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Ausbildungsplatz per Speeddating

Die Suche nach einem Ausbildungsplatz kann sich ganz schön ziehen - den Begriff Speeddating assoziiert man damit eher nicht. Doch genau das bieten die Industrie- und Handelskammern mittlerweile gerne an. Hektik kommt dabei nicht auf, denn die meisten Bewerber sind gut vorbereitet.

Von Andrea Groß | 11.07.2013
    An diesem Vormittag summt es in der Recklinghäuser Vestlandhalle wie in einem Bienenstock. Rund 1.000 Schüler treffen auf die Vertreter von 45 Unternehmen. Einer von ihnen ist der 16-jährige Daniel.

    "Ich gehe noch zur Schule, mache nächstes Jahr mein Abitur und ich möchte gerne eine Ausbildung zum Fachinformatiker machen. Als Nächstes gehe ich zu P&W Netzwerk GmbH. Ich habe bisher schon fünf Gespräche gemacht und die sind alle recht gut verlaufen. Ich bin zufrieden."

    Daniels bisherige Ausbeute: ein Praktikumsplatz. Mit acht Unternehmen will er insgesamt sprechen; er arbeitet sie in alphabethischer Reihenfolge ab. Beim ersten Gespräch war er noch ein bisschen aufgeregt, aber mittlerweile macht er das ganz souverän. Handshake, hinsetzen, sich vorstellen, sagen, was für einen Ausbildungsplatz er sucht, und warum.

    "Ich mache so ein bisschen das weiter, was wir in der Schule nicht zu Ende kriegen, also programmiere ein bisschen was, setze mich generell viel mit dem PC auseinander zu Hause. Es ist auch so, dass wenn wir einen neuen Internetanschluss oder Telefonanschluss bekommen, dass es kein Problem ist, das einfach einzubauen oder irgendwelche anderen Netzteile in das System zu integrieren."

    Daniels Gesprächspartner sind Geschäftsführer und Vertriebsleiterin eines aufstrebenden 13-Mann-Unternehmens. Sie wollen wissen, wie es um seine Englischkenntnisse steht und bitten um eine Kostprobe. Darauf war Daniel nicht vorbereitet. Da Englisch aber eines seiner Leistungsfächer ist, stellt ihn das nicht vor ernsthafte Schwierigkeiten.

    "”I´m born in Marl. I´m going to the Geschwister Scholl-Gymnasium in Marl and my hobbies are handball and especially I´m interested in programming for PC-Software and Technique.”"

    Auf Nachfrage erklärt Daniel, dass er schon bald seinen Führerschein in Angriff nehmen und dann in Begleitung eines Elternteils Auto fahren wolle und dass selbstverständlich ein Probepraktikum kein Problem für ihn ist. Er fragt nicht, wieviel er denn verdienen würde – dabei hätte Ulrich Puschmann das überhaupt nicht anstößig gefunden.

    "Ich finde, das ist eine wichtige Frage. Wenn ich meinen Lehrberuf angehen will, möchte ich vielleicht wissen, was ich in den nächsten drei Jahren verdienen werde. Ich halte es für fahrlässig, wenn ich gar nicht weiß, was ich verdienen könnte in diesem Beruf."

    Wenn Bewerber mit bunt gefärbten Haaren, Piercings, Tattoos oder nietenbeschlagenen Lederjacken kommen - all das störe ihn nicht, sagt Ulrich Puschmann und lächelt väterlich. Wenn sie eine Firmenpräsentation hätten, dann bitte er seine Angestellten, auf die Piercings zu verzichten und ausnahmsweise ein Sakko oder einen Blazer anzuziehen. Eines stellt der Netzwerk- und Systemunternehmer allerdings klar: In seiner Branche bewegen sich die wöchentlichen Arbeitszeiten eher bei 50 als bei 40 Stunden. Wer regelmäßig um fünf Uhr nachmittags den Griffel fallen lassen wollte, müsste schon sehr gute Gründe haben.

    Drei Ausbildungsplätze hat Ulrich Puschmann zu vergeben. Bei ihm haben sich an diesem Tag Hauptschüler, Realschüler, Gymnasiasten, Schulabbrecher, Berufswechsler und Studienabbrecher vorgestellt. In einer Sache stellt der Unternehmer ihnen allen ein gutes Zeugnis aus.

    "Vorbereitung ist sehr gut. Wir hatten Leute, die erst gestern von der Veranstaltung erfahren haben. Der hat Tischler gelernt und gesagt, ich suche einen anderen Beruf. Selbst der hatte komplette, aussagekräftige Unterlagen dabei."

    An diesem Tag will Ulrich Puschmann sich nicht für diese oder jenen entscheiden. Er nimmt die Unterlagen mit, lässt die Eindrücke sacken und überlegt in den nächsten zwei Wochen, wer zum Probepraktikum kommen darf.