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Ausblick auf Venedig?

Nächstes Jahr wird sie ihr Land auf der Biennale von Venedig vertreten. Schon jetzt sind die Kunstwerke von Karla Black in der Kunsthalle Nürnberg zu besichtigen. Dort zeigt die Schottin unter anderem Bodenskulpturen aus einfachen Stoffen wie Erde, Sand, Papier oder Sägemehl.

Von Barbara Bogen | 27.06.2010
    Vor allem im größten der Ausstellungsräume ist Karla Black so etwas wie ein Clou gelungen. Man tritt ein, und es ist wie ein heiterer Schock. Was ist das? Eine Baugrube? Dünenlandschaft? Abenteuerspielplatz? Wüste, Steinbruch, Schlachtfeld oder Brache? Quer über die Hälfte des riesigen Museumsraumes hinweg hat die schottische Künstlerin Karla Black eine gewaltige abstrakte Landschaft aus hellem Gipspuder geschaffen, weiß und blass rosafarben. Dazwischen Spuren. Abdrücke von Händen, vereinzelt Fingern, Schuhen, Spaten, Hundepfoten. Es heißt, die Künstlerin selber habe immer wieder am Rand ihres staubigen, insgesamt 4,5 Tonnen schweren Environments, das sie eigenwillig "Skulptur" nennt, gestanden und Dinge hineingeschleudert oder sei selbst hineingesprungen, um die raumgreifende, wilde, schöne Arbeit mit ihren Zeichen und Zeichnungen zu versehen, um ein Spiel zu provozieren zwischen Kontrolle und Zufall.

    Einmal, sagen die Ausstellungsmacher, soll der Gipspuder sie kaum mehr losgelassen haben. Karla Black steckte fest im hartnäckigen Gips, der von ihr selbst geschaffenen Kunstlandschaft im Raum. Im Kunstraum, der an Arte Povera, Land- und Minimalart zwar noch schwach erinnert, aber den sie weiterdenkt zur "Kunst als Handlung". "Given distance. Whats the difference?" heißt die Arbeit mit dem Titel wie ein Enigma oder Poem, über der deckenhoch eine rechteckiger brauner Vorhang, ein Patchwork aus Packpapieren schaukelt. Räume aus der Kraft des Unbewussten.

    "Nun, ich arbeite oft mit dem Unbewussten insofern, als ich in Wirklichkeit gar keine Ideen habe, sagt Karla Black ebenso selbst- wie ironiesicher. Ich versuche ganz einfach, individuellen Bedürfnissen, Sehnsüchten nachzugehen. Ich mag zum Beispiel diese eine Farbe und ich habe das Bedürfnis ganz, ganz viel davon zu sehen. Ich liebe dieses Material und will es berühren, auf den Boden legen, ansehen und damit arbeiten. Dann erlaube ich mir, genau das zu tun. Das meine ich mit Prozessen des Unbewussten. Manchmal muss ich meinem Bewusstsein geradezu erlauben, an dem Arbeitsprozess teilzunehmen, etwas hinzuzufügen oder zu verändern und mich - bewusst - fragen: Was hast Du da bisher gemacht?"

    Das Unberechenbare reizt sie, sagt Karla Black, das Rohe der Kreativität. Und meint den Prozess. Ihre Arbeiten selbst, natürlich, sind in Wahrheit alles andere als roh. Im letzten Raum der Ausstellung "Ten Sculptures" schwebt ein zartes, rosafarbenes Gebilde. Duftig wie Tüll. Eine Folie aus Plastik, in deren Transparenz die Künstlerin losen Puder geschüttet hat, hängt dort an dürren Fäden wie eine Illusion aus Farbe, Material und Luft. Scheinbar schwerelos wie eine Wolke. Unwirklich, fabelhaft, schön. Mit der Zerbrechlichkeit ihrer Objekte geht sie, das weiß sie, ein hohes Risiko ein. Und das will sie auch so, denn fragil, leicht zerstörbar sind sie, das gehört bewusst zur Inszenierung, letztlich alle. Fast eine Provokation.

    Einen hauchdünnen blassgrünen Teppich aus Gipspuder hat Karla Black gleich in den Eingangsraum der Ausstellung gestreut, so feinstofflich und hilflos, dass er die Struktur der Fliesen darunter sichtbar werden lässt und jedes Ausgleiten eines unachtsamen Besuchers ihn ruinieren würde. Selbst der Block aus Sägespänen, der zunächst wirkt wie ein wuchtiges Containerungetüm, eine mit bunten Make-Up-Spuren sinnlos überpuderte Trutzburg würde bei der leichtesten Berührung des Besuchers seine Form ändern, vielleicht ganz in sich zerfallen. Schutzlos selbst der 1,20 Meter hohe wuchtige Kubus in Trapezform, der aus acht verschiedenen, im Baumarkt erstandenen Kies-, Sand- und Erdschichten besteht und bedrohlich wirkt wie eine überproportionierte Sonntagstorte. Dem Betrachter weist die Künstlerin damit ein hohes Maß an Verantwortung zu. Don't touch it! Heißt letztlich die im besten Sinne altmodische Losung der Skulpturen-Ausstellung. "Don't cough! Art is precious!" Nicht berühren, ja, besser, nicht mal husten, denn Kunst, und nicht nur die, ist kostbar!

    "Die Kunst ist für mich so eine Art Metapher, sagt Karla Black, ein Bild auch für menschliche Beziehungen. Wir alle besitzen doch ein gewisses Maß an Fragilität, an Verletzlichkeit, das respektiert werden sollte. Genauso ist es mit der Kunst. Manche Menschen sind einfach unfähig dazu, etwas als kostbar zu erachten. Die trampeln einfach auf eine Skulptur. Das finde ich sehr bezeichnend, denn es kennzeichnet zum einen ihre Haltung anderen Menschen gegenüber, aber auch ihr Verhältnis zur Kultur."