei die Rentenversicherungsformel erklärt. Sie, die aus dem linken Lager der SPD kommt, und er, der Mann an ihrer Seite, der immer rechts von ihr stand. Die beiden ein Paar, das wäre auch ein Ende der Flügelkämpfe - oder doch jedenfalls die Hoffnung darauf. Denn nichts fürchtet die SPD mehr als sich selbst zu zerreißen, zwischen links und rechts, in diesen Wochen nach der Bundestagswahl, nach elf Jahren in der Regierung.
"Wenn ich den heutigen, bisherigen Abend so erlebe und beobachte, Andrea, lieber Sigmar, dann muss ich wirklich sagen, diesem neuen Anfang wohnt ein ganz, ganz großer Zauber inne. Ich wünsche mir, dass ihr politisch ein Traumpaar werdet, für uns alle. (Gelächter) Was ihr privat daraus macht, darauf habe ich keinen Einfluss."
Der Münchner Genosse spricht es ins Saalmikrofon und sie schlägt beide Hände vors Gesicht. Wäre nicht von Andrea Nahles die Rede, man wollte sagen: wie ein Backfisch, der die Schamesröte auf den Wangen zu verbergen sucht. Vorsichtig wagt sie sich hinter ihren Händen hervor, sucht seinen Blick, vielleicht ein gemeinsames Lachen - oder wenigstens ein Lächeln? Keine Chance. Er bleibt mit seinen Augen ganz bei dem Genossen am Saalmikrofon, seine Mundwinkel zucken allenfalls amüsiert - ihren Blick aber, den lässt er an seiner linken Backe einfach abtropfen. Noch nicht einmal der Versuch, charmant zu sein.
"Ich mache den Job mehr nach innen. Sigmar Gabriel mehr nach außen."
Was für die Arbeit in der Partei gilt, das gilt auch an diesem Sonntagabend. Sie kümmert sich um die Beziehungsarbeit. Sie sieht ihn an, während er mit dem Saal spricht, nickt zustimmend und lacht über seine Witze. Er kümmert sich um den Saal, er spricht als Erster, er spricht länger als sie und gibt Regieanweisungen, als sie einen kräftigen Schluck aus dem Tonkrug nimmt, der jetzt vor ihr auf dem Tisch steht.
"Sigmar sagt, ich soll sagen, dass da Wasser drin ist, sonst ..."
Ein Mann. Und eine Frau. Ein Traumpaar? Wohl kaum. Wohl eher eine Vernunfts- oder noch besser eine Versorgungsehe - aber man sagt ja, das seien nicht immer die schlechtesten Ehen.
Andrea Nahles und Sigmar Gabriel, beide wissen, dass sie nicht ohne einander können. Sie scheint das noch ein bisschen besser zu wissen als er. Oder vielleicht ist sie einfach nur geschickter, weil sie weiß, dass es auf die kleinen Gesten im täglichen Miteinander ankommt - selbst wenn eine Beziehung nur funktionieren soll. Das Kalkül hinter dem, was sie tut, zeigt Andrea Nahles jedenfalls nicht ganz so offen wie Sigmar Gabriel.
"Macht es gut, es tut mir leid, ich muss jetzt los, Andrea bleibt hier. Wir sind verabredet. Und als eine kleine Erpressung am Ende, ich komme natürlich nur wieder, wenn ihr mich wählt."