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Ausflüchte und Ablehnung

Im Bundestags-Sportausschuss wird am Mittwoch der Etat des Bundesinnenministeriums anberaten. Die Abgeordneten sollen dort eine höchst umstrittene, europaweite Initiative absegnen: das Einfrieren der Zuschüsse für die finanziell spärlich ausgestattete Welt-Antidoping-Agentur WADA auf derzeitigem Niveau.

Von Grit Hartmann | 16.10.2011
    Um das vorab klarzustellen: Es gibt ihn, den mündigen Abgeordneten, der, wie im Grundgesetz vorgesehen, nicht nach Parteilinie entscheidet, sondern zuerst nach seinem Gewissen. Wolfgang Bosbach hat das kürzlich demonstriert. Bekanntlich wurde der CDU-Politiker recht rüde unter Druck gesetzt, weil er der Kanzlerin seine Stimme für die 211 Milliarden im jüngsten Euro-Rettungsschirm verweigerte. Bosbachs Stehvermögen nötigte jedoch auch denen Respekt ab, die seine Meinung nicht teilten. Sein Demokratieverständnis formulierte er hernach ganz schlicht: "Wenn man Koch wird, muss man schon die Hitze in der Küche aushalten."

    Die WADA, Zentrale der Betrugsbekämpfung im Spitzensport, möchte für ihre Arbeit im Kampf gegen Doping nur rund 10.000 Euro mehr, zwei Prozent Plus, einen Inflationsausgleich. Die Bundesregierung lehnt ab, es wird ja gespart. Die Folge: Alle Finanziers der Agentur, Regierungen und Sport, müssten mitziehen – ein Desaster für die ohnehin schwachbrüstige Antidoping-Politik.

    Der Deutschlandfunk hatte das schon im Januar öffentlich gemacht. Was sagen die Sportausschuss-Mitglieder dazu, wie wird ihr Votum zum BMI-Sportetat jetzt ausfallen? Wir haben um persönliche Meinungen gebeten. Und die Frage dahinter lautete auch: Gibt es einen Bosbach unter den sportpolitischen Leistungsträgern von Schwarzgelb?

    Danach sieht es nicht aus. Klaus Riegert, Sportsprecher der Union, ist auf Auslandsreise – und prompt verlegen sich die Anderen aufs beinahe kollektive Schweigen. Wenn sie überhaupt antworten, dann mit Ausflüchten: Das Büro von MdB Frank Steffel etwa verweist erst mal auf "Herbstferien", eine parlamentarisch bisher unbekannte Einrichtung. Dann belehrt man uns, das Thema stehe nicht auf der Tagesordnung – "laut Auskunft des Sportausschuss-Sekretariats". Ein Anruf dort ergibt, dass eine solche Auskunft nicht erteilt wurde.

    Stephan Mayer, CSU, fiel zuletzt als München-2018-Aktivist sportpolitisch auf. Er antwortet uns auch, aber nur mit einer Frage: Ob fürs Radio ein Telefonmitschnitt gewünscht sei. Wir haben nichts dagegen – und warten vergeblich auf weitere Nachricht. Am Ende einigen sich die Volksvertreter von der Union – darauf, dass sie keine persönliche Meinung zu den WADA-Beiträgen haben. MdB Dieter Stier sagt das so: Die Arbeitsgruppe Sport wolle nächste Woche beraten, über das Ergebnis werde "dann informiert".

    Für Karin Strenz, CDU, kam die Order zu spät. Sie reagierte schnell, und ihre Mail lässt ahnen, dass schon länger, nun ja: beraten wird. Sie habe sich, verrät Strenz, "überzeugen lassen". Seit Jahren kämen "neue Wunschzettel aus Montreal - aber keine ernstgemeinten Vorschläge, wo auch einmal gespart werden könnte". Strenz schlägt Reduzierung der Verwaltungskosten vor. Außerdem: Auch für die WADA gelte "das Transparenzgebot". Das klingt vorgeschoben:

    Die WADA publiziert ihre Ausgaben und Einnahmen sogar online. Für den deutschen Spitzensport hingegen gilt, dass nicht einmal der Bundestag weiß, wie jährlich 90 Millionen Steuergeld an die Verbände verteilt werden. Und die Kosten für den WADA-Apparat? Im Aufsichtsrat gab es nie Kritik dazu, heißt es aus Montreal. Seit 2004 gelte Einstellungsstopp, auch sonst wirtschafte man zurückhaltend.

    Zur SPD. Dagmar Freitag nennt die Aktion der Bundesregierung unumwunden "kurzsichtig und nicht sachgerecht". Als Sportausschuss-Vorsitzende werbe sie international oft für mehr Engagement gegen Doping, aber, Zitat: "Die Argumente werden stumpf, wenn das eigene Land erkennbar auf die Bremse tritt."

    Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der Partei, lässt wissen: Die WADA sei "zentral" für den Antidopingkampf, sie setze Akzente mit Forschungsaufträgen und Kontrollen. Ihr 27-Millionen-Dollar-Jahresetat sei ohnehin "nicht optimal" – im Vergleich zu den 15 Milliarden, die allein im Breitensport pro Jahr mit Dopingmitteln umgesetzt würden. Gerster meint, das Plus für die WADA wäre im BMI-Sportetat "ohne Probleme realisierbar". Also gehe es der Koalition "nicht ums Geld". Er sagt: "Auf keinen Fall" würden er und seine Fraktionskollegen zustimmen.

    Gleiches gilt für Bündnisgrüne und Linkspartei. Katrin Kunert (Linke) merkt an, zwar sei auch die Arbeit der WADA "regelmäßig zu überprüfen". Jedoch dürfe sie nicht mit Einsparungen "in ihrer Existenz bedroht" werden. Die Grüne Daniela Wagner bekundet sogar "Erschrecken" über die Spar-Idee des BMI. "Europa als Ganzes" mache sich unglaubwürdig. Viola von Cramon, Grüne, erinnert an eine Aufgabe der Agentur: Die baue in einigen Regionen Strukturen für Dopingkontrollen erst auf. Auch deshalb liege eine starke WADA "im deutschen Interesse".

    Fazit bis hierher: Die Sportpolitiker der Union werden vermutlich die Parteisoldaten der Regierung geben, von der Opposition kommen drei Gegenanträge. Bleiben die drei Liberalen. Sie könnten die groteske deutsche Initiative kippen. Ihr Parteifreund, IOC-Vize Thomas Bach, wünscht kein Einfrieren des WADA-Beitrags. Für die FDP antwortet Lutz Knopek. Er nennt sich selbst gern einen "Dopingexperten", scheint aber plötzlich vom Expertentum verlassen. Der Abgeordnete verweist auf "Abstimmungsprozesse" – in der Fraktion und im Sportausschuss.

    Die schwarzgelben Köche, um es mit Bosbach zu sagen, rühren also eine Koalitions-Suppe an. Wenn nicht alles täuscht, verheißt das eine besondere sportpolitische Geschmacklosigkeit, eine mit globalem Effekt.