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Ausbildung
"Ängste ernst nehmen"

Eine Unternehmensbefragung der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass ein Migrationshintergrund die Suche nach einem Ausbildungsplatz erschwert. Unternehmen hätten Vorbehalte, wie die Sorge vor Sprachbarrieren oder kulturellen Unterschieden, sagte Claudia Burkhard, die die Befragung betreut hat, im DLF. Ein weiteres Problem seien fehlende Bewerbungen.

Claudia Burkhard im Gespräch mit Kate Maleike | 22.01.2015
    Die Medizinisch-technische Assistentin Betül Caliscan bei ihrer Arbeit in einem Krankenhaus.
    Ein Migrationshintergrund kann die Suche nach einem Ausbildungsplatz erschweren. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Kate Maleike: Deutschland braucht ausländische Fachkräfte. Diese Forderung haben wir in den letzten Tagen so häufig gehört wie schon lange nicht mehr, etwa im Umfeld von Zuwanderungsbericht und Konjunkturprognosen. Was mag da wohl bei einem Jugendlichen im Kopf vorgehen, der Migrationshintergrund hat, aber beim Versuch allein, eine Lehrstelle zu bekommen, genau daran scheitert? Das nämlich ist häufig der Fall, belegt eine Unternehmensbefragung, die die Bertelsmann Stiftung heute vorgelegt hat. Migrationshintergrund erschwert, so heißt es darin, die Suche nach dem Ausbildungsplatz. Claudia Burkard hat die Befragung bei der Bertelsmann Stiftung betreut, guten Tag!
    Claudia Burkard: Guten Tag!
    Maleike: Sie haben etwas mehr als 1.000 ausbildungsberechtigte Betriebe in Deutschland befragt, von insgesamt rund 450.000, muss man sagen. Wie allgemeingültig sind also die Befunde, über die wir jetzt hier sprechen?
    Burkard: Mit einer Befragungsgröße von 1.000 Unternehmen sind wir schon repräsentativ. Wir können jetzt keine Aussagen zu regionalen oder bundesländerspezifischen Gegebenheiten machen, aber wir sind, was die Größe angeht der Unternehmen und der Region Ost-West, repräsentativ.
    Maleike: Unter den von Ihnen befragten Unternehmen habe 60 Prozent gesagt, dass sie noch nie einen Azubi mit ausländischen Wurzeln eingestellt haben. Warum nicht, was waren die Gründe dafür?
    Burkard: Am häufigsten haben die Unternehmen als Grund angeführt, dass sie gar keine Bewerbung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bekommen. Das allerdings zweifeln die Autoren der Studie an, weil das anderen Ergebnissen deutlich widerspricht, nach denen Jugendliche mit Migrationshintergrund sich genauso oft und intensiv bewerben. Das zweite Ergebnis ist eigentlich eher so, dass die Unternehmen anscheinend Vorbehalte haben. Sie äußern zum Beispiel die Sorge vor Sprachbarrieren oder kulturellen Unterschieden und werden deswegen abgehalten, Jugendliche mit Migrationshintergrund auszubilden.
    Maleike: Also kann man sagen, dass Anja immer noch häufiger die Lehrstelle bekommt als Ayse?
    Burkard: Das kann man so sagen.
    Maleike: Ihre Befragung ist ja nicht die erste, die dieses Ungleichverhältnis, so will ich es mal nennen, oder diese Ungleichbehandlung feststellt. Auf dem letzten Integrationsgipfel im Dezember erst war genau diese Situation ja angeprangert worden. Wir haben also offenbar ein handfestes und hartnäckiges Diskriminierungsproblem auf dem deutschen Ausbildungsmarkt, oder?
    "Wir glauben nicht, dass es eine bewusste Diskriminierung ist"
    Burkard: Ja, das haben wir. Wobei wir jetzt ja nicht die Diskriminierung in dem Sinne nachgewiesen haben, wie es der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen in seiner Studie gemacht hat. Die Firmen haben ja die fehlenden Bewerbungen als wichtigsten Grund angegeben, deswegen glauben wir eigentlich, dass es gar nicht so eine bewusste Diskriminierung ist. Dass also Betriebe nicht sagen, nein, wir wollen niemanden, der ausländische Wurzeln hat, sondern sie haben eben Befürchtungen, jemand mit ausländischen Wurzeln könnte eventuell nicht so erfolgreich in der Ausbildung sein. Und da Ausbildung eben auch Geld kostet und die Firmen natürlich auf ihr wirtschaftliches Interesse auch gucken müssen, geben sie dann lieber jemandem den Vorzug, von dem sie davon ausgehen, dass er vielleicht eher geeignet ist, die Ausbildung zu schaffen.
    Maleike: Es gibt aber auch viele, die genau andersherum denken, die nämlich Jugendliche mit Migrationshintergrund sehr wohl einstellen, für die das inzwischen der Normalfall ist. Das muss man ja auch sagen, das haben Sie auch gefunden in Ihrer Befragung.
    Burkard: Ja. Das ist eigentlich ein sehr schönes Ergebnis, dass diese Firmen ganz, ganz wenig überhaupt Gründe dafür angegeben haben. Wir haben ja gefragt: Haben Sie besondere Gründe dafür, dass Sie Jugendliche mit Migrationshintergrund einstellen? Und die überwiegende Mehrheit hat gesagt: Nein, haben wir nicht, für uns ist ein Migrationshintergrund eigentlich überhaupt kein wichtiges Kriterium oder das spielt für uns gar keine Rolle, sondern wir wollen zuverlässige Auszubildende, die auch leistungsbereit sind. Übrigens die gleichen Dinge, die die anderen Firmen ohne die Ausbildungsbereitschaft für Jugendliche mit Migrationshintergrund auch genannt haben. Die finden sie eben auch bei den Jugendlichen, die einen Migrationshintergrund haben.
    Maleike: Wie also kommen wir aus diesem Dilemma raus, was wären für Sie notwendige Konsequenzen?
    "Betriebe sollten auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zugehen"
    Burkard: Also, einmal ist natürlich auf Seite der Unternehmen deutlich mehr für mehr Bereitschaft zu sorgen, wir müssen mehr Betriebe dazu gewinnen, dass sie Jugendliche mit Migrationshintergrund ausbilden. Dafür muss man auch die Ängste ernst nehmen, die Sorgen. Das heißt, wenn ich als Unternehmen vielleicht transparent und unbürokratisch Unterstützungsmöglichkeiten bekommen kann, wenn mir also die Sorge genommen wird, sollte es wirklich fehlende Sprachkenntnisse geben, dann gibt es Hilfe, dann bin ich vielleicht eher dazu bereit, einen Jugendlichen mit Migrationshintergrund einzustellen. Betriebe sollten aber auch aktiv selber auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zugehen. Es gibt heutzutage häufig noch Einstellungsverfahren, wo dann Fragen zu deutscher Geschichte kommen, wo man sich dann schon fragt, ist das jetzt wirklich für die Ausbildungsstelle erheblich? Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch was für die Jugendlichen selbst tun. Die brauchen jetzt eine Perspektive, die können nicht warten, bis dieser Bewusstseinswandel stattgefunden hat. Und deswegen plädieren wir für eine Ausbildungsgarantie. Ausbildungsgarantie heißt: Wenn es nicht genügend Ausbildungsplätze gibt oder wenn jemand sich über lange Zeit erfolglos beworben hat und keine Ausbildungsstelle gefunden hat, dann springt der Staat mit einer Garantie ein und sagt, jeder ausbildungswillige und ausbildungsfähige Jugendliche bekommt dann ein Angebot.
    Maleike: Es gibt ja seit einigen Jahren, Frau Burkard, auch das Verbot der Diskriminierung im Bewerbungsverfahren und als Folge daraus Pilotprojekte mit der sogenannten anonymisierten Bewerbung, wo also kein Name, keine Nationalität, kein Foto und auch kein Alter zum Beispiel drin sind. Würde das den Jugendlichen weiterhelfen?
    Burkard: Das hilft auf alle Fälle weiter. Allerdings kann man das natürlich nicht unbedingt privatwirtschaftlichen Unternehmen so einfach verordnen. Und viele hätten dann auch das Gefühl, sie müssten irgendwen nehmen und wären gar nicht mehr Herr des Bewerbungsverfahrens. Deswegen sagen wir eigentlich, es ist deutlich besser, auf den Bewusstseinswandel zu setzen und unterstützende Maßnahmen einzuleiten, aber eben auch die Unternehmen, die bereits Erfahrungen haben, in Kontakt zu bringen mit den anderen, um Ängste abzubauen.
    Maleike: Einen Ausbildungsplatz in Deutschland zu bekommen, ist für Schulabgänger mit Migrationshintergrund schwerer als für solche ohne. Das zeigt eine heute vorgelegte Studie der Bertelsmann Stiftung und ich habe darüber gesprochen mit Claudia Burkard. Ganz herzlichen Dank!
    Burkard: Bitte, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.