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Ausbildung in Tschechien
Mit dem dualen System gegen den Fachkräftemangel

Das deutsche Unternehmen Gerresheimer findet für sein Werk in Tschechien keinen qualifizierten Nachwuchs und bildet deshalb nach deutschem Modell aus. Nach und nach interessieren sich aber auch viele tschechische Firmen für die duale Ausbildung.

Von Kilian Kirchgeßner | 22.08.2015
    Vorsichtig schieben die Lehrlinge den beweglichen Kran in Position. Neben ihnen steht Ausbilder Frantisek Toman und gibt die Kommandos.
    "So, dann nehmt jetzt mit dem Haken die Spritzgießform auf und bringt sie auf den Arbeitstisch. Denkt an den Hauptschalter!"
    "Wir simulieren den normalen Betrieb"
    Am Rande des riesigen Werksgeländes liegt die Ausbildungshalle; auf dem Tisch schrauben die Lehrlinge eine massive Metallform auseinander, mit der in einer Maschine Kunststoff-Teile entstehen. Hinter ihnen stehen zwei High-Tech-Geräte, jeweils fünf Meter lang. Ausbilder Frantisek Toman:
    "Das sind zwei Kunststoff-Spritzgießmaschinen, wie sie auch drüben in den Werkshallen stehen. Hier haben wir sie nur für die Lehre – wir simulieren den normalen Betrieb, also das, was in der Herstellung jeden Tag passiert."
    Der tschechische Ort Horsovsky Tyn, ein paar Kilometer entfernt nur von der bayerischen Grenze. Seit 15 Jahren ist hier die Firma Gerresheimer einer der größten Arbeitgeber – sie stellt Kunststoff-Teile für die Pharmaindustrie her, Insulin-Pens etwa oder Inhalatoren. 700 Mitarbeiter sind in vier Schichten beschäftigt. Geschäftsführer Helmut Schweiger stammt aus Bayern, vor 15 Jahren hat er das Werk hier aufgebaut – und macht sich Sorgen. Seine Firma expandiert, aber er findet einfach keine Mitarbeiter.
    "Das sind Mechatroniker, das sind die klassischen elektrotechnischen Berufe, das sind Werkzeugmacher. Wir haben hochkomplexe Spritzgusswerkzeuge, wir brauchen Leute, die eine Ahnung haben vom Bedrucken von Oberflächen in allen möglichen Variationen, mit Tamponprint, mit Offset, all die Sachen haben wir gesucht, aber die gibt es nicht auf dem tschechischen Arbeitsmarkt."
    Die tschechische Berufsausbildung folge einem veralteten System, das kritisieren Arbeitgeber immer wieder: Die Jugendlichen absolvieren ihre Ausbildung nur in Berufsschulen, die oft auch noch mit veralteten Geräten ausgestattet sind – und wenn sie danach bei einem Unternehmen anfangen, haben sie zwar viel Theorie gelernt, aber keine Ahnung von der Praxis. Helmut Schweiger:
    "Wir haben eine Notsituation, wir brauchen ausgebildete Mitarbeiter. Seitens der Regierung rührt sich da relativ wenig. Die einzige Lösung ist, man hilft sich da selber und versucht, die Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden in einem relativ frühen Stadium."
    Mit Selbsthilfe meint Schweiger das Ausbildungszentrum, das er aufgebaut hat und in dem er mit der örtlichen Berufsschule zusammenarbeitet. 15 Lehrlinge pro Jahr fangen hier an – und lernen angelehnt an die Duale Berufsausbildung, wie es sie in Deutschland gibt. Pavel gehört zum ersten Jahrgang, er hat gerade seine Abschlussprüfungen hinter sich.
    "Das war immer abwechselnd: Wir waren eine Woche hier, dann eine Woche in der Schule. Was als nächstes kommt? Ich mache noch zwei Jahre weiter, um mich besser zu qualifizieren, und dann gehe ich hier arbeiten."
    Es sind nicht nur die deutschen Unternehmen, die eine Duale Ausbildung auch in Tschechien etablieren wollen. Auch der tschechische Ausbilder Frantisek Toman, der bei Gerresheimer mit den Lehrlingen arbeitet, ist überzeugt von dem System.
    "Positiv ist, dass sie viel schneller lernen, weil sie alles in der Praxis sehen. Und mehr Theorie bekommen sie dadurch auch mit: Sie lernen eben nicht nur ein paar Handgriffe, sondern wissen, wie die Prozesse zusammenhängen und was da eigentlich im Hintergrund passiert."
    "Man muss zuerst säen, dann kann man ernten"
    Noch gibt es im Prager Bildungsministerium keinen Vorstoß, um das Duale Ausbildungssystem flächendeckend zu etablieren. Viele Firmen, die verzweifelt nach Facharbeitern suchen, organisieren deshalb Ausflüge zur Firma Gerresheimer, um das Rezept zu kopieren. Ähnliche Modelle sind inzwischen auch anderswo im Land entstanden – und Geschäftsführer Helmut Schweiger ist froh, dass er den Schritt damals als Pionier gewagt hat:
    "Es lohnt sich nicht sofort, aber im Laufe der Zeit. Wir haben da 100.000 Euro investiert, wir zahlen die Lehrlinge, wir haben zwei Ausbilder fulltime abgestellt, da kommt schon was zusammen. Man muss zuerst säen, dann kann man ernten. Bei uns bricht jetzt langsam die Ernte an."
    Der erste Jahrgang von Azubis bleibt geschlossen im Unternehmen. Lehrling Vaclav schmunzelt; er muss daran denken, wie er vor drei Jahren seinen Eltern erzählt hat, dass er eine ganz neuartige Ausbildung machen möchte.
    "Sie waren vor allem froh, dass ich hier eine sichere Arbeit habe."