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Aus Pulver auferstanden

Technik. - Luftverschmutzung und aufdringliche Touristenhände bedrohen die Kunstwerke in antiken Stätten und Museen in aller Welt. Viele der kostbaren, echten Stücke werden schon unter Verschluss gehalten – zum Schutz vor schädlichen Abgasen oder schlichtem Diebstahl. Dann aber muss Ersatz her. Forscher am Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik haben jetzt ein Verfahren entwickelt, mit dem Büsten und Skulpturen kostengünstig und schnell kopiert werden können: Aus Marmorstaub, der bislang in Ägypten, Griechenland oder Italien beim Steinsägen als Abfall anfiel.

    Von Folkert Lenz

    Täuschend echt sieht er aus – und ist doch nur eine Kopie. Der Kopf der griechischen Gesundheitsgöttin Hygeia, den der Bremer Physiker Ingo Wirth da in den Händen wiegt, hat alle Macken seines Vorbildes. Das soll er auch, denn die Forscher im Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik stellen exakte Eins-zu-eins-Kopien wertvoller antiker Statuen her – aus Marmorstaub und mit Hilfe eines 3-D-Druckers. Zwei Digitalkameras haben zuvor die Maße und Konturen des Originals erfasst – an seinem Standort und ohne das zerbrechliche Werk zu berühren. Ein Computer hat daraus ein dreidimensionales Modell errechnet. In der Laborhalle des Bremer Institutes saust hinter einer gläsernen Maschinenabdeckung nun der Druckkopf über einem Topf mit Marmormehl hin und her. Ingo Wirth:

    Das Prinzip ist das eines Tintenstrahldruckers. Wir haben hier acht Düsen, die Binder in den Marmorstaub hineindrücken, und verkleben diesen Marmorstaub dann. Das geschieht schichtweise: Lage bei Lage. Und eine Lage ist etwa 150 bis 170 Mikrometer dick.

    "Rapid Prototyping" heißt dieses dreidimensionale Druckverfahren. Ein Schieber streicht das Pulver glatt, dann flitzt der Düsenkopf über die Oberfläche und bringt winzige Tropfen Klebstoff an die Stellen, aus denen dann Schicht für Schicht das Duplikat wächst. Die Technik gibt es für metallische Werkstoffe schon seit zwei Jahren. So können kompliziert aufgebaute Maschinenteile ohne Fräsen und Bohren, ohne den Einsatz aufwändiger Spritzgussformen hergestellt werden. Der Einsatz von Marmorstaub ist allerdings neu. Am schwierigsten sei es gewesen, die richtige Korngröße für das Pulver zu finden, sagt der Maschinenbau-Ingenieur Dirk Hennigs:

    Wenn Sie jetzt Partikelgrößen dabei haben, die deutlich größer sind als diese Schichtdicke, dann kriege ich keine gleichmäßige Schicht aufgebaut, weil sich das zu große Partikel letztlich wie ein Felsbrocken dann durch die Schicht beim Aufbauen durchzieht und mir das gleichmäßige Auftragen der Schicht natürlich kaputtmacht.

    Nach rund eineinhalb Tagen hat die dreidimensionale Druckmaschine ihren Job getan. Der Fußball große Ersatzkopf für die Hygeia-Büste muss nun vorsichtig geborgen werden. Mit Pinsel und Spachtel, wie Ingo Wirth erklärt:

    Der ist in diesem Pulverbett eingedruckt, und rundherum ist das Pulver, was noch lose ist. Man kann sich vorstellen, als wenn der in Sand liegt und teilweise ist der Sand verklebt und außen herum ist er lose. So nehmen wir den Kopf dann raus. Dann ist dann zunächst nur verklebt. Das ist noch nicht richtig stabil.

    Kein Wunder: Rund ein Drittel des Volumens besteht aus kleinsten Poren und damit aus Luft. Die muss raus und ersetzt werden, wenn der Kopf nicht wieder zu Staub zerfallen soll. Unter einer Vakuumglocke saugt die rohe Büstenkopie das nötige Bindemittel wie ein Schwamm auf. Der Ingenieur Hennigs.

    In diese kleinen Lufteinschlüsse wird ein spezieller Bindestoff eininfiltriert. Dieses Bindemittel reagiert, härtet aus – zusammen mit den Marmorpartikelchen. Und nach ungefähr einem halben bis maximal drei Viertel Tag Wartezeit ist das Material so weit ausgehärtet, dass ich durchaus einen Hammer nehmen und dagegen hauen kann, ohne dass was passiert.

    Was in dem Bindemittel drin ist, verraten die Bremer Forscher nicht, denn das ist gerade der Clou. Übrigens ist die Freude an den Repliken von langer Dauer: Sie halten Temperaturen zwischen minus 30 und plus 100 Grad Celsius aus, widerstehen auch UV-Strahlen und aggressiven Salzen wie zum Beispiel in der Meeresluft. Bislang mussten Museen, die ihre Kostbarkeiten durch Duplikate ersetzen wollten, Kopien vom Steinmetz anfertigen lassen – per Hand. Das Verfahren aus Bremen ist deutlich billiger und geht viel schneller. Auch die Reparatur von Skulpturen ist nun kein Problem mehr.

    Die zweite große Anwendung ist – wenn ich das so lax sagen darf – der Ersatzteilbau für Originale. Wenn durch irgend welche Transportschäden - zum Beispiel, wenn von einem Museum ins andere umgelagert wird – trotz aller Vorsicht mal was kaputt gegangen ist. Meinetwegen die Nase oder ein Ohr abgebrochen.

    Quasi so ganz nebenbei haben die Bremer Werkstoff-Fachleute bei ihren Experimenten auch ein Verfahren entdeckt, den Marmorstaub beim Pulver-Spritzguss verwenden zu können. Das erlaubt die massenhafte Herstellung von Marmorfiguren. Fest im Visier haben die Verfahrenstechniker schon Olympia in Griechenland im kommenden Jahr: Für das Sport-Spektakel wollen sie handliche Nachbildungen der Akropolis oder des Athener Olympiastadions als Souvenirs in Serie produzieren.