Theißen: Natürlich war das auch komisch, dass ich jetzt als deutsche Frau plötzlich ein Kopftuch anzog. Am Anfang war das eigentlich kein Problem. Jetzt habe ich das Gefühl: Es wird mir übel genommen. Man feindet mich an.
Hoffmann: Das spüre ich ja am eigenen Leib. Und ich bedauere einfach, dass man nach 30 oder 35 Jahren, in denen die Muslime als friedliche, gute Nachbarn neben ihrem deutschen Nachbarn gewohnt haben, ein Attentat oder zwei Attentate oder irgendwas, was in der islamischen Welt geschieht, die Meinung der Deutschen bestimmt, was Muslime sind.
Drei Statements - eine Gemeinsamkeit: Deutsche, die zum Islam übergetreten sind, haben es schwer in Zeiten von Al Kaida und Terrorgefahr; es wird ihnen immer häufiger unterstellt, sie seien besonders anfällig für die Hasspredigten islamistischer Fundamentalisten. Doch das trifft nur auf eine verschwindende Minderheit zu. Die große Mehrheit der circa hunderttausend Konvertiten lehnt Gewalt ab - betont die Islamismus-Expertin Claudia Danschke.
Es gibt so Konvertiten der ersten Generation. Die also schon in den 60er, 70er oder 80er Jahren zum Islam konvertiert sind. Und im organisierten Bereich des Islam in Deutschland punktuell ne sehr wichtige Rolle spielen als Meinungs-Bilder.
Abdul Hadi Christian Hoffmann.
56 Jahre alt, Leiter der neugegründeten Muslimischen Akademie in Berlin. Hoffmann ist einer der bekanntesten Konvertiten in Deutschland: In den 90ern brachte es der Volkswirt bis zum Pressesprecher der CDU - bevor ihn der damalige neue Generalsekretär Peter Hintze vor die Tür setzte: Ein Moslem als Repräsentant der Christlich Demokratischen Union - das war zu viel für Pfarrer Hintze. Sein Parteibuch hat Abdul Hadi Christian Hoffmann längst zurückgegeben. Der Mann mit dem graumelierten Haar und Bart stammt aus einer erzprotestantischen Akademiker-Familie. Das Problem war nur: Mit dem Protestantismus konnte Hoffmann nie so recht etwas anfangen. Lange Zeit war Hoffmann ein Sinnsuchender - bis er eines Tages Ende der 80er auf den Islam stieß.
Einfach wirklich nur durch eine Eingebung: Der Islam is es. Und das war einfach Anlass, mich damit zu beschäftigen, weil ich weder Muslime kannte noch wusste, was der Islam ist. Das war wirklich so ne Art Geistesblitz.
Claudia Danschke : Und dann haben wir jetzt seit Mitte der 90er Jahre einen Run auf die Religion. Das haben wir aber prinzipiell. Also auch auf esoterische Richtung, aber auch in Richtung Islam. Das heißt, wir haben aktuell im jugendlichen Bereich durchaus Jugendliche so zwischen 15 und 25, die also unabhängig jetzt von familiären Bindungen – also Heirat oder so – diese Religion für sich als Alternative entdecken und zum Islam konvertieren.
27 Jahre alt, verheiratet, arbeitslos. Keine Ausbildung.
Heinz Sorgatz
Heinz Sorgatz ist im multikulturellen Berlin-Schöneberg aufgewachsen - in der Nähe der Kurfürstenstraße. Kontakt zur Drogen-Szene. Viele ausländische Freunde: Hauptsächlich Türken und Araber. Ein arabischer Freund war es auch, der ihm half, von den Drogen wegzukommen. Irgendwann verbrachte "der Deutsche", wie sie ihn damals nannten, mehr Zeit bei seinen arabischen Freunden als bei sich zu Hause.
Ich hab gesehen, wie einige Eltern gebetet haben. Wenn man zum Beispiel in ne arabische Familie kommt, die Kinder helfen Tisch decken, von alleine, die helfen richtig, machen dies, machen das. Da hab ich mir gesagt: So will ich das irgendwann auch mal haben – zu Hause bei mir selber. Und da bin ich oft hingegangen, hab mir viel erklären lassen. Und mit 18, 19 hab ich dann den Entschluss gefasst, in den Glauben überzutreten.
Kein Einzelfall: Immer mehr Deutsche treten zum Islam über. Waren es laut Angaben des Islam-Archivs in Soest früher nur bis zu dreihundert im Jahr, sind es jetzt achthundert - Tendenz weiter steigend. Deutsche Konvertiten haben inzwischen ein loses Netzwerk geknüpft. Es gibt "www.muslim-markt.de" - eine Website für deutschsprachige Muslime mit umfangreichem Service-Angebot; immer häufiger werden türkische und arabische Bücher ins Deutsche übersetzt, findet man selbst in Städten wie Wiesbaden deutschsprachige islamische Buchhandlungen, die von Konvertiten geführt werden.
Und es gibt Muhamed Sven Kalisch - den Hochschul-Dozenten für islamische Religion aus Münster. Der 38jährige hat die erste Professur zur Ausbildung islamischer Religionslehrer an staatlichen Schulen in Deutschland inne. Die rot-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens verspricht sich viel von dem Studiengang: Von einem "großen Integrations-Projekt" ist die Rede - auch wenn noch unklar ist, ob die ausgebildeten Lehrer überhaupt von den verschiedenen muslimischen Richtungen anerkannt werden.
Muhamed Sven Kalisch ficht das nicht an. Hauptsache es passiert etwas! Offiziell fängt der Studiengang an der Westfälischen Wilhelms-Universität zwar erst in diesem Sommersemester an - doch schon jetzt hält der promovierte Jurist Vorlesungen. Mit 15 ist der gebürtige Hamburger zum Islam konvertiert. Seitdem bestimmen die islamischen Gebote sein Leben: Mehrmals am Tag Gebete; kein Schweinefleisch, kein Alkohol.
Als Konvertit kommt man in der Regel sehr bewusst zum Islam. Das heißt, man hat im vorherein einen stärkeren Abstand zu Volksmythen und Legenden, die natürlich häufig über die Familie oder die Umgebung bei Geburtsmuslimen mit transportiert werden. Konvertiten haben eine viel stärkere Tendenz dazu kritisch zu hinterfragen: Was ist eigentlich richtiger Islam? Und wie sind die Quellen? Wie kann man sich die erschließen?
Der Islam bestimmt auch das Leben von Amina Erika Theißen. Die Pädagogin leitet das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln. 250 Frauen werden hier täglich weitergebildet. Vorbereitungsklassen für den Haupt- und Realschul-Abschluss; EDV- und Deutschkurse; psychosoziale Beratung - die Anfang 50jährige hat in den vergangenen neun Jahren einiges auf die Beine gestellt, vor drei Jahren wurde sie vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau für ihr "vorbildliches Engagement in der Integration von Zuwanderern" ausgezeichnet.
Ich möchte schon als Pädagogin, auch als muslimische Pädagogin in Deutschland, meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Und der ist dann einfach auch, die Brücke zwischen Gesellschaft und Muslimen herzustellen. Das empfinde ich als meine Aufgabe. Weil ich halt beides bin. Und ist ja auch ne Chance für die deutsche Gesellschaft. Denn die Muslime sind da.
Siebzehn Jahre ist es jetzt her, dass Amina Erika Theißen zum Islam übergetreten ist, fast genauso lange trägt sie ein Kopftuch. Eine deutsche Kopftuch-Trägerin - das polarisiert. In den 80er Jahren, erinnert sich Theißen, habe sie zwar oft Kopfschütteln geerntet - nach dem Motto: Wie kann eine emanzipierte Frau nur dieses Symbol der Unterdrückung tragen - doch seit dem 11. September stehe sie unter permanenten Rechtfertigungs-Zwang. Darunter leidet auch ihre Arbeit.
Es ist so: Wir haben von Anfang an in sehr, sehr vielen Arbeitskreisen mitgearbeitet. Und trotzdem ist es so, dass im Kölner Raum dermaßen Vorurteile über uns bestehen, dass jetzt also von anderen Institutionen Frauen oder Mitarbeiterinnen, die mit uns zusammengearbeitet haben, gesagt wird: Wie?! Du arbeitest da mit diesen Kopftuch-Frauen. Das ist ja das letzte. Du schadest doch deinem Ruf. Das zeigt, dass die Intoleranz und die Vorbehalte doch sehr, sehr stark sind und leider – leider! – äußert man sie nicht. Man könnte ja auch mit uns diskutieren. Wir sind der deutschen Sprache mächtig. Aber das tut man eben nicht. Sondern man grenzt sich dann lieber hinten herum ab und macht uns natürlich unsere Arbeit, unsere soziale Arbeit schwer.
Dass Muslime in Deutschland und anderen westlichen Ländern zunehmend angefeindet werden - Muhamed Sven Kalisch sieht die Gründe dafür unter anderem im Fall des Eisernen Vorhangs. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR, des "Reichs des Bösen", wie es US-Präsident Ronald Reagan in den 80ern formulierte, brach auch ein zentrales Feindbild weg.
In diese Lücke müssen nun wir Muslime reinspringen. Und der 11. September ist natürlich so ne Art Initialzündung gewesen, von da an ging’s richtig los, sag ich mal. Also, man merkt’s halt an vielen Dingen. Sehen Sie: Ich bin Professor an einer deutschen Universität, vereidigt auf das Grundgesetz. Ich muss ständig Erklärungen abgeben, wie ich zum Grundgesetz stehe. Ich hab nen Eid darauf geleistet, und damit dürfte die Sache eigentlich klar sein. Ein evangelischer Theologe oder katholischer Theologe wird das im allgemeinen nicht gefragt. Obwohl natürlich auch für die evangelische oder katholische Kirche durchaus Fragezeichen sind. Nicht?! Was macht man mit einer Organisation wie Opus Dei beispielsweise, die nicht ganz ohne Einfluss ist im Vatikan?
Auch Barbara John verfolgt die aktuelle Debatte über Muslime und das Ende von Multikulti mit Sorge. Die ehemalige Ausländerbeauftragte des Landes Berlin hat den Anstoß für die Gründung der Muslimischen Akademie gegeben, um die Muslime in Deutschland aus ihrem abgeschotteten Diaspora-Dasein herauszuholen und in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Man kann natürlich Menschen, die bestimmte Religionen haben, in die Enge drängen, und man kann sie auch in die Hände derjenigen schieben, die sie missbrauchen, indem man dauernd erzählt, dass der Islam eine gewalttätige, eine gefährliche Religion ist. Das halte ich nicht nur für sehr fragwürdig, sondern in der Tat auch für sehr bedrängend für die Muslime, weil sie dann nach vielen Seiten kämpfen müssen.
Bleibt die Frage: Sind Konvertiten tatsächlich besonders anfällig für religiösen Fanatismus? Weil sie begeisterungsfähig sind, sich beweisen wollen und ihre Wurzeln gekappt haben? Fest steht: Es gibt sie - deutsche Extremisten, die zum Islam übergetreten sind. Leute wie den Deutsch-Polen Christian Ganzcarski, der nach Afghanistan reiste, um bei Osama bin Laden das Terror-Handwerk zu lernen. Fest steht: Laut Verfassungsschutz wurden deutsche Konvertiten an die Scharia-Fakultät nach Damaskus geschickt - eine Hochburg der militanten Muslim-Brüder; Verfassungsschützer gehen davon aus, dass der Anteil europäischer Konvertiten am Netzwerk des Terrors schon bei zehn Prozent liegt. Doch Vorsicht - warnt die Islamismus-Expertin. Alle Konvertiten unter Generalverdacht zu stellen, sei auch falsch. Claudia Danschke hat eher islamische "Salon-Militante" im Visier, die zwar nicht zur Gewalt aufrufen, aber die deutsche Gesellschaft von innen heraus nach ihren islamischen Vorstellungen verändern wollen. Allen voran die Islamische Zeitung aus Berlin.
Da sind Leute, die sind aufgefallen Anfang der 90er Jahre, in Freiburg im Breisgau – mit extrem deutschnationalen, rechten Positionen; völkischen Positionen. Die sind dann zum Islam konvertiert.
Ausschnitt aus Rede Riegers von 1993
Wie die Türken haben wir Deutsche auch oft in der Geschichte für ne gute Sache gekämpft.
Obwohl ich zugeben muss, dass meine Großväter bei unserem gemeinsamen Hauptfeind, unserem gemeinsamen Hauptfeind nicht ganz gründlich waren...
Der da spricht, ist der Herausgeber der Islamischen Zeitung, der Rechtsanwalt Abu Bakr Rieger. Aufgenommen 1993 bei einer Großveranstaltung des inzwischen verbotenen radikal-islamistischen ‚Anatolischen Bundesstaates’. Aus dem Bundesstaat ging dann später der Kalifat-Staat hervor. Solche antisemitischen Töne hört man von Rieger heute nicht mehr, der trotz mehrerer Anfragen für ein Interview nicht zur Verfügung stand. Seine Monatszeitschrift gibt sich pluralistisch und kritisch: Da fragt Rieger in einem Beitrag, ob sich Muslime denn überzeugend genug vom Terror distanziert hätten; stellt das Blatt in der Januar-Ausgabe die Macher der Website "www.muslime-gegen-terror" vor; wird die Zwangsheirat als "ungültig" abgelehnt. Dazu ausführliche Interviews mit Publizisten wie Roger Willemsen und Politikern wie Cem Özdemir. Claudia Danschke aber bleibt skeptisch.
Da sind Kreise, die faktisch über das Medium Islamische Zeitung - die ich immer bezeichne als Junge Freiheit des politischen Islam, die also auf ne sehr subtile, intellektuelle Art und Weise versucht, massiven Einfluss auszuüben auf die muslimische Community. Die Herausgeber der Islamischen Zeitung sind ganz stark in einer Art von Kapitalismus-, Globalisierungskritik. Und damit faktisch der USA: Kulturimperialismus, Geld-, Finanzimperialismus, Börse usw.. In diesen Schriften findet sich das ganze antisemitische Spektrum, antiamerikanische Spektrum, was man aus diesen Kreisen eben kennt.
Für den Chefredakteur der Islamischen Zeitung, Sulaiman Wilms, ist die Islamismus-Expertin Danschke ein rotes Tuch. Der 34jährige, der mit Anfang zwanzig zum Islam konvertiert ist, fühlt sich gründlich missverstanden. Sagt er. Punkt eins: Die Islamische Zeitung wolle Debatten anstoßen - nicht die Gesellschaft umkrempeln. Punkt zwei: Die Islamische Zeitung sei übernational und antirassistisch - nicht nationalistisch.
Also, wissen Se, ich hab tagtäglich mit Türken, mit Arabern, also mit Leuten aus jedem Kontinent zu tun: Also, wie könnte ich da ne nationale Position haben?! Und der Vorwurf des Antisemitismus gilt einfach by association. Ich sag mal so: Das ist ne beliebte Technik, die ist auch einfach anzuwenden. Weil der Punkt ist: Wir sind natürlich am Ende auch ne Provokation. Wir sind die einzigen praktizierenden Muslime in Deutschland, die am medialen Prozess teilnehmen - und zwar nicht als Objekt sondern als Subjekte.
Deutsche Muslime als Subjekte in der politischen Debatte - das ist tatsächlich noch die Ausnahme - sieht man einmal von sporadischen Auftritten muslimischer Vertreter in Talkshows wie Sabine Christiansen und Berlin Mitte ab. Meist wird nur über Muslime berichtet. Dabei leben inzwischen drei Millionen in Deutschland. Muslime, die oft parteipolitisch heimatlos sind. Die meisten, erklärt Muhamed Sven Kalisch, seien wertkonservativ. So wie er. Sprich: Eigentlich klassische Unions-Anhänger. Doch solange Merkel, Stoiber und Co Politik machten mit Slogans wie: "Die Türkei hat im christlichen Europa nichts verloren und Nein zum Kopftuch in deutschen Schulen" - solange sei die Union keine Alternative - trotz aller Gemeinsamkeiten.
Ich will’s gerne sagen: Ja, es gibt ein paar Punkte, wo westliche Gesellschaft und Islam voneinander wegdriften. Das ist die liberale Einstellung zu bestimmten Themen wie etwa Familie, Sexualmoral oder auch Drogenproblematik. Da wäre die islamische Position: Es wäre besser, wenn eine Gesellschaft das restriktiver handhabt. In solchen Punkten würde ich sagen, wäre eine islamische Werte-Übernahme für die westliche Gesellschaft aus meiner Sicht als Muslim natürlich besser.
Heinz Sorgatz sieht das ähnlich.
Die Familieneinstellung. Zum Beispiel: Da dürfen die Mädchen Freunde haben schon mit 16, 15, 14. Die dürfen überall hin, übernachten, dafür bin ich auch nicht. Mädchen hat zu Hause zu sein; muss ihre Hausarbeiten machen. Und Freund erst, wenn se in der Schule gut is und wenn sie Ausbildung hat.
Dass bildungsferne Globalisierungs-Verlierer wie Heinz Sorgatz, der seit mehr als fünf Jahren ohne Job ist und heutzutage kaum Chancen hat auf dem Arbeitsmarkt - dass jemand wie Heinz Sorgatz sein Heil im Islam sucht - Barbara John sieht darin erst einmal kein Problem - trotz seines "antiquierten Frauenbildes."
Also ich glaube, dass alle Religionen für eine Gesellschaft wichtig sind, die Menschen Halt und Sinn geben; die ihnen Werte vermitteln, die über den Alltag hinausgehen. Und das tun ja Religionen im allgemeinen. Dem widerspricht auch nicht, dass es einzelne Mitglieder dieser Religionen gibt, die nun Ideen entwickeln, die von Hass und Gewalt geprägt sind. Aber in der Regel sind diese Religionen friedfertig und wollen den Menschen dabei helfen, eine schwierige Existenz sich bewusst zu machen; dass man krank wird; dass man leiden muss; dass das Leben endlich ist.
Claudia Danschke sieht das kritischer
Man muss sich damit auseinandersetzen, dass diese Gesellschafts-Ideologie klar ne Alternative zum demokratischen Gesellschafts-System ist. Also, insofern ist es gefährlich, wenn man sagt, dass wir hier in Europa sagen, wir möchten das demokratische Gesellschaftssystem ablösen durch ein Gesellschaftssystem auf ner scheinbar religiösen Grundlage. D.h., sie ziehen aus der Religion die Vorschriften, sei es die Jurisprudenz, also die Rechtssprechung, die Politik, das soziale Interagieren, überhaupt die sozialen Verhältnisse, die wirtschaftlichen, kulturellen Verhältnisse, alles faktisch auf der Grundlage der religiösen Vorschriften. Insofern für die Demokratie ist es gefährlich als Idee des Zusammenlebens.
Der Islam - eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft? Abdul Hadi Christian Hoffmann schüttelt nur den Kopf. "Was für ein Quatsch!" Teil der Gesellschaft wollten Muslime heutzutage sein. Und natürlich müsse man sich von denen distanzieren, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes ständen.
Die haben natürlich ihre Meinung – immer noch. Und da gibt es ne offene Konfrontation, und dann streiten wir uns richtig im Uni-Hörsaal. Und dieser Streit muss auch geführt werden. Und ich kann nicht nur sagen: Ich hab die jetzt verboten – jetzt ist das Problem erledigt! Es ist überhaupt nicht erledigt. Man muss auch in den Hirnen was bewirken. Und das wird leider Gottes viel zu wenig gemacht.
Mit Extremisten reden; sie einbinden - ist das die richtige Strategie? Ja - meint Muhamed Sven Kalisch. Deshalb arbeitet er auch mit fundamentalistischen Verbänden zusammen wie dem Islamischen Zentrum Hamburg, das ein Mitspracherecht besitzt im Beirat seiner Fakultät - genau wie der Islamrat, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Integrieren statt spalten - das will auch die Muslimische Akademie. Wenn es nach Abdul Hadi Christian Hoffmann geht, dann soll die Akademie ein Forum sein für grundsätzliche Themen wie: Islam und die Moderne; oder: Religion in einer säkularen Gesellschaft.
Christian Hadi Hoffmann - da seh’ ich so eine Chance. Weil: Wir haben natürlich auch Konvertiten drin, die eben genau zur muslimischen Minderheit die Brücke bilden können. Also, die auch gerade um diese Ängste wissen. Was im Grunde genommen Globalisierungs-Ängste sind, was Industrialisierung, Individualisierung von Gesellschaften und muslimisches Denken: Konservatives, wertkonservatives Denken – die sich da in beiden System gut auskennen; die eine Brücke bilden können.
Eine Brücke bilden - Amina Erika Theißen versucht das seit fast schon zehn Jahren - trotz aller Anfeindungen. Denn: Deutschland, sagt sie, sei nun einmal ihr Land.
Vielleicht jetzt Muslime, die aus anderen Ländern zugewandert sind...wenn sie jetzt zum Beispiel angefeindet werden, dann sagen die: ok, wir gehen in unser Land zurück. Das können wir aber nicht. Wir müssen darum kämpfen, dass wir hier anerkannt werden. Und darum liegt uns vielleicht auch so viel daran, dass wir Institutionen aufbauen. Also, ich denke, uns konvertierten deutschen Muslimen ist es sehr wichtig, dass der Islam in Deutschland anerkannterweise seinen Platz findet. Und dass er auch vom Status her nicht diese Gastarbeiter-Religion bleibt und die Religion der Ungebildeten, der Blöden, sondern dass man irgendwie auch als ganz normaler Mensch Muslim sein kann.
Hoffmann: Das spüre ich ja am eigenen Leib. Und ich bedauere einfach, dass man nach 30 oder 35 Jahren, in denen die Muslime als friedliche, gute Nachbarn neben ihrem deutschen Nachbarn gewohnt haben, ein Attentat oder zwei Attentate oder irgendwas, was in der islamischen Welt geschieht, die Meinung der Deutschen bestimmt, was Muslime sind.
Drei Statements - eine Gemeinsamkeit: Deutsche, die zum Islam übergetreten sind, haben es schwer in Zeiten von Al Kaida und Terrorgefahr; es wird ihnen immer häufiger unterstellt, sie seien besonders anfällig für die Hasspredigten islamistischer Fundamentalisten. Doch das trifft nur auf eine verschwindende Minderheit zu. Die große Mehrheit der circa hunderttausend Konvertiten lehnt Gewalt ab - betont die Islamismus-Expertin Claudia Danschke.
Es gibt so Konvertiten der ersten Generation. Die also schon in den 60er, 70er oder 80er Jahren zum Islam konvertiert sind. Und im organisierten Bereich des Islam in Deutschland punktuell ne sehr wichtige Rolle spielen als Meinungs-Bilder.
Abdul Hadi Christian Hoffmann.
56 Jahre alt, Leiter der neugegründeten Muslimischen Akademie in Berlin. Hoffmann ist einer der bekanntesten Konvertiten in Deutschland: In den 90ern brachte es der Volkswirt bis zum Pressesprecher der CDU - bevor ihn der damalige neue Generalsekretär Peter Hintze vor die Tür setzte: Ein Moslem als Repräsentant der Christlich Demokratischen Union - das war zu viel für Pfarrer Hintze. Sein Parteibuch hat Abdul Hadi Christian Hoffmann längst zurückgegeben. Der Mann mit dem graumelierten Haar und Bart stammt aus einer erzprotestantischen Akademiker-Familie. Das Problem war nur: Mit dem Protestantismus konnte Hoffmann nie so recht etwas anfangen. Lange Zeit war Hoffmann ein Sinnsuchender - bis er eines Tages Ende der 80er auf den Islam stieß.
Einfach wirklich nur durch eine Eingebung: Der Islam is es. Und das war einfach Anlass, mich damit zu beschäftigen, weil ich weder Muslime kannte noch wusste, was der Islam ist. Das war wirklich so ne Art Geistesblitz.
Claudia Danschke : Und dann haben wir jetzt seit Mitte der 90er Jahre einen Run auf die Religion. Das haben wir aber prinzipiell. Also auch auf esoterische Richtung, aber auch in Richtung Islam. Das heißt, wir haben aktuell im jugendlichen Bereich durchaus Jugendliche so zwischen 15 und 25, die also unabhängig jetzt von familiären Bindungen – also Heirat oder so – diese Religion für sich als Alternative entdecken und zum Islam konvertieren.
27 Jahre alt, verheiratet, arbeitslos. Keine Ausbildung.
Heinz Sorgatz
Heinz Sorgatz ist im multikulturellen Berlin-Schöneberg aufgewachsen - in der Nähe der Kurfürstenstraße. Kontakt zur Drogen-Szene. Viele ausländische Freunde: Hauptsächlich Türken und Araber. Ein arabischer Freund war es auch, der ihm half, von den Drogen wegzukommen. Irgendwann verbrachte "der Deutsche", wie sie ihn damals nannten, mehr Zeit bei seinen arabischen Freunden als bei sich zu Hause.
Ich hab gesehen, wie einige Eltern gebetet haben. Wenn man zum Beispiel in ne arabische Familie kommt, die Kinder helfen Tisch decken, von alleine, die helfen richtig, machen dies, machen das. Da hab ich mir gesagt: So will ich das irgendwann auch mal haben – zu Hause bei mir selber. Und da bin ich oft hingegangen, hab mir viel erklären lassen. Und mit 18, 19 hab ich dann den Entschluss gefasst, in den Glauben überzutreten.
Kein Einzelfall: Immer mehr Deutsche treten zum Islam über. Waren es laut Angaben des Islam-Archivs in Soest früher nur bis zu dreihundert im Jahr, sind es jetzt achthundert - Tendenz weiter steigend. Deutsche Konvertiten haben inzwischen ein loses Netzwerk geknüpft. Es gibt "www.muslim-markt.de" - eine Website für deutschsprachige Muslime mit umfangreichem Service-Angebot; immer häufiger werden türkische und arabische Bücher ins Deutsche übersetzt, findet man selbst in Städten wie Wiesbaden deutschsprachige islamische Buchhandlungen, die von Konvertiten geführt werden.
Und es gibt Muhamed Sven Kalisch - den Hochschul-Dozenten für islamische Religion aus Münster. Der 38jährige hat die erste Professur zur Ausbildung islamischer Religionslehrer an staatlichen Schulen in Deutschland inne. Die rot-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens verspricht sich viel von dem Studiengang: Von einem "großen Integrations-Projekt" ist die Rede - auch wenn noch unklar ist, ob die ausgebildeten Lehrer überhaupt von den verschiedenen muslimischen Richtungen anerkannt werden.
Muhamed Sven Kalisch ficht das nicht an. Hauptsache es passiert etwas! Offiziell fängt der Studiengang an der Westfälischen Wilhelms-Universität zwar erst in diesem Sommersemester an - doch schon jetzt hält der promovierte Jurist Vorlesungen. Mit 15 ist der gebürtige Hamburger zum Islam konvertiert. Seitdem bestimmen die islamischen Gebote sein Leben: Mehrmals am Tag Gebete; kein Schweinefleisch, kein Alkohol.
Als Konvertit kommt man in der Regel sehr bewusst zum Islam. Das heißt, man hat im vorherein einen stärkeren Abstand zu Volksmythen und Legenden, die natürlich häufig über die Familie oder die Umgebung bei Geburtsmuslimen mit transportiert werden. Konvertiten haben eine viel stärkere Tendenz dazu kritisch zu hinterfragen: Was ist eigentlich richtiger Islam? Und wie sind die Quellen? Wie kann man sich die erschließen?
Der Islam bestimmt auch das Leben von Amina Erika Theißen. Die Pädagogin leitet das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln. 250 Frauen werden hier täglich weitergebildet. Vorbereitungsklassen für den Haupt- und Realschul-Abschluss; EDV- und Deutschkurse; psychosoziale Beratung - die Anfang 50jährige hat in den vergangenen neun Jahren einiges auf die Beine gestellt, vor drei Jahren wurde sie vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau für ihr "vorbildliches Engagement in der Integration von Zuwanderern" ausgezeichnet.
Ich möchte schon als Pädagogin, auch als muslimische Pädagogin in Deutschland, meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Und der ist dann einfach auch, die Brücke zwischen Gesellschaft und Muslimen herzustellen. Das empfinde ich als meine Aufgabe. Weil ich halt beides bin. Und ist ja auch ne Chance für die deutsche Gesellschaft. Denn die Muslime sind da.
Siebzehn Jahre ist es jetzt her, dass Amina Erika Theißen zum Islam übergetreten ist, fast genauso lange trägt sie ein Kopftuch. Eine deutsche Kopftuch-Trägerin - das polarisiert. In den 80er Jahren, erinnert sich Theißen, habe sie zwar oft Kopfschütteln geerntet - nach dem Motto: Wie kann eine emanzipierte Frau nur dieses Symbol der Unterdrückung tragen - doch seit dem 11. September stehe sie unter permanenten Rechtfertigungs-Zwang. Darunter leidet auch ihre Arbeit.
Es ist so: Wir haben von Anfang an in sehr, sehr vielen Arbeitskreisen mitgearbeitet. Und trotzdem ist es so, dass im Kölner Raum dermaßen Vorurteile über uns bestehen, dass jetzt also von anderen Institutionen Frauen oder Mitarbeiterinnen, die mit uns zusammengearbeitet haben, gesagt wird: Wie?! Du arbeitest da mit diesen Kopftuch-Frauen. Das ist ja das letzte. Du schadest doch deinem Ruf. Das zeigt, dass die Intoleranz und die Vorbehalte doch sehr, sehr stark sind und leider – leider! – äußert man sie nicht. Man könnte ja auch mit uns diskutieren. Wir sind der deutschen Sprache mächtig. Aber das tut man eben nicht. Sondern man grenzt sich dann lieber hinten herum ab und macht uns natürlich unsere Arbeit, unsere soziale Arbeit schwer.
Dass Muslime in Deutschland und anderen westlichen Ländern zunehmend angefeindet werden - Muhamed Sven Kalisch sieht die Gründe dafür unter anderem im Fall des Eisernen Vorhangs. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR, des "Reichs des Bösen", wie es US-Präsident Ronald Reagan in den 80ern formulierte, brach auch ein zentrales Feindbild weg.
In diese Lücke müssen nun wir Muslime reinspringen. Und der 11. September ist natürlich so ne Art Initialzündung gewesen, von da an ging’s richtig los, sag ich mal. Also, man merkt’s halt an vielen Dingen. Sehen Sie: Ich bin Professor an einer deutschen Universität, vereidigt auf das Grundgesetz. Ich muss ständig Erklärungen abgeben, wie ich zum Grundgesetz stehe. Ich hab nen Eid darauf geleistet, und damit dürfte die Sache eigentlich klar sein. Ein evangelischer Theologe oder katholischer Theologe wird das im allgemeinen nicht gefragt. Obwohl natürlich auch für die evangelische oder katholische Kirche durchaus Fragezeichen sind. Nicht?! Was macht man mit einer Organisation wie Opus Dei beispielsweise, die nicht ganz ohne Einfluss ist im Vatikan?
Auch Barbara John verfolgt die aktuelle Debatte über Muslime und das Ende von Multikulti mit Sorge. Die ehemalige Ausländerbeauftragte des Landes Berlin hat den Anstoß für die Gründung der Muslimischen Akademie gegeben, um die Muslime in Deutschland aus ihrem abgeschotteten Diaspora-Dasein herauszuholen und in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Man kann natürlich Menschen, die bestimmte Religionen haben, in die Enge drängen, und man kann sie auch in die Hände derjenigen schieben, die sie missbrauchen, indem man dauernd erzählt, dass der Islam eine gewalttätige, eine gefährliche Religion ist. Das halte ich nicht nur für sehr fragwürdig, sondern in der Tat auch für sehr bedrängend für die Muslime, weil sie dann nach vielen Seiten kämpfen müssen.
Bleibt die Frage: Sind Konvertiten tatsächlich besonders anfällig für religiösen Fanatismus? Weil sie begeisterungsfähig sind, sich beweisen wollen und ihre Wurzeln gekappt haben? Fest steht: Es gibt sie - deutsche Extremisten, die zum Islam übergetreten sind. Leute wie den Deutsch-Polen Christian Ganzcarski, der nach Afghanistan reiste, um bei Osama bin Laden das Terror-Handwerk zu lernen. Fest steht: Laut Verfassungsschutz wurden deutsche Konvertiten an die Scharia-Fakultät nach Damaskus geschickt - eine Hochburg der militanten Muslim-Brüder; Verfassungsschützer gehen davon aus, dass der Anteil europäischer Konvertiten am Netzwerk des Terrors schon bei zehn Prozent liegt. Doch Vorsicht - warnt die Islamismus-Expertin. Alle Konvertiten unter Generalverdacht zu stellen, sei auch falsch. Claudia Danschke hat eher islamische "Salon-Militante" im Visier, die zwar nicht zur Gewalt aufrufen, aber die deutsche Gesellschaft von innen heraus nach ihren islamischen Vorstellungen verändern wollen. Allen voran die Islamische Zeitung aus Berlin.
Da sind Leute, die sind aufgefallen Anfang der 90er Jahre, in Freiburg im Breisgau – mit extrem deutschnationalen, rechten Positionen; völkischen Positionen. Die sind dann zum Islam konvertiert.
Ausschnitt aus Rede Riegers von 1993
Wie die Türken haben wir Deutsche auch oft in der Geschichte für ne gute Sache gekämpft.
Obwohl ich zugeben muss, dass meine Großväter bei unserem gemeinsamen Hauptfeind, unserem gemeinsamen Hauptfeind nicht ganz gründlich waren...
Der da spricht, ist der Herausgeber der Islamischen Zeitung, der Rechtsanwalt Abu Bakr Rieger. Aufgenommen 1993 bei einer Großveranstaltung des inzwischen verbotenen radikal-islamistischen ‚Anatolischen Bundesstaates’. Aus dem Bundesstaat ging dann später der Kalifat-Staat hervor. Solche antisemitischen Töne hört man von Rieger heute nicht mehr, der trotz mehrerer Anfragen für ein Interview nicht zur Verfügung stand. Seine Monatszeitschrift gibt sich pluralistisch und kritisch: Da fragt Rieger in einem Beitrag, ob sich Muslime denn überzeugend genug vom Terror distanziert hätten; stellt das Blatt in der Januar-Ausgabe die Macher der Website "www.muslime-gegen-terror" vor; wird die Zwangsheirat als "ungültig" abgelehnt. Dazu ausführliche Interviews mit Publizisten wie Roger Willemsen und Politikern wie Cem Özdemir. Claudia Danschke aber bleibt skeptisch.
Da sind Kreise, die faktisch über das Medium Islamische Zeitung - die ich immer bezeichne als Junge Freiheit des politischen Islam, die also auf ne sehr subtile, intellektuelle Art und Weise versucht, massiven Einfluss auszuüben auf die muslimische Community. Die Herausgeber der Islamischen Zeitung sind ganz stark in einer Art von Kapitalismus-, Globalisierungskritik. Und damit faktisch der USA: Kulturimperialismus, Geld-, Finanzimperialismus, Börse usw.. In diesen Schriften findet sich das ganze antisemitische Spektrum, antiamerikanische Spektrum, was man aus diesen Kreisen eben kennt.
Für den Chefredakteur der Islamischen Zeitung, Sulaiman Wilms, ist die Islamismus-Expertin Danschke ein rotes Tuch. Der 34jährige, der mit Anfang zwanzig zum Islam konvertiert ist, fühlt sich gründlich missverstanden. Sagt er. Punkt eins: Die Islamische Zeitung wolle Debatten anstoßen - nicht die Gesellschaft umkrempeln. Punkt zwei: Die Islamische Zeitung sei übernational und antirassistisch - nicht nationalistisch.
Also, wissen Se, ich hab tagtäglich mit Türken, mit Arabern, also mit Leuten aus jedem Kontinent zu tun: Also, wie könnte ich da ne nationale Position haben?! Und der Vorwurf des Antisemitismus gilt einfach by association. Ich sag mal so: Das ist ne beliebte Technik, die ist auch einfach anzuwenden. Weil der Punkt ist: Wir sind natürlich am Ende auch ne Provokation. Wir sind die einzigen praktizierenden Muslime in Deutschland, die am medialen Prozess teilnehmen - und zwar nicht als Objekt sondern als Subjekte.
Deutsche Muslime als Subjekte in der politischen Debatte - das ist tatsächlich noch die Ausnahme - sieht man einmal von sporadischen Auftritten muslimischer Vertreter in Talkshows wie Sabine Christiansen und Berlin Mitte ab. Meist wird nur über Muslime berichtet. Dabei leben inzwischen drei Millionen in Deutschland. Muslime, die oft parteipolitisch heimatlos sind. Die meisten, erklärt Muhamed Sven Kalisch, seien wertkonservativ. So wie er. Sprich: Eigentlich klassische Unions-Anhänger. Doch solange Merkel, Stoiber und Co Politik machten mit Slogans wie: "Die Türkei hat im christlichen Europa nichts verloren und Nein zum Kopftuch in deutschen Schulen" - solange sei die Union keine Alternative - trotz aller Gemeinsamkeiten.
Ich will’s gerne sagen: Ja, es gibt ein paar Punkte, wo westliche Gesellschaft und Islam voneinander wegdriften. Das ist die liberale Einstellung zu bestimmten Themen wie etwa Familie, Sexualmoral oder auch Drogenproblematik. Da wäre die islamische Position: Es wäre besser, wenn eine Gesellschaft das restriktiver handhabt. In solchen Punkten würde ich sagen, wäre eine islamische Werte-Übernahme für die westliche Gesellschaft aus meiner Sicht als Muslim natürlich besser.
Heinz Sorgatz sieht das ähnlich.
Die Familieneinstellung. Zum Beispiel: Da dürfen die Mädchen Freunde haben schon mit 16, 15, 14. Die dürfen überall hin, übernachten, dafür bin ich auch nicht. Mädchen hat zu Hause zu sein; muss ihre Hausarbeiten machen. Und Freund erst, wenn se in der Schule gut is und wenn sie Ausbildung hat.
Dass bildungsferne Globalisierungs-Verlierer wie Heinz Sorgatz, der seit mehr als fünf Jahren ohne Job ist und heutzutage kaum Chancen hat auf dem Arbeitsmarkt - dass jemand wie Heinz Sorgatz sein Heil im Islam sucht - Barbara John sieht darin erst einmal kein Problem - trotz seines "antiquierten Frauenbildes."
Also ich glaube, dass alle Religionen für eine Gesellschaft wichtig sind, die Menschen Halt und Sinn geben; die ihnen Werte vermitteln, die über den Alltag hinausgehen. Und das tun ja Religionen im allgemeinen. Dem widerspricht auch nicht, dass es einzelne Mitglieder dieser Religionen gibt, die nun Ideen entwickeln, die von Hass und Gewalt geprägt sind. Aber in der Regel sind diese Religionen friedfertig und wollen den Menschen dabei helfen, eine schwierige Existenz sich bewusst zu machen; dass man krank wird; dass man leiden muss; dass das Leben endlich ist.
Claudia Danschke sieht das kritischer
Man muss sich damit auseinandersetzen, dass diese Gesellschafts-Ideologie klar ne Alternative zum demokratischen Gesellschafts-System ist. Also, insofern ist es gefährlich, wenn man sagt, dass wir hier in Europa sagen, wir möchten das demokratische Gesellschaftssystem ablösen durch ein Gesellschaftssystem auf ner scheinbar religiösen Grundlage. D.h., sie ziehen aus der Religion die Vorschriften, sei es die Jurisprudenz, also die Rechtssprechung, die Politik, das soziale Interagieren, überhaupt die sozialen Verhältnisse, die wirtschaftlichen, kulturellen Verhältnisse, alles faktisch auf der Grundlage der religiösen Vorschriften. Insofern für die Demokratie ist es gefährlich als Idee des Zusammenlebens.
Der Islam - eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft? Abdul Hadi Christian Hoffmann schüttelt nur den Kopf. "Was für ein Quatsch!" Teil der Gesellschaft wollten Muslime heutzutage sein. Und natürlich müsse man sich von denen distanzieren, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes ständen.
Die haben natürlich ihre Meinung – immer noch. Und da gibt es ne offene Konfrontation, und dann streiten wir uns richtig im Uni-Hörsaal. Und dieser Streit muss auch geführt werden. Und ich kann nicht nur sagen: Ich hab die jetzt verboten – jetzt ist das Problem erledigt! Es ist überhaupt nicht erledigt. Man muss auch in den Hirnen was bewirken. Und das wird leider Gottes viel zu wenig gemacht.
Mit Extremisten reden; sie einbinden - ist das die richtige Strategie? Ja - meint Muhamed Sven Kalisch. Deshalb arbeitet er auch mit fundamentalistischen Verbänden zusammen wie dem Islamischen Zentrum Hamburg, das ein Mitspracherecht besitzt im Beirat seiner Fakultät - genau wie der Islamrat, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Integrieren statt spalten - das will auch die Muslimische Akademie. Wenn es nach Abdul Hadi Christian Hoffmann geht, dann soll die Akademie ein Forum sein für grundsätzliche Themen wie: Islam und die Moderne; oder: Religion in einer säkularen Gesellschaft.
Christian Hadi Hoffmann - da seh’ ich so eine Chance. Weil: Wir haben natürlich auch Konvertiten drin, die eben genau zur muslimischen Minderheit die Brücke bilden können. Also, die auch gerade um diese Ängste wissen. Was im Grunde genommen Globalisierungs-Ängste sind, was Industrialisierung, Individualisierung von Gesellschaften und muslimisches Denken: Konservatives, wertkonservatives Denken – die sich da in beiden System gut auskennen; die eine Brücke bilden können.
Eine Brücke bilden - Amina Erika Theißen versucht das seit fast schon zehn Jahren - trotz aller Anfeindungen. Denn: Deutschland, sagt sie, sei nun einmal ihr Land.
Vielleicht jetzt Muslime, die aus anderen Ländern zugewandert sind...wenn sie jetzt zum Beispiel angefeindet werden, dann sagen die: ok, wir gehen in unser Land zurück. Das können wir aber nicht. Wir müssen darum kämpfen, dass wir hier anerkannt werden. Und darum liegt uns vielleicht auch so viel daran, dass wir Institutionen aufbauen. Also, ich denke, uns konvertierten deutschen Muslimen ist es sehr wichtig, dass der Islam in Deutschland anerkannterweise seinen Platz findet. Und dass er auch vom Status her nicht diese Gastarbeiter-Religion bleibt und die Religion der Ungebildeten, der Blöden, sondern dass man irgendwie auch als ganz normaler Mensch Muslim sein kann.