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Aus neuem grünen Holz geschnitzt

In Baden-Württemberg darf offen über Schwarz-Grün gesprochen werden. Nirgendwo sind sich Konservative und Grüne so nah, wie im Südwesten. Auch die 33-jährige Bundestagskandidatin Franziska Brantner hat da keine Berührungsängste

Von Uschi Götz | 19.09.2013
    Die Weinkönigin sagt ihren Weinspruch auf, ein Zunftmeister sticht das Bierfass an und Franziska Brantner hält sich die Ohren zu. Gleich haben die Schützen ihren Auftritt:

    Das Weinfest im Heidelberger Ortsteil Kirchheim, Kerwe im Badischen genannt, ist eröffnet.

    Franziska Brantner ist Europaabgeordnete für die Grünen und tritt im Wahlkreis Heidelberg als Bundestagskandidatin an. Ihr Spezialgebiet: Außenpolitik.

    "Ich mache Außenpolitik. Das ist gerade das Thema, das ist auch ein unglaublich schwieriges Thema, aber ich drück mich nicht davor. Und wir hatten vorgestern Abend eine große Diskussionsveranstaltung nur zu Syrien, auch nur mit mir. Also wo wir explizit gesagt haben, ich kenne mich hier aus, ich arbeite zu dem Thema und ich möchte mit den Bürgerinnen diskutieren, und es kamen unglaublich viele Menschen."

    Die heute 33-Jährige studierte in Paris und New York Politikwissenschaften. Sie promovierte mit einer Arbeit zur Reformfähigkeit der Vereinten Nationen. In Brüssel ist Franziska Brantner außenpolitische Sprecherin der Fraktion und arbeitet im Ressort Konfliktlösung und Krisenreaktion mit. Doch die Menschen interessieren sich an diesem Tag eher für Spitzensteuersätze, Veggiedays und Kitaplätze. Die sogenannte Pädophilie-Affäre der Grünen spielt erstaunlicherweise keine Rolle. Allerdings die sinkenden Umfrageergebnisse der Grünen:

    "Ich bin da schon relativ locker geworden und sage, ich werde es am Wahlabend sehen und wir kämpfen bis dahin. Es gibt noch so viele Unentschlossene, man merkt es auch am Stand."

    Die Politikerin mit den mittelangen blonden Haaren und einer Edel–Markenbrille kommt gut an. Sie hat ein Gespür für unschlüssige Wähler und setzt in der Diskussion mit ihnen auf Spontanität, manchmal fällt sie den Leuten ungeniert ins Wort:

    "Es wird ja immer die SPD gefragt, ob sie eine Regierungskoalition eingehen würde mit den LINKEN und mit den Grünen, aber die Grünen werden ja nie gefragt, ob die eine Koalition eingehen würden."

    "Ne, weil das de facto die Linken und die SPD gegenseitig blocken (lacht)"

    Es regnet in Strömen und unterm Schirm am Stand der Grünen stellt sich die Frage: Warum nicht Jamaika?

    "Das wäre doch eigentlich mal etwas Modernes, das wär mal was Dynamisches..."

    "Jamaika mit der FDP? (lacht)"

    "Bei der Erststimme bin ich wankelmütig. Einerseits müsste ich die CDU wählen, andererseits finde ich die Grünen, sehr liberal orientiert gar nicht so weit entfernt."

    Schwarz-Grün? Von Franziska Brantner kommt kein reflexartiges Nein. In Baden-Württemberg darf über Schwarz-Grün öffentlich gesprochen werden. Nirgendwo sind sich Konservative und Grüne so nah, wie im Südwesten. Das liegt an Politikern wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der seit seinem Amtsantritt auch eine breite, konservative Schicht anspricht. Das gilt aber auch für Fritz Kuhn, der seit Anfang des Jahres Oberbürgermeister in Stuttgart ist. Kuhn und Kretschmann gehen offen mit der Frage nach Koalitionsbündnissen um. "Mit Angela Merkel habe ich keine wirklichen Probleme", sagt Kretschmann in einem Zeitungsinterview und rät bei dieser Gelegenheit seiner Partei zur Offenheit gegenüber Regierungsbündnissen jenseits von Rot-Grün. Die eigenen Wähler am Stand vor Augen fällt das Bekenntnis zu einer möglichen Koalition doch etwas verschlungen aus:

    "Ja, so, dass wir als Grüne auch nichts ausgeschlossen haben bei der Wahl, wir haben nur eine klare Präferenz. Und das ist auch meine Präferenz, das ist Rot-Grün und danach geht alles nach Inhalten. Wenn die CDU mit uns eine richtige Energiewende macht, einen anderen Europakurs, mal wieder Verantwortung in der Außenpolitik übernimmt, warum nicht. Aber die Frage mache ich von Inhalten abhängig und nicht unbedingt von Farben."

    Franziska Brantner zählt zur "Post-Künast-Roth-Trittin-Generation". Sie ist in Baden-Württemberg geboren, fühlt sich aber als Europäerin. Die Europapolitikerin spricht mehrere Sprachen, auch Hebräisch. Nach dem Abitur war sie in Israel, später arbeitete sie für eine UN-Frauenrechtsorganisation, ebenso für die Bertelsmann-Stiftung. Sie hat eine kleine Tochter. Doch mehr Privates gibt es nicht zu hören. Also zurück zur Politik. Realo oder Fundi? Brantner ist aus einem anderen, neuen grünen Holz geschnitzt:

    "Ich habe bei den vielen Debatten bei den Grünen gemerkt, dass die Lagerschiene gar nicht mehr hilft. Also wir haben eine heftige, auch interne Debatte auch zu Europa gehabt, Fragen von Demokratie, da liefen die Linien ganz anders. Von daher weiß ich mittlerweile gar nicht mehr, ob das Machtstrukturen sind, ob es inhaltlich noch so relevant ist. Aber so vom Ansatz her zu gucken, wie kann man wirklich was verbessern und wenn möglich eben auch noch zu meiner Lebenszeit, das ist schon auch mein Ansatz."

    Sie wippt im Takt, isst eine Bratwurst mit Senf und Ketchup, und ist auch bei der nächsten Kerwe Eröffnung in Dossenheim mittendrin:

    "Ich würde nicht sagen, dass man das nur mag, wenn man eine Rampensau ist, aber mir macht das auch Spaß."

    Ihr Wechsel von Brüssel nach Berlin gilt als fast sicher. Heidelberg ist traditionell eine grüne Hochburg, über zehn Jahre war es der Wahlkreis von Fritz Kuhn. Mit Platz neun hat Brantner außerdem einen recht sicheren Platz auf der baden-württembergischen Landesliste. Falls es doch nicht klappt, braucht man sich um die Zukunft dieser Frau aber wohl keine Sorgen zu machen.